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Portrait

Interview mit Prof. Dr. Eckard König

Unterstützung geben, aber nicht einengen – die persönliche Entwicklung vorantreiben

Er ist Coach, Wissenschaftler und Didaktiker zugleich. Tools zu basteln ist für ihn keine große Kunst. Ob diese Tools aber theoretisch begründet sind und den Praxistest bestehen, steht auf einem anderen Blatt. Ohne Theorie und Evaluation geht es nicht. Beim oft beobachtbaren bloßen Coaching-Lernen als Nachmachen eines Master-Coachs fehlt ihm das kritische Reflektieren. Für ihn heißt Coaching lernen daher zwangsläufig: Coaching üben, erfahren und reflektieren.

16 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 3 | 2012 am 12.09.2012

Ein Gespräch mit Thomas Webers

Von Haus aus sind Sie Grundlagenforscher. Was hat Sie in die Anwendung, gar in der Erwachsenbildung und Beratung verschlagen?

Ich habe in Philosophie promoviert und mich hauptsächlich mit Wissenschaftstheorie der Sozialwissenschaften beschäftigt, hatte aber die Vision, Theorie und Praxis besser mit einander zu verbinden als es meine Lehrer, die reine Theoretiker waren, getan hatten. Da stellte sich die Frage, wo andocken? Was sich dann bei mir herausbildete, waren die Bereiche Erwachsenbildung/Weiterbildung und Beratung, später vor allem Organisationsberatung und Coaching. Praktisches Know-how konnten Ende der 70er-Jahre lediglich Therapieschulen aufweisen. Ich habe mich dann bei Virginia Satir in entwicklungsorientierter Familientherapie ausbilden lassen.

Wie haben Sie das, was Sie bei Satir gelernt haben, in die Praxis der Organisationsberatung umsetzen können?

Satir hat Regelkreise und Muster in Familien beschrieben. Solche Muster spielen auch in einem Managementteam eine Rolle. Die Instrumente, aber auch die Einstellung der Familientherapie haben wir auf die Organisationsberatung übertragen.

Welche Unternehmen haben Sie beraten?

Der Schwerpunkt liegt eher bei größeren Unternehmen und die Palette reicht von den Banken über Siemens und BMW bis in den Energiesektor hinein und in die IT. Zuletzt haben wir große Projekte im Krankenhaus und in der Lehrerbildung gehabt.

Und wie haben die Kunden auf diese neuen Methoden reagiert?

Die Kunden hat unsere Herkunft aus der Familientherapie erst einmal überhaupt nicht interessiert. Für uns war es aber eine Erweiterung der Möglichkeiten. So ergab es sich zwangsläufig, dass mir in Workshops oder Trainings solche typischen Verhaltensmuster aufgefallen sind. Dann habe ich begonnen, dazu nach der Veranstaltung Feedback zu geben an die, die das wollten. So hat sich damals schon Coaching entwickelt, auch wenn wir das noch nicht so genannt haben.

Ab wann haben Sie das Coaching genannt?

Unser Oberbegriff ist Organisationsberatung. Organisationsberatung findet in unterschiedlichen Settings statt. Ich kann ein ganzes System beraten, ein Team aber auch einen Einzelnen. Auch der Einzelne ist fähig, ein System zu verändern – Führungskräfte beispielsweise tun das. Lange lief bei uns all das unter dem Label „Einzelberatung“. Coaching ist dann als Begriff zunehmend in Mode gekommen und hat das, was wir tun, abgegrenzt von Therapie und stärker fokussiert auf den Businessbereich. Coaching der Keyplayer ist in großen Organisationsentwicklungsprozessen, die wir durchführen, immer ein elementarer Bestandteil. Wenn Sie da ansetzen, oben bei den Werksleitern beispielsweise, sparen sie sich eine Menge operativer Arbeit. Ich würde auch heute noch sagen, Coaching ist ein Teil von Organisationsberatung mit dem Schwerpunkt auf dem Einzelnen.

Sie würden also nicht sagen, Coaching ist etwas anderes als Organisationsberatung?

Nein, würde ich nicht. Coaching ist für uns eine Form von Organisationsberatung. Auch wenn es darum ja eine Debatte gibt, beispielsweise bei den Neuwaldeggern. Das hat aber etwas mit dem zugrunde gelegten Systembegriff zu tun. Wenn man sich hier an Luhmann orientiert, tut man sich schwer, die Person als Teil des Systems zu sehen. Ich habe eine Reihe von Coachings durchgeführt, an die sich dann Strategieworkshops oder ähnliches angeschlossen haben. Im Einzel-Coaching kommt die Frage an den Bereichsleiter auf: „Was ist die Vision Deines Bereichs?“ Diese im Teamworkshop dann abzustimmen und mit den Visionen seiner Direct Reports zu integrieren, ist eine spannende Verzahnung, die dann in beide Richtungen weiter geht: In der Arbeit mit dem Team als auch im Einzel-Coaching.

Stichwort: Luhmann. Es gibt ja verschiedene Strömungen, Sie erwähnten auch schon Satir. Woran orientierten Sie sich? Was ist für Sie systemisches Arbeiten?

Das ist zunächst ein bestimmtes Denkmodell: Wie betrachte ich die Wirklichkeit? Systemisch ist ein Denken in Wechselwirkungen. Die ursprünglich biologisch gefärbte Systemtheorie eines Bertalanffy spaltet sich in den 60er-Jahren auf. Ein Ansatz ist der soziologische von Luhmann. Personen werden in seinem Ansatz der Systemumwelt zugerechnet. Das macht im Coaching oder Beratungskontext Probleme. Man verändert nicht Personen, sondern nur Kommunikationen. Das empfinde ich als zu eingeschränkt. Dann gibt es den Ansatz der Bateson-Gruppe. Hier sind Personen Elemente sozialer Systeme.

Bateson, von Foerster, Watzlawick, Satir, das ist also Ihre Tradition?

Genau. Und Satir bindet das Systemmodell von Bateson ein in die humanistische Tradition von Rogers. Das ist der entwicklungsorientierte Ansatz. Diese Grundhaltung ist für Coaching und Organisationsberatung unverzichtbar.

Verorten Sie sich nur in dieser Tradition oder haben Sie das selber weiter entwickelt?

Wir haben versucht, was bei Bateson noch kompliziert war, bei Watzlawick sich in den Kommunikationsaxiomen niederschlägt zu systematisieren. Das ist dann unser Modell der personalen Systemtheorie. Jedes System ist, so meinen wir, durch ganz bestimmte Faktoren gekennzeichnet: Personen, subjektive Deutungen, soziale Regeln, Regelkreise, Umwelt und Entwicklung. Uns erlaubt dies im Beratungskontext gezielt in verschiedene Richtungen zu schauen.

Ein Beispiel? Kommt ein Mann zum Coach ...

... er ist gerade frisch Abteilungsleiter geworden und braucht Unterstützung: Rollenklärung und so weiter. Der systemtheoretische Ansatz erlaubt mir nun, die verschiedenen Faktoren zu betrachten: Wer sind die relevanten Personen (Stakeholder)? Was sind ihre Ziele? Was erwarten sie? Was sind die (geheimen) sozialen Regeln der Organisation? Inwieweit ist Kritik erlaubt? Gibt es bestimmte Muster? Welche Rolle spielt das Umfeld – von der Technik angefangen bis hin zu Konzernstrukturen? Und was ist die Vorgeschichte? Bist Du der dritte Abteilungsleiter in kürzester Zeit? Das ist jetzt stark vereinfacht dargestellt. Aber ich habe damit eine nützliche Checkliste an der Hand, die ich mit meinem Klienten durchgehen kann. Und das hilft dann ebenfalls, Maßnahmen zu planen, beispielsweise systematische Interviews mit Stakeholdern zu führen. So kommt der Klient an das Hidden Knowledge, also das geheime Wissen der Organisation heran. Und zugleich lernt er, einen Leitfaden zu entwickeln, Interviews zu führen und diese inhaltlich auszuwerten.

Hier sehe ich die Nähe zu Training und Fachberatung. Sie sind auch methodischer Experte, Wissenschaftler, Hochschullehrer, haben mehrere Hüte auf dem Kopf. Wann trennen sie die Rolle eher? Wann geht es um Verzahnung?

Die ersten beiden Hüte waren die des Wissenschaftlers und des Praktikers. Mein Ziel war immer, beides zu verknüpfen. Sie bietet mir das, wovon viele träumen. Beide profitieren vom jeweils anderen. Der Weiterbildungsbereich hat sich als nächstes entwickelt. Ich bin halt auch methodisch-didaktischer Experte und habe Spaß daran, das Wissen weiter zu geben. Was dann wiederum zwangläufig dazu führt, in Organisationen, die wir beraten, das Wissen zu implementieren in Form von internen Beratern, Coaches, Prozessbegleitern, damit es dort qualifiziert weitergehen kann, wenn wir wieder raus gehen.

Sie arbeiten an einer durchgängigen Lieferkette?

Im Grunde: ja. Wir können dann auch wieder loslassen und sind offen für neue Sachen. Zugleich haben wir die aktuellen Themen in den Ausbildungsgruppen und können das auch wieder mit der Forschung verknüpfen.

Gibt es im Coaching ein Spezialthema von Ihnen?

Eigentlich zwei Themen: Die Schnittstelle zwischen Coaching und Organisationsberatung, und alle beruflichen Übergangsprozesse, sogenannte Transitionprozesse. Beispielsweise vom Bereichsleiter zum Vorstand. Hier sehe ich wichtige Aufgaben, die das bislang zeitlich doch eher limitierte Bild von Coaching auch noch korrigieren können. Das sind keine stetigen Prozesse, aber oft solche, die sich über fünf oder mehr Jahre erstrecken können. Darin gibt es dann Pausen von einem halben oder sogar einem ganzen Jahr. Das finde ich sehr spannend, Menschen über längere Zeit in ihrer Karriereentwicklung zu begleiten.

Stichwort Didaktik: Wie gestalten Sie die Didaktik Ihrer Weiterbildungen?

Unsere Ausbildungen sind relativ weit didaktisch-methodisch reflektiert und ausgefeilt. Das hat durchaus etwas Handwerkliches. Virgina Satir war eine fantastische Therapeutin. Aber sie konnte nie erklären, was sie getan hat. Unser Anspruch ist aber, hilfreiche Vorgehensweisen herunterzubrechen, damit sie lehr- und lernbar sind. Es braucht Theorie. Es braucht aber auch das Lernen am Modell. Wir inszenieren keine Rollenspiele, sondern arbeiten grundsätzlich mit realen Situationen. Die Teilnehmer bringen genug Themen und Probleme mit, die sie im Rahmen der Weiterbildung bearbeiten. So entsteht eine ganz andere Ernsthaftigkeit. Haltung, Menschenbild sind ebenfalls wichtig. Man muss auch Grenzen erfahren können und reflektieren. Für all das versuchen wir, einen sicheren Raum zu schaffen. Das ist unsere Verantwortung, auch in kritischen Situationen Beteiligte auffangen zu können.

Lernen am Modell erscheint mir in der Coaching-Weiterbildung ein vorherrschendes Modell zu sein.

Da ist ja auch etwas dran, wenn es aber das alleinige Prinzip bleibt, wäre es mir zu linear. Jeder Coach muss seinen eigenen Stil entwickeln. Das war auch schon früher so: Ein guter Lehrling musste sich weiterentwickeln, von seinem Meister weg entwickeln, sonst ist er selbst kein guter Meister geworden. Und das ist auch im Coaching so: Unterstützen und Loslassen ist die Aufgabe für den Weiterbildner. Wir haben eine Formel dafür entwickelt: Coaching lernen heißt Coaching üben, erfahren und reflektieren. Beim bloßen Nachmachen fehlt das Reflektieren und Erfahren. Ich muss als angehender Coach das Gesehene an meine mentalen Konzepte adaptieren, und das meint, mir nicht nur kognitiv, sondern auch emotional konstruierend aneignen zu können. Und den Kontext, in dem ich das anwende, muss ich ebenfalls reflektieren. Es ist Erfahrungslernen. Selbst gecoacht zu werden ist deshalb ganz zentral, eben auch, um den Transfer herstellen zu können.

Sonst bleibt man „A fool with a tool“. Wie sehen Sie das Thema Coaching-Didaktik in der Weiterbildungsszene insgesamt behandelt?

Ich sehe schon die Gefahr des Wildwuchses. Dies war übrigens einer der Gründe für die Entstehung des DBVC, Qualitätsmaßstäbe zu reklamieren. Und es gibt ja auch das böse Diktum: „Wer schon keine Klienten findet, der kann zumindest eine Coaching-Ausbildung anbieten.“ Wildwuchs in Blick auf die Professionalität, aber eben auch hinsichtlich der methodisch-didaktischen Gestaltung. Auf der anderen Seite gibt es aber auch anspruchsvolle Maßstäbe und Initiativen, nicht nur Unterlagen zu auditieren, sondern sich bei Ausbildungen gegenseitig zu besuchen und voneinander zu lernen.

Ein neuer Trend ist die Akademisierung des Coachings. Zunehmend bieten Hochschulen Coaching-Module in Studiengängen oder gleich komplette Coaching-Studiengänge an. Schaut man aber mal genauer in die Curricula hinein, findet man auch reichlich kommunikationspsychologische Massenware, die da plötzlich zur Coaching-Kompetenz veredelt wird.

Es gibt da große Unterschiede. Die Universitäten haben in der Vergangenheit sicher ein Defizit gehabt in der praktischen Verwertbarkeit von theoretischen Ergebnissen. Ich kenne das von der Dozenten- als auch von der Akkreditierungsseite her. Hier eine gute Verzahnung und Balance herzustellen, ist eine echte Herausforderung.

Nun ist die Krux natürlich, wenn man ein Studium anbietet, muss man ein hohes Level an Fachwissen anbieten und abprüfen, da bleibt dann nicht so wahnsinnig viel Zeit für ausgiebige praktische Übungen. Damit werben allerdings die Weiterbildner. Doch deren Kritiker bemängeln oft einen flachen Pragmatismus.

Die Brücke herzustellen, scheint von beiden Seiten her betrachtet schwer. Wir haben eine ähnliche Schwierigkeit ja in den Therapieausbildungen. Von beiden Seiten aus kommt man schnell an seine Grenzen.

Halten Sie die Akademisierung des Coachings für die bislang privatwirtschaftlich operierenden Weiterbildungsinstitute in der Zukunft für eine wettbewerbsrelevante Herausforderung?

Auf jeden Fall! Und es wird spannend werden, das zu beobachten, ob eine gute Verzahnung gelingt.

Wettbewerb ist das eine, aber die könnten sich ja auch zusammen tun und voneinander lernen.

Ich glaube auch, dass es eher in diese Richtung gehen wird. Der Teufel liegt dann aber – wie so oft – im Detail. Mit welchen Personen bestücken die Hochschulen, aber auch die Weiterbildner, ihre Programme? Wie kooperieren sie? Was können sie bewegen? Das Positive ist doch, dass es relativ viele Entwicklungsmöglichkeiten gibt, eben auch solche, Modelle zu erproben. Das sollte man fortsetzen und kritisch begleiten.

Nun, da passiert also so einiges an den Hochschulen, da müssen Hausarbeiten geschrieben werden, Bachelor- und Masterarbeiten, Dissertationen. Da fehlt eigentlich nur noch so ein Forschungsmasterplan, der das alles koordiniert und steuert.

Da sind wir noch in den Anfängen. Coaching-Wirkungsforschung kommt so langsam, aber ist theoretisch und methodisch momentan noch nicht ausgereift. Wir haben noch keine wirkliche Forschungstradition im Coaching. Punktuelle Untersuchungen gibt es etliche, da schließe ich meinen eigenen Arbeitsbereich mit ein. Ein Schwerpunktforschungsprogramm aufzusetzen, eine Forschungslandkarte zu kreieren, die die Forschung systematisiert, das wäre etwas, das uns wirklich weiter brächte.

Und wie könnte man so etwas ermöglichen, protegieren? Bräuchte es einen Antrag bei der „Mutter der deutschen Forschungsförderung“, der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG)?

Das eine wäre die Wissenschaftssäule des DBVC, die das ja schon ein Stück weit versucht. Das andere wären Universitäten. Man darf aber nicht vergessen, solche Anträge, beispielsweise bei der DFG, fressen ungemein viel Zeit und Ressourcen, das muss ein Hochschullehrer zwischen Lehre und Praxis auch erst einmal stemmen. Es ist also auch eine forschungspolitische Angelegenheit: Wie kann man Interessen von Einzelnen bündeln zum gemeinsamen Wohle? Das fehlt momentan noch. Und es geht primär auch gar nicht darum, ob die einzelnen Forscher miteinander können oder nicht. Können und Bereitschaft ist sicher vorhanden. Wichtiger ist die aber Frage, wie kann ein gemeinsames Wissenschaftsmanagement gelingen? Das ist im Prinzip ein Vollzeitjob. Es ist also weniger böse Absicht, als oft schlicht mangelnde Ressourcenlage. Wir müssten also erst einmal Strukturen schaffen, sprich Stellen.

Beißt sich da die Katze in den Schwanz?

Ja. Wir haben deutlich mehr Abschlussarbeiten als vor fünf Jahren, aber es reicht noch nicht, um gemeinsam die Welle zu machen. Wir haben noch zu sehr einen Flickenteppich.

Deshalb bräuchten wir natürlich auch eine internationale Vernetzung. Im englischsprachigen Bereich sehen wir inzwischen andere Kaliber laufen, wenn ich nur mal die Wirksamkeitsstudie von Ashridge, die gerade läuft, ansprechen darf.

Das ist eine andere Nummer. Die haben Forschung schon viel besser etabliert, haben schon viel länger Institute an den Universitäten, sind schon viel länger unterwegs. Nun, ich denke, dass sich in den nächsten drei bis fünf Jahren auch bei uns einige Forschungsbrückenköpfe heraus kristallisiert haben werden.

In den Unternehmen steht Coaching-Forschung nicht im Fokus, ist mein Eindruck. Die haben andere Sorgen wie Finanzkrise oder demografischer Faktor. Was dort gemacht wird, ist oft weniger strategisch als zufallsgetrieben.

Das ist ja auch nicht verwunderlich. Der Return on Invest ist im Mechatronikbereich schneller darstellbar als im Coaching.

Doch das Grundproblem ist die Definition: Was ist Coaching? Wer darf sich Coach nennen?

Wir sollten auf der anderen Seite aber auch vorsichtig sein einzugrenzen. Wir bekommen sonst eine staatliche Kontrolle der Zugangswege. Die Lehrerausbildung war – obwohl sie staatlich kontrolliert ist – lange Jahre auch nicht optimal. Jetzt verändert sich das seit den letzten fünf Jahren stark – und zwar in allen Bundesländern. Wir haben auch ein Psychotherapiegesetz. Aber eigentlich hat der therapeutische Bereich dadurch gewonnen, dass es lange Diskurse gab und Entwicklungen in verschiedene Richtungen. Ich würde also nicht zu schnell reglementieren wollen. Wir müssen uns nicht über Begriffe streiten. Die Arbeitsdefinition, Coaching ist Beratung im beruflichen Kontext, scheint mir weit genug zu sein, um ein Handlungsfeld zu definieren, in dem es etwas zu tun gibt.

Jetzt kommt aber jemand, der hat zwar keinen Hauptschulabschluss, präsentiert sich aber als Business-Coach. Sein Kollege hat hingegen einen einschlägigen Hochschulabschluss. Egal?

Nun, inhaltlich würde ich Ihnen da zustimmen. Ein Hochschulabschluss wäre schon wünschenswert. Das Reflektieren sollte man auf der Hochschule schon gelernt haben. Es ist übrigens eine interessante Forschungsfrage: Was sind die Wirkungen von Pseudo-Coaches? Wir vermuten nur negative Wirkungen, es kann aber auch sein, dass sie überhaupt keine Wirkung haben.

Dann schaden sie womöglich nicht, so lautet ja ein Prinzip der Medizinethik.

Das ist richtig. Aber niemand hindert jemanden daran, der drei Tage Gestalttherapie-Weiterbildung gemacht hat, sein Wissen im Volkshochschulkurs umzusetzen. Da kann er vielleicht noch viel mehr Schaden anrichten. Es gibt keine Sicherung dagegen. Ich stimme Ihnen inhaltlich zu, professionelles Handeln erfordert professionelle Kompetenz, ich zögere allerdings, das über formale Kataloge von Inputkriterien zu steuern.

Wir haben diese Diskussion ja schon länger laufen: Brauchen wir den Staat, der eingreift? Können es die Verbände gestalten? Reguliert es der Markt selber? Und was kann Wissenschaft in diesem Zusammenhang leisten? Klaus Grawe hat ja gezeigt, wie wichtig die Beziehung ist. Warum soll nicht auch ein Hauptschulabgänger eine gute Beziehung herstellen und aufrechterhalten können? Ob er aber die anderen Wirkfaktoren gut unterstützen kann, ist aber noch einmal eine andere Frage.

Das ist ein wichtiges Forschungsfeld. Da würde ich gerne weitere Daten sehen. Insofern finde ich die DBVC-Entwicklung gar nicht schlecht. Wir setzen bestimmte Standards, das ist keine staatliche Reglementierung, aber für Coaching-Abnehmer ist das mittlerweile schon ein Qualitätskriterium, das findet Akzeptanz.

Es gibt aber noch 29 weitere Coaching-Verbände.

Aber es gibt doch bloß ein Handvoll Verbände, die wirklich relevant sind – und die tun sich gegenseitig nichts. Das ist doch auch nicht schlecht, eine gewisse Pluralität, das haben wir in anderen Bereichen doch auch.

Jetzt kündigt sich eine Fusion unter Coach-Verbänden an.

Das wird spannend. Wenn sich diese Entwicklung fortsetzt, könnte das konsolidierend wirken.

Was sind Ihre Projekte für die Zukunft?

Ich werde in den nächsten Jahren sicher den Kontakt zur Universität weiter halten, auch wenn ich schon emeritiert bin. Nordrhein-Westfalen unternimmt derzeit den Versuch, Coaching in die zweite Phase der Lehrerbildung als zentralen Bestandteil zu integrieren. An diesem Projekt bin ich maßgeblich beteiligt und werde es auch in der nächsten Zeit bleiben. Andererseits denke ich doch auch verstärkt über einen erhöhten Freizeitanteil in meiner Work-Life-Balance nach.

Was wünschen Sie sich für das Coaching für die nächsten Jahre?

Ich wünsche mir, dass die positiven Etablierungsansätze, es als ein hilfreiches, solides Instrument zu etablieren, weiter geführt werden. Ich wünsche mir, dass der Nutzen des Coachings für Organisationen deutlicher wird, da sind wir schon auf einem guten Weg. Ich wünsche mir für die Szene, also für die Anbieter, dass angesichts des Themas Wildwuchs die Professionalisierung zunimmt. Und ich wünsche mir eine Verbreiterung der Forschungsbasis dafür. Bei allem habe ich Vertrauen in die zukünftige Entwicklung.

Was wäre Ihr Resümee, Ihre Botschaft an die Coaching-Szene?

Meine persönliche Botschaft wäre, Coaching ist eine sehr gute und schöne Form, jemand anderen zu unterstützen, bei gleichzeitiger Wahrung einer professionellen Distanz, die dem anderen Entscheidungen nicht abnimmt. Coaching heißt, Unterstützung geben, aber nicht einengen, sondern die persönliche Entwicklung vorantreiben. Das wäre mein Resümee.

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