Methoden
Konflikte gehören zu den häufigsten Anlässen für ein Coaching. Grund genug, das Thema Konfliktmanagement für das Coaching und die Beratung von Menschen in Organisationen weiterzuentwickeln. Der Konfliktnavigator bricht die oft einseitige Ausrichtung auf Kommunikation als Lösungsweg in der Konfliktklärung auf und richtet den Fokus auf die Bedeutung von Selbstregulation im Umgang mit Konflikten. Denn selbstverständlich ist lösungsorientierte Kommunikation ein zentraler Zugang der Konfliktlösung. Aber eben nur ein Zugang – und nicht der einzige.
Das Erleben ist nach hypnosystemischer Perspektive (Schmidt, 2015) als fluides, veränderliches Netzwerk von Mustern organisiert, das durch interne Faktoren (Gedanken, Erinnerungen, Vorstellungen) oder durch äußere Situationen (Kontexte, Menschen, Orte) aktiviert, aber auch verändert werden kann. Aspekte des Erlebens sind Körperempfindungen, Emotionen, Gedanken, Bewertungsprozesse oder das Selbstbild. Diese Erlebenselemente sind miteinander vernetzt, so dass sie als Muster auftreten. Dies gilt auch für das Erleben eines Konfliktes. Veränderung findet dann statt, wenn es gelingt, das Muster des Konflikterlebens in ein Erleben von Lösungskompetenz, Kreativität und konstruktiver, wertschätzender Haltung im Umgang mit sich und anderen zu verwandeln.
Ziel eines Konflikt-Coachings ist es demnach, dem Klienten Erfahrungs- und Reflexionsräume anzubieten, die dessen Zugang zu Ressourcen und Kompetenzen aktivieren, einen Wechsel vom Konflikterleben in das Erleben von Gestaltung und Lösung ermöglichen und dadurch zu einem veränderten Umgang mit dem Konflikt und dem Konfliktpartner einladen. Auf Ebene der Organisation ist es das Ziel, Konfliktkosten zu reduzieren und über die Reflexion des Informationsgehaltes eines Konfliktes Lernprozesse zu initiieren und damit einen Mehrwert für die Organisation zu generieren.
Bezüglich des ersten Ziels, der Einladung des Klienten zur Aktivierung von Lösungskompetenzen, sind prinzipiell alle methodischen Zugänge geeignet, die unterschiedliche Erlebensebenen wie Selbstbild, Körper, Emotionen, Gedanken, Bewertungen oder Verhalten ansprechen. Für die Ebene der Techniken bedeutet dies, dass im Konflikt-Coaching unabhängig von beratungsbezogenen „Schulen“ eine Vielzahl unterschiedlicher Zugänge möglich ist, von körperbezogenen Bottom-up-Techniken bis hin zum philosophischen Diskurs. Damit wird der potentielle Lösungsraum im Konflikt-Coaching gegenüber einer einseitigen Konzentration auf die Themen Kommunikation und Gesprächsführung deutlich erweitert.
Die meisten Menschen leiden unter Konflikten am Arbeitsplatz und erleben eine enorme emotionale Entlastung, wenn es gelingt, Handlungsoptionen für eine belastende Konfliktsituation zu entwickeln. Dabei richtet sich der Fokus oft einseitig auf die Themen Kommunikation und Gesprächsführung – ein Thema, zu dem zahlreiche hilfreiche und bekannte Konzepte vorliegen. Nun wird aber das sogenannte Klärungsgespräch von den Konfliktbetroffenen oft als unangenehm oder gar bedrohlich erlebt. Auch gibt es zahlreiche Situationen, in denen Gespräche mit dem Konfliktpartner nicht möglich oder sinnvoll sind. Mit dem Konfliktnavigator soll daher auf die Bedeutung der Selbstregulation hingewiesen werden. Zugleich werden Möglichkeiten der Konfliktbewältigung jenseits des Klärungsgespräches, aber auch zur Vorbereitung eines Gespräches aufgezeigt. Dies stärkt die Selbstwirksamkeit der Konfliktbetroffenen vor allem dann, wenn ein Gespräch mit dem Anderen nicht sinnvoll erscheint oder nicht möglich ist, zum Beispiel, wenn
Der Konfliktnavigator unterscheidet vier Lösungsfelder: (1) Selbstregulation, (2) Beziehungsregulation, (3) Sachklärung sowie schließlich (4) Lernen und Prävention. Die Abbildung zeigt die vier Lösungsfelder und dazu mögliche Themen, die innerhalb des Feldes betrachtet werden können. Der Ideenpool außen verweist auf die Vielfalt von Methoden, die im Coaching zwecks Klärung, Reflexion und Aktivierung von Kompetenzen und Ressourcen zur Verfügung stehen. Die Felder im Einzelnen:
Abb.: Modell der vier Lösungsfelder
Akute Konflikte gehen bekanntlich mit starken Affekten und typischen Veränderungen der kognitiven Fähigkeiten einher. Die Fokussierung der Aufmerksamkeit auf den Konflikt, polarisierendes Denken in Kategorien von „schwarz und weiß“, unproduktives Grübeln und weitere Einschränkungen der kognitiven Fähigkeiten wurden als Begleiterscheinungen eines Konfliktes vielfach beschrieben (Glasl, 2008).
Kein guter Zustand, um ein Klärungsgespräch zu führen und kein guter Zustand, um tragfähige, kluge oder kreative Lösungen für die sachlogische Ebene eines Konfliktes zu finden (sofern es eine solche überhaupt gibt). Selbstregulation sollte daher der Konfliktklärung in der Außenwelt vorgeschaltet werden; danach wird die Beziehung zum Konfliktpartner näher betrachtet und schließlich der sachliche Aspekt eines Themas gelöst. Denn: Konstruktive, tragfähige oder kreative Lösungen auf sachlicher Ebene lassen sich am besten entwickeln, wenn die Beteiligten in einem guten, ressourcenvollen Zustand sind (Selbstregulation), die Beziehung zu den Konfliktpartnern trotz der Differenzen von gegenseitigem Respekt und dem gemeinsamen Interesse an einer Lösung gekennzeichnet ist (Beziehungsregulation) und das Thema zwar als wichtig erachtet, aber nicht mehr von starken Affekten beherrscht wird (Sachklärung).
In einem akuten Konflikt bewegen wir uns meist mitten im Feld Beziehung, wo mehr oder weniger sinnvolle Dynamiken toben und sachliche Lösungen erschweren. Es erfordert Bereitschaft zur Selbstreflexion, aber auch Ruhe, Entschleunigung und Raum, um das Konfliktgeschehen mit Abstand zu betrachten, die eigenen Bedürfnisse, Emotionen und Ziele zu reflektieren und darauf aufbauend Ideen für ein sinnvolles Handeln in der Außenwelt zu entwickeln. Coaching ist ein solcher Raum
Selbstregulation als Thema im Konflikt-Coaching bedeutet, den Fokus der Aufmerksamkeit weg vom Konfliktpartner hin zum Klienten selbst und zu dessen Gefühlen, Bedürfnissen, Motiven und Zielen zu lenken. Im Folgenden werden exemplarisch Emotionen, Motive, Körper und Selbstbild als Aspekte der Selbstregulation herausgegriffen und Hinweise auf entsprechende Coaching-Techniken gegeben.
Zunächst kann der Coach mit Hilfe einer Skalierung fragen, wie stark sich der Klient durch den Konflikt aktuell belastet fühlt. Oft ist bereits diese Frage – eigentlich Teil der Konfliktanalyse – schon eine Intervention, nämlich dann, wenn der Klient feststellt, dass es abhängig von der aktuellen Sicht auf den Konflikt Variationen gibt – bezogen auf das Ausmaß, in dem der Konflikt ihn belastet.
So wie die allgemeine Belastung lassen sich im Feld Selbstregulation auch spezifische Emotionsqualitäten wie Ärger, Angst, Frustration, Hilflosigkeit, aber auch positive Emotionsqualitäten wie Neugierde, Vertrauen, Hoffnung skalieren, um ein differenziertes Bild vom emotionalen Erleben zu gewinnen. Die differenzierte Betrachtung trägt dazu bei, den Kern des Erlebens herauszuarbeiten und entsprechende Regulationsstrategien anzubieten. Schließlich erfordert der Umgang mit Ärger oder Wut eine andere Herangehensweise als die Arbeit mit einem Klienten, der vorrangig Hilflosigkeit und Ohnmacht erlebt.
Ein Konflikt wird dann erlebt, wenn eine andere Person etwas tut oder zu tun beabsichtigt, was die eigenen Motive, Ziele oder Bedürfnisse bedroht oder verletzt. Selbstregulation in Konflikten bedeutet daher auch, zu reflektieren, welche Motive durch das Handeln des Anderen verletzt oder bedroht werden. Als „Hintergrundmodell“ für diese Frage eignen sich Klassifikationen emotionaler Grundmotive, die unter anderem Sicherheit, Zugehörigkeit, Autonomie, Selbstwertschutz, Sinn und das Leistungsmotiv unterscheiden.
Der Körper – ein wichtiges Thema, auch im Coaching. Gibt es rund um den Konflikt körperliche Beschwerden oder Beeinträchtigungen, die mit der Belastung einhergehen? Wann geht es dem Klienten körperlich besser, wann schlechter? Was kann der Klient tun, um sich sofort besser zu fühlen? Welche Strategien und Methoden verhelfen ihm zu einem besseren Körpergefühl – auch und gerade bei der Begegnung mit dem Konfliktpartner? Im Coaching stehen hier viele Möglichkeiten offen, um in einem Bottom-up-Prozess die Regulation eines unerwünschten Erlebensmusters – also unterschiedsbildende Veränderungen – anzubieten: Atmung, Embodiment (Storch, 2007), Bewegung oder Methoden aus der energetischen Psychologie seien hier als Wege der Selbstregulation genannt.
Wie nimmt ein Klient sich selbst wahr – im Umgang mit dem Konflikt und dem Konfliktpartner? Fühlt er sich als Opfer, als Aggressor oder als kompetent handelnde Person? Nimmt er sich als stärker oder schwächer, kleiner oder größer wahr als den Konfliktpartner? Die Antwort auf diese Frage, die sich natürlich auf subjektive Konstruktionen und nicht auf reale Machtverhältnisse bezieht, lässt sich durch kreative Methoden herausarbeiten. Im Coaching kann man den Klienten beispielsweise auffordern, sich selbst und den Konfliktpartner als Wesen oder Tier zu zeichnen.
Zeichnen, die Arbeit mit Metaphern oder auch Filmtiteln („Finden Sie einen Filmtitel für ihren Konflikt.“) aktivieren die intuitive Lösungskompetenz des Klienten. Ähnlich wie Steve de Shazers Wunderfrage umgehen sie einschränkende Gedanken und Bedenken des „rationalen Systems“ und schaffen so oft unerwartete Einsichten. Zudem wird das „Sehnsuchtsziel“ (nach Gunter Schmidt) für den Klienten unmittelbar bildhaft deutlich, was eine starke motivierende Kraft in Gang setzen kann.
Die Übergänge von der Selbst- zur Beziehungsregulation sind fließend. Exemplarisch werden die Beziehungsdimensionen „Wertschätzung – Abwertung“ und „Nähe – Distanz“ aufgegriffen.
„Wertschätzung – Abwertung“ bezieht sich auf die affektive Dimension einer Beziehung. Welche Gefühle erlebe ich gegenüber dem Anderen? Auch in Arbeitsbeziehungen ist das gesamte Spektrum zwischenmenschlicher Gefühlsqualitäten zu finden. Typisch für Konflikte sind dabei ambivalente Qualitäten wie Ärger und Wertschätzung, die mit widersprüchlichen Handlungsimpulsen verbunden sind.
Im Konflikt-Coaching können solche Ambivalenzen zugelassen und bewusstgemacht werden. Eine aus der Mediation bekannte Frage dazu lautet etwa: „Was schätzen Sie trotz des Konfliktes an dem Anderen?“ Oder: „Gibt es eine Situation, in der die störenden Verhaltensweisen oder Gewohnheiten des Konfliktpartners auch nützlich oder hilfreich sind?“ Derartige Fragen implizieren die Erlaubnis zur Ambivalenz, sie regen einen Perspektivwechsel und eine differenziertere Betrachtung des Anderen an. Ebenso geeignet sind systemische „Verflüssigungsfragen“, die negative und statische Zuschreibungen seitens einer Konfliktpartei („Er ist unfähig!“) auf die Verhaltensebene transformieren.
Wie erlebt ein Klient die Regulation von Nähe und Distanz in der Beziehung zum Konfliktpartner? Die Regulation von Nähe und Distanz ist auch in Arbeitsbeziehungen wichtig. Im Konfliktfall wird der Andere meist als zu nah und grenzverletzend erlebt. Wie kann man im Konflikt-Coaching vorgehen, wenn der Klient darin gestärkt werden möchte, Grenzen zu setzen, klar „Nein“ zu sagen und sich dem Konfliktpartner gegenüber deutlich zu positionieren? Hier eignen sich unter anderem Methoden, die den Körper einbeziehen wie Embodiment, Übungen aus dem Schauspiel oder Psychodrama.
Ein kognitiv orientierter Zugang ist die Disputation der Grundüberzeugung „Ich darf mich nicht abgrenzen“. Andere Zugänge sind Humor und Provokation. Steht nicht Abgrenzung, sondern (auch) Wiederannäherung im Vordergrund, dann können Techniken des Perspektivwechsels, die durch unterschiedliche Positionen im Raum verankert werden, eingesetzt werden. Hilfreich ist es auch, ungute Beziehungsmuster („Teufelskreise“) zwischen dem Klienten und dem Konfliktpartner sichtbar zu machen und eine Musterunterbrechung oder gar eine Transformation der bisherigen, konfliktverschärfenden Kommunikationsmuster in ein neues lösungsorientiertes Muster anzuregen. Die Entwicklung einer stimmigen Haltung im Spannungsfeld von Abgrenzung und Annäherung kann imaginativ und damit erfahrungsorientiert vertieft und/oder über Rollenspiele auf die Verhaltensebene transformiert und geübt werden.
Bei Konflikten, die jenseits von emotionaler Betroffenheit und Beziehungsdynamiken noch eine sachlich zu lösende Ebene haben, bietet dieses Feld Möglichkeiten an. Beispiele für solche Konflikte sind die faire Verteilung von Lasten oder Ressourcen oder Differenzen bezüglich des optimalen Wegs zu einem gemeinsam definierten Ziel. Wenn der Klient im Coaching wieder in einem guten, ressourcenvollen Zustand ist, der Fokus auf Lösungen liegt und die Beziehung zum Konfliktpartner zumindest von Respekt und einem gemeinsamen Interesse an einer Lösung getragen ist, sind Lösungen auf sachlogischer Ebene oft das geringste Problem. Im Coaching kann man den Klienten durch Methoden und Zugänge aus dem Bereich der Kreativitäts- und Problemlösetechniken anregen.
Hier ist es das Ziel, durch einen veränderten Umgang des Klienten mit dem Konflikt, durch die Stärkung individueller Konfliktkompetenzen und über die Identifikation konfliktbegünstigender Faktoren auf Ebene der Strukturen oder Prozesse einen Beitrag zur Weiterentwicklung der Organisation zu leisten. Ansatzpunkte auf individueller Ebene sind:
Ansatzpunkte auf Organisationsebene sind:
Konflikte verschärfen sich dadurch, dass die unterschiedlichen Felder der Konfliktlösung, also Selbstregulation, Beziehungsregulation und Sachklärung, auf ungute Art vermischt werden. So wird versucht, die eigenen Emotionen wie Ärger oder Frustration über die Beziehungsebene, z.B. über Abwertungen des Gegenübers zu regulieren. Machtkämpfe werden über Sachthemen geführt (die dann meist zäh und ergebnislos verlaufen), strukturelle Probleme werden als individuell verursacht erlebt und auf der Beziehungsebene ausagiert. Das Modell der vier Lösungsfelder soll eine ungute Vermischung dieser Ebenen reduzieren und zu mehr Klarheit und Zielorientierung im Lösungsprozess beitragen. Auf Ebene der Methoden und Tools erlaubt der Konfliktnavigator eine Integration unterschiedlichster methodischer Zugänge, die als Einladungen zu unterschiedsbildenden Erfahrungen vom Konflikt- zum Lösungserleben dienen.
Der Konfliktnavigator ist eine Methode, die zur systematischen Konfliktanalyse und zur Entwicklung von Lösungsschritten im Coaching eingesetzt werden kann. Kern der Methode ist das Modell der vier Lösungsfelder. Es unterscheidet mit Selbstregulation, Beziehungsregulation, Sachklärung und Lernen vier Felder, die den Coaching-Prozess strukturieren. Mit dem Modell der vier Lösungsfelder soll auf die Bedeutung der Selbstregulation hingewiesen und Klärungsmöglichkeiten jenseits des Gespräches aufgezeigt werden. Dies stärkt die Autonomie und die Selbstwirksamkeit der Betroffenen.
Die praktische Umsetzung des „Konfliktnavigators“ lesen Sie im Artikel "Von der Selbstregulation zur Sacherklärung".