Führung

Mit Coaching eine neue Führungskultur entwickeln

Moderne Führungsmodelle

8 Min.

Erschienen im Coaching-Newsletter in Ausgabe 09 | 2018

Welchen Beitrag Coaching beim Übergang in eine neue, kooperative Führungskultur leisten kann.

Um in dem Maße, wie sich die Welt verändert und durch Innovation erneuert, mithalten zu können, braucht es Schwarmwissen, eine kollektive Intelligenz anstelle von einsamen Entscheidungen. Kulturstudien zu Arbeit und Führung, die das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) im Rahmen der Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) zwischen 2014 und 2017 durchgeführt hat, zeigen eindringlich diese Entwicklung auf.

Unsere Welt braucht eine neue Führungskultur, die auf Kooperation beruht. Eine Kultur, innerhalb derer wir wie ein Bienenvolk unsere Talente und Fähigkeiten sinnvoll kombinieren, unser Wissen austauschen und damit unser Netzwerk stärken und schützen. Streng hierarchische Organisationen haben sich überlebt. Darin sind sich zumindest viele Führungskräfte in Deutschland einig: Die Studie „Führungskultur im Wandel“ aus dem Jahr 2016 (INQA, 2016) zeigte bereits, dass sich rund Dreiviertel der 400 befragten Führungskräfte einen Paradigmenwechsel in der deutschen Wirtschaft wünschen. Gar 100 Prozent sind davon überzeugt, dass ein Einlassen auf und eine Gestaltung von ergebnisoffenen Prozessen die Zukunft als Schlüsselkompetenz mit prägen werden.

Das Zukunftsinstitut, einer der großen Think Tanks europäischer Trend- und Zukunftsforschung, formuliert diese Definition von „neuer Führung“ in seinem Leadership Report 2016 (Kühmeyer, 2016) so: „Führungsarbeit hat künftig mehr mit Navigieren als mit Steuern zu tun: Das Ermöglichen steht im Mittelpunkt. Enabling meint, Räume zu öffnen, Chancen zu schaffen, Unterstützung anzubieten, damit sich Mitarbeiter weitgehend selbst organisieren können.“

Grundannahme dieses Textes ist, dass der Schlüssel zum Übergang in eine neue Führungskultur in einem Selbstkultivierungsprozess der Führenden liegt. Ein professionelles Coaching ist an dieser Stelle kein Luxus und kein unnötiger Kostenfaktor, sondern die Chance, über Generationen eingehaltene Verhaltens- und Verfahrensmuster überhaupt erkennen und aufbrechen zu können.

Was unterscheidet traditionelle und moderne Führung und was bedeutet es für Business- und Führungskräfte-Coaches und ihre Rolle? Wie gelingt der Übergang von gestern zu heute nicht nur strukturell, sondern zuerst einmal mental?

1. Präsenz

Traditionelle Führungsmodelle haben das hervorgebracht, was wir „Präsenzkultur“ nennen. Damit ist meist nicht der Vorgesetzte gemeint, sondern die Mitarbeiter: Angestellte, die möglichst von morgens bis abends in ihrer Organisation präsent und darüber hinaus zusätzlich im Privatleben erreichbar sein sollen. Hier ist eine Asymmetrie entstanden zwischen ständig verfügbarem Personal und einem unerreichbaren Chef, der viel unterwegs ist, seine Termine vom Vorzimmer managen lässt und im Arbeitsalltag nicht vorkommt.

Es gehört zum guten Ton der „political correctness“ innerhalb von Unternehmenshierarchien, den Rudelführer nicht offen in Frage zu stellen, Kritik zurückhaltend, am besten als höflich formuliertes „Feedback“ anzumelden und die ausgegebenen Ziele nicht in Frage zu stellen.

Für den Vorgesetzten hat diese unausgesprochene Etikette den Vorteil, dass er sich selbst ebenfalls nicht zu kritisch hinterfragen muss, solange das Geschäft läuft. Die Gefahr ist groß, sich mit seiner Rolle komplett zu identifizieren, sich von seinen Mitarbeitern zu entfernen und sich an den eigenen Sonderstatus bald gewöhnt zu haben.

Moderne, bewusste Führung bricht gleich mit zwei Tabus: mit der Übermenschlichkeit und der Unerreichbarkeit der Führungskraft.

Persönlich geht es für eine Führungskraft, die „vom Ross herunter steigt“, darum, die eigenen Privilegien, die einsamen Entscheidungen abzulegen, sich selbst infrage zu stellen und sich infrage stellen zu lassen. In der Essenz geht es darum, sich zu verwandeln von jemandem, der bedient wird, hin zu jemandem, der dient.

Was kann Coaching hier leisten? Es geht zuerst einmal darum, die Selbstwahrnehmung des Führenden zu hinterfragen:

  • Was glaubt er über sich?
  • Was glaubt er über Andere?
  • Was glaubt er über die Arbeitsbeziehung, die er zu seinen Kollegen hat?
  • Was glaubt er über seine eigene Wichtigkeit, Unabkömmlichkeit, seinen Status, seinen Einfluss?
  • Was glaubt er darüber, was ihn legitimiert, an der Stelle zu sein, an der er steht?
  • Was wird ihn legitimieren, wenn der Mensch aus seiner Rolle heraustritt und seinen Kollegen auf Augenhöhe begegnet?

Hinter seiner Rolle hervorzukommen, erfordert einen starken Kontakt zu sich selbst. Es macht einen wesentlichen Unterschied, ob ich mich traue, meine Position im Alleingang neu zu definieren, oder ob ich einen erfahrenen Coach an der Seite habe, der mir hilft, innerhalb meiner Organisation neue Schnittstellen zu erkennen bzw. diese neu zu schaffen und zu besetzen.

Ganz konkret hilft der Coach dabei, die alte Rolle hinter sich zu lassen, sich zu trennen. Raum zu schaffen für eine neue Rolle auf Augenhöhe der Mitarbeiter. Führung bedeutet heute, Knotenpunkt zu sein innerhalb einer lernenden dynamischen Gruppe und nicht mehr hierarchisch geprägte Entscheidungsinstanz. Der Vorgesetzte engagiert sich etwa als Mentor, als Netzwerker, als interner Coach, als kreativer Kopf neuer Projekte und Sparten.

Um die praktische Umsetzung des neuen Führungsverständnisses in den Arbeitsalltag zu unterstützen, hilft der Coach, das Maß der Eigenverantwortung der Mitarbeiter zu erhöhen, angemessene Entscheidungsstrukturen zu finden und dem Rückfall in alte Muster entgegenzuwirken.

2. Resilienz

Jede Unternehmenskultur ist eng verknüpft mit der Einstellung der Führungsebene zu Fehlern, Irrtümern und Risiken. Im althergebrachten autoritären Führungsmodell werden Fehlentscheidungen und Verluste gern auf einer niedrigeren Hierarchie-Ebene abgeladen und vom Führenden abgetrennt. Mutige Schritte und selbst Erfolge werden nicht unbedingt belohnt, Fehler aber fallen deutlich auf den „Schuldigen“ zurück und können schnell einen Knick für die eigene Karriere bedeuten.

Schnellere, komplexere Bedingungen erfordern heute jedoch eine höhere Bereitschaft zum Risiko, Dinge zum ersten Mal zu tun, anders zu machen, auszuprobieren. Im aktuellen Fall der Facebook-Kampagne „Ein besseres Facebook“ kann man – wenngleich diese sicher auch Marketingzwecken dient – gut beobachten, wie Fehler als Lernchance verwendet werden sollen, um sich weiterzuentwickeln: „(…) wir hören zu. Wir lernen. Und wir handeln.“

Eine Führungskraft, die sich innerhalb ihrer Rolle traditionell als elitär angesehen und abgeschottet hat, und die sich nun in flache Hierarchien und in ein hohes Maß an persönlicher Präsenz begeben möchte, tut gut daran, sich selbst regulieren zu lernen und sich selbst zu vertrauen.

Hier setzt ein Selbstmanagement-Coaching an, um Widerstände und Ängste zu verstehen und abzubauen und einen entspannteren Umgang mit Rückschlägen und Risiken zu erlernen. Ziel eines solchen Selbstmanagement-Coaching ist es, dass der Klient seinen stressbedingten Mustern und Handlungen nicht länger ausgeliefert ist. Betrachtet werden eigene mentale Muster und Verhaltensweisen, die durch Stress oder durch als problematisch empfundene Reize ausgelöst werden.

Erfolgreiche Selbstregulation durchbricht eingefahrene Reiz-Reaktions-Muster etwa durch veränderte Glaubenssätze, positive Verstärkung oder Methoden aus der Körperarbeit und ist äußerst hilfreich dabei, Menschen und Debatten gelassen und aufgeschlossen zu begegnen.

3. Inspiration

Wie umgehen mit dem vermeintlichen Bedeutungsverlust? Bringt die Verwandlung vom einstigen Superchef zum Moderator, Förderer, Mentor seiner Mitarbeiter nicht einen ungeheuren Machtverlust mit sich?

Woraus speist sich die singuläre Bedeutung des Führenden innerhalb einer kooperativen Struktur?

Führungskräfte-Coaching zielt hier nicht in erster Linie auf Methodik und praktische Tools ab. Es kann vielmehr dabei unterstützen, den eigenen Stil, den eigenen „Sound“ noch besser herauszuarbeiten und mit der Welt zu teilen.

Einen wichtigen Anstoß kann ein Coach geben, indem er Klienten bittet, ein eigenes Vision Statement zu erarbeiten. Verkörpert der Vorgesetzte in erster Linie die Unternehmensvision, ist es gleichzeitig sehr aufschlussreich und festigend, sein eigenes, individuelles Statement zu schreiben und laut aufzusagen. Die eigene Vision zu entwickeln, zu sich zu stehen und seinem eigenen Weg zu folgen, erzeugt die Wahrnehmung, dass die eigene Persönlichkeit über die professionelle Rolle hinausweist.

Führung, die selbst-bewusst, präsent und aufrichtig ist, bedingt aus sich selbst heraus Gefolgschaft. Moderne Führung wird nicht zuletzt von jenen definiert, die ihr folgen. Die Essenz moderner Führung ist nicht mehr Anweisung, sondern Inspiration.

Ein reflektierter Leader bündelt Leistung, Talent und Ideen und reichert sie an, um sie dann wieder zu verteilen. Er nimmt die Menschen mit auf eine Reise hin zu seiner Vision, doch lässt dabei jeden seinen eigenen Weg finden.

Kooperative Führung denkt in Beziehungen statt in Prozessen. Der Mensch als wichtigste Ressource rückt in den Mittelpunkt, Führung „ist die Arbeit an einer sozialen Architektur“ (Stockhausen, 2018).

Jede Organisation muss und darf hier ihren eigenen Weg finden, denn die Veränderung der Führungskultur kann nur von innen heraus entstehen, auf der Grundlage des Commitments der Führenden selbst. Fertige Konzepte oder Theorien können den Prozess vereinfachen, jedoch niemals ersetzen. Ziel ist es, innerhalb eines Unternehmens eine neue Balance aus fach-, strategie- und menschenbezogenem Handeln auszubilden.

Ein Coaching von Führungskräften und Teams, die sich neu ausrichten und festgelegte, hierarchische Rollenmuster zugunsten von agilen, kooperativen Strukturen aufgeben wollen, ist eine tief transformierende Aufgabe.

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