Mein Bildungsweg ist wirklich ein bisschen „anders“. Ich bin eigentlich Bankkaufmann, habe eine richtige Sparkassenlehre in Heidelberg gemacht und wollte danach in die Kreditabteilung. Das ging dort aber nicht, weshalb ich ins Kreditreferat der Dresdener Bank nach Ludwigshafen gewechselt habe. Eigentlich fand ich das ganz interessant, aber ich brauchte schon seit jeher Abwechslung und Herausforderung, weshalb ich nach ungefähr einem Jahr im Kreditreferat mehr und etwas anderes machen wollte, als ständig Akten zu bearbeiten und Gespräche zu führen.
Eines Tages stieß ich auf eine Stellenanzeige von IBM. Die Schlagworte „Datenverarbeitung“ und „Zukunftstechnologie“ fand ich spannend. Zu dieser Zeit, vor dem Internet und vor dem PC, nutzen große Firmen Lochkarten, um z.B. Gehaltsabrechnung zu machen. IBM hat diese Lochkarten in großen Rechenzentren verarbeitet. Das alles hat mich derart interessiert, dass ich als Operator anheuerte. Allerdings war das eine ziemlich anstrengende Arbeit wegen des Schichtbetriebs.
Zwar ging es nach einer Weile, aber nach anderthalb Jahren merkte ich abermals, dass auch das irgendwie eine Sackgasse ist, weil ich hier nicht weiter komme: Ich konnte irgendwann Ober-Operator werden, aber die Konkurrenz war riesig und in die Programmierung kam man nur mit Abitur.
Zufälliger Weise hat meine damalige Frau in einer Werbeagentur gearbeitet und gemeint: „Mensch, die Texter bei uns, die trinken den ganzen Tag Kaffee und denken sich flotte Sprüche aus – das kannst du doch auch!“ Das stimmte eigentlich, weshalb ich kurzerhand eine Bewerbungsmappe, versehen mit fiktiven Werbeanzeigen, gebastelt habe und ganz unverblümt in eine Werbeagentur in Frankfurt gegangen bin und gesagt habe: „Ich wäre gerne Texter, was meinen Sie dazu?“
Das muss wohl Eindruck gemacht haben, denn die haben mich gleich eingestellt – ich war also plötzlich Werbetexter! Nicht lange danach habe ich mich in meinem neuen Beruf selbstständig gemacht, hatte eigene Kunden und es war wirklich eine sehr schöne Zeit … wie gesagt: Kaffeetrinken, sich Sprüche ausdenken und Texte schreiben.
Allerdings kam dann 1972 eine Rezession und mir brachen die Kunden weg, sodass ich mich nochmals umorientieren musste. Und dann bin ich da gelandet, wo viele landen, die hoffen, mit wenig Arbeit viel Geld zu verdienen, nämlich in der Finanzdienstleistungsbranche: Ich habe als Vermögensberater angeheuert und war sehr erfolgreich, habe sehr viel Geld verdient.
Da ich erst 24 Jahre alt war, wollte ich wissen, wie das Ganze denn weiterliefe, wie meine Zukunft in diesem Beruf aussehen würde? Aufgrund meines Erfolgs riet man mir, Leute einzustellen und zu trainieren, um dann an den Provisionen, die diese Leute mir abgeben müssten, gut zu verdienen. Wahrscheinlich hätte ich das gekonnt, aber je mehr ich darüber nachdachte, desto absurder erschien mir die Vorstellung, den Rest meines Lebens mit Lebensversicherungen zu verbringen. Das war mir schlicht zu wenig.
Es gibt das Vorurteil gegenüber Psychologen, dass sie selber einen an der Klatsche haben und deswegen überhaupt Psychologie studieren. Da mag schon was dran sein … Jedenfalls wollte ich mich selbst besser verstehen, wollte die Menschen besser verstehen.
Allerdings war das mit dem Studium bei mir ein Problem, denn ich hatte kein Abitur. Also legte ich einen weiteren krummen und mühevollen, zweieinhalb Jahre währenden „Umweg“ über ein Tages-Kolleg in Nürnberg ein. Aber das Leben als Versicherungsvertreter mit zwei bis drei Stunden Arbeit am Tag war sehr viel einfacher als das Pauken der höheren Mathematik, die mir so gar nicht lag. Aber ich hatte ja ein bestimmtes Ziel vor Augen.
Nun war mein Notenschnitt im Abitur aber nicht so gut, dass es für den Numerus Clausus gereicht hätte, sodass klar war, dass ich Wartesemester einschieben muss. Da mir mittlerweile das Bafög ausgelaufen war, das Geld zur Neige ging und ich zudem etwas Sinnvolles mit meiner Wartezeit anfangen wollte, bin ich nach Israel gegangen, weil ich gelesen habe, dass die dort für ihren Kibbuz immer Arbeitskräfte suchen …
Es ist im Grunde wie eine große WG. Alle tun ihr Geld zusammen und jeder kriegt ein Taschengeld. Da waren auch Universitätsprofessoren, die in Haifa oder Tel Aviv arbeiteten und im Kibbuz mit ihren Familien lebten. Es war eine tolle Zeit: Es herrschte eine lockere Atmosphäre, die Volunteers kamen aus aller Herren Länder und es gab jede Menge zu tun. Ich habe sicherlich Millionen Grapefruits gepflückt, habe Hühner geschlachtet, Häuser gebaut. Es ging morgens um sieben los und um 14 Uhr war Schluss, wegen der Hitze. Der Rest des Tages war frei und so habe ich das ganze Land erkundet.
Zu dieser Zeit war die Sicherheitslage deutlich entspannter als heute. Wobei ich sagen muss, dass das Leben im ersten Kibbuz, in Nazareth, schwierig war, weil viele Bewohner Holocaustüberlebende waren, weshalb die Deutschen z.B. an einem separaten Tisch essen mussten. Das habe ich aber nicht persönlich genommen. Nach einem halben Jahr bin ich in einen Kibbuz im Negev, wo mehr amerikanische Juden lebten, weshalb das Ganze wie Kalifornien wirkte: Wetter, Swimming-Pool, Theater usw.
Nur die Wenigsten wissen schon mit zwölf oder mit sechzehn: Ich werde mal Rechtsanwalt, Arzt oder was auch immer. Ich wusste es einfach nicht, ich suchte und probierte deshalb vieles aus und merkte, ich bin für vieles geeignet. Mit 25 Jahren wusste ich dann, ich kann nicht schon wieder irgendeinen Beruf anfangen. Was will ich wirklich?
Und da tauchte das mit der Psychologie auf. Ich hatte schon vorher viel zum Fach gelesen und es bestand schlicht sehr großes Interesse an dieser Welt der Psychologie. Wobei ich ehrlicher Weise einräumen muss, dass ich auch Kunst studieren wollte. Ich habe immer viel gezeichnet und mich für Bildhauerei interessiert. Als ich auf dem Kolleg war, wollte ich auch eher Künstler als Psychologe werden. Henry Moore und Alfred Hrdlicka – zwei berühmte Bildhauer – waren meine großen Vorbilder. Als ich ihre Ausstellungen besuchte, hatte ich aber einen klaren Moment: Selbst wenn ich als Künstler sehr gut werden würde, wer weiß, ob ich davon leben könnte?
Diese Einsicht gab mir den letzten Schubs in Richtung Psychologie. Denn hier war mir klar: Leute mit Problemen gibt es immer, da habe ich bestimmt immer genug zu tun. Eine sehr weise Entscheidung im Nachhinein. Allerdings war der Studienbeginn in Heidelberg mit einer enormen Ernüchterung verbunden.
Ich fiel in den ersten sechs Wochen mehr oder weniger in eine Depression. Ich freute mich so sehr und glaubte, jetzt fängt endlich das an, was mich interessiert: Freud, Jung, Adler. Die hatte ich vorher gelesen und dachte, endlich kann ich fundiert studieren und mit anderen darüber diskutieren. Als ich das Vorlesungsverzeichnis gelesen habe, traf mich der Schlag: Methodenlehre, Statistik, Faktorenanalyse … alles Mathematik, von der ich dachte, ich hätte sie im Abitur das letzte Mal in meinem Leben gemacht, und die schon damals mein schwächstes Fach war. Und dann war da überhaupt nichts von Psychoanalyse und dergleichen, sondern Verhaltenstherapie und wie bringt man Tauben Tischtennis bei und solche Sachen. Ich dachte, um Gottes Willen, jetzt habe ich dreieinhalb Jahre darauf gewartet und jetzt kommen die mit so einem … nun ja.
Aber ich sah es dann irgendwann pragmatisch: Ich ziehe das durch, ich brauche hier ohnehin nur den Schein und auf dem ist die Note auch nicht so wichtig, wenn ich später das Diplom habe und in eigener Praxis arbeite. Also habe ich dann auch nur die Prüfungsliteratur gelesen und nur die Pflichtveranstaltungen besucht und mich selbstständig in dem weitergebildet, was ich an Psychologie interessant fand. D.h., ich bin sofort in eine Selbsterfahrungsgruppe gegangen und habe eine erste therapeutische Ausbildung – das war Transaktionsanalyse – absolviert.
Es folgten sehr viele weitere studienbegleitende Ausbildungen und Workshops, die mir sehr viel mehr vermittelten, als das praxisfremde Studium.
Während des Studiums habe ich praktisch drei Psychotherapieausbildungen gemacht, ich hatte ja die Zeit. Ich habe Persönlichkeiten wie Gunther Schmidt und Bernhard Trenkle kennengelernt, die beiden führenden Milton-Erickson-Schüler damals. Sie waren meine Kommilitonen und veranstalteten Workshops mit amerikanischen Erickson-Schülern, an denen ich auch intensiv teilnahm. So hatten wir fantastische Lehrer, die ihr Wissen sozusagen aus erster Hand hatten und die heute einen großen Namen haben.
Ich habe auch Hypnotherapie kennengelernt und war auch recht geschickt darin, habe aber gemerkt, dass sie für mich zu einseitig ist: Ich rede und der andere ist in Trance und erlebt bestimmte Dinge, das war mir zu eintönig. Dann bin ich Ron Kurtz begegnet, dem Gründer der HAKOMI Methode – Heidelberg war damals ein ziemliches Therapienest! Und während des ersten Workshops mit ihm war mir klar: Genau so will ich arbeiten. Da aber eine solche Ausbildung nur in den USA angeboten wurde, hatte ich ein Problem.
Zufälliger Weise wollte aber der damalige Assistent von Kurtz, Halko Weiss, zurück nach Heidelberg ziehen – wie gesagt, Therapienest – und da habe ich ihm vorgeschlagen, dass ich eine Ausbildungsgruppe organisiere und er das Training abhält. So entstand die erste HAKOMI Ausbildung in Deutschland, zwar noch etwas rudimentär, aber dennoch sehr gut. Das ist dann immer weiter gewachsen und irgendwann haben wir ein Institut gegründet, in dem ich auch als Lehrtrainer tätig war, insgesamt 22 Jahre lang. Hakomi hat meinen Coaching-Stil sehr geprägt.
Ron Kurtz war sehr charismatisch und einfach ein therapeutisches Genie, ähnlich wie Milton Erickson. Zu meiner Studienzeit Anfang der 80er Jahre lautete eigentlich der Mainstream bei der Arbeit mit Menschen: Die Leute wollen sich nicht ändern, er herrscht Widerstand dagegen. Diesen Widerstand muss man durchbrechen. Ron Kurtz aber sagte, das ist Quatsch, Widerstände kann man nicht brechen und wenn, dann ist der Preis zu hoch. Wir brauchen etwas ganz anderes, einen ganz anderen Ansatz und das bedeutet: Wir brauchen Mindfulness, wir brauchen Achtsamkeit. Wir müssen unsere Klienten lehren, wie sie ihr System organisieren.
Wenn jemand z.B. Angst davor hat, im Fahrstuhl zu fahren, weil er fürchtet, zu ersticken, dann kann man natürlich eine Psychotherapie machen, dem verhaltenstherapeutisch begegnen. Die andere Möglichkeit ist, zu schauen, wie diese Person ihre Angst entwickelt, und hierfür braucht es Achtsamkeit. So kann man das Alltagsbewusstsein überwinden und dieser Angst nachspüren.
Das war damals natürlich revolutionär, kaum ein Mensch hat so gearbeitet. Bei der Fahrstuhlangst kann es dann so ablaufen: Ich stelle mir vor, ich stehe im Aufzug und da kommt ein Gedanke, weil ich kürzlich einen Artikel über jemanden gelesen habe, der im Aufzug steckenblieb, der Notruf nicht funktionierte und er erst nach zwei Tagen völlig dehydriert gefunden wurde. Hier merkt man: So macht sich derjenige Angst über Gedanken. Auf diese Gedanken folgen dann Gefühle und irgendwann stellt sich die Verhaltensweise ein, nicht Aufzug zu fahren. Aber da Ängste die Tendenz haben, sich zu generalisieren, kann es sein, dass sie sich ausbreitet und man plötzlich Angstzustände im Auto oder Kaufhaus erlebt.
Auf das Coaching bezogen heißt das, dass hinter den sichtbaren Problemen die Strategien bzw. Verhaltensweisen stecken, die jemand einmal entwickelt hat, um eine bestimmte schwierige Situation zu lösen. Manchmal steckt man dann in dieser Strategie fest. Diese Strategien sind übrigens immer um innere Konflikte herum organisiert und es gilt, diese inneren Konflikte zu identifizieren. Dazu braucht man die Achtsamkeit, weil kaum jemand sich bewusst ist, warum er auf diese Weise handelt. Oft heißt es: „Ich weiß, dass es blöd ist, aber ich kann halt nicht anders!“.
Sagen wir, ein Klient hat Redeangst. Das haben meistens die fachlich guten Leute. Wenn man ihn fragt, ob jemals etwas passiert sei bei seiner Rede oder seinem Auftritt, dann heißt es: „Ne, lief alles immer bestens. Aber wenn ich eine Rede halte, kann ich zwei Tage vorher schon nicht gut schlafen.“ Er weiß sich keinen Rat, hat schon zwei Rhetorik-Trainings besucht, gute Tipps umgesetzt, wie sich das Publikum in Unterhosen vorstellen, sich dominant hinstellen oder sich jemanden im Publikum heraussuchen, der einem immer freundlich zunickt. Sobald er aber die Bühne betritt, passiert „irgendetwas“ mit ihm und er vergisst alle Tricks und guten Vorsätze.
Oftmals liegt der Redeangst ein innerer Konflikt zugrunde, doch den erfahre ich nicht vom Klienten, wenn ich schlicht frage, „Was haben Sie da für einen inneren Konflikt?“. Also versuche ich, behutsam herauszufinden, um welchen Konflikt es sich handelt. Denn nicht selten haben Menschen mit Redeangst das Gefühl, sie müssten etwas beweisen, z.B. dass sie andere mitreißen können, dass sie gut sind in ihrem Fach. Wenn der Klient nun sagt, „Vor einer Rede habe ich immer das Gefühl, mich beweisen zu müssen“, dann höre ich sehr intensiv zu und es wird klar: Wir sind auf dem Weg zum inneren Konflikt, jemand muss hier jemandem – aber nicht dem Publikum – beweisen, dass er was kann.
Jetzt kommt mein therapeutischer Hintergrund zum Tragen und ich weiß, dass die Herkunftsfamilie einen entscheidenden Beitrag zur Entwicklung der Persönlichkeit leistet und hier sehr viele Konflikte ihren Ursprung haben. Es geht also oft um das Verhältnis zu den Eltern, die Stellung innerhalb der Geschwisterreihe usw., all das prägt unsere inneren Landkarten. Kam es hier zu Konflikten, so hat man Strategien des Umgangs damit entwickelt und kommt man irgendwann in vermeintlich ähnliche Situationen, so kann diese antrainierte Strategie jetzt plötzlich in eine Sackgasse führen. Dann gilt es anhand von Hypothesen tiefer zu graben.
Hakomi arbeitet viel mit Hypothesen, auch bezüglich innerer Konflikte. Da an die Redeangst, wie gesagt, oft das Gefühl gebunden ist, sich beweisen zu müssen, liegt es nahe, den Ursprung in der fehlenden Anerkennung durch den Vater zu suchen – das würde ich jetzt aufgrund meiner Kenntnis und Erfahrung als Hypothese aufstellen. Aber es bringt nichts, dem Klienten direkt zu sagen: „Sie wollen immer noch Ihrem Vater etwas beweisen.“ Das ist lediglich meine Hypothese, an die ich mich gemeinsam mit dem Klienten emotional heran arbeiten muss, sodass er die Zusammenhänge versteht.
Ich platziere dann z.B. einen Stuhl vor den Klienten, der sich vorstellt, sein Vater säße darin. Dann geht der Klient achtsam in sich und versucht der Frage „Was passiert jetzt in mir?“ nachzugehen. Meist reagiert der Klient entweder körperlich, z.B. in Form eines Drucks im Magen oder emotional, z.B. in Form von Ärger oder Unsicherheit, und immer kommen Gedanken oder Erinnerungen hoch. Das sind ganz wichtige Informationen, die man mittels Achtsamkeit erhält und mit denen ich die Hypothese überprüfen kann.
Es kann dann so weitergehen, dass ich den Klienten bitte, dem imaginierten Vater vor sich zu sagen: „Ich will dir immer noch beweisen, dass du stolz auf mich sein kannst.“ Ist meine Hypothese richtig, so folgt auf diesen Satz meist eine starke emotionale Reaktion und zwar binnen weniger Sekunden – hierauf muss der Klient besonders achten. Das Unterbewusste reagiert nämlich sofort, der Konflikt wird umgehend aktualisiert. Der Klient ist dann z.B. völlig erschüttert und meint, er könne diesen Satz auf gar keinen Fall sagen, das gehe nicht! Er merkt also, hier stimmt was nicht, hier tut es weh. Wir sprechen dann über das soeben Erlebte, ordnen es ein, der Klient spricht beispielsweise über den großen Schock, den er verspürte, als er den Satz hörte, wobei sein zweiter Gedanke war, dass das im Grunde stimme, dass er immer noch auf die Akzeptanz durch den Vater warte, dem er es nie recht machen konnte, obwohl er heute ein erfolgreicher Geschäftsführer ist.
An diesem Punkt im Coaching wird es sehr emotional. Die Klienten erfahren hier plötzlich etwas, dessen sie sich einfach nicht bewusst waren und derartiges bisher niemals angesprochen haben, schon gar nicht gegenüber einem anderen Menschen.
Nein, die Erfahrung reicht nicht aus, aber derjenige versteht dann, warum z.B. die Rhetorik-Trainings ihm bisher wenig geholfen haben. Er weiß nun, da liegt etwas anderes davor. Die weitere Arbeit ist dann davon abhängig – und da scheidet sich die Spreu vom Weizen –, ob sich die Person wirklich verändern will. Tatsächlich sagt mir meine Erfahrung aus 30 Jahren, dass die meisten Menschen das nicht wollen, obwohl alle natürlich anfangs beteuern, sich ändern zu wollen, wenn sie ins Coaching kommen.
Verändern bedeutet nämlich, seine Komfortzone zu verlassen und an sich hart zu arbeiten. In unserem Beispiel muss also – eigentlich – der Konflikt gelöst werden. Wir haben die fehlende Anerkennung durch den Vater als Konfliktursache lokalisiert. Dann tastet man sich weiter heran: „Haben Sie jemals mit Ihrem Vater darüber gesprochen, dass Sie auf seine Anerkennung warten? Können Sie sich vorstellen das zu tun?“
Viele, die sich gerade nach der Anerkennung sehnen, reagieren hier ablehnend und wollen sich der Aufgabe, sicherlich auch aus Angst vor einer Abfuhr, nicht stellen. Aber eben jene anderen, die sich ändern wollen, die gehen hierauf ein – obwohl auch sie dabei sehr starke, teils negative Emotionen erleben. Daran merkt man aber auch, dass man auf dem richtigen Weg ist. Eine solche Aussprache mit dem Vater kann dann zur bewegenden Aussöhnung oder zur erneuten Bestätigung werden, warum man diesen Mann in den letzten Jahren nur zu dessen Geburtstag kurz besucht hat.
Immer geht es darum, den inneren Konflikt ans Licht zu holen und ihn zu bearbeiten, also darum, dass der Klient mit sich selbst ins Reine kommt. Dafür reicht auch schon eine einseitige Aussprache ohne Versöhnung.
Eine solche Aussprache geschieht z.B. über das Schreiben eines klärenden Briefs an den betreffenden Menschen, in dem steht, wie die mangelnde Anerkennung noch heute das Leben des Klienten beeinflusst. Ein solcher Brief dient dem Ins-Reine-Kommen, wenn der Vater sich vor einer Aussprache verschließt oder längst verstorben ist.
Manche schreiben den Brief, andere nicht. Bei jemandem, der nach drei Monaten zum zweiten Coaching-Termin kommt und sagt, er hätte zu viel zu tun und keine Gelegenheit zum Briefschreiben bzw. zum Gespräch gehabt, denke ich im Stillen, dass derjenige vermutlich nichts verändern will.
Interessant ist nun, dass so jemand, angesprochen auf seine Redeangst, plötzlich erklärt, er hätte das nun sehr gut im Griff: Er hat das Redenhalten an einen seiner Abteilungsleiter delegiert und muss jetzt nur noch höchstens einmal im Jahr eine Rede halten, was gut machbar wäre. Also hat er sich eine andere Strategie des Umgangs mit seiner Angst geschaffen und ist zufrieden, ohne den Konflikt selbst bearbeitet zu haben – daher „eigentlich“.
Es ist ein anderer Bewusstseinszustand verglichen mit dem Alltagsbewusstsein. Wir befinden uns den größten Teil des Tages im Alltagsbewusstsein, wie z.B. bei der Erledigung alltäglicher Dinge, beim Autofahren, Shoppen oder wie wir beiden jetzt: Wir sprechen miteinander, hören zu, stellen mal eine Frage. Das geht alles im Grunde automatisch und funktioniert sehr, sehr schnell, weil das Gehirn in dem Bereich sehr stark mit dem Unbewussten zusammenarbeitet und hier unheimlich schnell Informationen verarbeitet.
Davon unterschieden ist die Achtsamkeit, die ich im Coaching meistens nach innen richte. Kurz gesagt, hier soll man ganz genau wahrnehmen, was in einem selber passiert. Es ist also keine Entspannungsmethode, sondern eine Fokussierung nach innen. Ursprünglich kommt diese Methode aus dem Buddhismus und ist der Meditation in gewissen Punkten ähnlich: Dort achtet man auf seinen Atem, der aber nur der Anker ist, damit man mit den aufkommenden Gedanken nicht fortgeschwemmt wird. Man soll einfach nur wahrnehmen, was da ist.
In der Schmerztherapie wird Achtsamkeit z.B. angewandt, um sich des Schmerzes bewusst zu werden: Welches Knie tut weh? Tut es die ganze Zeit weh? Wie stark ist der Schmerz eigentlich? Es gibt Leute, die damit erstaunliche Erfolge erzielen, indem sie nicht vor dem Schmerz flüchten, sondern ihn so genauer untersuchen.
So tief gehen wir im Coaching natürlich nicht, hier geht es vielmehr um eine allgemeinere Wahrnehmung: Ich rede jetzt mit Ihnen und spüre, wenn ich achtsam bin, dass mein Rücken gegen die Stuhllehne drückt, meine Beine, die übereinander liegen, meine Hand auf dem Schreibtisch – das sind körperliche Empfindungen. Dasselbe kann ich auf meine Gefühle anwenden: Wie fühle ich mich grade? Ach, ich fühle mich sicher, es ist angenehm, so mit Ihnen zu sprechen. Und dann kommen noch Gedanken: Was kann ich noch sagen, wie viel Zeit haben wir eigentlich reserviert für dieses Interview und sind wir bereits in der Hälfte? Eine solche Achtsamkeit ist letztlich eine Art, in Kontakt zu gehen mit sich selbst, ohne irgendwas zu verändern, wahrzunehmen, was im Moment gerade ist, ohne es zu erklären.
Ein kleines Beispiel? Ein Klient kommt zu mir und bittet um Tipps, wie er weniger Stress haben kann. Das lehne ich freundlich ab und sage, Stresstipps gebe ich nicht, da kann man sich ein Buch für 9,80 Euro kaufen, da stehen alle Stress-Tipps drin. Die habe er alle schon gelesen, sagt der Klient, das hätte nichts gebracht. Er habe einen sehr stressigen Beruf und brauche Hilfe.
Wenn derjenige also mit mir arbeiten will, muss er erst einmal verstehen: Es gibt keinen stressigen Beruf, sondern jemand erlebt Situationen mit Kunden, Kollegen oder mit dem Chef als stressig. D.h., er erzeugt selbst den Stress. Nehmen wir mal an, das Verhältnis zum Chef löst bei ihm Stress aus – eine Annahme, die oft zutrifft.
Der Klient stellt sich also mit Achtsamkeit vor, wie er in seinem Büro sitzt, es klopft und der Chef kommt herein. Als Coach frage ich, was jetzt in ihm innerlich passiert? Nun wird er möglicherweise bemerken, dass er etwas erschreckt, kurz den Atem anhält und sich fragt: „Was will er denn jetzt schon wieder von mir? Sicher nichts Gutes.“ Der erste Gedanke ist also negativ! Er nimmt sofort an, dass der Chef reinkommt und nicht kurz plaudern oder nachfragen will, wie es gerade läuft. Es handelt sich also um eine Form der Angst, die den Stress verursacht. Es ist nicht der Chef, der stresst. Schließlich kann ja die Kritik, die er vielleicht äußert, auch konstruktiv gemeint sein – oder er will tatsächlich nur reinkommen und kurz plaudern.
Genau! Wir kreieren uns selbst unsere Welt, nur wissen das die wenigsten. Die meisten denken, sie nähmen die Welt wahr, wie sie wirklich ist, doch das ist ein Irrglaube. Schopenhauer sagte: „Wir leben alle auf derselben Erde, aber wir leben nicht alle in derselben Welt.“ Der Klient denkt sofort an das Schlimmste, während der Chef meint, wohlwollend auf seinen Mitarbeiter zuzugehen und zu helfen.
Ich sage immer: Es gibt sieben Milliarden Menschen, aber es gibt zum Glück für meine Arbeit und die aller Coaches nicht sieben Milliarden Konflikte! Meiner Erfahrung nach gibt es etwa zehn bis fünfzehn Konflikte und mit einigen davon haben die meisten Menschen im Laufe ihres Lebens zu tun. Dazu gehören Fragen, ob wir dazugehören, geliebt werden – und was wir dafür tun müssen. Fragen danach, wo unser Platz im Leben ist und was überhaupt der Sinn des Lebens sein soll usw.
Das ist ein wichtiges Thema, insbesondere für Menschen, die in ihrer Midlife Crisis stecken und an den Punkt kommen, wo sie einfach nicht mehr weiterwissen. Sie haben alles erreicht, haben Familie mit Haus und Hund, einen schönen Beruf, einen Haufen Geld, können dreimal in Urlaub fahren, sind aber dennoch unzufrieden. Ihnen ist langweilig und daran werden auch die nächste iWatch, das nächste Cabrio nichts ändern. Meiner Meinung nach gibt es keinen Sinn, man muss sich den Sinn selbst erschaffen, sprich etwas finden, was man als sinnvoll betrachtet.
Ein zweites wichtiges Thema ist die Ablösung von den Eltern. Wann ist man eigentlich erwachsen? Wenn man sein eigenes Geld verdient, verheiratet ist, Kinder hat? Zum Erwachsensein gehört aus meiner Sicht die Ablösung von den Eltern. Die ist aber gar nicht so einfach.
Hier gibt es zwei Möglichkeiten, diese zu vermeiden. Erstens, die Anpassung: Man bleibt, auch geographisch, in der Nähe der Eltern und passt sich ganz an deren Leben an, macht sich also weiterhin abhängig. Dann hat man aber meistens Probleme in der Paarbeziehung, weil die Frau schnell merkt, dass der Muttersohn, wenn es mal darauf ankommt, immer zu seiner Mutter hält. Zweitens die Rebellion: Sie ist eine ganz wichtige Entwicklungsphase – in der Pubertät. Hier will man sein Eigenes finden und muss dazu etwas machen, das den Werten der Eltern entgegensteht. Man raucht, trinkt und zieht fürs Studium sehr weit weg. Aber Rebellion ist nichts anderes als Anpassung, es ist lediglich die entgegengesetzte Variante – es ist noch nichts Eigenes.
Eine richtige Ablösung erfolgt nämlich nicht durch zu große Nähe, durch Hass, Verachtung oder Kontaktabbruch, sondern letztlich nur im Respekt. Aber viele können ihre Eltern nicht respektieren, weil die tatsächlich einiges nicht gut gemacht haben, was viele Emotionen und Konflikte hinterlassen hat. Genau das aber ist ein längerer Prozess, den ich in Coachings immer wieder bearbeite und auch ein Buch darüber geschrieben habe.
Beispielsweise arbeite ich mit Menschen, die die Firma des Vaters übernommen haben, dort aber trotzdem immer der Junior oder die Kleine vom Chef bleiben, weil der Senior weiterhin jeden Morgen in sein Büro kommt und alles bespricht, über alles informiert sein will und die ganzen Abläufe stört. Insofern ist Ablösung auch in der Wirtschaftswelt ein wichtiges Thema.
Ein anderes oft anzutreffendes Thema ist die Erkenntnis, dass man selbst auch älter wird und sterben wird – nicht nur die anderen. Das trifft uns zwar alle, aber wir machen es uns selten bewusst. Gerade Menschen mit einer narzisstischen Komponente erwischt es hier sehr schlimm, weil sie das Älterwerden als sehr kränkend empfinden. Sie versuchen, Gegenmaßnahmen einzuleiten, doch können sie den Prozess natürlich nicht aufhalten, sondern müssen sich letztlich damit irgendwie versöhnen.
Richtig, ich kenne diese Frage, sie wird oft gestellt – und manchmal auch beantwortet [lacht]. Meine pragmatische Haltung dazu ist: Man kann es nicht trennen. Sie gehen z.B. in einen Film, der Sie emotional erschüttert und Ihnen so eine bestimmte Einsicht ermöglich. Ich übertreibe jetzt und frage: Wo ist die Trennung zwischen Film und Therapie? Denn es kann sein, dass der Film etwas Therapeutisches bewirkt und vielleicht sogar nachhaltiger gewirkt hat als zwei Jahre Gesprächstherapie, weil er eben Ihren inneren Konflikt direkt angesprochen hat.
In meinem Blog (www.persoenlichkeits-blog.de), den ich seit über zehn Jahre betreibe, versuche ich auch therapeutisches Denken auf Alltagsprobleme anzuwenden und zu zeigen, wie hinter vielen Verhaltensweisen innere Konflikte und unbewusste Ängste stecken.
Um aber direkt auf Ihre Frage zu antworten: Ich mache keine Trennung, aber ich mache es abhängig vom Setting, dem Prozessverlauf. Das spiegelt sich auch zeitlich wieder: Intensive Coachings dauern bei mir in der Regel etwa je drei Stunden an zwei bis drei Terminen und anschließende Sitzungen werden nur bei Bedarf verabredet. Meine Therapien – ich habe eine Kassenzulassung – gehen über 25 Termine, nur da bearbeite ich natürlich ganz andere Themen. Aber man kann schon sagen, dass ich in den Coachings letztlich auch eine Art von „Kurzzeittherapie“ mache.
Ohnehin könnte ich persönlich eine Trennung aufgrund meines Ansatzes gar nicht machen, vielleicht, wenn ich sehr auf den Verstand des Klienten fokussiert an die Sache herangehen würde, dann könnte ich strikter trennen. Aber ein solches Vorgehen hat sich bei mir als selten wirksam erwiesen, weil Veränderung immer nur über emotionale Beteiligung vollzogen wird und nicht über rationale Einsicht. Sonst würden ja die Bücher, die jedes Jahr auf den Markt kommen, wirken und viele Coaches und Therapeuten wären arbeitslos.
Natürlich habe ich auch den Vorzug, dass ich ausgebildeter, erfahrener Therapeut bin, seit dreißig Jahren mit Menschen arbeite und nicht nur an fünf Wochenenden an einem Kurs teilgenommen habe. Überhaupt finde ich ganz grundsätzlich, dass es für alle Menschen, die Menschen führen, (Coaches, Chefs, Eltern, Lehrer usw.) einfach hilfreich ist, über psychologisches Know-how zu verfügen, um besser zu verstehen, warum ein Mensch sich genauso Verhält, wie er es tut.
Ja, neurologische Störungen behandle ich ohnehin nicht, weil ich kein Psychiater bin. Aber im Coaching kommen natürlich auch immer mal wieder Menschen und sagen, ich bin so unmotiviert, können Sie mich nicht motivieren für meine Aufgabe? Dann sprechen wir miteinander, wobei manchmal rauskommt, dass das, was der Klient als „unmotiviert“ bezeichnet, alle Anzeichen einer Depression hat. Dann frage ich nach Schlafstörungen, nach Antriebsmangel, nach Stimmungsschwankungen und Konzentrationsschwierigkeiten. Wenn diese Fragen bejaht wurden, weiß ich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit, dass es sich wohl um eine Depression handelt. Oft räumen diese Klienten dann ein, das schon selbst gedacht zu haben, aber am Arbeitsplatz könnten sie sowas nicht sagen und gehen stattdessen ins Coaching.
Ja, weg vom Coaching, zumal man eine Depression nicht in zwei oder drei Sitzungen behandeln kann. Eventuell braucht der Klient dann auch Medikamente, Antidepressiva oder etwas Naturheilkundliches. Dann kommt es aber auch darauf an, ob ich noch einen Therapieplatz frei habe – meine Warteliste ist in der Regel immer voll – und ob die Person in der Nähe wohnt. Ansonsten empfehle ich eher jemanden in Wohnortnähe. Denn es dauert seine Zeit, eine Depression zu behandeln.
Wenn er das als Depression erkennt, dann ist das schon mal wichtig. Aber eine Depression kann man nicht ohne psychotherapeutische Ausbildung behandeln. Weil es hier auch oft um das Verarbeiten von Verlusterfahrungen und immer auch um Emotionen geht. Das muss man erstens können und irgendwie auch mögen als Coach. Es gibt schließlich auch einige Coaches, die mögen oder wollen nicht mit Emotionen arbeiten. Ich bin eben ein starker Vertreter der Arbeit mit Gefühlen.
Außerdem – das kann ich gar nicht oft genug sagen – erreicht man Veränderungen nur über Emotionen und nicht über Einsicht. Je länger ich als Coach und Therapeut arbeite, merke ich auch, dass Methoden weniger wichtig werden und dass das, was zentral verändernd wirkt, die Beziehung ist. Also die Beziehung, die zwischen uns entsteht. Um schwierige Themen anzusprechen und vor allem auch die Kooperation des Unbewussten des Anderen zu gewinnen, muss der Klient sich sicher und angenommen fühlen. Muss erleben, dass ich über nichts urteile aber vieles neugierig hinterfrage. Dass es keine Fehler oder falsche Entscheidungen im Leben gibt, sondern wir uns immer bemühen, bestmöglich die Situationen des Lebens zu bewältigen. Das allerdings oft mit Prägungen und Entscheidungen eines siebenjährigen Kindes. Wenn das bewusst werden darf, was ein schwieriger Prozess sein kann, ist schon viel gewonnen. Aber mit meinen siebenundsechzig Jahren werde ich auch immer geduldiger, und Menschen lernen durch meinen krummen Berufsweg auch, dass alles schon seinen Sinn hat.