Coaching-Tools

Das Kraftressourcen-Modell

Ein Coaching-Tool zur Arbeit mit den eigenen Ressourcen

Das Kraftressourcen-Modell: Eigene Ressourcen und Stressoren differenziert erarbeiten, Selbstmanagement verbessern.

11 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 3 | 2016 am 07.09.2016

Kurzbeschreibung

Selbstmanagement ist in der Praxis eine große Herausforderung und wird aufgrund der gestiegenen Anforderungen (verstärktes Teamwork, mobiles Arbeiten, Flexibilität, Erreichbarkeit, dynamische Prozesse, Vereinbarkeit von Job und Familie, neues Führungsverständnis etc.) immer wichtiger. Aus diesen Bedürfnissen heraus wurde das Kraftressourcen-Modell entwickelt. Es identifiziert und aktiviert die eigenen Kraftressourcen und führt damit nachhaltig zu mehr Zufriedenheit. Das Modell wurde auf Grundlage einer wissenschaftlichen Theorie zur Burnout-Prävention erarbeitet und stärkt das Selbstmanagement der Klienten.

Der individuelle Stress eines Menschen ist als Druck oder Anspannung spürbar. Er wird durch spezifische äußere Reize ausgelöst und kann psychische und physische Reaktionen zur Folge haben. Stress ist grundsätzlich ein subjektiv empfundener Zustand. Jeder Mensch hat unterschiedliche Ressourcen und Stressoren. Was für den einen ein Stressor ist, kann für den anderen eine positive Herausforderung und damit Ressource sein. Welche sind aber nun die persönlichen Ressourcen und Stressoren in den einzelnen Lebensbereichen eines Menschen? Mithilfe des Kraftressourcen-Modells kann der Klient Klarheit über diese beiden gegensätzlich wirkenden Beeinflussungsgrößen seiner persönlichen körperlichen Gesundheit und geistigen Zufriedenheit erlangen und seine zukünftigen Handlungsmöglichkeiten klar definieren.

Unter Anwendung des Kraftressourcen-Modells erarbeitet sich der Klient – der Coach unterstützt diesen mit gezielten Fragen – seine persönlichen Ressourcen und Stressoren und visualisiert diese. Auf Grundlage dessen erstellt der Klient sich sein ganz individuelles Kraftressourcen-Barometer und erarbeitet Schritte zur Integration in sein tägliches Leben. Die visuelle Darstellung des Barometers kann auf Wunsch gut sichtbar Zuhause aufgehängt werden. Nachhaltigkeit wird zusätzlich durch eine weiterführende Umsetzungsbegleitung durch den Coach geschaffen. So wird eine Verbesserung der Zufriedenheit durch das Bewusstmachen der individuellen eigenen Ressourcen und Stressoren sowie den richtigen Umgang mit diesen erreicht. Dies erwirkt eine Stärkung der Resilienz und eine höhere Leistungsfähigkeit im beruflichen und privaten Alltag.

Anwendungsbereiche

Das Kraftressourcen-Modell findet Anwendung bei Menschen, die

  • eine (Dauer-)Überforderung verspüren,
  • Stress oder Burnout präventiv begegnen wollen,
  • sich hohen Leistungsanforderungen ausgesetzt fühlen,
  • eine neue Funktion bzw. Position übernehmen,
  • nach überstandener Depression Unterstützung zur erfolgreichen Bewältigung des Alltags benötigen (als Übergang nach der Psychotherapie),
  • eine grundsätzliche Unzufriedenheit und Unausgeglichenheit verspüren.

Effekte

Ziel des Modells ist es, dass der Klient zukünftig mehr Energie einsetzt für Dinge, die ihm wichtig sind und ihm guttun. Damit wird mental und physisch eine Aufwärtsspirale in Gang gesetzt: Mehr Kraft für die Dinge zu verwenden, die guttun, erzeugt mehr Vitalität und damit weitere Kraft für die Dinge, die zum Wohlbefinden beitragen.

Ziel ist es gleichzeitig, weniger Energie für Dinge zu verschwenden, die Kräfte rauben (soweit dies mit dem täglichen Leben vereinbar ist). Vernachlässigt man dieses Ziel, wird mental und oftmals auch physisch eine Abwärtsspirale in Gang gesetzt: Erschöpfung und Unzufriedenheit kosten Kraft. Dinge, die guttun, kommen in der Folge zu kurz. Das Resultat sind mehr Erschöpfung und Unzufriedenheit, was wiederum Kraft kostet.

Spannend ist, dass oftmals persönliche Stärken, Abneigungen und Empfindlichkeiten automatisch eine Stimmigkeit innerhalb des Kraftressourcen-Modells ergeben, was zusätzlich zu Aha-Effekten führt. So kann z.B. sichtbar werden, dass ähnliche Situationen im Bereich Job (Stressor: viele Gespräche in Meetings) in einem anderen Kontext innerhalb des Bereiches Kontakte/People (Stressor: laute Gespräche an Geburtstagen) gleichermaßen herausfordern und einen Stressor darstellen.

Durch die differenzierte Darstellung der Ressourcen und Stressoren werden dem Klienten jedoch auch viele Potenziale sichtbar. Es wird dadurch unmittelbar die Motivation gefördert, die erarbeiteten Kraftressourcen mit Freude zu aktivieren.

 Ausführliche Beschreibung

Die Anwendung des Kraftressourcen-Modells erfolgt in fünf Schritten:

  1. Erklärung des Modells
  2. Vorbereitung
  3. Ausfüllen der verschiedenen Bereiche im Kraftressourcen-Modell
  4. Fokussierung der aktuellen Kern-Ressourcen und -Stressoren und Übertragung in das Kraftressourcen-Barometer
  5. Praxistauglichkeit prüfen und Erarbeitung der ersten Schritte zur Umsetzung in die Praxis

Erster Schritt: Erklärung des Modells

Dem Klienten werden die Grundlagen wichtiger Erkenntnisse aus der Stress-Forschung erläutert. Er erfährt insbesondere, dass Stress individuell unterschiedlich empfunden wird. Anschließend wird der Modellansatz erklärt.

Zweiter Schritt: Vorbereitung

Der Klient zeichnet sich zu Beginn sein eigenes Kraftressourcen-Blatt. Dazu nimmt er ein DIN-A3-Papier, zeichnet mittig einen ovalen Kreis und beschriftet diesen mit „Kraftressourcen-Modell“. Danach teilt er um den Kreis herum das Blatt in sechs Lebensbereiche mit folgenden Titeln auf:

JOB, FAMILY, MY TIME, PEOPLE und BODYBALANCE. Der sechste Bereich bleibt zunächst ohne Bezeichnung.

Dritter Schritt: Ausfüllen der Bereiche

Der Klient füllt mit Begleitung des Coachs jeden Lebensbereich aus und benennt die jeweils wichtigsten Ressourcen und Stressoren. Wichtig ist dabei Folgendes:

Je Bereich sollten nur die wesentlichen Punkte notiert werden. Der Klient bestimmt daher maximal drei bis vier Ressourcen und maximal drei bis vier Stressoren. Ansonsten besteht die Gefahr, dass das Modell zu unübersichtlich wird. Die Ressourcen und Stressoren sollten möglichst konkret benannt werden, da oberflächliche Beschreibungen schlechter in die Praxis transportiert werden können. Schlecht formuliert: „draußen bewegen", besser: „Fahrradfahren“; schlecht formuliert: „mehr mit Mitarbeitern reden“, besser: „wöchentlich ein Mitarbeitergespräch führen“. Ressourcen werden mit einem grünen Stift notiert, Stressoren mit einem roten Stift. Der Klient sollte genügend Zeit zum Nachdenken erhalten.

Es hat sich als hilfreich erwiesen, die sechs Lebensbereiche in der oben aufgeführten Reihenfolge zu bearbeiten. Eine strukturierte Vorgehensweise ist hilfreich, damit sich die Erarbeitung und Umsetzung an der Lebensrealität des Klienten orientiert und nachhaltig eine gute Qualität im Kraftressourcen-Barometer und in der Praxis erreicht wird.

Der Coach unterstützt den Klienten, indem er diesen bei der Erarbeitung der Stressoren und Ressourcen durch gezielte Fragen zum Nachdenken anregt. Insbesondere dann, wenn es dem Klienten schwer fällt, sich hierüber klar zu werden. Folgende Fragen können für den Klienten hilfreich sein:

Bereich JOB

Ressourcen: Was muss an einem Arbeitstag passieren, damit Du sehr zufrieden in den Feierabend gehst? Welche Tätigkeiten im Job liegen Dir besonders? Welche Gegebenheiten begünstigen einen für Dich guten Arbeitsplatz? Welchen Tätigkeiten würdest Du gern mehr nachgehen?

Stressoren: Wann reagiert Dein Körper unruhig bei der Arbeit? Was tust Du immer mal wieder, obwohl es Dir nicht guttut? Welche Situationen und Handlungen anderer stressen Dich bei der Arbeit? Welche Umstände stören Deine Arbeit?

Bereich FAMILY

Ressourcen: Welche Dinge magst Du besonders im familiären Umfeld? Welche Rituale schätzt Du innerhalb der Familie? Welche Dinge würden Dir fehlen, wenn Du alleine wohnen würdest? Stressoren: Was lässt Dich im familiären Umfeld unruhig werden, was verursacht Stress? Welche in diesem Bereich entstehenden Situationen meidest Du?

Bereich MY TIME

Ressourcen: Womit beschäftigst Du Dich am liebsten in Deiner ganz persönlichen freien Zeit? Welche Dinge tust Du regelmäßig nur für Dich, die Dir Kraft geben?

Stressoren: Was bringt Dich in Deiner freien Zeit aus der Ruhe? Wann bist Du unzufrieden nach einem freien Tag? Welche Handlungen oder Unterlassungen anderer lösen bei Dir Unzufriedenheit aus?

Bereich PEOPLE

Ressourcen: Welche Personen sind Dir wichtig und was tust Du gern mit ihnen? Mit welchen Personen möchtest Du mal wieder Kontakt aufnehmen?

Stressoren: Wann magst Du keinen Kontakt mehr mit einer Person haben? Welche Dinge stressen Dich, wenn Du mit anderen Personen zusammen bist?

Bereich  BODYBALANCE

Ressourcen: Was kannst Du unternehmen, um Dich kraftvoll und vital zu fühlen? Was ist Balsam für Dein körperliches Wohlbefinden? Was ist Balsam für Dein geistiges Wohlbefinden?

Stressoren: Was muss passieren, damit Du Dich körperlich zerschlagen fühlst? Wann leidet Dein körperliches Wohlbefinden? Was tust Du selbst, obwohl du weißt, dass es Deinem Körper nicht guttut?

Nach Erarbeitung der Ressourcen und Stressoren sollte der Klient genügend Zeit erhalten, darüber nachdenken zu können, ob das Gesamtbild für ihn stimmig ist.

Bereich TREASURES

Das sechste Feld wird nun mit TREASURES (Schätze) benannt. Hier werden zusätzliche Ressourcen-Schätze (maximal fünf) erarbeitet. Hilfreiche Fragen: Was hast Du schon lange nicht mehr gemacht, was Du aber gern mal wieder tun würdest? Was hat Dir früher in anstrengenden Zeiten gutgetan? Was würden Dir Deine Eltern oder Deine Geschwister raten zu tun, was Dir schon früher guttat? Wo liegen Deine Stärken und Talente im privaten Bereich? Würde es Dich stärken, diesen mehr nachzugehen? Wie könnte das erfolgen?

bereiche-des-kraftressourcen-modells

Abb.: Sechs Bereiche des Kraftressourcen-Modells. - Stressoren / + Ressourcen

Vierter Schritt: Übertragung in das Kraftressourcen-Barometer

Der Coach begleitet den Klienten darin, sein eigenes Kraftressourcen-Barometer zu erarbeiten. Der Klient skizziert sich dazu selbst (seine Person) mittelgroß auf einem Blatt (Querformat) in der Mitte und bezeichnet das Blatt mit der Überschrift „Mein Kraftressourcen-Barometer“. Oberhalb der Überschrift sollte noch Platz frei bleiben.

Der Klient notiert (in grüner Schrift) auf der einen Seite neben der Person seine vier wichtigsten Ressourcen aus dem gesamten Kraftressourcen-Modell, welchen er sich zukünftig verstärkt widmen möchte. Der Klient notiert (in roter Schrift) auf der anderen Seite neben der Person die vier wichtigsten Stressoren, welche er zukünftig möglichst vermeiden möchte.

Oberhalb werden ein bis zwei zusätzliche Ressourcen aus dem Bereich TREASURES notiert, sofern der Klient auch hiervon wieder etwas verstärkt in den Fokus nehmen möchte. Auch hier sollte dem Klienten Zeit gegeben werden, seine Auswahl auf Vollständigkeit und Praxistauglichkeit zu prüfen.

Fünfter Schritt: Umsetzungsvorbereitung

Der Coach begleitet den Klienten darin, sein persönliches Kraftressourcen-Barometer auf Praxistauglichkeit zu überprüfen und nächste Schritte zu fokussieren. Dazu sind folgende Fragen hilfreich: Was soll als erstes umgesetzt werden? Wann ist das möglich? Was ist Voraussetzung dafür, dass die Umsetzung erfolgt? Wie realistisch sind die erarbeiteten Ziele im Kraftressourcen-Barometer? Welche Stolpersteine könnten bei der Umsetzung eintreten? Wie kann diesen begegnet werden?

Eine wichtige Information zu dem Modell ist für den Klienten zum Abschluss hilfreich: Die Kraftressourcen in den verschiedenen Bereichen können sich ausgleichen. D.h., wenn ein Bereich zeitweise viele Stressoren mit sich bringt und hier wenig Ressourcen aktiviert werden können (z.B. im Job), können die Gesamtkräfte gestärkt werden, wenn in einem anderen Bereich (z.B. Family) Ressourcen aktiviert werden.

Der Klient nimmt sein persönliches Kraftressourcen-Modell mit in seine tägliche Praxis und hängt dieses idealerweise gut sichtbar auf, sodass er sich im Alltag vergegenwärtigen kann, welche seine Ressourcen und Stressoren sind. Eine erneute Coaching-Sitzung zur Reflexion ist nach vier bis sechs Wochen sinnvoll.

Voraussetzungen

Der Coach sollte beachten, dass Stress, wie oben beschrieben, subjektiv ist. Aus diesem Grund muss sich der Coach bewusst sein, dass für den Klienten andere Dinge Ressourcen bzw. Stressoren darstellen als für den Coach. So kann es sogar sein, dass einige Stressoren des Coachs für den Klienten gar Ressourcen sind. Eine Bewertung bzw. Abgrenzung hiervon ist notwendig, damit der Klient ein für sich stimmiges Kraftressourcen-Modell erarbeiten kann.

Persönlicher Hinweis

Das Kraftressourcen-Modell sollte frühestens in der Mitte eines Coaching-Prozesses angewendet werden. Je mehr Vertrauen vorhanden ist, desto stärker wird sich der Klient dem Coach gegenüber öffnen. Beispielsweise kann es sein, dass ein Klient im privaten Bereich Stressoren hat durch eine nicht vorhandene Familie. Dies wird er zu Beginn möglicherweise nicht offenbaren.

Andernfalls ist es auch möglich, das Tool anonymisiert einzusetzen. In dem Fall würde sich der Klient seine Ressourcen und Stressoren notieren ohne im weiteren Verlauf über deren Inhalte zu sprechen. Der Coach begleitet dann lediglich auf Stimmigkeit im Inhalt und führt weiterhin anonymisiert durch den Prozess.

Technische Hinweise

Das Kraftressourcen-Modell ist mit einer Dauer von 120 bis 180 Minuten anzusetzen. Zu addieren sind ein bis zwei weitere Coaching-Sitzungen zur Begleitung und nachhaltigen Umsetzung in die Praxis.

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