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Unternehmenskultur im Kontext der Flüchtlingsdebatte

Studie zur Veränderung der Unternehmenskultur durch die Flüchtlingsdebatte und durch die Beschäftigung von Flüchtlingen

Coaching wird vorwiegend als individuelle Entwicklungsmaßnahme verstanden. Zunehmend setzt sich jedoch die Ansicht durch, individuelles (Führungskräfte-)Coaching könne auch im Rahmen von Unternehmenskulturentwicklung begleitend oder Anstoß gebend eingesetzt werden. So auch im vorliegenden Beitrag, der sich mit der Frage befasst, wie Unternehmen innerbetrieblichen Konflikten und Kulturveränderungen begegnen können, die mit der Beschäftigung Geflüchteter bzw. der allgemeinen Debatte um die Aufnahme Geflüchteter zusammenhängen. Eine empirische Studie dient als Grundlage der Überlegungen.

10 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 1 | 2019 am 27.02.2019

2015 erreichten nach Angabe des Bundesinnenministeriums rund 890.000 Flüchtlinge die Bundesrepublik. Seither wird die Flüchtlingskrise in der Politik und der Gesellschaft sehr kontrovers diskutiert. In diesem Zusammenhang erfolgte im Zeitraum vom 13. bis 19.09.2016 eine schriftliche Online-Befragung. Ziel dieser Befragung war es, herauszufinden, inwiefern sich die Kultur durch die Flüchtlingsdebatte und durch die Beschäftigung von Flüchtlingen in Unternehmen verändert hat. 1.000 Beschäftigte wurden befragt. Hiervon waren 53,5 Prozent weiblich und 46,5 Prozent männlich. Die Altersspanne reichte von 18 bis über 60 Jahren. Bei den Befragten handelte es sich um Beschäftigte aus Unternehmen des Finanzwesens, des Gesundheitswesens, der Fertigungsindustrie, des Einzelhandels und des öffentlichen Dienstes. Die Verteilung der Befragten auf diese Branchen betrug dabei jeweils 20 Prozent. Es wurden Unternehmen aus den neuen (17 Prozent) und den alten Bundesländern (83 Prozent) befragt. Die Unternehmen wiesen Mitarbeiterzahlen von 100 bis über 250.000 auf. Die Ergebnisse werden anhand der folgenden vier Hypothesen diskutiert und jeweils Ableitungen bezüglich der Einsatzmöglichkeiten von Coaching vorgenommen:

  1. Flüchtlingsdebatte erzeugt Konflikte
  2. Zusammenarbeit wird beeinflusst
  3. Vorbildfunktion der Führungskraft
  4. Veränderung der Unternehmenskultur

Hypothese 1: Flüchtlingsdebatte erzeugt Konflikte

849 Befragte äußerten eine Meinung zu ihrem Empfinden der Aufnahme von Flüchtlingen seit 2015. Es wurde gefragt: „Welche Meinung haben Sie dazu, dass Deutschland seit 2015 Flüchtlinge aufgenommen hat?“ 27 Prozent empfinden diese Aufnahme als gut, 54 Prozent als teilweise gut/teilweise schlecht, 18 Prozent als negativ und 1 Prozent haben dazu keine Meinung. Zudem zeigen die Ergebnisse, dass das Thema umso positiver aufgenommen wird, je älter die Beschäftigten sind. Auf die Frage, wie die Beschäftigten die Flüchtlingsdebatte mit oder innerhalb ihrer Kollegenschaft erleben, antworteten 61 Prozent, dass sie diese als sachlich und konstruktiv wahrnehmen, 34 Prozent erleben sie jedoch als unsachlich und sogar aggressiv.

Von jenen letztgenannten Befragten stimmen 92 Prozent der Aussage zu, dass eine wertschätzende Kommunikation in ihren Unternehmen grundsätzlich sehr wichtig ist. In diesen Unternehmen könnte eine Diskrepanz zwischen der gewünschten und der tatsächlich gelebten Unternehmenskultur in Bezug auf eine wertschätzende Kommunikation bestehen. Dies weist zudem darauf hin, dass das Wissen um unterschiedliche interkulturelle Kommunikationsschemata nicht vorhanden ist. Es kann davon ausgegangen werden, dass eine Veränderung hinsichtlich der Kommunikation stattgefunden hat.

Auf die Frage, woran die Mitarbeiter festmachen, dass die Flüchtlingsdebatte in ihrem Unternehmen die Zusammenarbeit unter den Kollegen negativ beeinflusst, antworteten 47 Prozent, dass es in Teamsitzungen vermehrt zu Debatten kommt. 40 Prozent gaben an, dass einzelne Kollegen Gespräche untereinander vermeiden. 30 Prozent haben das Gefühl, dass die Kooperationsbereitschaft im Team geringer wird und 13 Prozent, dass sich die Ergebnisse in den Teams verschlechtert haben. Zudem verdeutlicht die Befragung, dass 28 Prozent der Befragten bereits Gespräche mit einem Kollegen vermieden oder verringert haben, weil dieser eine andere Meinung zu Flüchtlingen vertritt.

Des Weiteren bestätigen 38 Prozent der Befragten, dass in ihrem Unternehmen aufgrund der Flüchtlingsdebatte Konflikte aufgetreten sind. Diese Konflikte wurden als kontroverse Debatten (73 Prozent), als Bildung von Lagern (33 Prozent), als Mobbing (10 Prozent) und Drohungen (8 Prozent) deklariert. Die Entstehung derartiger Konflikte könnte darauf zurückgeführt werden, dass bisher keine ausreichende Sensibilisierung für die Unterschiede in der kulturellen Kommunikation in Unternehmen stattgefunden hat. Entsprechend zeigt die Befragung, dass Mitarbeiter es befürworten würden, wenn Unternehmen Maßnahmen einsteuern, die eine interne Versachlichung der Flüchtlingsdebatte im Berufsalltag ermöglichen (siehe Abb.). Immerhin 56 Prozent sprechen sich für solche Maßnahmen aus. In Unternehmen, in denen bereits Konflikte aufgetreten sind, schätzen die Mitarbeiter die Notwendigkeit solcher Maßnahmen höher ein, als in Unternehmen ohne Auftreten von Konflikten.

Studie zur Veränderung der Unternehmenskultur durch die Flüchtlingsdebatte und durch die Beschäftigung von Flüchtlingen

Abb.: Befürwortung von Maßnahmen zur Versachlichung der Debatte

Die Schaffung einer Anlaufstelle für persönliche Probleme, die aufgrund dieser Debatte entstehen, befürworten 29 Prozent der Befragten. Derartige Anlaufstellen sollten durch interne oder externe Coaches betreut werden, die über Kompetenzen im Bereich des interkulturellen Coachings verfügen und mit den unterschiedlichen Mitarbeitern individuelle Wege der Problemlösung erarbeiten. 24 Prozent der Befragten sprechen sich für Informationsabende zu unterschiedlichen Kulturen im eigenen Unternehmen aus und 22 Prozent wünschen sich Trainings zur Förderung der Teamarbeit. In diesen Unternehmen müsste in der zweiten Phase der Veränderung der Unternehmenskultur eine kognitive Umstrukturierung auf der Ebene der Werte und Normen stattfinden, um adäquat mit den auftretenden Konflikten umgehen zu können (Schein, 1995). Durch die von den Mitarbeitern als wichtig empfundenen Maßnahmen könnte zudem eine Sensibilisierung der interkulturellen Kommunikation stattfinden.

Hypothese 2: Einfluss auf Zusammenarbeit

Zum Zeitpunkt der Befragung arbeiteten lediglich 12 Prozent der Befragten mit Flüchtlingen zusammen. Von diesen 12 Prozent beurteilen 59 Prozent die Zusammenarbeit als problematisch oder halten es grundsätzlich für schwierig, mit Flüchtlingen zusammenzuarbeiten. 40 Prozent der Befragten, bei denen Flüchtlinge eingestellt wurden, berichten zudem, dass Prozesse, Verfahrens- oder Arbeitsanweisungen durch die Beschäftigung von Flüchtlingen beeinflusst worden sind. Etwa jeder Sechste empfindet diese Beeinflussung als positiv, wohingegen etwa jeder Fünfte diese als negativ empfindet.

Diese Ergebnisse zeigen, dass durch die Flüchtlingsdebatte und die Beschäftigung von Flüchtlingen die Zusammenarbeit in der Kollegenschaft beeinflusst wird. Die Beeinflussung hat sowohl positive als auch negative Auswirkungen und wird auf die Qualifikationsniveaus und die kulturellen Unterschiede zurückgeführt. Aus diesem Grund sollten Mitarbeiter in multikulturellen Gruppen sich der sozialen und kulturellen Unterschiede bewusst werden und sie als Ausgangsbasis ihrer Zusammenarbeit sehen. Hier muss somit durch die Begleitung eines Coachs im Zuge des sich verändernden Gruppenprozesses ein neuer Denkansatz entwickelt werden (Busch & Schenk, 2005).

Ein Coach hat dann die Aufgabe, eine interkulturelle Öffnung innerhalb der Forming-Phase des Gruppenprozesses multikultureller Gruppen zu begleiten, um das kooperative Verhalten und das gegenseitige Verständnis zu fördern. Mittels unterschiedlicher Methoden und Tools kann er dafür sorgen, dass gegenseitige Erwartungen zu Kommunikation, Motivation und dem Umgang mit Problemen verdeutlicht werden und dies für Mitglieder interkultureller Gruppen Orientierung schafft. Zudem kann sich die Gruppe dadurch auf gemeinsame Deutungsmuster einigen. Dies ist jedoch nur dann möglich, wenn neue Verhaltensregulationen Ordnung schaffen und der Prozess durch einen externen und damit dem Thema gegenüber neutralen Coach begleitet wird (ebd., 2005). An dieser Stelle ist es sinnvoll, den angestellten Geflüchteten ebenfalls bzw. besonders im Rahmen des interkulturellen Coachings zu unterstützen. Da diese Studie jedoch rein auf die Unternehmensperspektive zielt, können hierzu keine gesonderten statistischen Angaben gemacht werden.

Hypothese 3: Vorbildfunktion der Führungskraft

Einige der Fragen dieser Studie beziehen sich auf strukturierte Hierarchieebenen, den Informationsfluss, die Feedbackkultur und das Vertrauen gegenüber der Führungskraft. Wie bereits erwähnt, erleben 38 Prozent der Befragten Konflikte in ihren Unternehmen. Kommt es aufgrund der Flüchtlingsdebatte zu internen Spannungen, wenden sich 71 Prozent der Befragten an ihren Vorgesetzten, an Kollegen, den Betriebsrat, den Geschäftsführer, den Vorstand oder andere Personen im Unternehmen. Für 38 Prozent ist der Vorgesetzte die erste Anlaufstelle, ältere Mitarbeiter wenden sich bevorzugt an den Betriebsrat. Ausgehend von diesen Ergebnissen kann somit die Schlussfolgerung gezogen werden, dass Führungskräfte und Angehörige des Betriebsrates in ihrer Vorbildfunktion durch Coaching gestärkt und befähigt werden müssen. Das Coaching ermöglicht es, Führungskräfte in ihrer selbstverantwortlichen Handlungsfähigkeit zu stärken. Zudem sollte der Coach bezüglich der Herausforderungen im Zuge der Flüchtlingsdebatte auf einen systemischen Ansatz achten, der immer wieder die Wechselwirkungen zwischen der Person, der Gruppen bzw. dem Team, der Organisation und dem Kontext berücksichtigt.

Unabhängig von der Flüchtlingsdebatte erleben 39,5 Prozent der Befragten einen verantwortungsvollen Umgang ihrer Führungskraft mit Konflikten und deren Lösungen, während 60,5 Prozent diesen als teilweise oder gar nicht verantwortungsvoll erleben. Die genannten Ergebnisse zeigen die Wichtigkeit der Führungsrolle klar auf, weshalb die Rolle der Führungskraft als Führungspersönlichkeit deutlich gestärkt werden sollte. Denn laut Schein (1995) können Kulturen nur durch Führungspersönlichkeiten gestaltet und verändert werden. Eine Führungspersönlichkeit zeichnet sich in diesem Zusammenhang dadurch aus, dass sie ihre Werte und Prämissen auf eine Gruppe übertragen kann. Hat die Gruppe Erfolg, etabliert sich die Kultur und wird dadurch als Form der Führung festgelegt. Kommt es zu Anpassungsschwierigkeiten, ist es die Rolle einer Führungspersönlichkeit, aus der ursprünglich initiierten Kultur auszubrechen und evolutionäre Veränderungsprozesse einzuleiten. Auch hier kann Coaching Führungskräfte bei der Entwicklung zur Führungspersönlichkeit unterstützen. Ein solches Coaching könnte durch Tools geprägt sein wie dem „Hintergründe erkennen und ansprechen – zur Beziehungsgestaltung für Führungskräfte“-Tool (Leder, 2013) oder dem „Selbststeuerung über Werte“-Tool (Freiin von Elverfeldt, 2013). Während das erste Tool Führungskräfte dazu befähigt, emotionale Intelligenz aufzubauen und die Beziehungsfähigkeit zu verbessern, unterstützt das zweite Tool Führungskräfte dabei, sich ihrer inneren Steuerungsgrößen in Bezug auf eigene Werte klar zu werden und damit bewusst umzugehen.

Zudem sollten Führungskräfte das Wissen um die vier Dimensionen der Kulturstandards (Akzeptanz von Machtunterschieden, Integration Einzelner in die soziale Gruppe, Umgang mit Unsicherheit, Orientierung an gesellschaftsspezifischen Wertvorstellungen) nach Hofstede (1993) verinnerlichen, um so Orientierung für Mitarbeiter zu schaffen, die kulturbedingt unterschiedlich geführt werden müssen. Dies geht einher mit der Theorie von Kühlmann (1999), dass sich Führungskräfte an einem kulturalistischen Denkansatz des Führens orientieren sollten. Kühlmann geht davon aus, dass es Führungsaufgaben gibt, die sich von Kultur zu Kultur unterscheiden. Jede Kultur entwickelt somit geteilte Vorstellungen darüber, was als richtiges Verhalten einer Führungskraft und eines Geführten in bestimmten Situationen anzusehen ist und wodurch das Handeln der Beteiligten gesteuert wird.

Hypothese 4: Veränderung der Unternehmenskultur

Mittels Kontingenzen zwischen spezifischen Fragen werden einige der oben genannten Ergebnisse im Rahmen dieser Hypothese in den Gesamtzusammenhang unterschiedlicher Aspekte der Unternehmenskultur gebracht. Dafür werden die Dimensionen Informationen, Führung, Kommunikation und Prozesse der Unternehmenskultur in der Tabelle dargestellt.

Unternehmenskultur im Kontext der Flüchtlingsdebatte

Tabelle: Veränderungen und Schlussfolgerungen nach Unternehmenskulturdimensionen

Die Erkenntnisse zeigen, dass es zum Zeitpunkt der Untersuchung bereits zu einer Veränderung hinsichtlich einzelner Aspekte der Unternehmenskultur gekommen war. Sie verdeutlichen zudem, dass das Thema der Flüchtlingsdebatte Mitarbeiter beschäftigt und deshalb auch aktiv Maßnahmen eingeführt werden müssen, um die Integration von Flüchtlingen in Unternehmen zu fördern. Aktive Maßnahmen können sich dabei auf Informationsabende und interkulturelle Trainings beziehen.

Vermehrt sollten allerdings auch Coachings mit Führungskräften, einzelnen Mitarbeitern oder mehreren Abteilungen erfolgen, um individuelle, unternehmens- und kulturspezifische Problemlösungen generieren zu können – verbunden mit speziellen, parallel hierzu laufenden Angeboten für angestellte Geflüchtete. Dies geht somit einher mit einer aktiven Sensibilisierung hinsichtlich einer Veränderung der Kommunikation und der Befähigung der Führungskräfte, mit diesen Herausforderungen umgehen zu können. Im Zuge der Flüchtlingsdebatte und der vermehrten Beschäftigung von Flüchtlingen in Unternehmen spricht daher viel dafür, dass langfristig gesehen die Veränderung der bestehenden Unternehmenskultur aktiv beobachtet, vorangetrieben und begleitet werden muss, um das Miteinander in Unternehmen effektiv zu gestalten.

Literatur

  • Busch, Karin & Schenk, Birgit (2005). Interkulturelle Zusammenarbeit im Team – Ein Erfahrungsbericht. ZHS, 1, S. 65–80.
  • Hofstede, Geert (1993). Interkulturelle Zusammenarbeit. Wiesbaden: Gabler.
  • Freiin von Elverfeldt, Felicitas (2013). Selbststeuerung über Werte. In Christopher Rauen (Hrsg.), Coaching-Tools(S. 292–295), Bonn: managerSeminare.
  • Kühlmann, Torsten M. (1999). Das Führen von Mitarbeitern aus anderen Kulturen. In Rudolf Carl Meiler (Hrsg.), Mittelstand und Betriebswirtschaft (S. 29–47), Wiesbaden: Gabler.
  • Leder, Angelika (2013). Hintergründe erkennen und ansprechen – zur Beziehungsgestaltung für Führungskräfte. In Christopher Rauen (Hrsg.), Coaching-Tools (S. 247–251), Bonn: managerSeminare.
  • Schein, Edgar H. (1995). Unternehmenskultur: Ein Buch für Führungskräfte. New York: Campus.

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