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Kontrovers

Der Vorgesetzte als Coach?

Die arbeitsrechtlichen Implikationen

Kann der Chef bzw. der Vorgesetzte zugleich Coach seiner Mitarbeiter sein? Dieser Frage wurde und wird bereits vielfach kritisch nachgegangen. Der Blick fällt hierbei in aller Regel von der Seite des Coachings her auf das Thema: Ist der State of the Art der Profession mit den Funktionen des Vorgesetzten zu vereinbaren? Der vorliegende Artikel ergänzt diese Perspektive um die wesentlichen arbeitsrechtlichen Implikationen.

6 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 4 | 2018 am 21.11.2018

Die Sachbearbeitung in Unternehmen, so z.B. die Buchführung, ist im Normalfall an den existierenden staatlichen Regelungen ausgerichtet. Bei der Führung von Mitarbeitern sieht dies anders aus. Hier ist es allein das Ergebnis von Erfolg und Misserfolg, das in der Praxis zählt. Der Misserfolg kommt meistens in der Bezifferung eines Schadens zum Ausdruck und mündet im schlimmsten Fall in einem Vertrauensbruch, der zur Beendigung der Zusammenarbeit von Arbeitgeber und Arbeitnehmer führt. Um dies zu umgehen, orientieren sich Führungskräfte an Vorbildern und befassen sich mit den betriebswirtschaftlichen, pädagogischen und psychologischen Faktoren, die hinsichtlich der Führung von Menschen eine Rolle spielen.

Seit einiger Zeit ist ein lauter Ruf nach neuen agilen Führungsstilen zu vernehmen, der auch den Hype um Coaching schürt. Dabei ist die Vorstellung, Vorgesetze könnten als Coaches agieren (Linien-Coaching), zwar aktuell angesagt, aber nicht neu. Seit gut 20 Jahren ist es bereits en vogue, dass der Chef bzw. der Vorgesetzte als Coach seiner Mitarbeiter fungiert. Zu unterscheiden ist dieses Konzept des Linien-Coachs von dem ebenfalls vieldiskutierten Bild eines Vorgesetzten, der klassische Führungs- und Managementaufgaben unter Einsatz von Coaching-Techniken wie z.B. systemischer Fragen wahrnimmt, hierbei aber nicht den Anspruch hat, Coach seiner Mitarbeiter (als Personen) zu sein. Orientiert sich das Konzept vom Vorgesetzten, der als Coach fungiert, auch am Erfolg des Unternehmens; orientiert es sich auch an der positiven Idee, eine gemeinsame Identität zu stiften und Zukunftshoffnungen der Mitarbeiter zu stärken, so ist dennoch zu fragen: Ist das Konzept arbeitsrechtlich zu verantworten?

Verschmelzung von Funktionen

Coaching wird für gewöhnlich als Hilfe zur Selbsthilfe definiert. Wie Coaching konkret beschrieben und umgesetzt wird, ist mannigfaltig. Wer sich einen Coach vorstellt, denkt jedoch in aller Regel an eine Person, die nicht zum System des Klienten gehört, also an einen außenstehenden und neutralen Begleiter. Diese Trennung ist mit der Diskussion um die Aufgaben einer Führungskraft verschwommen. Die Aufgaben eines Coachs und einer Führungskraft sind miteinander verwoben worden.

Legaldefinition des leitenden Angestellten

An dieser Stelle ist eine Differenzierung zwischen einem Angestellten und einem leitenden Angestellten vorzunehmen. Eine Legaldefinition befindet sich im § 5 Abs. 3 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Demnach nimmt der leitende Angestellte die typischen Arbeitgeberfunktionen wahr. Hierzu zählen beispielsweise Einstellung und Entlassung von Arbeitnehmern, Personalplanung, Entwicklung von Arbeitsabläufen und dergleichen mehr. Er ist gegenüber seinem Arbeitgeber typischer Arbeitnehmer und gegenüber seinen Mitarbeitern „typischer Arbeitgeber“. Die klassische Sandwichposition.

Bezüglich des Konzepts der Führungskraft als Coach bedeutet dies: Die klare Trennlinie zwischen einem neutralen und diskreten Begleiter, dessen Arbeit den Interessen des Klienten (in diesem Fall des Mitarbeiters) dienen sollte, und einem Vorgesetzten, der als „typischer Arbeitgeber“ in erster Linie den Unternehmenszielen verpflichtet ist, löst sich auf. Die mögliche Folge ist ein Interessenkonflikt, der aufgrund der genannten Legaldefinition eines leitenden Angestellten zum Nachteil des gecoachten Mitarbeiters gereichen kann.

Fürsorgepflicht

Da jeder Vertrag die beteiligten Parteien zu Haupt- und Nebenleistungen verpflichtet, gilt nichts anderes im Arbeitsrecht. Klassiker einer Nebenpflicht ist die Fürsorgepflicht, die sich grundsätzlich aus § 241 Abs. 2 BGB ergibt. Dies bedeutet, dass jeder Vertragspartner auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen der anderen Vertragspartei Rücksicht nehmen muss. Die Nebenpflichten im Arbeitsrecht sind zudem viel weiter und konkreter ausgestaltet als in den übrigen Vertragsbeziehungen, weil der Arbeitnehmer eines besonderen Schutzes bedarf und diesen folglich auch genießt. Herauszugreifen ist im hier diskutierten Kontext folgender Aspekt: Der Arbeitgeber ist verpflichtet, das allgemeine Persönlichkeitsrecht seiner Arbeitnehmer vor Eingriffen zu schützen. Dies beinhaltet u.a. den Schutz des Rechtsgutes der informationellen Freiheit. Wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht verletzt, so kann hieraus ein Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber erwachsen (§ 280 Abs. 1, § 253 Abs. 2, § 823 Abs. 1 BGB).

Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gegenüber seinen Mitarbeitern steht nicht im Widerspruch zur Professionsethik des Coachings, aber: Sie kollidiert in der Praxis womöglich mit der Verschmelzung  der Vorgesetztenrolle mit der Coach-Rolle, da sie im Zuge eines aus dieser Vermischung gegebenenfalls resultierenden Interessenkonfliktes verletzt werden kann. Problematisch ist es z.B., wenn Verschwiegenheit, die als Grundvoraussetzung eines von Offenheit gekennzeichneten Coaching-Prozesses  zu verstehen und zu der ein Coach verpflichtet ist (Meier, 2012), zwar zugesichert wurde, der Vorgesetzte allerdings aufgrund seiner hierzu potenziell gegensätzlichen Arbeitspflicht, seinen Mitarbeiter zu beurteilen, gerade die – womöglich sogar privaten – Inhalte aus dem Coaching heranzieht. Ebenfalls schwierig ist es, wenn die coachende Führungskraft wiederum dem eigenen Vorgesetzten Inhalte des Coachings mitteilen muss. Neben einer eventuell gegebenen, generellen Rechtsverletzung hat der betroffene Mitarbeiter hierdurch zudem einen konkreten Nachteil, wenn er in der Folge der Beurteilung beispielsweise eine Beförderung oder Projektleitung nicht erhält. Weder der Coach-Rolle, die den Schutz der Klienten-Interessen vorsieht, noch der Fürsorgepflicht kann der Vorgesetzte in einem solchen Fall ausreichend nachkommen.

Grenzen der Weisungsbefugnis

Der Arbeitgeber ist gegenüber einem Mitarbeiter weisungsbefugt und kann demnach grundsätzlich bestimmen, dass gecoacht wird und was hierunter zu verstehen ist, denn der Begriff des Coachings ist bekanntlich nicht geschützt. Das Direktionsrecht wurde 2003 in § 106 Gewerbeordnung (GewO) eingefügt, hat aber Grenzen. Grundsätzlich dient dies der Vermeidung von Rechtsgüterverletzungen – sowohl beim Mitarbeiter (z.B. informationelle Freiheit) als auch bei anderen Personen, die mit dem Unternehmen und mit Mitarbeitern des Unternehmens in Kontakt kommen. Allerdings: Wenn man sich für etwas entschieden hat, gibt man grundsätzlich sein Einverständnis gemäß § 182 BGB, sodass auch die aus der Entscheidung folgende Verletzung eines Rechtsgutes aufgrund der Einwilligung rechtmäßig ist.

Die Ausübung eines Rechts kann zudem gegen Treu und Glauben gemäß § 242 BGB verstoßen und folglich unzulässig sein. Typische Fälle sind die Verletzung eigener Pflichten, das Fehlen eines schutzwürdigen Interesses, Unverhältnismäßigkeit und widersprüchliches Verhalten (Singer, 1998). Dies kann im Einzelfall relevant sein, denn: Der Vorgesetzte als Coach muss zwei unterschiedliche, in Teilen widersprüchliche Aufgaben in einer Person vereinen. Im Endeffekt siegt hierbei wie dargestellt die Arbeitgeberfunktion.

Fazit

In einem Coaching wird nicht nur das Verhalten sondern gerade die intrinsische Motivation samt Emotionen offenkundig, sodass Misserfolgsmuster aufgedeckt werden. Dabei ist stets zu beachten, dass die Lösung im Klienten liegt und nicht vorgegeben wird. Dies kann nur geschehen, wenn ein absolut vertraulicher Rahmen besteht. Solche intimen Fakten aber machen den Mitarbeiter im Unternehmen angreifbar. Der „Chef bzw. Vorgesetzte als Coach“ ist daher ein Widerspruch in sich. Es besteht Interessenkollision. Aber solange sich niemand daran stößt, getreu dem Motto „Wo kein Kläger, da kein Richter“, wird diese Praxis weitergeführt werden. Das Image von Führung, Personalentwicklung und Coaching wird dadurch möglicherweise nicht besser.

Literatur

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