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Coaching-Tools

Der Berg der Entwicklung

Ein Coaching-Tool von Pavlos Sidiropoulos und Corinna Thumm

11 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 4 | 2020 am 18.11.2020

Kurzbeschreibung

Der Berg der Entwicklung unterstützt Einzelpersonen und Teams bei der Definition, Visualisierung und Reflexion ihrer beruflichen Ziele und der Kompetenzentwicklung, die für die Zielerreichung notwendig ist. Bei Einzelpersonen werden Individualziele im Rahmen des eigenen Entwicklungsplans beschrieben und zukünftige Rollen des Klienten mit den hierfür notwendigen Kompetenzen abgeglichen. Bei Teams werden Kollektivziele formuliert und an den Kompetenzen der Gruppe gespiegelt.

Anwendungsbereiche

Der Berg der Entwicklung ist im Einzel- und Gruppen-Coaching anwendbar. Der Berg kann je nach gewünschtem Detaillierungsgrad sowohl als Instrument einer einzelnen Coaching-Sitzung als auch für mehrere aufeinanderfolgende Sitzungen genutzt werden. Im Coaching-Prozess ist der Berg der Entwicklung insbesondere zur Definition von Veränderungsoptionen und der Gestaltung eines Handlungsplans hilfreich. Eine wertvolle Unterstützung bietet das Tool vor allem in der Konkretisierung von Zielen sowie zur Reflexion und Definition von hiermit verbundenen Weiterentwicklungsmaßnahmen – auf Einzelpersonen- und Teamebene.

Effekte

Einzelperson: Mit Hilfe des Bergs der Entwicklung kann der Klient mehrere aufeinanderfolgende Entwicklungsziele formulieren und einen für sich konsistenten Entwicklungsplan visualisieren. Neben der Definition von zukünftigen Entwicklungszielen werden durch das Tool gleichzeitig die notwendigen Kompetenzen für die Zielerreichung erfasst – Ziel ist, dass sich für den Klienten ein ganzheitlicher Handlungsplan eröffnet.

Team: Der Berg der Entwicklung soll Teams dabei unterstützen, sowohl kurz-, mittel- und langfristige Ziele zu visualisieren. Parallel zu jedem definierten Ziel werden Kompetenzanforderungen gespiegelt, die für die Erreichung der Teamziele als notwendig identifiziert werden. Im Stil einer Ist-/Soll-Analyse wird mit Hilfe des Tools der Entwicklungsplan durch das Team gemeinsam transparent erarbeitet und dargestellt.

Ausführliche Beschreibung

Viele Klienten stellen sich im Laufe eines Entwicklungs-Coachings die Frage nach konkreten beruflichen Veränderungsoptionen. Hierbei besteht oftmals ein Verlangen sowohl nach der Erarbeitung des nächsten Entwicklungsschrittes als auch der möglichen darauffolgenden Entwicklungsschritte (im Sinne des nächsten und übernächsten Schrittes). Wie positioniere ich mich langfristig im Unternehmen, wenn ich diesen Schritt gehe? Dies ist eine Frage, die sich Klienten stellen. Darüber hinaus gibt es Klienten, die ein bereits definiertes langfristiges Berufs- und Lebensziel anstreben, während der Weg zu diesem Ziel allerdings noch unklar ist. Ich möchte in meinem Leben eine hohe Verantwortung übernehmen und strebe beruflich zu einem Zeitpunkt X eine Bereichsleitung an. Was muss ich dafür tun? Aus dieser beispielhaften Botschaft und Frage ergeben sich viele weitere Fragen, bei denen der Coach mit Hilfe des Bergs der Entwicklung den Klienten in seiner Selbstreflexion und bei der Visualisierung seines Entwicklungsplans unterstützen kann.

Auch Teams in Unternehmen verfolgen im Kollektiv Ziele, deren Erreichung zum Team- und Geschäftserfolg beitragen soll. Neben kurzfristigen operativen Zielsetzungen ist die Reflexion und Beschreibung von mittel- und langfristigen Zielen, gar einer Vision, für die Teamentwicklung unabdingbar. So beschreiben auch Jenewein und Heidbrink (2008) die Entstehung einer langfristigen Vision als eines von fünf elementaren Erfolgsprinzipien für High-Performance-Teams. Viele Gruppen-Coachings finden statt, da sich Teams über ihre kurzfristigen und/oder langfristigen Ziele nicht bewusst sind. Der Berg der Entwicklung unterstützt das Team durch eine systematische Vorgehensweise. Das Team erarbeitet mit Hilfe des Coachs ein eigenes Entwicklungszielbild, das sowohl dem Kollektiv als auch jedem Individuum Aufschluss über zukünftige Entwicklungsmöglichkeiten gibt.

Berg der Entwicklung

Abb.: Berg der Entwicklung © Foto: Galyna Andrushko/Shutterstock.com

Vorbereitung auf den „Aufstieg“

Der einzelne Klient oder das Team stellen bei der Anwendung des Tools im übertragenen Sinne einen Bergsteiger dar (siehe Abb.). Bevor ein Bergsteiger mit seinem Aufstieg startet, bedarf es im Realen einer mentalen und körperlichen Vorbereitung. Profis planen mehrere Monate ein, um für die Gipfeltour fit zu sein. Wie bei einem Bergsteiger, bedarf es auch bei Klienten und Teams einer guten Vorbereitung in Form einer umfangreichen Bestandsaufnahme. Der Klient im Einzel-Coaching soll sich hierfür selbst reflektieren und durch gezielte Fragestellungen des Coachs unterstützt werden:

  • Wo befinden Sie sich aktuell auf Ihrem Weg der Entwicklung?
  • Haben Sie bereits Entwicklungsziele für sich definiert?
  • Welche persönlichen Stärken haben Ihre Entwicklung bisher gefördert?
  • Gibt es Potentiale, an denen Sie aktuell im Zuge Ihrer Entwicklung arbeiten?
  • Haben Sie Feedback von Ihrer Führungskraft und/oder Ihren Kollegen zu Ihrem Weiterentwicklungspotential erhalten? Wie hat sich das für Sie angefühlt?

Sowohl der Klient als auch der Coach erhalten durch die Fragen ein klareres Bild über die Ist-Situation, was für die Erarbeitung von zukünftigen Entwicklungsschritten und -zielen notwendig ist. Für ein Gruppen-Coaching und eine kollektive Situationsanalyse eignet sich das GRIP-Modell (Gasche, 2018) als Vorbereitung auf den „Team-Aufstieg“. Angeleitet durch die vier Faktoren G (Goals), R (Roles), I (Interactions) und P (Processes) stellt der Coach dem Team Fragen, um vorhandene Strukturen, personelle Konstellationen und Informationsflüsse zu reflektieren:

  • Gibt es bereits Teamziele die definiert wurden? Gibt es eine Einigkeit oder Diskussionsbedarf zu diesen Zielen? (Goals)
  • Gibt es eine Hierarchie im Team? Wer hat welche Rolle und Verantwortung? (Roles)
  • Auf welchen Werten basiert die Zusammenarbeit im Team? Besteht ein professioneller und achtsamer Umgang miteinander? (Interactions)
  • Welche standardisierten Arbeitsprozesse existieren im Team? Gibt es gemeinsam festgelegte Verfahren der Kommunikation, Erfolgskontrolle etc.? (Processes)

Diese Vorbereitung ist für die nachfolgende Definition von anspruchsvollen und realisierbaren Teamzielen ausschlaggebend. Sofern keine Klarheit über die aufgeführten Fragestellungen besteht, fehlt die Basis für den erfolgreichen „Team-Aufstieg“. Dies ist vergleichbar mit einem Bergsteiger, der ohne mentales und körperliches Training – ohne ein Know-how und einen klaren Plan – den Berg erklimmen möchte: Das Risiko des Scheiterns und Abbruchs ist hoch.

Der schrittweise „Aufstieg“

Je höher der Berg, desto länger ist die Zeit, die ein Bergsteiger in der Regel für sein Ziel einplanen muss. Die meisten Bergrouten erfordern mehrere Tage zum Gipfel. Zur Unterstützung werden Camps in unterschiedlicher Höhe eingerichtet, die Etappenziele darstellen und Bergsteigern für den weiteren Aufstieg Unterstützung durch Übernachtungs- und Lebensmittelversorgung anbieten. Ähnlich verläuft die Entwicklung von Klienten im Einzel- und Team-Coaching: Entwicklung ist ein kontinuierlicher Weg, der schrittweise erfolgt und einen längeren Zeitraum in Anspruch nimmt. Daher stellen die Camps (siehe Abb.) die Entwicklungsziele des Klienten (Einzel-Coaching) oder des Teams (Gruppen-Coaching) dar. Das Erreichen jedes Camps erfordert Kompetenzen und eine hiermit korrelierende Entwicklung, weshalb konkrete Kompetenzanforderungen pro Ziel beschrieben werden müssen. Der Coach kann mit Fragestellungen die Reflexion der Klienten im Hinblick auf die kurz-, mittel-, langfristigen Ziele und die hierfür erforderlichen Kompetenzen fördern. Die Fragen sind zwischen Einzel- und Gruppen-Coachings in den jeweils immanenten Settings zu differenzieren.

Einzel-Coaching:

  • Welches Ziel (Camp) streben Sie als nächstes an?
  • Welche Selbst-, Sozial-, Methoden-, Fachkompetenzen sind für die Erreichung dieses Ziels notwendig?
  • Wie möchten Sie dieses Ziel erreichen? Wo befinden sich möglicherweise größere Hürden?
  • Gibt es Kompetenzen, auf die Sie für die Zielerreichung aufbauen können?
  • Welches Ziel würde für Sie aus heutiger Sicht auf dem Berggipfel stehen? Wie viele Camps brauchen Sie zur Erreichung des Gipfels?
  • Wie passt Ihr langfristiges Ziel mit dem kurzfristigen Ziel zusammen? Welche Verbindungen ergeben sich aus „Camp 1“ und „Camp X“ (siehe Abb.)?

Gruppen-Coaching:

  • Welches nächste Ziel (Camp) strebt das Team an? Gibt es Teamaufträge und -erwartungen seitens des Managements?
  • Welche Selbst-, Sozial-, Methoden-, Fachkompetenzen sind für die Erreichung dieses Teamziels notwendig?
  • Wie möchten Sie dieses Ziel erreichen? Wo befinden sich möglicherweise größere Hürden?
  • Gibt es Kompetenzen, auf die das Team für die Zielerreichung aufbauen kann? Wer hat im Team welche Kompetenzen?
  • Welchen Einfluss haben die zukünftigen Ziele auf aktuell definierte Rollenzuteilungen, die Regeln der Zusammenarbeit und angewendete Prozesse?
  • Welches Ziel würde aus heutiger Teamsicht auf dem Berggipfel stehen? Gibt es eine Teamvision?
  • Wie passt die Teamvision mit den kurzfristig und mittelfristig definierten Zielen zusammen? Welche Verbindungen ergeben sich aus „Camp 1“ und „Camp X“ (siehe Abb.)?

Parallel zur Definition des individuellen Entwicklungsplans – der im Tool letztlich die individuelle Bergroute der Klienten darstellt – ist ein Zeitstrahl vorgesehen (siehe Abb.). Dieser soll es Klienten ermöglichen, individuelle Zielsetzungen zeitverbindlich einzuschätzen, zu planen und zu reflektieren. Der Coach kann mit Hilfe des Zeitstrahls sowohl im Einzel- als auch im Gruppen-Coaching Fragen stellen, die zu einer möglichst realisierbaren Einschätzung führen:

  • Wann soll das definierte Ziel (Camp) erreicht werden?
  • Kann die erforderliche Kompetenzentwicklung in dieser Zeit erfolgen?
  • Welchen Einfluss hat der definierte Zeitplan auf das direkte Umfeld?
  • Gibt es Chancen und Risiken, die zu einer Beschleunigung oder Verzögerung der Zielerreichung führen können?

Entwicklungscamps

Camps stellen für Bergsteiger unverzichtbare Etappenziele dar, ohne die das Erreichen des Gipfels in der Regel nicht möglich ist. Im Tool können die Camps von den Klienten neben der Definition von Entwicklungszielen auch als „Entwicklungscamps“ genutzt werden, um sich einer erneuten Bestandsaufnahme zu unterziehen und die War- (Vergangenheit), Ist- (Heute) und Soll- (Zukunft) Situation ihrer Entwicklung zu reflektieren. Bei Erreichen eines neuen Camps, kann der Coach bei Bedarf wieder hinzugezogen werden, um die Klienten bei der Reflexion ihrer Entwicklung zu unterstützen. Hierbei können wertvolle Justierungen in Bezug auf den in der Vergangenheit definierten Entwicklungsplan entstehen oder das Bisherige bestätigt werden, was bei den Klienten eine höhere Selbstsicherheit für den weiteren „Aufstieg“ erzeugt. Entwicklungscamps können durch gezielte Fragestellungen im Einzel- und Gruppen-Coaching vom Coach begleitet werden.

  • Inwieweit konnte der definierte Entwicklungsplan bisher realisiert werden? Gab es unerwartete Ereignisse? (Analyse War-Situation / Retrospektive)
  • Wo befinden Sie sich bzw. wo befindet sich das Team aktuell auf dem Berg der Entwicklung? Wie zufrieden sind Sie bzw. die Team-Mitglieder mit der aktuellen Position und Kompetenzentwicklung? (Analyse Ist-Situation)
  • Hat sich an Ihren bisherigen Zielsetzungen bzw. jenen des Teams etwas verändert? Möchten Sie bzw. möchte das Team das nächste Camp woanders aufschlagen? Gibt es neue Kompetenzen, die Sie bzw. die Team-Mitglieder entwickeln möchten? (Analyse Soll-Situation)

Voraussetzungen

Der Berg der Entwicklung ist ein Tool, welches für die Erarbeitung und Visualisierung eines Entwicklungsplans für Einzelpersonen und Gruppen im Business-Coaching angewendet wird. Die Voraussetzung für den erfolgreichen Einsatz des Tools ist, dass die Systematik und die einzelnen metaphorischen Symbole und Parallelen zum Bergsteigen verstanden und vom Coach begleitet werden. Das Ziel ist der Gipfel – die Dauer der Vorbereitung für den Aufstieg und des schrittweisen Annäherns mittels der Camps bestimmen die Klienten selbst. Die Anwendung des Tools im Einzel- und Gruppen-Coaching ist von der allgemeinen Vorgehensweise konsistent, allerdings muss sich der Coach auf die unterschiedlichen Kontexte vorbereiten und darauf eingehen. Im Gruppen-Coaching wird beispielsweise der Grad der Selbstbestimmung jedes Einzelnen immer durch das Kollektiv beeinflusst, was vom Coach beachtet werden muss.

Persönliche Hinweise

Klienten, die sich in der Vergangenheit schon einmal mit ihrer Entwicklung beschäftigt haben, können sich in der Regel sehr schnell in das Tool, dessen Methodik, Möglichkeiten und Inhalte einfinden. Die Entwicklungsplanung ist in vielen Einzel- und Gruppen-Coachings ein elementares Interessen- und Handlungsfeld. Im Einzel-Coaching geht es oftmals um eine verantwortungsvollere oder attraktivere Rolle, Position und Aufgabe oder darum, die eigene Beschäftigungs- und Leistungsfähigkeit zu erhalten. Im Gruppen-Coaching geht es häufig um ein gemeinsames Entwicklungsverständnis im Team und eine einvernehmliche Zieldefinition, die die Leistungsfähigkeit des Kollektivs stärkt. Die Visualisierungsmöglichkeit über einen Berg – den es zu erklimmen gilt – erzeugt eine methodische Vereinfachung, die Klienten einen klaren und konsistenten Entwicklungsplan ermöglichen soll.

Technische Hinweise

Das Tool lebt von der grafischen Darstellung des individuellen Bergs der Entwicklung. Daher sind entsprechende Visualisierungsmaterialien erforderlich. Es können ein vorgezeichnetes Flipchartpapier oder vorgefertigte Symbole zum Anheften genutzt werden. Ein Flipchart oder eine Metaplantafel und ein Moderationskoffer, die den variablen Tooleinsatz ermöglichen, sind empfehlenswert Technische Hinweise. Bei Gruppen-Coachings ist die Erfahrung des Coachs im Umgang mit Teamworkshops förderlich.

Literatur

  • Jenewein, Wolfgang & Heidbrink, Marcus (2008). High-Performance-Teams. Stuttgart: Schäffer-Poeschel.
  • Gasche, Ralf (2018). So geht Führung! Wiesbaden: Springer.

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