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Methoden

Zirkuläre Fragen 2.0. Teil 1

Auf den Unterschied, der einen Unterschied macht, kommt es an!

Als nondirektive Form der Begleitung setzt Coaching auf Erkenntnisgewinn durch Selbstreflexion. Diese anzuregen, kann als zentrale Aufgabe eines Coachs verstanden werden. Als probates Mittel fungieren (systemische) Fragen. Sie sind wirksame Interventionsinstrumente, die auch in der Führungsarbeit zum Einsatz kommen können, um immer komplexerer Bedingungen Herr zu werden. Zu den erforderlichen Grundhaltungen systemischen Fragens gehört Zirkularität. Welche Prinzipien machen den Begriff aus und wie lässt sich zirkuläres Fragen konzeptualisieren?  

15 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 2 | 2021 am 19.05.2021

„Ja was glaubst Du denn, wie es Deinem Freund geht, wenn Du sein Skateboard einfach im See versenkst, hm? Warum hast Du das gemacht?“ So oder ähnlich klang mit hoher Wahrscheinlichkeit eine der ersten „quasi-systemischen“ Fragen, mit der viele von uns in ihrer Kindheit konfrontiert wurden. Dass es sich zumindest im ersten Teil um eine zirkuläre Frage handelt, war natürlich niemandem klar. Auch nicht, welche gut gemeinte Absicht der Eltern sicher damit verbunden war; nämlich sich ein Stück in die Situation des anderen hineinzuversetzen. Was allerdings mit hoher Wahrscheinlichkeit blieb, war ein bestimmtes undefinierbares Unbehagen in der Magengegend, das sich mit dieser Art von Frage verbindet. 

Dieser Artikel befasst sich mit zirkulären Fragen. Mit den Möglichkeiten und Grenzen. Aber auch mit dem theoretischen Hintergrund und den Implikationen, die sich daraus für Fragende ergeben. Außerdem sollen verbreitete Vorurteile bezüglich der Anwendung diskutiert werden. Ein weit verbreitetes Vorurteil ist die fast reflexhafte Gleichsetzung von zirkulären Fragen und Fremd-Perspektiven-Fragen im Sinne von: „Was vermuten Sie, wie ein anderer dies sieht?“ Aber zirkuläres Fragen bedeutet weitaus mehr.

Im Verlauf dieses zweiteiligen Artikels soll zunächst der Begriff der Zirkularität näher beleuchtet werden, um dann – basierend darauf – ein erweitertes Modell von zirkulären Fragen abzuleiten und abschließend in Teil 2 Beispiele für weiterreichende zirkuläre Fragen vorzustellen.

Zirkularität

Zirkularität wurde in den 40er Jahren in der neu entstehenden Kybernetik zu einem zentralen Begriff. Er beschreibt die Funktionalität von Rückkopplungsprozessen und somit eines der zentralen Prinzipien kybernetischen Denkens. Darin wird ein Verhalten einer systemischen Einheit beschrieben, indem die Wirkungen des eigenen Verhaltens (Outputs) rückgekoppelt werden, um das zukünftige Verhalten des Systems direkt und unmittelbar beeinflussen zu können. Zirkularität bildet die Grundlage für selbstorganisierende Systeme.

In den angewandten Sozialwissenschaften fand das Phänomen der Zirkularität erstmals in Arbeiten von Gregory Bateson, Niklas Luhmann und Karl Ludwig von Bertalanffy sowie Paul Watzlawick et al. Berücksichtigung.

Publizität und Kontur erreichte das Konzept über den Begriff des zirkulären Fragens, der ursprünglich vom Team um Mara Selvini Palazzoli geprägt wurde. Neben der Neutralität und Hypothesenleitung bildete die Zirkularität eine der zentralen Säulen des Ansatzes des Mailänder Familientherapie-Modells Ende der 70er Jahre. 

Im zirkulären Fragen werden die Verhaltensweisen verschiedener Kommunikationspartner aufeinander bezogen. Darin kann man die eigentliche geniale Erfindung des Mailänder Teams sehen: Das systemische Interview exploriert und kreiert keine sozialen Atome (Individuen), die losgelöst von ihren Umwelten und sozialen Wirklichkeiten handeln, sondern es setzt alles Handeln dieser Personen in Beziehung zu anderen Personen.

Mit den zirkulären Fragen entwickelte das Mailänder Team das geeignete Instrument, um dieser Kette aus Reaktionen und Gegenreaktionen nachzugehen und auf diese Weise soziale Phänomene in ihrer kommunikativen Erzeugung und Wirkung darzustellen. Dabei wurde der Begriff des zirkulären Fragens oftmals doppeldeutig verwendet: Mit ihm werden einerseits einzelne Fragen aufgrund ihrer sprachlichen Form und ihres inhaltlichen Fokus bezeichnet. Andererseits wird der Begriff auch für den gesamten interaktiven Prozess der Befragung angewandt. Mittlerweile wird der Terminus vor allem als Oberbegriff für systemische Interviewtechniken im Allgemeinen verwendet, so z.B. bei Fritz Simon und Christel Rech-Simon (1999), die mit ihrem vielbeachteten Buch „Zirkuläres Fragen“ ein Standardwerk verfassten.

Es ist festzuhalten: Die Bestimmung einzelner Fragen als zirkulär ist in erster Linie nicht von ihrer sprachlichen Form und ihrem Inhalt abhängig, sondern von der Intention des Interviewers, zirkuläre Zusammenhänge zu erkunden.

Zirkuläres Verständnis von Interaktion

Das Mailänder Team wurde bei seinem Vorgehen wesentlich von den Arbeiten des amerikanischen Forschers Gregory Bateson beeinflusst. Wesentlich für Batesons Analyse von Systemen und deren Kommunikationsprozessen ist das Verständnis der Zirkularität bzw. das zirkuläre Verständnis von Prozessen. Dieses steht im Gegensatz zur Linearität bzw. zum logisch-kausalen Verständnis. Bateson (1982) fordert, Phänomene, die normalerweise als individuelle Eigenschaften wahrgenommen werden, als Produkt der Beziehung und deshalb als Interaktionsmuster darzustellen. Alle charakterologischen Adjektive (aggressiv, passiv …) sollten so reduziert oder erweitert werden, dass sie ihre Definition von Mustern des Austausches von Individuen herleiten. In engem Zusammenhang damit steht die Definition von Zirkularität als Form der Systememergenz, d.h., eines Phänomens, das letztendlich keinem der (beteiligten) Kommunikationspartner bzw. deren Eigenschaften zugeschrieben werden kann, sondern eigene „Systemqualitäten“ aufweist.

In diesem Zusammenhang wird auch der Ansatz des deutschen Soziologen Niklas Luhmann sichtbar, was in vielen Veröffentlichungen zum zirkulären Fragen nur ungenügend gewürdigt wird. Luhmann steht ebenfalls in der Tradition von Bateson. Wesentlich für Luhmanns (1998) Ansatz der Zirkularität ist die Begrifflichkeit der doppelten Kontingenz: Diese bezeichnet einen selbstreferentiellen Zirkel, der nur dadurch entsteht, dass sich A am Verhalten von B auszurichten versucht, während B sein Verhalten an das Verhalten von A anschließen möchte. Dieser Zirkel ist in rudimentärer Form eine neue Einheit, die auf keines der beteiligten Systeme zurückgeführt werden kann. Das zirkuläre Fragen sieht sich als operative Umsetzung dieser Überlegungen Luhmanns zur doppelten Kontingenz, stellt deshalb die beobachteten Phänomene in den Kontext von Beziehungen und versucht, sie als Produkt der zwischen den beteiligten Parteien sattfindenden Interaktionen darzustellen.
 

Ein Beispiel mag die Tragweite eines zirkulären Verständnisses von Interaktionen verdeutlichen:

Mitarbeiter (A), stellvertretender Leiter eines Projektteams, fühlt sich von einem Kollegen (B) übergangen und nicht ernst genommen, weil B mit internen Kunden Absprachen traf, die auch das Aufgabengebiet von A stark betreffen, ohne ihn vorher oder anschließend zu informieren. Zur Rede gestellt meinte B, dass das keine böse Absicht gewesen, sondern einfach im Alltagsstress untergegangen sei. A mag dies nicht glauben, da es in der Vergangenheit schon öfter vorkam. Er läuft wutentbrannt zu seinem Vorgesetzten und beschwert sich über B.

Ein linear logisches Erklärungsmodell aus Sicht von A wäre nun, dass B dies macht, weil er mit ihm rivalisiert, und sich im Team profilieren will, um A den Rang des stellvertretenden Projektleiters streitig zu machen. Eine zirkuläre Betrachtungsweise könnte so aussehen:

Faktische Historie: A wurde zu Beginn des vorhergehenden Jahres nicht in ein Projektteam zum Thema „Digitalisierung im Vertrieb“ berufen, das aus seiner Sicht mehr Potential hatte als sein aktuelles Projekt. B hingegen war in diesem Team, verließ es aber aus A unbekannten Gründen. Von einem langjährigen Kollegen (C) erfuhr A das Gerücht, dass B wohl oft anderer Meinung war als der Projektleiter und deshalb „gegangen wurde“. B verließ das Projekt hingegen freiwillig und aus völlig anderen Gründen: Er wurde gerade zum zweiten Mal Vater und wollte die Entwicklung seines kleinen Kindes diesmal intensiver miterleben als beim ersten Mal, als er aufgrund regelmäßig absolvierter Zwölf-Stunden-Tage fast nie vor 20 Uhr nach Hause kam. Er hat zudem von einem Kollegen (D) gehört, dass A äußerst misstrauisch gegenüber der Leistung anderer sei und sich immer einmische.

Intrapsychische Gefühle und Konzepte: B selbst ist von sich überzeugt und fragt nur sehr selten nach der Meinung anderer. Zudem fürchtet er, von seinen Vorgesetzten unterschätzt zu werden. A ist sich dagegen oft seiner eigenen Leistung unsicher und sehr auf Anerkennung und Zuwendung anderer angewiesen.

Sofern man Gedankenlesen könnte, könnte die Situation der Beteiligten so aussehen: A vermutet, dass er von „höherer Stelle“ als nicht für größere Projekte geeignet angesehen wird, weil er zu wenig konfliktfähig ist. Seinen Kollegen B hingegen nimmt er als sehr konfliktfähig wahr. Er vermutet nun, dass B denkt, er (A) benötige dessen (B) Hilfe, um das Projekt zu stemmen, was aber aus seiner Sicht nicht stimmt. B wiederum vermutet, dass er von seinem neuen Projektleiter sehr kritisch beobachtet wird, und möchte sein schnelles Reaktionsvermögen und seine Zuverlässigkeit unter Beweis stellen. Seinen Kollegen A nimmt er als sehr in sich ruhend, genau und detailorientiert wahr. Er vermutet, dass A glaubt, er (B) könne nicht alleine und schnell entscheiden, was aber aus seiner Sicht nicht stimmt.
 

Folgende Aspekte sind für das Verstehen von Interaktionssituationen aus einer zirkulären Perspektive entscheidend:

  • Das Verhalten von Menschen wird nicht von dem bestimmt, was andere Leute tatsächlich (über sie) denken, sondern von dem, was sie denken, was die anderen denken. (Simon & Rech-Simon, 1999)
  • Menschliches Verhalten ist stets zirkulär! Wir können gar nicht anders, als ständig (unbewusst) zu reflektieren, wie unser Gegenüber wohl auf unser Verhalten reagieren wird und wie wir dies beurteilen und wiederum darauf reagieren.
  • Unser Erleben und Verhalten ist folglich eine Mischung aus Feedback- und Feedforward-Schleifen. D.h., wir schließen aus den Rückmeldungen früheren Verhaltens und innerer Zustände auf eine vermeintliche Auswirkung unseres Verhaltens auf unser Gegenüber.
  • Dabei ist man überzeugt, meist nur auf den anderen oder die Umstände zu reagieren, während der eigene aktive Anteil an dieser Dynamik nicht gesehen oder bagatellisiert wird. Diese Sicht der Dinge wird auch im Watzlawick‘schen Sinne als Interpunktion der Abläufe gekennzeichnet.
  • Auch Erinnern ist in der Regel ein dynamischer Prozess der sinnhaften Reduzierung zu komplexer Informationen bei gleichzeitiger Tendenz, stimmige Ordnungen zu erfinden.
  • Problemstrukturen sind eng mit sprachlichen „Verkrustungen“ verbunden. Mehrdeutige und vielfältige Situationen werden auf enge und starre Beschreibungen reduziert.

Kompliziertheit vs. Komplexität

Aus einer zirkulären Sicht wird deutlich, dass es müßig ist und wenig bis keinen Sinn gibt, nach „logisch eindeutigen“ Ursachen (oder Schuldigen) für Problemsituationen zu suchen. Das ist auch dem Unterschied zwischen Kompliziertheit und Komplexität geschuldet: Kompliziertheit basiert auf linearem Denken und bedeutet, dass ein Sachverhalt zwar durch extrem viele Variablen und unzählige Verbindungen definiert ist, dass aber mit genügend Zeit, Energie und „Rechenkapazität“ das Problem eindeutig lösbar ist: Die verantwortlichen Ursache-Wirkungs-Relationen sind also irgendwann 1:1 rekonstruierbar und für das Problem „verantwortlich“ zu machen.

Im Sinne Heinz von Foersters könnte man Maschinen und handwerkliche Konstruktionen als „triviale Systeme“ bezeichnen, die durch den Umgang bzw. die Interaktion nicht in ihrem Selbstverständnis bzw. in ihren inneren psychischen Repräsentanzen verändert werden. Anders die Lage bei Komplexität: Der Sachverhalt ist auch bei maximaler „Energie“ nicht eindeutig rekonstruierbar, weil das System per se irgendwann eine Eigendynamik (Emergenz bzw. Autopoesie) entwickelt, die nicht mehr linear nachvollziehbar ist. Ursachenfindung konzentriert sich also auf „Varianz-Aufklärung“ bzw. auf Wahrscheinlichkeiten. Menschen sind somit im Sinne von Foersters nicht-triviale Systeme. D.h., jedes Verhalten der Umwelt ihnen gegenüber verändert ihre inneren Repräsentanzen und Konzepte. 

Was ist nun die Folge? Von Steve de Shazer (2018) stammt die vielfach zitierte Aussage: Die Lösung habe mit dem Problem nichts zu tun. An anderer Stelle in seinem Buch „Der Dreh“ führt er aus, dass Menschen oft bei dem Versuch, ein Problem zu lösen, daran scheitern, dass sie im Innersten an dem Glauben festhalten, dass eine hinreichende Erklärung sowohl möglich als auch unerlässlich ist, um ein Problem wirklich zu lösen. Wir suchen also letztlich nach Erklärungen, da wir glauben, dass eine Lösung ohne Erklärung irrational ist. Das bestreitet de Shazer vehement. Es komme primär darauf an, einen Impuls zu setzen. Warum, wie und wo genau dieser wirkt, spiele dann im Kern keine Rolle. Auf den Unterschied in Perspektiven und daraus resultierendes Verhalten komme es an.

So kann es durchaus sein, dass es bei zwei sich stets streitenden Kollegen hilft, wenn der eine zweimal die Woche eine andere Lesebrille am Computer aufsetzt. Man weiß zwar nicht warum, aber womöglich verhält sich der Kollege dann etwas anders. Ein Unterschied entsteht. Anders ist das bei „trivialen Systemen“: Wenn ein Auto aus Mangel an Treibstoff stehen bleibt, ergibt es wenig Sinn, die Hupe zu reparieren.

Erkenntnistheoretisch interessant ist die These, dass verschiedene Therapien und Beratungsansätze oft vor dem gleichen Problem der Komplexität stehen – und es einfach auf unterschiedlichen Wegen lösen: die Psychoanalyse z.B. durch die Einführung des Unbewussten, Hypnotherapie durch Trance. Was genau Veränderungen – also Unterschiede – bewirkt, kann man nur vermuten. Simon brachte es folgendermaßen auf den Punkt (Simon & Rech-Simon, 1999): Was der Analyse die Traumdeutung ist, sei im Systemischen Ansatz das zirkuläre Fragen. 

Womit unmittelbar die Kernfunktion von zirkulären Fragen adressiert ist: Die wesentliche Aufgabe der zirkulären Fragen liegt darin, unter Berücksichtigung dieser eben beschriebenen Phänomene subjektiv unangemessene lineare Ursache-Wirkungs- bzw. Wenn-dann-Zuschreibungen in der Person aufzuspüren und infrage zu stellen.

Dieses Hinterfragen soll in der Person positive Irritationen erzeugen, um dadurch Raum für neue Sichtweisen zu ermöglichen. Im Sinne von Foersters, der die Maxime prägte, man solle stets so handeln, dass die Anzahl der Wahlmöglichkeiten größer werde, zielt diese Irritation darauf ab, einen eingeengten Raum an Handlungs- und Interpretationsoptionen zu erweitern. Statt herausfinden zu wollen, wer an einem unguten Muster eigentlich Schuld hat, ist es viel sinnvoller und wichtiger, ein Infragestellen der gewöhnlichen Wahrnehmungs-, Bewertungs- und Verhaltensmuster zu ermöglichen. Man will Unterschiede erzeugen, die subjektiv für den Handelnden Unterschiede machen, also bedeutungsvoll sind.

Zirkuläres Fragen dient auch dazu, den Blick dafür zu weiten, dass negativ bewertetes Verhalten anderer Personen niemals unidirektional oder monokausal zu erklären ist: Es basiert vielmehr auf ineinander verwobenen Schleifen von Erwartungen an erwartete Erwartungen bzw. den – wieder mit Erwartungen verbundenen – Reaktionen der anderen Personen. Hieraus entstehen jeweils subjektive Unterscheidungen, die in Beobachtungen und Bewertungen im Sinne von gut/böse, angenehm/unangenehm usw. münden und wiederum in Handlungen und Erwartungen von Handlungen übergehen. 

Zirkuläre Fragen dienen auch dazu, zu prüfen, inwieweit der Gesprächspartner in seinem Systemumfeld veränderte Verhaltensweisen umsetzen kann, die wiederum auf Umwegen veränderte Reaktionen hervorrufen. Zirkuläre Fragen können aber nie die Komplexität einer Situation vollständig aufklären: Es bleibt immer ein Rest Unsicherheit. Ein Ziel zirkulärer Fragen besteht also auch darin, das Gegenüber für die Komplexität zwischenmenschlichen Verhaltens zu sensibilisieren und Mehrdeutigkeiten auszuhalten. Und: Die Person trotz aller Komplexität des Systems dafür zu gewinnen, diese zu ertragen, und sie zu ermutigen, etwas anderes zu versuchen, das einen Unterschied macht.

Übergeordnetes Modell zirkulärer Fragen

Abb.: Übergeordnetes Modell zirkulärer Fragen

Zirkuläres Fragen

Vor dem Hintergrund der Gegenüberstellung von linearen und zirkulären Fragen hat QUESTICON (basierend auf einem Konzept von Karl Tomm, 1994) ein übergeordnetes Modell entwickelt (siehe Abb.). Es stellt zwei Dimensionen von Frageverhalten orthogonal gegenüber: 

Auf der Ebene der Annahmen über Zusammenhänge im System stellt es die Perspektiven zirkulärer und linearer Annahmen gegenüber.

In Bezug auf die Absichten des Fragers (Forschers) polarisiert es die Absichten zwischen Beeinflussung und Orientierung. Somit ergeben sich vier Felder.

Orientierungsabsicht bedeutet, dass der Fragende durch seine Fragen für ihn wesentliche Informationen gewinnen will. Dies ist natürlich in fast allen Problemsituationen angeraten und sinnvoll. Eine nicht zu unterschätzende Gefahr besteht allerdings darin, dass er sein Gegenüber durch die Fragen in dessen Problemperspektive verstärkt. Dies betrifft vor allem ein Vorgehen im linear-kausalen Sinne. Hier treten auch erstmals die Hypothesen des Fragenden in Erscheinung: Welche Annahmen hat er über die Dynamiken des Systems? (Wobei es natürlich auch sein kann, dass manche Problemstellungen mit linearen Ansätzen zu verstehen bzw. zu lösen sind.)

Die Beeinflussungsabsicht thematisiert die bewussten oder unbewussten Absichten des Fragenden, die Reflexion seines Gegenübers in eine bestimmte Richtung zu lenken bzw. diese zu unterstützen. Auch hier spielen seine Hypothesen über die Personen, Beziehungen und Verstrickungen eine Rolle. Wichtig ist an der Stelle anzumerken, dass „Persönlichkeitskonstrukte“, wie sie oftmals in anderen Settings zu finden sind, im systemischen Kontext eine eher untergeordnete Rolle spielen. Es geht weniger darum, wie die Personen sind, sondern vor allem darum, wie sie kommunizieren, welche Bindungen sie über Kommunikation miteinander eingehen und welche Ablehnungsreaktionen sie erzeugen. Richtunggebende Fragen üben hier – ebenso wie provokante Fragen – einen gewissen Druck auf den Gesprächspartner aus. Sie sind im Bereich der systemischen Arbeit zwar auch hin und wieder anzutreffen, aber nicht konstituierendes Merkmal.

Die querliegende Ellipse stellt den „Raum“ dar, in dem typische zirkuläre Fragen zu finden sind. Sowohl zu „investigative“ Problemfragen als auch Fragen mit zu starker Beeinflussungsabsicht sind hier nicht integriert. Dass diese Typen von Fragen gleichwohl in manchen systemischen Settings angebracht sein mögen, sei an anderer Stelle diskutiert und hängt immer vom Setting sowie von der Persönlichkeit des Fragenden ab.
 

Im zweiten Teil dieses Beitrages (Coaching-Magazin 3/2021) werden die im Modell dargestellten Fragetypen anhand konkreter Beispiele illustriert.

Literatur

  • Bateson, G. (1982). Geist und Natur. Frankfurt: Suhrkamp.
  • de Shazer, S. (2018). Der Dreh. Heidelberg: Carl Auer.
  • Kriz, J. (2016). Systemtheorie für Coaches. Wiesbaden: Springer.
  • Luhmann, N. (1998). Die Gesellschaft der Gesellschaft. Frankfurt: Suhrkamp.
  • Patrzek, A. (2016). Systemisches Fragen. 2. Aufl. Wiesbaden: Springer.
  • Simon, F. B. & Rech-Simon, C. (1999). Zirkuläres Fragen. Heidelberg: Carl Auer.
  • Tomm, K. (1994). Fragen des Beobachters. Heidelberg: Carl Auer.

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