„Coaching ist keine Psychotherapie und kann eine solche nicht ersetzen.“ Diesen Leitsatz werden seriöse Coaches in qualifizierten Ausbildungen erlernt und verinnerlicht haben. Doch wo genau verläuft die Grenze zwischen Coaching und Therapie und wie können Coaches sie einhalten? Schließlich werden die wenigsten Klienten, die eine psychotherapeutische Behandlung benötigen, darüber Bescheid wissen. Sonst hätten sie eher therapeutische Hilfe aufgesucht anstelle eines Coachings. Wie kann ein Coach den Klienten darauf ansprechen, dass seine Probleme bei einem Psychotherapeuten womöglich besser aufgehoben wären als in einem Coaching?
Erschwerend kommt hinzu, dass es in Deutschland rund um die Begrifflichkeit „Psychotherapie“ recht undurchsichtig bestellt ist, sodass unvorbereitete Coaches in dieser Hinsicht überfordert sein könnten, wenn sie mit einem plötzlichen Fall in der Praxis konfrontiert werden. Dieser Artikel soll die zuvor genannten Fragen klären und Hinweise geben, worauf Coaches achten müssen, wenn sie ihren Klienten nahelegen, einen möglichen psychotherapeutischen Behandlungsbedarf abzuklären.
Um dieses sensible Thema mit der notwendigen Fachkompetenz zu behandeln, steht Dr. Timucin Türker – Facharzt für Rechtsmedizin, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Forensische Psychiatrie, Suchtmedizinische Grundversorgung – dem Coaching-Magazin für diesen Artikel zur Seite. Türker leitet eine Praxis für Forensische Gutachten mit Standorten in Nürnberg und Regensburg. Für verschiedene Bayerische Landgerichte ist er im Einsatz, um festzustellen, ob bei angeklagten Straftätern eine psychische Erkrankung vorliegt und um ihre Schuldfähigkeit und Gefährlichkeit einzuordnen. Hierzu geben ihm die gerichtlichen Akten sowie ggf. vorhandene medizinische Unterlagen Aufschluss. Das wichtigste Diagnoseinstrument sei jedoch das Gespräch mit dem Probanden, so der Psychiater. Obgleich ein Laie keine Diagnosen stellen und selbstverständlich erst recht keine Therapiemaßnahmen vorschlagen darf oder sollte, ist Türker der Ansicht, dass es nicht zwingend eines einschlägigen Studiums bedarf, um in einem tiefgehenden Gespräch mögliche Anzeichen für eine psychische Erkrankung zu erkennen.
Verstärkt durch Einflüsse aus den Sozialen Medien hat die medizinische Terminologie längst Einzug in den alltäglichen Sprachgebrauch gehalten. So können auch in Coaching-Gesprächen seitens der Klienten Sätze fallen wie „ich bin oft so depressiv“, „ich kann manchmal ganz schön narzisstisch sein“, „ich bin richtig süchtig danach“ oder „ich bin total traumatisiert“. Die Problematik rund um Selbstdiagnosen ist vielfältig und sollte nicht kleingeredet werden. Sie ist jedoch im Umfang dieses Artikels nicht in Gänze abzubilden. Weiterführende Texte zu diesem Thema finden sich beispielsweise bei Padhi (2024) oder Jaramillo (2023). Zudem befassen sich erste Forschungsstudien mit der Thematik (u.a. Tse & Haslam, 2024; Underhill & Foulkes, 2024; Rutter et al., 2023).
Für Türker ist es weniger wichtig, welche Worte eine Person verwendet, um sich selbst zu beschreiben. Ausschlaggebend seien vielmehr ihr Verhalten bzw. etwaige Verhaltensmuster und die Frage, ob daraus ggf. Beeinträchtigungen für sie und/oder ihr Umfeld entstehen. Beim Gespräch sollten Coaches daher auf mögliche Hinweise achten, die Aufschluss darüber geben könnten, ob der Klient sein Leben und seinen Alltag noch selbstständig bewältigen kann. Hier muss der Coach Feinfühligkeit beweisen. „Handelt es sich bloß um leichte Beeinträchtigungen, kann die betreffende Person sie in der Regel allein oder mithilfe eines Sozialkontakts meistern“, so Türker. In einem solchen Fall kann das Coaching mitunter schon ausreichen oder der Coach kann den Klienten dazu anregen, sich Unterstützung durch ihm nahestehende Personen einzuholen.
Schwerwiegende Beeinträchtigungen gehören jedoch immer in die Hände einer Fachperson. Bei Verdacht auf eine psychische Erkrankung rät Türker dazu, die Betroffenen direkt und klar darauf anzusprechen. Je nach Grad der Beeinträchtigung sollte ihnen der Gang zum Hausarzt oder direkt zu einem Psychiater oder Psychotherapeuten empfohlen werden.
Einen Klienten darauf anzusprechen, dass bei ihm womöglich eine Psychotherapie hilfreich wäre, ist eine für die meisten Coaches heikle Situation. Nicht selten reagieren Klienten aufgrund der negativen Stigmata rund um die psychische Erkrankung bzw. Sucht mit Scham oder Wut. Grimmer und Neukom (2010) argumentieren zudem, dass eine allzu scharfe Grenztrennung zwischen Coaching und Therapie dazu führen kann, dass der Coaching-Klient als gesund und leistungsorientiert angesehen, während der Therapiepatient als krank und leistungsunfähig abgestempelt wird. Diese negativen Konnotationen sollte ein Coach im Rahmen seiner Möglichkeiten aufheben. Dies könnte seinen Anfang darin nehmen, dass der Coach sich eingehend über Psychotherapie informiert und etwaige eigene Vorurteile und veraltete Sichtweisen gegenüber der Therapie abbaut.
Coaches, die über eine fundierte psychotherapeutische Ausbildung verfügen, können auch über eine Implementierung der einen Interventionsform in die andere nachdenken oder hybride Modelle vorschlagen, sprich Coaching und Therapie verbinden. Ob dies möglich ist, ist jedoch erstens nach ungeschönter Selbstreflexion der fachlichen Kompetenzen des Coachs zu entscheiden, zweitens nur in klarem Einverständnis des Klienten durchführbar und drittens immer vom Einzelfall abhängig und kann nicht als generelle Empfehlung gegeben werden. Überschreiten die Probleme des Klienten jedoch die (praktischen und/oder rechtlichen) Wirkbereiche des Coachs, sollte er ihn an fachlich qualifizierte Stellen verweisen.
Genau hier lauert jedoch der nächste Fallstrick auf den Coach. Ein Klient wird höchstwahrscheinlich den Empfehlungen des Coachs vertrauen. Derlei Empfehlungen sollten Coaches daher nur nach bestem Wissen und Gewissen aussprechen. Erschwerend kommt an diesem Punkt hinzu, dass im Gegensatz zum Begriff „Psychotherapeut“ die Bezeichnung „Psychotherapie“ in Deutschland rechtlich nicht geschützt ist. Hinter vielen Angeboten, die sich für den Unwissenden nach fachlicher Kompetenz anhören, verstecken sich leider auffallend häufig „Verschwörungserzählungen, Impfgegnerschaft und Esoterik“ (Westarp, 2022), wie eine Recherche des SWR-Investigativ-Formats VOLLBILD zeigt.
Im negativen Fokus der Sendung stehen Heilpraktiker für Psychotherapie. Zwar dürfen sich die Vertreter des Berufsstands so nennen. Jedoch zeigt die SWR-Recherche, dass manche von ihnen mit Kompetenzen werben, die mindestens hinterfragt werden sollten. Stattdessen gibt es vor allem „Qualitätsdefizite und dubiose Behandlungsmethoden“ (ebd.), die den Hilfesuchenden sogar nachhaltig schaden könnten. Besonders der niedrigschwellige Einstieg in den Beruf sowie die uneinheitlichen Ausbildungsstandards werden als qualitätsmindernd angesehen (ebd.).
Aufgrund des angespannten Gesundheitssystems kann es sehr schwer und langwierig sein, fachliche psychologische Betreuung zu erhalten. Trotzdem sollten Coaches aufgrund der potenziell schwerwiegenden Folgen einer unqualifizierten Behandlung davon absehen, Empfehlungen auszusprechen, ohne die Heilpraktiker und ihre Methoden zuvor einer intensiven und kritischen Prüfung zu unterziehen, die seriöse von unseriösen Angeboten trennt. Falls der Coach keine konkrete oder zeitnahe Empfehlung geben kann (oder will), sollte er den Klienten zumindest grundsätzlich über die unterschiedlichen Ausbildungsstandards (insbesondere in Abgrenzung zu zugelassenen Psychotherapeuten) aufklären.
Im sicheren Bereich bewegt man sich, wenn man auf die Bezeichnung „Psychotherapeut“ achtet, denn diese ist rechtlich geschützt. Die typische Qualifizierung eines Psychotherapeuten umfasst den Masterabschluss in klinischer Psychologie, darauf aufbauend eine zusätzliche Psychotherapeutenausbildung plus die Approbation. Nach neuer Approbationsordnung 2020 erhalten Absolventen des Masterstudiengangs Psychotherapie die Approbation automatisch mit dem Bestehen der staatlichen psychotherapeutischen Prüfung. Allerdings müssen sie im Anschluss eine fünfjährige verfahrensspezifische Weiterbildung absolvieren, um eine Kassenzulassung zu erhalten.
Psychotherapeuten werden durch die Psychotherapeutenkammern vertreten. Sie haben die Befugnis, psychische Störungen und Erkrankungen mittels therapeutischer Gespräche zu behandeln. Es sollte jedoch darauf hingewiesen werden, dass es trotz rechtlichem Rahmen immer wieder Menschen gibt, die es anscheinend darauf anlegen, ihre Berufsbezeichnung so zu wählen, dass eine hohe Verwechslungsgefahr mit der eines Psychotherapeuten besteht (Eichelberger, 2003).
Abb.: Voraussetzungen und Befugnisse verschiedener psychologischer Hilfsangebote (Verwendung von DSdesign, Skylines unter Lizenz von Shutterstock.com)
Eine Therapie mit Medikamenten fällt nicht in den Zuständigkeitsbereich eines Psychotherapeuten – sofern er kein Arzt ist. Ein Psychiater – oder korrekt benannt ein Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie – ist die richtige Anlaufstelle, wenn die körperliche Untersuchung und medikamentöse Behandlung im Vordergrund stehen soll. Ein Psychiater hat Medizin studiert und sich anschließend mit der Facharztausbildung spezialisiert. Psychiater werden durch die Ärztekammern vertreten. Manchmal, aber nicht immer, bietet ein Psychiater auch Psychotherapie an. Dieser nennt sich dann in der Regel ärztlicher Psychotherapeut. Öfter ist es jedoch der Fall, dass psychotherapeutische Behandlung und psychiatrische Behandlung zwar in enger Abstimmung miteinander, aber durch zwei unterschiedliche Stellen geleistet werden.
Psychologen können sich diejenigen nennen, die ein Psychologiestudium absolviert haben. Ohne Zusatzqualifikationen sind Psychologen keine Ärzte und keine Therapeuten. Sie sind weder befugt noch qualifiziert, psychische Krankheiten zu behandeln.
Neben den genannten Stellen bieten viele städtische oder karitative Einrichtungen psychologische Beratung an. Meistens sind dort keine Psychotherapeuten oder Psychiater tätig. Es gilt also hier ebenfalls der Hinweis, dass schwere Traumata oder psychische Erkrankungen in fachliche Hände gehören. Sind die Probleme jedoch nicht klinischer Natur, können die angebotenen Gespräche durchaus sinnvoll sein und unterstützend oder aufbauend wirken.
Auch wenn Coaching unter Umständen eine geeignete unterstützende Maßnahme zur Psychotherapie bilden kann (Schareck, 2022), tragen Coaches die Verantwortung dafür, dass die Grenze zur Therapie gezogen und eingehalten wird. Ein einfacher Hinweis „Coaching ist keine Therapie“ im Werbetext darf nicht die einzige Abgrenzungsmaßnahme sein. Bei einschlägigen Anzeichen, dass der Klient tiefergehende Unterstützung erwartet oder braucht, als ein Coaching bieten kann, sollten Coaches das in aller Direkt- und Klarheit ansprechen. Bei potenziellem therapeutischem Bedarf sollte der Coach im besten Fall an eine fachlich qualifizierte Stelle verweisen können, die er zuvor eingängig auf ihre Qualifikation und Qualität überprüft hat. Alternativ sollte der Coach in der Lage sein, über Therapiemöglichkeiten und die Unterschiede der diversen Angebote zu informieren.