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Coaching-Tools

Das Erstgespräch

Fragen zu Anliegen und Auftrag. Ein Coaching-Tool von Dr. Walter Schwertl

11 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 4 | 2011 am 22.11.2011

Kurzbeschreibung

Business-Coaching, das als systemisch ausgewiesen wird, besteht im Wesentlichen aus Fragetechniken. Dies gilt über weite Strecken eines gesamten Coaching-Prozesses. In der Klärung von Anliegen und Auftrag sind entsprechende Fragen unerlässlich.

Anwendungsbereiche

Die Klärung des Anliegens oder die Erarbeitung eines Auftrags hat notwendigerweise am Anfang zu stehen. Diese Prozessstrecke kann jedoch unterschiedlich lange dauern. Systemische Ausrichtung bedeutet Abschied von statischen, stets gleichen Abläufen und Hinwendung zu Prozesssteuerung. Dies geschieht durch eine breite Variierung der entsprechenden Fragen. Das gemeinsame Verständnis über den Auftrag stellt eine Art Kompass für den weiteren Prozess dar. Die Beteiligten haben gemeinsame Vorstellungen über Taktung, Ziele, Schwierigkeitsgrade, Möglichkeiten des Abbruchs und der Kosten. Es bleibt festzuhalten, dass die Erarbeitung eines abgesicherten gemeinsamen Verständnisses des Auftrags unabdingbar der erste Schritt ist.

Zielsetzung

Der Klient und der Coach sind in ihrem jeweiligen Anliegen füreinander intransparent. Das Angebot Coaching ist eine Dienstleistung im Modus von Kommunikation. Das bedeutet, dass Themen des Klienten durch Dialoge reflektiert werden. Das heißt auch, dass die Leistung des Coachs weder sichtbar noch berechenbar ist. Sie ist letztlich ein Versprechen. Das von Klienten vorgetragene Anliegen ist eine Beschreibung von Wünschen, die auch anders aussehen könnte. Über dieses Anliegen gilt es, durch Fragen eine konsensuelle Übereinstimmung herzustellen und ebenso darüber, was aus den Anliegen werden soll.

Unter Bezugnahme auf Korzybski ist hierbei zu beachten, dass wir im günstigsten Falle über eine brauchbare Landkarte, eine Beschreibung verfügen. Diese wird sich jedoch immer vom Land, also der Wirklichkeit, unterscheiden. Die Landkarten wiederum können brauchbar oder unbrauchbar sein. Fragetechniken zu Anliegen und Auftrag verfolgen das Ziel, durch Kommunikation eine brauchbare gemeinsame Landkarte zu erstellen. Hierin unterscheiden sich systemische Konzepte von Konzepten der Metaphysiker, die mithilfe ihrer Annahmen und Interpretationen diese Unterscheidung zu ignorieren versuchen.

Anliegen sind mitgebrachte Beschreibungen oder Wünsche des Klienten. Aber auch der Coach hat ein Anliegen, etwa ein erfolgreiches, qualitativ wertvolles Coaching anzubieten. Die beiden Anliegen werden kommunikativ miteinander in Beziehung gesetzt. Aufträge hingegen sind ausgehandelte Verträge. Idealtypisch umfassen sie alle relevanten Merkmale.

Ausführliche Beschreibung

Nach einer Klärung des zeitlichen Umfangs und anderer notwendiger Regularien bildet sich zwischen Klient und Coach ein Kommunikationsmuster von Frage und Antwort heraus. In Anlehnung an sokratische Dialoge versteht sich der Coach als Nichtwissender. Seine Expertise ist die eines Kommunikationsspezialisten, der mit unterschiedlichen Fragen operiert. Weder die psychologische noch die esoterische Deutung des Gehörten, auch nicht der versteckte pädagogische Zeigefinger, vielmehr die Nutzbarmachung (Utilisierung) der Antworten für weitere Fragen, generieren den Vorgang.

Potenzielle Kunden melden sich mit sehr unterschiedlichen Beschreibungen zu ihren Anliegen. Sie sind nicht immer geübt, ihr Anliegen so zu formulieren, dass es sich für den Coach erschließt. Der telefonische Kontakt und das erste Gespräch bedeuten daher nicht zwingend, dass es zu einem Coaching-Auftrag kommt. In dieser Phase handelt es sich erstmal um Verhandlungen, die klären sollen, ob das Anliegen des Klienten soweit komplementär zu den Vorstellungen des Coachs ist, dass ein Auftrag herausgearbeitet werden kann. Fragetechniken lassen sich nicht als mechanisch wiederkehrende Abfolge von Standardfragen darstellen. Systeme sind Unikate (Bateson) und in Folge sind Fragen-Antworten-Nachfragekaskaden jedes Mal anders. Auch wenn der Einsatz eines gebrauchsanweisenden Manuals nicht zielführend ist, so kann doch beispielhaft und mit aller Vorsicht ein Set an Fragen für die Klärung von Anliegen und Auftrag vorgestellt werden.

Generierung von Informationen

Hierunter sind beispielsweise Fragen nach Beginn, Frequenz und Dauer des Coachings, teilnehmenden Personen und involvierten Beobachtern zu verstehen.

Mögliche Fragen

  • Wie viele Sitzungen sollte der gesamte Prozess dauern?
  • Was soll die minimale oder die maximale Anzahl an Interviews sein?
  • Wann möchten Sie beginnen?
  • Wer sollte aus Ihrer Sicht daran teilnehmen?
  • Welche Frequenz ist für Sie passend?
  • Angenommen, Sie werden im Laufe des Coachings einige Verhaltensweisen ändern, wer wird dies bemerken?
  • Gibt es weitere Beobachter?
  • Wer sind die Schlüsselfiguren? 
  • Gibt es heimliche Schlüsselfiguren?

 Der Tanz um die Beschwernisse

Der Publikationsumfang und die entsprechende Rhetorik um die Frage, ob man Probleme als solche bezeichnen darf oder apodiktisch von Chancen und Möglichkeiten zu sprechen hat, nimmt Züge eines geistigen Kreuzrittertums an. Sieht man von wenigen Ausnahmen ab (etwa Coaching als reines Reflexionsformat), sind Veränderungswünsche auf Kundenseite damit verbunden. Der Begriff Beschwernis vermeidet jegliche Euphemie, entzieht sich aber auch unnötiger Problemüberhöhungen.

Mögliche Fragen

  • Wie heißt das Beschwernis?
  • Gibt es verschiedene Bezeichnungen?
  • Wer reagiert am meisten, wer weniger?
  • Wen stört das Beschwernis?
  • Wen stört es nicht?
  • Wie reagieren welche anderen Personen darauf?
  • Wie reagiert der Inhaber des Beschwernisses auf die Reaktionen der anderen?
  • Wie reagieren die anderen auf die Reaktionen des Inhabers?
  • Wie erklären Sie sich, dass das Beschwernis entstanden ist?
  • Wie verstehen Sie, dass es dann und dann auftritt und dann und dann nicht?
  • Welche Folgen haben diese Erklärungen?
  • Was hat sich in den Beziehungen verändert, seit das Beschwernis anwesend ist? 
  • Was würde sich in den Beziehungen verändern, wenn das Beschwernis wieder aufhören würde?

Die gemeinsame Zieldefinition

Ziele werden hier als Veränderungsrichtung, aber nicht als Vorgabe zur Erfüllung verstanden. Die gesamte Rhetorik der Zielerreichungsgarantie entspricht einem nicht gedeckten Scheck. Wir können nur ernsthaftes Bemühen versprechen, aber nicht, dass bestimmte Ziele erreicht werden. Business-Coaching hat Veränderungen zum Inhalt, die von Menschen für sich oder für andere im Modus von Kommunikation erbracht werden sollen. Um das Erreichen von Zielen zu garantieren, wäre unter anderem lineare, das bedeutet instruktive Steuerung, unverzichtbar: Ich garantiere Ihnen, dieses Auto realisiert eine Spitzengeschwindigkeit von mehr als 200 km/h. Eine solche Steuerung anderer Personen ist aus systemtheoretischer Perspektive nicht möglich, die Zusage der Zielerreichung höchst fragwürdig. Die möglichen Fragen müssen die Unterscheidung zwischen Veränderungsrichtung und Zielerreichung somit widerspiegeln.

Mögliche Fragen  

  • Was wäre aus Ihrer Sicht die Veränderungsrichtung?
  • Woran können Sie erkennen, dass wir auf dem richtigen Weg sind?
  • Wie ließe sich eine gute Richtung messen?
  • Was wäre anders (Variante: besser oder schlechter), wenn Sie das Ziel wirklich erreicht hätten?
  • Welche Teilziele sind denkbar?
  • Haben alle Beteiligten ähnliche/gleiche Ziele? 
  • Sind Ihre Vorstellungen und die der anderen Personen kompatibel?

Das Steuern des Prozesses

Coaches sind für die Gestaltung und damit die Steuerung des Prozesses verantwortlich. Um regulierende Pädagogisierungen vermeiden und trotzdem gestaltend eingreifen zu können, sind Fragen das beste Instrument. Solche Fragen sind Interventionen in den Prozess. Idealtypisch erfolgen sie dann, wenn die aktuelle Prozessdynamik dies erfordert.

Mögliche Fragen

  • Worüber sollen wir heute sprechen?
  • Gibt es weitere Themen?
  • Wie sollte ich fragen, damit es Ihnen leichter fällt, zu antworten?
  • Sind wir aus Ihrer Sicht noch bei unserem Thema?
  • Ich höre, Klagen über Ihre Situation ist wichtig. Wie viel Zeit des Interviews möchten Sie für Klagen ansetzen?
  • Kann es sein, dass Sie unzufrieden mit dem Verlauf sind? 
  • Was kann ich tun, damit unser Gespräch leichtgängiger wird?

Die beteiligten Personen

Business-Coaching wird immer mehr als Personalentwicklungsinstrument oder generell innerhalb von Organisationen oder Unternehmen eingesetzt. Dies bedeutet, die Klärung des Auftrages schließt Dritte häufig mit ein. Hierbei kann es sich um die eigentlichen Initiatoren oder um diskrete, aber relevante Beobachter handeln.

Mögliche Fragen

  • Wer hat ein Anliegen?
  • Wer ist der Auftraggeber?
  • Wer ist Empfänger der Dienstleistung, also direkter Kunde?
  • Wer ist der Sponsor (Geldgeber)?
  • Wer sind die Schlüsselfiguren?
  • Gibt es heimliche Schlüsselfiguren?
  • Wie viele Personen sind betroffen?
  • Wer ist gegen das Coaching?
  • Wer ist dafür?
  • Wer verhält sich neutral?
  • Gibt es jemand, dem eine positive Entwicklung weniger gefallen wird?
  • Wer wird sich über eine solche Entwicklung mit Ihnen freuen?

Die Ausrichtung auf Lösungen

Der Begriff der Ursache wurde aus dem griechischen „Ätiologie“ abgeleitet. Es bedeutet Ursache, Kausalität, aber auch Schuld. Dies entspricht exakt unserem alltäglichen Sprachgebrauch. Wir mischen diese doppelte Bedeutung ständig (Schuld am Verkehrsunfall war das Glatteis). Für technische Prozesse ist die Suche nach Ursachen oft ausreichend oder unabdingbar. Für soziale Prozesse gilt dies, entgegen aller umgangssprachlichen Gewohnheit, sehr viel weniger. Hier können wir letztlich die Ursachen meistens gar nicht feststellen. Zusätzlich kostet es viel Zeit, verbraucht Energien, bindet Ressourcen und erschwert die Suche nach Lösungen. Das Erklären eines Problems stellt aber noch keine Lösung dar. Oder anders gesagt: Die hypothetische Erklärung, warum die erwartete Leistung nicht erbracht wird, bedeutet noch keinerlei Veränderung. Lösungsorientierung heißt, realisierbare Lösungen anzubieten. Dies ist nicht immer möglich, aber es ist immer anzustreben. Lösungsorientierung als innere Einstellung oder Haltung impliziert, grundsätzlich Lösungen zum Ausgangs- und Mittelpunkt des Denkens und Handelns zu machen. Energien werden nicht mehr auf Problem- und Ursachenerkundung ausgerichtet. Neugestaltungen, Veränderungen stehen im Vordergrund.

Mögliche Fragen

  • Was haben Sie bisher versucht?
  • Verstehe ich Sie richtig, Sie wollen jetzt einen anderen Weg ausprobieren?
  • Wie können Sie vom Problemkino ins Lösungskino kommen?
  • Welche Ressourcen haben Sie für diese Lösung zur Verfügung?
  • Welche Ressourcen fehlen Ihnen noch?
  • Gibt es Hindernisse auf dem Weg?
  • Sind alle Beteiligten zu dieser Lösung bereit?
  • Haben Sie die notwendigen Partner (Mitstreiter) für Ihren Weg bereits gefunden?
  • Wen werden Sie mit Ihrem Weg begeistern oder abschrecken?
  • Welche Aufgabe haben Sie mir zugedacht?
  • Gibt es eine zweitbeste Lösung?

Das Spiel mit der Zeit

Ein unter Einsamkeit und Partnerlosigkeit leidender Mann wurde gefragt: Die Frau, mit der Sie glücklich werden, freut sich ja schon auf Sie! Wie werden Sie sie erkennen? Dieses eindrückliche Beispiel, entnommen einem therapeutischen Interview, zeigt, wie auf Zeit gerichtete Fragen, Überzeugungen (Ich bleibe einsam und ohne Partnerin) verflüssigen können. Sie wirken alleine dadurch, dass sie gestellt werden. Solche Fragen können inhaltlich mit der angestrebten Lösung verknüpft werden. Häufig werden sie auch mit einer Floskel, (angenommen Sie irren sich und Ihr Konfliktpartner ist doch bereit, zu kooperieren …) die einer Setzung entspricht, eingeleitet. Es geht immer darum, die gewünschte Lösung hypothetisch zu kommunizieren. Auch Fragen nach Ausnahmen, der Häufigkeit, der Zeit des Auftretens, können hierunter gefasst werden.

Mögliche Fragen

  • Gibt es Unterschiede im Auftreten? (Unterschiede nach Tagen, Unterschiede nach Uhrzeiten, Unterschiede nach Wochen)
  • Gibt es Unterschiede in der Intensität? (Stärker oder schwächer)
  • Treten die Beschwernisse manchmal gar nicht auf?
  • Können Sie einen Rhythmus feststellen?
  • Könnten Sie auch in der doppelten Häufigkeit auftreten?
  • Bis wann werden Sie die skizzierte Lösung umgesetzt haben?
  • Wann werden Sie mit der Umsetzung beginnen?
  • Benötigen Sie noch eine Pause oder eine nochmalige Überprüfung, bevor Sie mit der Umsetzung beginnen möchten?
  • Was wird der erste Schritt sein?

Persönlicher Hinweis/ Kommentar/Erfahrungen

Fragetechniken werden von Praktikern täglich weiterentwickelt. Es gibt somit keine für immer gültigen Aussagen. Die hier aus didaktischen Gründen vorgenommene Einteilung wird im konkreten Prozess durch eine Mischung der Fragen wieder relativiert werden. In bester Tradition sokratischer Dialoge, versucht der Coach, immer wieder neugierig zu sein. Er benötigt eine Disziplin des Nichtwissens, denn Wissende fragen nicht mehr, sie sind nicht mehr neugierig. Sie glauben, die Welt ihrer Kunden bereits zu kennen.

Die einzelnen Fragen können in verschiedener sprachlicher Ausformung gestellt werden. Hierbei gibt es keine richtigen oder falschen Fragen. Solche, die außerhalb der thematischen Rahmung liegen oder die Beziehung zwischen Klienten und Coach unnötig belasten oder sehr intimen Charakter haben (wir konzentrieren uns auf Business-Coaching!) sind unpassend. Fragen, die nicht verstanden werden, nicht innovativ wirken oder nur an Inhalten kleben, sollten immer für die nächste Sitzung aufgehoben werden.

Als Orientierung können zwei Leitlinien angeboten werden. Niklas Luhmann spricht von Achtungskommunikation, die zu weiterer Kommunikation führt. Heinz von Foerster formuliert: „Handle so, dass daraus mindestens eine Möglichkeit mehr entsteht“.

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