Wissenschaft

Der Einfluss des direkten Vorgesetzten auf das Coaching

Unterstützung oder Hindernis?

6 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 3 | 2012 am 12.09.2012

Längst ist man dazu übergegangen, nicht nur die Frage zu stellen, ob Coaching effektiv ist, sondern auch die Kontextfaktoren zu untersuchen, unter denen Coaching seine Wirkung zeigt. Hierzu zählt auch der Einfluss des direkten Vorgesetzten des Coaching-Klienten auf den Coaching-Prozess. Aus der berufspraktischen Perspektive erscheint dies logisch. Schließlich nimmt der direkte Vorgesetzte für den langfristigen Erfolg eines Coachings eine Schlüsselposition ein. Einige Vertreter der Coaching-Branche gehen davon aus, dass Coaching gerade dann effektiv ist, wenn der direkte Vorgesetzte in den Coaching-Prozess – und vor allem in den Prozess der Zieldefinition – involviert ist.

In benachbarten Forschungsbereichen finden sich entsprechende Hinweise. Demnach erhöht eine unterstützende Beziehung zwischen dem Mitarbeiter und seinem Vorgesetzten den Erfolg des Lerntransfers im Anschluss an ein Training. Diese Unterstützung ist nach Angaben der Befragten dadurch gekennzeichnet, dass der Vorgesetzte seinen Mitarbeiter zum Lernen ermutigt und ihm Feedback zum Lerntransfer gibt. Aus dem Bereich der Personalentwicklung weiß man, dass Lernen erheblich erschwert wird, wenn der Vorgesetzte eine grundsätzlich kritische Haltung gegenüber PE-Maßnahmen einnimmt, oder innerhalb der Unternehmenskultur Fehler nicht als Teil eines Lernprozesses gesehen werden. Geben die Vorgesetzten hingegen konstruktives Feedback, ermutigen und unterstützen den Mitarbeiter, übertragen ihm Verantwortung und fordern ihn damit heraus, wird eine positive Lernkultur geschaffen. Wissenschaftlich ist dieser positive Einfluss auf das Coaching jedoch noch keineswegs nachgewiesen.

Helen Ogilvy und Vicky Ellam-Dyson versuchen, mit ihrer Studie nützliche Einsichten in die Konstellation fördernder und hinderlicher Faktoren des direkten Vorgesetzten auf den Coaching-Erfolg zu liefern. Dazu befragten sie zwölf Führungskräfte und 18 Coaching-Klienten, von denen zwölf direkte Mitarbeiter der Führungskräfte dieser Studie waren. Die sechs weiteren Coaching-Klienten beteiligten sich ohne ihren direkten Vorgesetzten an der Befragung.

Nach Meinung eines Großteils der befragten Coaching-Klienten (55%) als auch der Vorgesetzten (58%) sind die Vorgesetzten vor allem an der Entscheidung für ein Coaching maßgeblich beteiligt. Auffällig ist, dass diejenigen Vorgesetzten ein Coaching empfehlen, die in der Vergangenheit selbst ein Coaching durchlaufen haben oder als Coach ausgebildet wurden. Etwa 33% der befragten Vorgesetzten gehen davon aus, dass das Verständnis, wie Coaching funktioniert, wie auch die Wertschätzung des Coachings als Personalentwicklungsmaßnahme eine entscheidende Rolle spielt.

Entgegen der allgemeinen Annahme, dass der Vorgesetzte direkt die Zielsetzung des Coaching-Prozesses beeinflusst, ergibt sich unter den Befragten eher der Eindruck, dass der Vorgesetzte indirekt Einfluss nimmt, indem er mit dem Mitarbeiter seine allgemeine Entwicklung diskutiert (66% der Vorgesetzten; 27% der Coaching-Klienten) und Feedback zu seiner Leistung gibt. Mehr als 58% der Vorgesetzten und 55% der befragten Coaching-Klienten schätzten vor allem das aktive Nachfragen seitens der Vorgesetzten über das Coaching und den Coaching-Prozess als hilfreich und förderlich ein. 72% der Coaching-Klienten geben an, dass die Ermutigung zum Coaching durch den Vorgesetzten einen wesentlichen Einfluss nimmt, gefolgt von der Bereitstellung von Zeit für den Coaching-Pro zess (67%) und das regelmäßige Feedback der Vorgesetzten (44%).

Aus der Sicht der Vorgesetzten (92%) spielt die Ermutigung zum Coaching ebenfalls eine entscheidende Rolle für den positiven Verlauf eines Coaching-Prozesses, gefolgt von der konstruktiven Auseinandersetzung bei Problemen (75%), der zur Verfügung gestellte Arbeitszeit für das Coaching (58%), dem Feedback durch den Vorgesetzten (42%) sowie aktives Zuhören und ein durch Coaching-Elemente gekennzeichnetes Führungsverhalten (42%).

Die Ansicht, dass es sich beim Coaching um einen „persönlichen“ Prozess handelt, und eine Einmischung nicht nur hinderlich, sondern auch nicht notwendig ist, gilt für eine Mehrheit der befragten Führungskräfte (91,6%) und Coaching-Klienten (50%) als Hauptgrund für die Zurückhaltung der Vorgesetzten. Ein klei ner Teil der Befragten weist aber auch auf die Problematik hin, dass die Coaching-Klienten diese rücksichtsvoll gemeinte Zurückhaltung des Vorgesetzten als Desinteresse und Ablehnung interpretieren.

Denn nach Meinung der befragten Coaching-Klienten hat das restriktive Verhalten der Führungskräfte indirekte negative Auswirkungen auf das Ergebnis von Coaching-Prozessen: ein nicht unterstützender Führungsstil ohne Coaching-Elemente, eine kritische Einstellung gegenüber dem Coaching-Prozess und die Ablehnung von neuen Ideen. Dies verhindert den offenen Austausch zwischen Vorgesetzten und Mitarbeiter über den Coaching-Prozess und somit den Lerntransfer. Interessanterweise spiegelt dies in keinerlei Hinsicht die Einschätzung der befragten Vorgesetzten wider. Diese sahen die Problematik eher in einem passiven Verhalten der Führungskräfte, das gekenn zeichnet ist durch fehlendes Interesse, kein regelmäßiges und effektives Feedback sowie fehlende Absprache einer zeitlichen Vorgabe und die undefinierte Rolle des Vorgesetzten in diesem Coaching-Prozess.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die motivationale Unterstützung des direkten Vorgesetzten eine zentrale Wirkgröße darstellt, die nicht außer Acht gelassen werden sollte. Dies gilt vor allem für die potenziell hemmende Wirkung einer fehlenden Unterstützung. Die Autorinnen leiten aus ihren Ergebnissen Empfehlungen ab, die helfen sollen, die Coaching-Prozesse noch effektiver zu machen:

  1. Der Coach sollte den Klienten und seinen Vorgesetzten dazu ermutigen, vor dem Coaching-Prozess einen „psychologischen“ Coaching-Vertrag zu schließen, in dem die Rolle des Vorgesetzten innerhalb des Coaching-Prozesses definiert wird. Hier geht es vor allem um die Frage, inwieweit der Klient eine Einbindung und das aktive Nachfragen des Vorgesetzten wünscht.
  2. Der Coach sollte den Vorgesetzten, falls dieser bisher keinen Bezug zum Coaching hatte, über die Wirkungsweise und den Prozesscharakter des Coachings aufklären, um einer Ablehnung durch Unkenntnis der Möglichkeiten dieses Personalentwicklungsinstruments vorzubeugen. Für interne Coaches gilt dies in besonderem Maße, da die Konstellationen anders sind, als bei externen Coaches. Unabhängig von den bevorzugten Varianten ist es besonders wichtig, in diesem Zusammenhang dem Vorgesetzten seine Rolle und seinen Einfluss auf die Wirksamkeit des Coachings deutlich zu machen, sodass von vorneherein die Weichen für die förderlichen Verhaltensweisen und Einstellungen gestellt sind.
  3. Der Coach sollte die Coaching-Klienten dazu ermutigen, prozessbegleitend Feedback ihres Vorgesetzten aktiv einzufordern.

Mit dem Verständnis, dass Coaching-Prozesse niemals im Vakuum stattfinden, sondern die Arbeitsprozesse begleiten, wird deutlich, dass externe Faktoren und Personen den Erfolg und die Nachhaltigkeit eines Coaching-Prozesses beeinflussen. Zwar handelt es sich bei dieser Studie lediglich um eine inhaltliche Analyse der Sichtweisen einer begrenzten Anzahl von Führungskräften und Coaching-Klienten ohne einen direkten Bezug zu objektiven Effektivitätsmaßen des Coachings. Sie liefert jedoch interessante Einblicke in die subjektive Wahrnehmung förderlicher und hinderlicher Aspekte aus mehreren Perspektiven – die der Coaching-Klienten und ihrer Vorgesetzten.

Ogilvy, H. & Ellam-Dyson, V. (2012). Line management involvement in coaching: Help or hindrance? A content analysis study. International Coaching Psychology Review, Vol. 7, No.1, 39-52.

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