Methoden
In Teil 1 dieses Beitrages (Patrzek, 2021) wurde ein erweitertes Modell zirkulärer Fragen dargelegt. Nachfolgend werden Fragetypen vorgestellt, die sich aus diesem Konzept ergeben und – je nach Situation und Anliegen – im Coaching nützlich sein können.
Den Anfang macht die Frage nach Unterschieden, die durch diese Frage entstehen. Dieser Aspekt nimmt im dargestellten Konzept eine zentrale Stellung ein, da sie unmittelbar mit dem zirkulären Ansatz verbunden ist: Die Fragen sind nie Selbstzweck, sondern sollen immer Unterschiede generieren und für Unterschiede sensibilisieren.
Der Grundgedanke ist, dass wir oft in einer Art Problemtrance stecken und die Situation als unveränderbar wahrnehmen. Veränderungen entstehen aber aus dem Bewusstsein, dass andere Gedanken, Gefühle oder Handlungen zu Unterschieden führen, die – auch wenn sie anfangs fast unmerklich klein erscheinen – relevant sind, weil sie einen ersten Auslöseimpuls für weitere Veränderungsschritte darstellen können. Somit kann man diese Frage auch als Zu- bzw. Nachsatz zu allen folgenden Fragetypen einsetzen.
Beispiel: Die eigentliche zirkuläre Frage (hypothetische Frage zur Zukunft) lautet: „Was würde passieren, wenn Ihr Kollege zufriedener mit seiner Aufgabe wäre?“ Mögliche Unterschiedsfragen wären:
Skalierende Fragen werden in vielen Fachbüchern – neben hypothetischen und zirkulären Fragen – als dritte typische Art systemischer Fragen gesehen. Dies ergibt durchaus Sinn. In einem erweiterten Sinne sind sie aber „zirkuläre“ Fragen, da sie den eigenen Bewertungsrahmen der Reflexion zuführen sollen, der ja maßgeblich für die Bewertung anderer Personen ist. Besonders gut sind sie in Verbindung mit Fragen nach Unterschieden einsetzbar. Beispiele:
An der vorletzten (hypothetisch formulierten) Frage ist zu erkennen, dass sich die verschiedenen Fragarten auch oft überlappen. Auch an der letzten Frage, die perspektivisch formuliert ist, wird diese Verzahnung sichtbar.
Auch wenn skalierende Fragen oft in dieser Form gestellt werden (mit einer Reihung von 1 bis 10), gibt es eine große Vielfalt anderer „Skalierungen“:
Unterschiede sind – zumindest wenn sie die eigene Person einbeziehen – per se zirkulär, da sie die eigene und die fremde Position gegenüberstellend vergleichen. Fast jeder Unterschied kann zur näheren Bestimmung auch mit einer Skalierung hinterlegt werden. Beispiele:
Eigenes Erleben und Verhalten basiert – bewusst und unbewusst – auf eigenen Konzepten. Ändern sich die Konzepte, ändern sich das Erleben und das Verhalten. Mit dieser Art von Fragen will man den Gesprächspartner für diesen Zusammenhang sensibilisieren. Beispiele:
Besonders die letzten Fragen verdeutlichen, dass dieser Fragentyp Überschneidungen mit metaphorischen bzw. leicht provokanten und paradoxen Fragen aufweisen kann.
Diese Fragen thematisieren Grundannahmen und zentrale Gedanken der Zirkularität direkt. Oftmals kann man sie auch in Form von kleinen Geschichten darbieten, damit sie nicht zu „schulmeisterlich“ wirken. Ob und wann man sie einsetzt, bedarf natürlich viel Fingerspitzengefühl und Erfahrung. Beispiele:
Die Frage kann lauten: „Ein kluger Kopf hat einmal sinngemäß gesagt, dass Menschen nicht darauf reagieren, was der andere tut, sondern was sie dahinter als Absicht vermuten. Inwieweit spiegelt sich dies in der Interaktion mit B?“ Hieran können sich folgende Fragen anschließen:
Unter Verwendung von Metaphern können Fragen zur Zirkularität bildhaft eingeleitet werden: „Ein Kollege von mir – der gerne segelt – hat dafür einmal ein Bild benutzt: Viele Kommunikationsmuster im Betrieb zwischen Kollegen erinnern an zwei Segler im aufkommenden Sturm, von denen sich jeder ein Stück nach außen lehnt, um das Schiff zu stabilisieren, der andere reagiert darauf, der andere wieder usw. Am Ende sind beide fast maximal nach außen gelehnt, um das Schiff zu stabilisieren, was letztendlich auch gelingt, aber mit sehr viel Kraftaufwand. Man käme zu dem gleichen Ergebnis, wenn beide sich wieder grade hinsetzen. In welchen Momenten haben Sie das Gefühl, dass der Kontakt mit B auch nach diesem Schema abläuft?“ Folgefragen können lauten:
Fragen, bei denen die Außensicht einer oder mehrerer Personen einbezogen wird, werden klassischerweise als zirkulär bezeichnet. Diese Fragen stellen nach wie vor das Herzstück zirkulären Fragens dar und sind in ihrer Bedeutung auch nicht zu überschätzen. Folgende „warnende“ Aspekte sind aber vorauszuschicken:
Fragen wie „Was glauben Sie, wie B das sieht?“ werden allzu leicht dazu benutzt, um gegenüber dem Befragten erzieherisch tätig zu werden. Nach dem Motto: „Das können Sie doch nicht machen! Was soll denn der andere dazu sagen?“ Der Fragende legt dem Befragten die Nicht-Angemessenheit einer Handlung durch die neu eingeführte Sicht einer anderen Person nahe. Dies ist nicht zielführend.
Ideal wäre es, wenn der Fragende keine klare Vorstellung darüber hat, wie der Zirkulär-Integrierte antworten würde. Was unmöglich ist, da wir immer Hypothesen darüber bilden.
Gleichwohl wird hier die Meinung vertreten, dass die zirkuläre Frage umso besser ist, desto weniger eine bestimmte Sichtweise a priori unterstellt wird. Erfahrungsgemäß wirkt sich diese „Vagheit“ auch auf die Stimme des Fragenden aus: Sie wirkt um Nuancen weniger „bestimmend“.
Wenig sinnvoll ist es auch, zu viele zirkuläre Perspektivfragen in dichter Reihenfolge nacheinander einzusetzen. Sie wirken dann oft zu bedrängend und verwirrend. Je komplexer die Frage wird (d.h. zumeist, umso mehr Personen man einbezieht), desto schwieriger ist die Frage für das Gegenüber zu verstehen. „Was meinen Sie, was B sagen würde, was C sagt, wenn man D fragen würde, was E über das Verhalten von F gegenüber G sagen würde?“ Fragen wie diese mögen zwar für das Vorstellungsvermögen des Fragenden sprechen, jedoch sind sie ansonsten bestenfalls ineffektiv.
Auf die Formulierung kommt es an: Es macht einen Unterschied, welche der beiden folgenden Varianten man wählt:
Die zweite Frage klingt subjektiv betrachtet wesentlich „investigativer“. Da zirkulär-perspektivische Fragen per se relativ „dominant“ wirken, empfiehlt es sich generell, deren Formulierung etwas „weicher“ zu gestalten: über die Länge und die Wortwahl. Die besten Erfahrungen machte der Autor mit ganz einfachen umgangssprachlichen Konstruktionen: „Und was meinen Sie, wie er Sie sieht?“
Nun gibt es natürlich – wie bei den anderen Fragen – eine schier unendliche Fülle von Konstruktionsmöglichkeiten. An dieser Stelle sollen einige zentrale aufgeführt und jeweils bestimmten Ansätzen/Kategorien zugeordnet werden.
Fragen zu Sachen/Gegenständen/Konzepten aus der Sicht Dritter:
Fragen zu Personen aus der Sicht Dritter (allgemein und offen):
Fragen zu Personen (allgemein und offen):
Fragen zu Personen aus der Sicht Dritter (verhaltens-/konzeptfokussiert):
Fragen zu Inneren Anteilen der eigenen Person (vgl. Konzept des Inneren Teams nach Schulz von Thun, 2013):
Reziproke Fragen zur Person des Befragten (allgemein):
Reziproke Fragen zur Person des Befragten (bezogen auf Interaktion):
Fragen, die direkt einen Unterschied einführen:
Rekursive Fragen zur Person des Befragten:
Rekursive Fragen zur Person des Befragten aus Sicht des Fragenden:
Reziprok-perspektivische Fragen zur Sicht Dritter:
Natürlich wäre noch eine Vielzahl weiterer Ansätze denkbar. Interessant in diesem Zusammenhang ist der Umgang mit der Antwort bzw. die Wahl der Folgefragen. Die perspektivische Frage stellt nämlich oftmals „nur“ so etwas wie den ersten Türöffner zu neuen Perspektiven und Unterschieden dar. Dabei lassen sich diese Folgeschritte unterscheiden: Fragen nach dem Zustandekommen der Antwort (Hintergründe), nach der Bewertung bzw. dem Unterschied und möglichen Folgen, die einen Unterschied machen. Beispiele für Antwort-Sequenzen …
… bezogen auf die Hintergründe:
… bezogen auf die Bewertung bzw. Unterschiedlichkeit:
… bezogen auf die Folgen:
Abb.: Verhältnis skalierender, zirkulärer und hypothetischer Fragen
Die letzte Frage führt ein Als-ob-Szenario ein. Sie ist also von der Konstruktion her eine hypothetische Frage. An dieser Stelle werden die Ähnlichkeiten zwischen zirkulären und hypothetischen Fragen sichtbar: Zum einen ist die zirkuläre Frage auch eine Form der hypothetischen Frage, da sie die vermuteten – also fiktiven – Antworten dritter Personen fokussiert. Basis ist die Vorstellung. Eine hypothetische Frage ist in diesem Sinne eine dynamische Erweiterung der zirkulären Frage: Sie bringt eine Veränderung, einen Unterschied ein, um dann wiederum die Folgen, die vermutete Fremdsicht – also die Auswirkungen in der imaginierten Interaktion – zu evaluieren. So betrachtet sind hypothetische Fragen als kristallisierte Unterschiedsfragen zu verstehen.
Hypothetische Fragen können unter den verschiedensten Blickwinkeln konstruiert werden. Dies betrifft sowohl …
Hypothetische Fragen eröffnen einen eigenen Kosmos an Möglichkeiten. Sinnvoll erscheint an dieser Stelle eine erste Segmentierung nach den Verbindungen zu perspektivisch-zirkulären Fragen:
Hypothetische Wechselwirkungen:
Hypothetische Prüfung von Auswirkungen:
Hypothetische Dissoziationsverfahren:
Hypothetische Ziel-Weg-Verknüpfung:
Hypothetischer Personen-(Sicht-)Wechsel:
Hypothetische Wunder-Problemlöse-Frage – Wunderfrage als last remedy question:
Anmerkung: Die Wunderfrage wurde ursprünglich von de Shazer eingesetzt, um bei Patienten, die sich als eher veränderungsresistent erweisen, dennoch ein kleines Gefühl für mögliche Veränderungen (also einen Unterschied) zu initiieren (de Shazer, 2018). Es war für ihn also ursprünglich ein Ultima-Ratio-Werkzeug. In der Zwischenzeit wurde es zwar auch von ihm und kompetenten Kollegen häufiger eingesetzt, einer inflationären Verwendung in jedem Gespräch steht der Autor dieses Artikels allerdings eher skeptisch gegenüber.
Als zirkulärer Schlussstein soll an dieser Stelle nochmals das Konzept der Unterschiedlichkeit als zentrales Merkmal des systemischen Fragens neben der Zirkularität hervorgehoben werden: Wie Fritz Simon (Simon & Rech-Simon, 1999) sagt, geht es primär darum, in den Fragen Unterschiede zu finden, die Unterschiede machen, neue Perspektiven eröffnen und Impulse für Veränderungen geben.
Zirkulär-perspektivische Fragen führen eine erste Unterschiedlichkeit ein: die vermutete Perspektive einer anderen Person. Hypothetische Fragen erzeugen eine Unterschiedlichkeit in der Situation, die wiederum zu Unterschiedlichkeit in der vermuteten Fremdwahrnehmung führen kann. Und skalierende Fragen wiederum sind ein zentrales Instrument zur Begreifbar- und Handhabbarmachung der Unterschiede. Sie können am Anfang einer Fragesequenz stehen, immer wieder zwischengeschaltet werden oder als Überleitung zu zirkulären oder hypothetischen Fragen dienen (siehe Abb.). Und sollte es einmal überraschender Weise keine Unterschiedlichkeit zwischen zwei Personen, Situationen oder Konzepten geben, so ist dies auch wieder eine Frage wert.
Im ersten Teil dieses Beitrages (Coaching-Magazin 3/2021) legt Andreas Patrzek ein erweitertes Modell zirkulärer Fragen dar.