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Blended-Coaching in der Lehrerbildung

Erste Erfahrungen aus der Praxis

Für die Zukunft der Beratungsarbeit zeichnet sich ab, dass die Bedeutung virtuell vermittelter Beratung zunimmt, ohne dabei die spezifischen Qualitäten des Face-to-Face-Gespräches ersetzen zu können. Ein Blended-Coaching könnte die Vorzüge beider Zugänge verknüpfen. Im Kontext der Eignungsberatung für den Lehrerberuf wurden unter dieser Zielsetzung erste Erfahrungen gesammelt.

10 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 2 | 2017 am 17.05.2017

„Für die Schule nur die Besten!“

Ein oft wiederholter Anspruch an die Lehrerbildung. Macht man sich die Tragweite schulischer Bildungsarbeit bewusst, lassen sich für die Forderung legitime Gründe finden. Sie kann allerdings auch den Eindruck erwecken, Eignung für den Lehrerberuf ließe sich bereits vor dem Studium zuverlässig ermitteln. Je mehr sich die Einsicht verbreitet, von dem „(illusorischen?) Ziel der prognostisch validen, selektiven Eignungsprüfung für den Beruf ab[zu]lassen“ (Rothland & Terhart, 2011, S. 638), desto berechtigter erscheint die Empfehlung, Beratungsangebote in der Lehrerbildung so zu gestalten, dass sie regelmäßig Anlässe bieten, sich mit den Anforderungen des Berufes, den persönlichen Motiven und Vorstellungen sowie den eigenen Stärken und Schwächen in Bezug auf den angestrebten Beruf auseinanderzusetzen und Entwicklungsziele zu formulieren (KMK, 2013). 

Für ein Coaching im Sinne einer begleitenden Prozessberatung bietet diese entwicklungsorientierte Auffassung von Eignung Anknüpfungspunkte. An Beratungsinstitutionen wie den Zentren für Lehrerbildung, den Agenturen für Arbeit und den Schulberatungsstellen wird dieses Verständnis in der Beratungsarbeit sowie in den Konzepten und Angeboten zur Eignungsberatung zunehmend aufgegriffen. 

Das Münchener Zentrum für Lehrerbildung der LMU München stellt seit Juni 2014 mit dem Online-Beratungsangebot „SeLF – Selbsterkundung zum Lehrerberuf mit Filmimpulsen“ (www.self.mzl.lmu.de) ein Tool frei zugänglich zur Verfügung, das – aufgrund der adaptiven Einsatzmöglichkeiten – bundesweit und in unterschiedlichen Beratungssettings ein Bezugsrahmen für Eignungsfragestellungen, Potenzialentwicklung und Professionalisierung in der Lehrerbildung sein kann. Dies eröffnet verschiedene Möglichkeiten, Eignungsberatung im Lehramt ausbildungsbegleitend zu integrieren – auch mit Blended-Coaching in der Lehrerbildung.

Begriffsklärung Blended-Coaching

Ein Blick in Veröffentlichungen zum Thema „Blended-Coaching“ deutet auf eine uneinheitliche Verwendung des Begriffs hin. Daher folgt hier eine Klärung des Begriffs, wie er im Beitrag verstanden wird. 

Das aus dem Englischen mit „gemischt“ oder „vermengt“ zu übersetzende „blended“ ist vorrangig aus der Herstellung von Tee, Tabak oder alkoholischen Getränken bekannt. Durch den Verschnitt mehrerer Ausgangsbestandteile soll im Endprodukt eine Qualität erreicht werden, welche die der einzelnen Zutaten übertrifft. Im Bildungssektor hat das Blended Learning als Lernarrangement, in dem virtuelle und klassische Lerneinheiten vernetzt und für das Lernen optimal genutzt werden, Bekanntheit erreicht. In Anlehnung an diese Integration von Online- und Offlineangeboten hat der Begriff des Blended Counselings im Kontext der Beratung Einzug genommen. Nestmann (2008, S. 13) prognostiziert gar: „‚Blended Counseling‘ im Wechsel von Beratung von Angesicht zu Angesicht und virtuell vermittelt wird die Zukunft der Beratung (...) prägen.“ 

In einer Publikation mit dem Titel „Blended Coaching“ beschreiben die Autoren ihren „blended approach to coaching“ (Bloom et al., 2005 S. 58) als eine Integration von der Wissensvermittlung (instructional strategies) auf der einen Seite und beratender Unterstützung, das Wissen für die persönliche Weiterentwicklung in Praxissituationen oder im Alltag zu nutzen (faciliative strategies), auf der anderen Seite: Beratung und Coaching als Bindeglied zwischen Wissen und Rat Suchenden und damit als integrativer Bestandteil von Bildungsarbeit. So verstanden weist das Konzept Blended-Coaching Schnittmengen mit dem Transfer-Coaching auf. 

Etwas verbreiteter erscheint ein Verständnis vom Blended-Coaching, das im Grundsatz den oben beschriebenen hybriden, on- und offline vernetzenden Lern- bzw. Beratungsformen des Blended Learning und Blended Counseling folgt: Blended-Coaching als eine Integration von E-Coaching und Face-to-Face-Coaching. In Orientierung an dieser Auffassung kommt Blended-Coaching bereits im Business-Coaching zur Anwendung (Ziemons, 2012). 

Beide Zugänge – virtuell vermitteltes Coaching und das persönliche Gespräch – haben spezifische Vorzüge und Qualitäten. Ihre Integration im Rahmen von Blended-Coaching birgt die Chance, Synergien zu entwickeln. Ein Verständnis von Blended-Coaching, das dem folgenden Beitrag zugrunde liegen soll.

Online zur Selbstreflexion anregen

Seit einigen Jahren erleben fragebogenorientierte Online-Self-Assessments von Hochschulen und Fachbereichen, der Bundesagentur für Arbeit sowie zunehmend auch kommerziellen Anbietern einen Boom (Gollub & Meyer-Guckel, 2014). Studien zur Nutzung des Internets als Informationsquelle bei der Studienwahl sind allerdings widersprüchlich. Web-Beratungsangebote bieten ressourceneffiziente Orientierungshilfen, können orts- und zeitungebunden genutzt werden und gelten als alltagsintegriert sowie niederschwellig. Sie bergen daher die Chance, auch diejenigen zu erreichen, die ein persönliches Beratungsgespräch sonst nicht aufgesucht hätten (Nestmann, 2008). Aktuelle Analysen kommen jedoch zu dem Schluss, dass das Internet zwar eine wichtige Informationsquelle ist, als Entscheidungshilfe bei der Berufswahl allerdings eine untergeordnete Rolle einnimmt, insbesondere im Vergleich zu persönlichen Gesprächen mit Peers, professionellen Beratern oder informellen Kontakten (Beierle, 2013). Online-Studienselbsttests können damit „kaum mehr als einen Kommunikationsanlass liefern, auf den persönliche Beratungsgespräche zwingend folgen müssen“ (Gollub & Meyer-Guckel, 2014, S. 11).

Blended-Coaching in der Lehrerbildung mit SeLF

Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse wurden in dem Konzept eines Blended-Coachings in der Lehrerbildung mit SeLF methodische Ideen erarbeitet, wie die durch die Online-Selbsterkundung angestoßenen Reflexionsimpulse mit persönlichen Gesprächen verknüpft werden können. 

SeLF setzt, im Vergleich zu den eher fragebogenorientierten Online-Self-Assessments, stärker auf anschauungsbasierte Reflexion und geht damit einen neuen, filmbasierten Weg der Online-Selbsterkundung, der zahlreiche berufsfeldbezogene Gesprächsanlässe für ein persönliches Coaching bietet. Kern des Angebotes sind 16 mit Lehrkräften unterschiedlicher Schulformen produzierte Kurzfilme, die einige der zentralen Anforderungen des Lehrerberufs, wie Unterrichtsstörungen, Herausforderungen in der Zusammenarbeit mit Eltern, Kollegen oder Vorgesetzten sowie außerunterrichtliche Tätigkeiten oder Rahmenbedingungen, veranschaulichen. 

Im Anschluss an jeden Film leiten drei Reflexionsfragen dazu an, die eigene Haltung in Bezug auf ausgewählte Inhalte des Films zu reflektieren. Darauf folgt eine Feedbackseite mit vertiefenden Informationen und Dokumentationsmöglichkeiten. Der aufgezeigte Drei-Schritt von Film, Fragen und Feedback der Online-Selbsterkundung gibt dabei zunächst den Studieninteressierten bzw. Studierenden vertrauenswürdige und seriöse Informationen sowie die Möglichkeit, sich strukturiert und selbstorganisiert mit den persönlichen Stärken und Schwächen sowie den eigenen Vorstellungen und Motiven über den angestrebten Beruf vertieft auseinanderzusetzen.

Darüber hinaus sind die Ziele und Zielgruppen von SeLF noch breiter gefächert. Inhaltlich sowie methodisch kann das Tool an verschiedene Settings adaptiv angepasst werden und ermöglicht damit – in Orientierung am Anliegen des Klienten – ganz unterschiedliche Schwerpunkte der Beratung:

  • Wird SeLF als Grundlage für eine berufs- und studienorientierende Beratung genutzt, können Fragen zur persönlichen Eignung, Stärken und Schwächen bezogen auf die angestrebte berufliche Tätigkeit sowie zur Entwicklungsfähigkeit und -bereitschaft im Fokus stehen.
  • Mit Studierenden kann z.B. im Rahmen von Beratungsgesprächen mit Mentoren, Seminar- sowie Praktikumslehrkräften oder Dozierenden die Eigenverantwortung für die eigene professionelle Weiterentwicklung verdeutlicht und der zielgerichtete Kompetenzerwerb im Studium unterstützt werden.
  • Flankierend zur Berufsausübung bietet SeLF Bezugspunkte für die Bearbeitung eigener problematischer Handlungssituationen und kann Anregungen für die professionelle Weiterentwicklung sowie eine Struktur zur Vor- und Nachbereitung von lösungsorientierten kollegialen Gesprächen (oder zum gegenseitigen Coaching) geben, z.B. im Rahmen von kollegialen Fallberatungen, Lehrerfortbildungen oder Supervisionen.

Im persönlichen „mySeLF“-Bereich für registrierte Nutzer können in einem Online-Textfeld Lernerfahrungen, neue Einschätzungen oder wahrgenommene Kompetenzentwicklungen zu jedem Modul schriftlich festgehalten und gespeichert werden. So verstanden und genutzt, kann SeLF als Instrument für ein Blended-Coaching in der Lehrerbildung phasenübergreifend eingesetzt werden, um die eigene biographische Lernerfahrung an konkreten Beispielen regelmäßig zu analysieren, zu reflektieren und zu dokumentieren.

Coaching-Tools für ein Blended-Coaching mit SeLF

Unter dieser Zielsetzung werden bereits konkrete Hilfestellungen für die Praxis der Beratung zur Verfügung gestellt. Das online auf RAUEN Coaching-Tools abrufbare Tool „SeLF-Reflexion“ (Kriesche et al., 2016) bietet ein ausführliches, Schritt-für-Schritt beschriebenes Vorgehen, persönliche Beratungssituationen auf Grundlage des Online-Tools SeLF anzuleiten. Zudem wurde ein Workshop für Berater in der Berufs- und Studienorientierung entwickelt, der Anregungen dazu bietet, wie SeLF die persönliche Beratung unterstützen kann. So werden die Einsatzmöglichkeiten der SeLF-Reflexionstabelle (siehe Abbildung 1) aufgezeigt, die einer Vielzahl persönlicher Gesprächssituationen Rechnung tragen.

Blended-Coaching in der Lehrerbildung: Tabelle SeLF-Reflexion

Abb. 1: Die SeLF-Reflexionstabelle (Kahlert & Kriesche, in Vorbereitung)

Das in Einzelgesprächen oder in Kleingruppen angeleitete Reflektieren und Formulieren auf Grundlage der tabellarisch angeordneten Dokumentationsmöglichkeiten und Impulse bietet eine an die jeweilige Situation angepasste Gesprächsbasis. Individuelle Vorstellungen, Stärken und gegebenenfalls aufgezeigte Schwächen können konkret thematisiert sowie mit den Reflexionen verbundene Zielsetzungen und Gedanken schriftlich festgehalten werden. Damit wird die Grundlage für noch gezieltere und intensivere Beratungen erweitert. Den Teilnehmern der Workshops wird vor diesem Hintergrund aufgezeigt, wie die entwicklungsorientierten Reflexionen der Klienten z.B. mit den Coaching-Modellen „Werte- und Entwicklungsquadrat“ und dem „Inneren Team“ von Schulz von Thun noch vertieft werden können (Kahlert & Kriesche, in Vorbereitung).

Erste Erfahrungen aus der Praxis

Erste Erfahrungen von Beratern, Feedback von den Teilnehmern der Workshops und Seminare sowie die Auswertungen der anonymisiert protokollierten Zugriffe auf den Web-Server der SeLF-Webseite seit der Freischaltung im Juli 2014 zeigen, dass das Angebot SeLF insgesamt gut angenommen wird (Kriesche, 2016). Zudem wurden die Filme und Reflexionsimpulse von SeLF im Projekt „Coaching im Lehramt“ der LMU München (das Projekt wird im Rahmen der gemeinsamen „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ von Bund und Ländern aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert) von den Coaches in ihren Gesprächen eingesetzt und mittels Fragebogen sowie in strukturierten Gruppengesprächen mehrperspektivisch evaluiert. Die Coaches – alle erfahrene und für das Coaching geschulte Lehrkräfte unterschiedlicher Schularten – wurden im Vorfeld der Erstgespräche in das Online-Tool SeLF sowie in die Beratungsarbeit mit der Reflexionstabelle eingeführt. Die Fragebogenauswertungen offenbaren, dass alle befragten Coaches (n = 51) die Filmimpulse als Ausgangspunkt ihrer Beratung genutzt haben. Mehrheitlich (84,32 Prozent) wurden die Filmimpulse als gut oder sehr gut geeignete Diskussionsgrundlage für die Gespräche eingeschätzt. Die Ergebnisse der Zielscheiben-Abfrage (siehe Abbildung 2), die im Rahmen strukturierter Gruppeninterviews dokumentiert wurden, spiegeln eine differenziertere Rückmeldung zu den SeLF-Filmen wieder.

Blended-Coaching in der Lehrerbildung: Evaluation des Coachs zu den SeLF-Filmen

Abb. 2: Evaluation des Coachs zu den SeLF-Filmen (n=40; Angaben in absoluten Zahlen)

Von den knapp 700 Erstsemstern, die an den Coaching-Gesprächen teilgenommen haben, haben 284 Personen den Evaluationsfragebogen ausgefüllt. Die Ergebnisse bezüglich der informierenden, reflexionsanregenden und entwicklungsfördernden Wirkung der angeleiteten Gespräche über die SeLF-Filme gehen in eine positive Richtung (siehe Abbildung 3).

Blended-Coaching in der Lehrerausbildung: Evaluation der Studierenden zu den SeLF-Filme

Abb. 3: Evaluation der Studierenden zu den SeLF-Filmen (n=281; Angaben in absoluten Zahlen)

Fazit und Ausblick

Diese Evaluationsbefunde lassen sich auf unterschiedliche Weise lesen und interpretieren. Sie akzentuieren jedoch das Potenzial der Online-Selbsterkundung SeLF für persönliche Gespräche. Die Herausforderung besteht insbesondere an großen Universitäten (LMU: ca. 8.500 Lehramtsstudierende) darin, Verfahren zu entwickeln, die einen stärkeren verbindlichen Charakter haben, damit möglichst viele Studierende profitieren können. Blended-Coaching in der Lehrerbildung ist vor dem Hintergrund dieser Rahmenbedingungen ein ressourceneffizientes Konzept zur Eignungsabklärung und Professionalisierung für den Lehrerberuf, das der Vielfalt an unterschiedlichen Beratungssettings in der Lehrerbildung – auch an anderen lehrerbildenden Universitäten – angemessen ist und die eigene Verantwortung für die Studien- und Berufswahl sowie den Kompetenzerwerb im Verlauf der Ausbildung betont und unterstützt. 

Gelingt es zukünftig, Synergieeffekte aus der Verknüpfung virtuell angestoßener Selbstreflexionen mit den Face-to-Face-Beratungen gezielt zu nutzen, kann damit eine wichtige Grundlage für die Zielsetzung einer phasenübergreifenden Eignungsberatung in der Lehrerbildung mit Blended-Coaching gelegt werden. Damit kann nicht zuletzt auch ein Beitrag für die langfristige Gesundheit der Lehrkräfte geleistet werden.

Literatur

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