Wer hat es noch nicht gehört: Coach sein kann jeder. Ein Coach muss einfach nur zuhören. Ab und zu mal nicken. Lächeln. Und dann noch ein paar Fragen stellen. Doch wer selbst Coach ist, weiß: Da steckt so viel mehr dahinter!
Coaching ist eine anspruchsvolle Tätigkeit, die nicht nur aktives Zuhören, fachliches Know-how und Feingefühl erfordert, sondern auch eine gefestigte innere Haltung. Gerade in herausfordernden Sessions, in denen Klienten starke Emotionen zeigen, „dicht“ machen oder schwierige Themen ansprechen, ist es für den Coach essenziell, seine innere Balance zu wahren. Vor allem, um den Klienten einen sicheren Raum für Entwicklung geben zu können.
Im Folgenden soll die Frage näher beleuchtet werden, was die innere Haltung für einen Coach bedeutet und wie diese gestärkt werden kann.
In seiner Haltung muss der Coach in der Lage sein, frei von selbst auferlegtem Druck, frei von Übertragung, Gegenübertragung und frei von Vorurteilen, den Klienten durch die Coaching-Session zu führen und ihm gleichzeitig einen sicheren Raum zu bieten. Es sollte also keiner der eigenen inneren Anteile im Vordergrund stehen. Das bedeutet nicht, dass der Coach keine Anteilnahme oder Gefühle zeigen darf. Es bedeutet lediglich, dass er eine starke Abgrenzungsfähigkeit besitzen muss, um den schmalen Grat zwischen professioneller Neutralität und emotionaler Beteiligung zu treffen. Denn in einer Coaching-Session steht der Klient im Mittelpunkt, es geht um sein Leben, sein Thema, seine Problemstellung – der Coach ist für den Prozess verantwortlich.
So weit, so gut. Doch es gibt Momente in Coaching-Sessions, die den Coach vor eine besondere Herausforderung stellen und die neutrale Haltung in Gefahr bringen: Momente, in denen der Klient starke emotionale Reaktionen hat, z.B. inneren Widerstand leistet, Frustration zum Ausdruck bringt oder Ängste an die Oberfläche kommen und damit den Coach in seinen eigenen Themen triggert.
Dies könnte konkret so aussehen: Der Klient berichtet von Grübeleien und häufigem Stress. Das behindert ihn besonders in seinem Job als Projektleiter so schwer, dass er seinen eigenen Ansprüchen nicht mehr gerecht werden kann und kurz vor einem Burnout steht. Kurz gesagt: So geht es für ihn nicht mehr weiter! Viele Entspannungstechniken, Atemübungen und das Lesen von Selbsthilfebüchern haben bisher nicht die so sehnlichst gesuchte Lösung hervorgebracht. Im Verlauf der Coaching-Sessions stellt sich heraus, dass das Verhalten des Klienten aus einem Minderwertigkeitsgefühl heraus resultiert. Aufgrund dessen kann er nur sehr schlecht „nein“ sagen, strebt nach Perfektion und ein „sehr gut“ gibt es für ihn nicht – lediglich ein „erfüllt“ oder „versagt“. Dieses Minderwertigkeitsgefühl treibt ihn so sehr an, dass er auch die Arbeit von anderen Kollegen übernimmt, nur um etwas Anerkennung zu bekommen. Das hat ihm in seinem Arbeitsleben zwar schon einige Erfolge eingebracht, doch jetzt merkt auch schon der Chef, dass die Leistung nachlässt.
Dem Klient gegenüber sitzt ein Coach, dessen Vater ihm bis in seine späten Jugendjahre immer das Gefühl gegeben hat, nie genug zu sein. Daher kennt der Coach dieses Minderwertigkeitsgefühl, das sich so unangenehm und erdrückend in der Brust breit macht und lähmend wirkt. In diesem Moment gibt es zwei Möglichkeiten: Der Coach ist sich dessen bewusst. Also entscheidet er sich, in seinen inneren neutralen Zustand zurückzukehren, sich wieder auf den Klienten zu konzentrieren und diesem den Raum für dessen Gefühle zu eröffnen und gemeinsam daran zu arbeiten. Die andere Möglichkeit ist, seine Erlebnisse und die dazugehörigen Gefühle auf den Klienten – vielleicht ganz unbewusst – zu projizieren. Wie einfach wäre es in diesem Moment für den Coach, zu sagen: „Ich kenne dieses Gefühl auch sehr gut, das geht vorbei.“ Oder: „Probiere doch einmal xy aus, das hat mir sehr geholfen.“ Doch hier wäre die professionelle Neutralität einer Projektion gewichen und der Coaching-Prozess hätte seine zielgerichtete Richtung verloren. Also entscheidet sich der gut ausgebildete und selbstreflektierte Coach für das erste Szenario.
Doch es gibt auch die einseitige Variante: Der Coach ist zu ehrgeizig und macht sich selbst zu viel Druck, dass der Klient eine nachhaltige Lösung finden muss. Vielleicht hat er sogar schon eine Lösung im Kopf, die dem Klienten helfen könnte. So überlegt er sich schon die nächste Frage, die in Richtung Lösung führen könnte, und überhört das Gesagte des Klienten und verliert somit den Anschluss. Der Klient wird also vom Coach in Richtung Lösung gelenkt, die aber lediglich aus Sicht des Coachs zufriedenstellend wäre und vielleicht gar keine Lösung ist, die der Klient sich vorstellen kann. Die Folge davon ist, dass der Coaching-Prozess seine Geradlinigkeit verliert und eine individuelle Lösungsfindung für den Klienten erstmal unmöglich wird.
Doch wie kann das verhindert werden? Für eine starke innere Haltung des Coachs ist es essenziell, die eigenen Werte, Glaubenssätze und Triggerpunkte zu kennen, um die Distanz zum Thema zu wahren und dem Klienten einen sicheren Raum für Entwicklung anbieten zu können. Nur so kann die Coaching-Qualität sichergestellt werden.
Um im gegenwärtigen Moment ganz beim Klienten zu sein und die persönliche Perspektive auf die Coaching-Inhalte außen vor lassen zu können, gibt es viele individuelle Ansätze, die auch die innere Haltung des Coachs stärken:
Die innere Haltung des Coachs kann und sollte auch außerhalb der Coaching-Sessions ein Thema sein, an dem der Coach regelmäßig arbeitet. Diese Selbstreflexion sollte keine einmalige Sache sein, sondern ein fortlaufender Prozess. Hierfür gibt es folgende Ansätze:
Um also im gegenwärtigen Moment einer Coaching-Session vollkommen präsent für den Klienten sein zu können, ist es für den Coach erforderlich, die Themen zu bearbeiten, die aus seiner Vergangenheit stammen, damit ihm die Wahrung der neutralen inneren Haltung auch in Zukunft möglich ist.
Die gute Nachricht ist: Coaches sind Menschen und Menschen haben Muster, Trigger und Glaubenssätze, die in Emotionen, Gefühle und Reaktionen resultieren. Die sehr gute Nachricht ist: Diese Emotionen, Gefühle und Reaktionen sind veränderbar. Sobald sie gefühlt und zu einem Hindernis für eine erfolgreiche Coaching-Session werden, sollte ihnen Aufmerksamkeit geschenkt werden.
Das Wichtigste für die Klienten ist ein vertrauensvoller, sicherer Raum, in dem sie sich dem Coach gegenüber öffnen und sich weiterentwickeln können. Dafür ist eine starke innere Haltung des Coachs unabdingbar, die dadurch gewährleistet werden kann, dass er sich außerhalb der Coaching-Sessions seinen eigenen Themen widmet. Diese Verantwortung sich selbst und auch seinen Klienten gegenüber ist ein sehr wichtiger Aspekt für die erfolgreiche Coaching-Praxis.
Als Coach sollte immer die eigene stetige Weiterentwicklung im Vordergrund stehen. Das mag nach einem anstrengenden Prozess klingen, doch es birgt unendlich viele Möglichkeiten, das eigene (Gefühls-)Leben zu verändern und diese Erfahrungen gewinnbringend in die Coaching-Sessions einbringen zu können. Mit der Zeit kommt auch die Erfahrung und es wird leichter fallen, die Neutralität – auch während einer herausfordernden Coaching-Session – zu wahren.