Nach oben

Portrait

Interview mit Camelia Reinert-Buss

Was Coaching in Unternehmen, Hochschulen und Ministerien verbindet

Wie finden Führungskräfte die richtige Balance aus Wandel und Beständigkeit, um einerseits die Entwicklung ihrer Mitarbeiter voranzubringen, sie aber andererseits nicht zu überfordern und somit zu demotivieren? Wie Camelia Reinert-Buss weiß, sind Fragen wie diese nicht nur im Unternehmenskontext von Bedeutung. Sie ließen sich beispielsweise auch auf das Coaching von Hochschullehrern übertragen. Im Interview berichtet Camelia Reinert-Buss von ihren Erfahrungen als „coachende“ Personalleiterin sowie als selbständiger Coach in Unternehmen, Hochschulen und Ministerien.

20 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 3 | 2017 am 06.09.2017

Ein Gespräch mit Dawid Barczynski

Wie sind Sie zum Coaching gekommen?

Durch mein Studium. Ich habe in Münster an der WWU Erwachsenenbildung und Psychologie studiert. Im Grundstudium, das war um 2004 herum, hatten wir zwei oder drei Seminare zum Thema Coaching, Beratung und Therapie – davon fand ich Coaching am interessantesten und habe mich entschlossen, mich stärker damit auseinanderzusetzen. So habe ich schon sehr früh im Studium damit angefangen, Coaching-Bücher zu lesen, die eine oder andere Hausarbeit darüber zu schreiben und das Thema einfach weiterzuverfolgen. Ich hatte eine klare Vision: Wenn alles gut läuft, dann möchte ich beruflich in diesem Bereich einsteigen. Dass alles gut läuft, war ja gar nicht so klar, ich musste ja parallel zum eigentlichen Studium noch die deutsche Sprache lernen …

Wie alt waren Sie, als Sie von Rumänien nach Deutschland gekommen sind?

Das war im Jahr 2000, ich war da also schon 24 Jahre alt. Ich habe davor schon in Rumänien, in Bukarest, angefangen zu studieren, aber das wurde hier nicht anerkannt. Um aber hier richtig studieren zu können, musste ich erst die Sprache lernen und ein Studienkolleg besuchen. Bis ich dann richtig anfangen konnte, war ich im Vergleich zu meinen Kommilitonen mit 26 Jahren ein bisschen älter. Aber das war auch ein Vorteil: Ich konnte klarer äußern, was ich will und was nicht, und ich hatte auch mehr Erfahrung mit dem Studieren selbst.

Studium und gleichzeitiger Spracherwerb – eine große Herausforderung!

Absolut! Das Studium war natürlich komplett in deutscher Sprache und ich musste irgendwie mitkommen und verstehen, was die Dozenten vermittelten – und zwar sprachlich und dann natürlich inhaltlich. Dann musste ich auch selbst auf Deutsch referieren, vortragen und diskutieren, denn das ist ein wichtiger Teil des Studierens. Insofern war das Studium zumindest anfangs eine Herausforderung, aber eine sehr gute, weil ich eine Menge gelernt habe: Ich musste konsequent meine Ziele umsetzen, mich durchsetzen, großes Durchhaltevermögen aufbauen, angstfrei weitermachen, auch wenn ich etwas nicht perfekt ausgesprochen habe, und große Leistungsbereitschaft an den Tag legen.

Was war nach dem Studium Ihr Berufseinstieg?

Ich habe eine Stelle als Referentin im Bereich Personalentwicklung bekommen. Weil es eine relativ kleine Firma mit etwa vierzig Mann und das Thema Personalentwicklung gar nicht besetzt war – was im Grunde eher typisch ist für kleine oder mittelständische Firmen –, hatte ich sozusagen freies Feld, vieles auszuprobieren und zu entwickeln. Das hat mir unglaublich viel Spaß gemacht.

Allerdings bin ich zu einer Zeit eingestiegen, in der der Markt begonnen hat, sich zu verändern. Was vorher noch relativ klar strukturiert und „einfach“ war, wurde auf einmal sehr, sehr kompliziert und schlicht anders umgesetzt. So gab es z.B. in der Firma zwei Gruppen von Mitarbeitern: Die einen, meist neuen Mitarbeiter waren sehr technologieaffin, wobei dies immer mehr gefragt wurde. Die anderen, vor allem Alteingesessene, haben aber ganz anders getickt und gearbeitet. Mein Job ging dann immer mehr dahin, zwischen diesen zwei Welten eine Brücke zu bauen: zwischen alter Schule, alten Technologien, altem Denken und der Digitalisierung mit ihren neuen Technologien. Das war nicht immer ganz einfach.

Das klingt aber, als ginge es hier schon in Richtung Coaching?

Genau. Nur ist das Thema Coaching zu diesem Zeitpunkt ein bisschen in Vergessenheit geraten. Im Laufe meiner Aufgabe und meiner in der Firma eingenommenen Rolle merkte ich aber, dass ich andere Werkzeuge brauche, um effektiv arbeiten zu können. Ich habe also intensiv überlegt, wo ich mir die nötige Unterstützung, die nötigen Werkzeuge holen könnte, welche Methoden und welche Herangehensweise sinnvoll wären. So kam ich schnell wieder auf das Thema Coaching und erinnerte mich, dass ich das doch unbedingt machen wollte, dass das so spannend war. Also habe ich mich kurzerhand entschieden, eine Coaching-Ausbildung zu machen, die ich dann bei Christopher Rauen absolviert habe.

Die Coaching-Ausbildung war – anfangs – ein Mittel, um besser als Personalleiterin arbeiten zu können?

Richtig, und es war wirklich eine hilfreiche Unterstützung, weil man unglaublich viele praktische Methoden erfahren hat und man viel über Reflexion gelernt hat. So konnte ich die Organisation und die Veränderung besser verstehen, auch warum die zwei Kulturen so anders ticken und wo das eigentliche Problem liegt: Wie gesagt, der Markt, auch die Anforderungen haben sich so schnell gewandelt, dass die Fähigkeiten der alten Mitarbeiter nicht mehr so gefragt waren. Die alte, gefragte und gute Mannschaft wurde plötzlich an den Rand gedrängt. Dann kommen da die Jungen und machen alles online, bedienen ganz andere Kundenwünsche und nehmen so die Stellung der Alten ein – das erzeugt Frust, Stress und Konflikte.

Mittels Coaching konnte ich die Lage besser analysieren, die Prozesse herausarbeiten und die Unzufriedenheit benennen. Im Endeffekt war es aber ein sehr schwieriger Veränderungsprozess für die Menschen. Gestern noch Leistungsträger, heute Abstellgleis. Die Mitarbeiter haben es nicht verstanden. Diesen Prozess zu leiten und, wie gesagt, die Brücke zwischen beiden Gruppen zu bauen, war ganz schön herausfordernd, aber ich habe eine Menge gelernt.

War der Prozess erfolgreich?

Ja, es hat funktioniert. Ich habe dafür viele Veranstaltungen organisieren müssen und letztlich eine Akademie initiiert, wo die jüngeren, neuen Mitarbeiter die älteren geschult und so auf den notwendigen Stand gebracht haben. Ich musste dabei sehr viel Transparenz und Offenheit an den Tag legen, um schlicht zu verdeutlichen, warum der Markt sich so und so verändert hat, warum jetzt bestimmte Dinge nicht mehr funktionieren. So haben wir auch dafür gesorgt, dass die Leute verstanden haben, dass es nicht an ihnen lag – und sie den Wandel schaffen werden, wir unterstützen sie dabei.

Das Schwierige bei solchen Veränderungsprozessen ist ja immer, dass die ganze Organisation mitmachen muss. Ein Satz, den ich bis heute höre – und ich begleitete sehr viele Veränderungsprozesse – lautet: „Das haben wir schon immer so gemacht.“ Da muss ich immer grinsen und „interessant“ sagen. Nur weil es früher richtig war, heißt es nicht, dass es das heute auch noch ist. Ich bin aber heute natürlich auch erfahrener und fundierter und weiß, wie die Neurobiologie hier hineinspielt, warum wir bestimmte Muster stets bevorzugen, was dabei in unserem Gehirn passiert und warum Veränderung Angst machen kann etc.

Vier Jahre lang, bis 2011, waren Sie Personalleiterin. Wie kam es zu Ihrer Selbständigkeit als Coach?

Der Übergang zur selbständigen Arbeit als Coach kam mir relativ langsam in den Sinn. Ich lebe in Münster und ich hatte das Glück, mit einer sehr guten Kollegin aus der Coaching-Ausbildung in Kontakt zu bleiben. Sie mochte schon in der Ausbildung meine Art und Weise zu coachen und mit Rollenspielen zu arbeiten, weshalb sie mich auch öfters als Coach an die Fachhochschule und Uni in Münster – zu beiden hatte sie sehr gute Beziehungen – weiterempfohlen hat. Beide Hochschulen hatten relativ viel Coaching-Bedarf, es gab also Arbeit genug.

So hatte ich einen ziemlich leichten Einstieg, ohne viel Aufwand für Kundenakquise oder irgendwelche Verkaufs- und Präsentationsseminare und dergleichen aufbringen zu müssen. Die Kundenanfragen nahmen immer mehr zu, dann irgendwann auch außerhalb des Hochschulbereichs, weil sich meine Arbeit einfach rumgesprochen hat. Das Coaching hat immer mehr meiner Zeit in Anspruch genommen, wurde auch herausfordernder, weshalb ich mich dann stärker auf meine Selbständigkeit fokussiert habe, um sie voranzutreiben, bis ich dann irgendwann ganz selbständig gearbeitet habe. Oder wie meine Tochter immer sagt: „selbst und ständig“ (lacht).

Mit welchen Anliegen kamen und kommen Universität bzw. Hochschule auf Sie zu?

Oft mit Veränderungsthemen, teilweise auch mit Fusionsthemen. Ich habe z.B. erst vor kurzem einen interessanten Auftrag von einem Fachbereich erhalten, wo es um eine kleine Organisationsentwicklung geht. Der Fachbereich selbst hat sich großartig entwickelt: Sie haben mit drei oder vier Professoren und mit etwa vier wissenschaftlichen Mitarbeitern angefangen. Jetzt sind sie bei 15 Professoren und 20 wissenschaftlichen Mitarbeitern. Hier hat sich also eine kleine Organisation etabliert, nur ist das nun das Problem! Am Anfang, mit vier, fünf Leuten, war alles noch einfach, die Entscheidungsprozesse liefen unkompliziert, jeder konnte unabhängig von den Hierarchien alles mitentscheiden. Jetzt, in einem vierzigköpfigen Team, ist das deutlich schwieriger und dann fällt der berühmte, erwähnte Satz: „Wir haben das aber vorher so gemacht und waren doch erfolgreich.“ Stimmt, nur jetzt hat sich was verändert!

Im Grunde ist dieses Problem überall gleich, egal, ob es sich um ein Start-up oder einen Fachbereich an einer Universität oder Hochschule handelt. Anfangs spielt es keine Rolle, wer Marketing und wer Vertrieb macht, wer den Kaffee kocht, alle machen irgendwie alles und es läuft. Aber je größer eine Organisation wird, desto mehr Strukturen und Klarheit braucht man, z.B. um zu wissen, wer was wie entscheidet, wie Abläufe strukturiert werden und welche Strategie man verfolgen soll, auf welchen Werten man miteinander agieren, wie man sich vermarkten will usw. Die wegen des Unternehmenswachstums nach und nach eingestellten Leute haben dann einen unterschiedlichen Wissensstand. Die einen machen dann die Dinge einfach wie immer, die Neuen machen es anders. So ist Wachstum nicht nur eine schöne, großartige Erfolgsstory, sondern Ursache für Spannungen und Veränderungszwänge. Diese Veränderung zu organisieren, ist unglaublich spannend! Ein anderes, häufiges Anliegen der Hochschulen ist, wenn z.B. ein Professor als nicht allzu gut bewertet wurde …

Sie meinen eine Evaluation seiner Lehre durch die Studierenden?

Genau. Und solche Evaluationen sind eben nicht immer gut, weshalb dann angeregt und damit gewissermaßen gefordert wird, darüber im Coaching nachzudenken und zu reflektieren, warum das so ist: Was sind meine Erwartungen, welche Erwartungen haben die Studierenden? Liegt die schlechte Evaluation an mir, an meiner Didaktik oder daran, dass die Studierenden heute ganz andere Ansprüche haben? Vielleicht lag es aber doch an meinem Zeitmanagement, weil ich noch fünf Labore leite und nebenbei als Berater tätig bin – da bleibt wenig Zeit übrig für die Lehre und eine gute Vorbereitung … Dieses Thema, sogar in ähnlicher Ausprägung, kommt öfter vor. Es ist auch spannend, weil es vielschichtig ist: Themen sind dann Selbstführung, Zeitmanagement, Rollenverständnis usw.

Wie sieht so ein Coaching aufgrund schlechter Evaluation aus und wie reagiert ein Dozent, der deswegen ins Coaching geschickt wird?

Am Anfang ist eines sehr wichtig: Dem Klienten zuhören! Irgendwann kommt er dann zum Punkt, dass er wegen der Evaluation zu mir kommen muss – wie empfindet er das? Ist es für ihn etwas ganz Schlimmes oder eher eine Erleichterung, ein Geschenk zur Unterstützung? Hier spielt das Thema Freiwilligkeit stark hinein. Er ist ja nicht aus freien Stücken hier; in der Theorie klingt Freiwilligkeit immer schön, aber in der Praxis ist das nicht immer stimmig. Also versuche ich an seine Freiwilligkeit zu appellieren, sodass er, auch wenn er hierher geschickt wurde, freiwillig am Coaching teilnimmt, einen Nutzen für sich erkennt. Das ist für mich ganz wichtig, denn ohne dies kann man Coaching nur schwer als Möglichkeit begreifen, um sich weiterzuentwickeln, zu reflektieren, auch Unterstützung zu erhalten oder Perspektiven zu wechseln. Ohne Freiwilligkeit kommt auch keine vernünftige Beziehung zwischen Coach und Klient zustande, kein Vertrauen.

In diesen „Evaluations“-Coachings spielt zudem das Thema Weiterentwicklung eine zentrale Rolle. Um die Weiterentwicklung voranzutreiben, nutze ich sehr gerne kleinere Perturbationen, also Störungen oder Verwirrung, um den Klienten mit bestimmten Sachen zu konfrontieren. Hierfür gibt es unterschiedliche Methoden, u.a. und ganz schlicht den Perspektivwechsel – das wäre eine sehr nette Form der Konfrontation.

Und eine weniger nette Konfrontation? Nutzen Sie dann ein Rollenspiel?

Ja, könnte man machen – letztlich geht es aber um den Endeffekt. Ich hatte mal einen Professor im Coaching, der hat in gewisser Weise das Klischee seines Berufsstands recht gut verkörpert: Er war hochintelligent, voller Wissen und unglaublich perfektionistisch – hat aber eine relativ schlechte Evaluation erhalten, weil die Studenten eben mit seinem Wissen nicht mithalten, seinen Perfektionismus und Ehrgeiz nicht in dem Ausmaß teilen konnten. Zusammen haben wir dann erstmal herausgearbeitet, wie stark sein Antreiber „sei perfekt“ eigentlich ist, damit er das zumindest im Ansatz begreift. Dann haben wir in etwa in Erfahrung gebracht, wie viel Wissen er eigentlich hat – er hat um die 1.600 Patente angemeldet, ein paar Dutzend Bücher publiziert.

Anschließend haben wir die Situation der Studierenden gegenübergestellt, wobei ich schon hier etwas provokanter aufgetreten bin und ihn forsch gefragt habe: „Sagen Sie mal, mit welchen Studenten arbeiten Sie gerade? Wie alt sind die, in welchem Semester, wie viele Bücher haben die wohl gelesen?“ Mit den gewonnenen Infos schlüpfte ich in die Rolle einer Studentin. Ich sei in seinem Seminar völlig überfordert, würde nicht alles verstehen und nachvollziehen können, was er da versuche, uns zu erklären, und das alles führe dazu, dass ich sehr unmotiviert sei – am liebsten würde ich mein Studium hinschmeißen. Darauf musste er in seine Rolle als Hochschullehrer schlüpfen und sollte versuchen, mich wieder zu motivieren. Dafür musste er seine sehr hohe Anspruchshaltung so anpassen, dass ich mitgehen konnte, aber auch nicht unterfordert war. Motivieren und Fordern ist in der Lehre ein sehr schwieriger Spagat.

Auch die Führungskraft im Unternehmen muss ihre Mitarbeiter zugleich motivieren und fordern.

Genau, gute Führungskräfte wissen, dass sich ihre Mitarbeiter weiterentwickeln müssen und sich nicht schön bequem in der Komfortzone festsetzen dürfen. Als Führungskraft muss ich die Potenziale aus jenen Leuten rauskitzeln, aber es muss passend sein, weil ich sie eben nicht überfordern und so abschrecken darf. Es kommt auch hier auf die Mischung zwischen Beständigkeit und Veränderung, zwischen Verbleib in der Komfortzone und Forderung zum Herausbewegen an.

Kann man die Erfahrungen aus den „Professoren“-Coachings auf andere Coachings übertragen?

Auf jeden Fall. Ich arbeite z.B. sehr oft für Bundesministerien. Dort werden Führungskräfte oder Referenten teilweise auch evaluiert, mittels Führungsfeedback. Das kann man zwar nicht eins zu eins mit einer Evaluation der Lehre vergleichen, aber es gibt deutliche Parallelen. Denn letztlich geht es nämlich darum, gespiegelt zu bekommen – von den eigenen Mitarbeitern – wie man wahrgenommen wird, wo man mit seinem Führungsansatz vielleicht sehr gut unterwegs ist und wo nicht, wo es Missverständnisse gibt, was man optimieren könnte und was schließlich auf die eigene Führungspersönlichkeit zurückzuführen ist und was auf die Organisation bzw. das System? Das ist übrigens extrem spannend!

Welche Anliegen bringen Ministerien zum Coaching?

Im Grunde keine anderen als bei privaten Unternehmen. Nur sind hier tatsächlich die Führungsfeedbackprojekte die mit Abstand häufigsten Anliegen – und ich würde sagen, auch die interessantesten. Einige Ministerien haben solche Instrumente etabliert und nutzen sie auch alle ein, zwei oder vier Jahre. Hierfür wird sich auch wirklich Zeit genommen, das läuft nicht irgendwie nebenher. Die wollen wissen, wie ihre Führungskräfte die Mitarbeiter führen, wie die Stimmung in den Teams ist und wo es was zu tun gibt. D.h., dieses Instrument wird nicht erst dann hervorgeholt, wenn es brennt, sondern als Bestandteil der Führungsarbeit verstanden – das ist geradezu beispielhaft! Der Coach ist dabei oft auch eine Art Team-Moderator, der sich die Ergebnisse anschaut und gemeinsam mit dem Team bespricht und auswertet. Darauf folgt stets die Frage, wie die Entwicklung aussehen und welche Führungskraft eventuell zu welchem Belang unterstützt oder gecoacht werden müsste.

Eine gute Prävention für sich anbahnende Krisen?

Definitiv! Gerade in der freien Wirtschaft wird oft punktuell etwas gemacht oder dann, wenn es schon gewaltig kracht. Als meine Tochter noch klein war, sagte sie mal: „Mama, du bist irgendwie wie die Feuerwehr.“ So hörte sich meine Arbeit für sie an – da ist was dran. Denn in aller Regel werden Coaches, auch ich, erst dann gerufen, wenn es „brennt“. Das ist aber ein Problem, weil man je nachdem wie viel schon verbrannt ist, nicht allzu viel retten kann. Wenn man aber grundsätzliche Instrumente zum Feedback oder ähnliches frühzeitig, nachhaltig und konsequent etabliert, dann kann man wie beim Zahnarzt prophylaktisch vielleicht erkennen, dass hier und da etwas getan werden muss, dass man eine Stelle im Auge behalten sollte. Der Zahnarzt ist wahrscheinlich ein noch viel besseres Bild für die Arbeit eines Coachs als der Feuerwehrmann: Viele gehen erst hin, wenn es schon weh tut und vielleicht zu spät ist. Die „Prophylaxe“ der Ministerien ist daher wirklich großartig.

Welche Fälle müssen in der Regel erst „brennen“, damit der Coach gerufen wird?

Meiner Erfahrung nach sind es Mobbingfälle und Anliegen zur Konfliktbearbeitung, beides auf einer sehr hohen Eskalationsstufe. Ferner auch Veränderungsprozesse, die so weit und so schief vorangetrieben sind, dass man nicht mehr viel retten kann: z.B. Veränderungen, die einen gefährlich knapp vor die Insolvenz führen. Der Grund, warum Menschen oft so lange warten und vieles hinauszögern, ist Hoffnung, dass alles wieder gut wird oder es nicht so schlimm ist, wie es aussieht. Wir reden uns so manchmal die Dinge zu schön. So eine Situation ist nicht nur für die Betroffenen schwierig oder belastend, sondern auch für den Coach. Ich komme, um zu unterstützen, merke aber, dass man nicht mehr viel machen kann, dass der Veränderungsprozess kaum gestaltbar oder der Konflikt extrem festgefahren ist. Das ist frustrierend.

Ist Ihr Migrationshintergrund ein Vorteil im Coaching? Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Bis jetzt habe ich nur großartige Erfahrungen gemacht. Auch konnte ich ihn stets als Vorteil nutzten in dem Sinne, dass ich durch meinen Migrationshintergrund sehr viel an Veränderungen erlebt habe. Ich verstehe Veränderungen deshalb sehr gut und kann darum, denke ich, hierbei eine wirklich gute Unterstützung anbieten. Damit hängt auch zusammen, dass ich schnell ein Gefühl für kulturelle Verschiedenheiten entwickeln und so Organisationen gut unterstützen kann, die sich international bewegen wollen. Aufgrund meines Migrationshintergrunds habe ich auch eine hohe Anpassungsfähigkeit, wodurch ich ein großes Verständnis für Andersartigkeit habe. Deswegen bin ich vielleicht schneller in der Lage, eine Brücke zwischen unterschiedlichen Menschen, auch aus verschiedenen Kulturen, zu bauen. Das finde ich übrigens enorm wichtig, denn wir sind alle nicht „normal“, jeder ist irgendwie anders. Normalität ist mir nicht bekannt, sie ist langweilig, ebenso wie Stillstand. Das Leben ist nicht normal, es ist immer in Bewegung. Wer Normalität und Stillstand will, muss auf den Friedhof! (lacht)

Spielt das Thema Interkulturalität in Ihren Coachings eine Rolle?

Ja, aber keine allzu große. Ich mache öfters „Sensibilisierungskurse“, also Kurse für Mitarbeiter, die im Ausland eingesetzt werden und die Gepflogenheiten und Eigenheiten des Landes und der Menschen kennenlernen sollen. Das mache ich beispielsweise für deutsche Firmen, die in Rumänien tätig sind, die berate und begleite ich dann auch.

Was muss ich beachten, wenn ich z.B. als Autobauer nach Rumänien gehe, um ein Werk aufzubauen?

Vieles (lacht)! Das erste ist die Frage der unterschiedlichen Führung: In Rumänien führt man noch relativ autoritär und es wird von einer Führungskraft erwartet, dass sie in der Lage ist, Entscheidungen einfach selbständig zu treffen und geradlinig umzusetzen. D.h., Entscheidungen werden nicht mit den Mitarbeitern diskutiert, die sind das einerseits nicht gewohnt, andererseits würde sie das völlig irritieren und sie würden den Chef für inkompetent oder zumindest führungsschwach halten. Das kann man in Deutschland – zumindest teilweise – so nicht machen.

Der zweite Punkt ist das sehr spannende Thema Strategie: In Deutschland spricht man gerne über die Zukunft, was macht man 2020, welche Zielsetzungen hat man für 2030? Dann gehen deutsche Führungskräfte nach Rumänien und wollen das Gleiche tun. So sprach eine Führungskraft eines sehr großen deutschen Automobilzulieferers im rumänischen Werk während einer Sitzung mit allen wichtigen Mitarbeitern und kam zum Thema Strategie 2020. Auf einmal wurde es richtig still im Raum und der Manager war ganz irritiert, wusste nicht, was mit den Leuten los war, dachte, er hätte etwas falsch gemacht. Die Reaktion der grimmig dreinblickenden rumänischen Mitarbeiter: „2020?! Da bin ich vielleicht schon tot!“ Sie verstehen nicht, dass das ernst gemeint ist, dass eine Perspektive aufgebaut und geteilt werden soll.

Der Hintergrund für diese Haltung liegt in der historischen Entwicklung Rumäniens. Die meisten Rumänen hatten bis tief in die 90er Jahre, vielleicht sogar noch bis Anfang 2000 hinein, nicht die Gelegenheit, langfristig zu denken und zu planen, sondern wurden immer und immer wieder aus dem Alltag und ihrer aktuellen wirtschaftlichen Situation gerissen – durch Kriege, Machtübernahmen, Besetzung usw. Das blieb über ganze Generationen hinweg gleich, weshalb sich eine Haltung entwickelt hat, die man mit „Hauptsache, heute!“ beschreiben kann. Man weiß nicht, was morgen wird, also konzentriert man sich auf das Heute.

Bieten Sie auch Coachings in Rumänien an?

Mache ich, aber nur für Top-Führungskräfte. Oft ist es so, dass mich eine deutsche Firma holt, die z.B. eine Fabrik in Rumänien aufbaut, um gezielt rumänische Führungskräfte für die obere Ebene oder die Geschäftsführung zu coachen. Hier gilt es, die Manager mit dem kooperativeren Führungsstil vertraut zu machen, vielleicht sogar eine Entwicklung in diese Richtung anzustoßen. Man muss sich da aber langsam herantasten und es den Leuten näherbringen, damit sie nicht gleich irritiert sind. Denn sie könnten es sonst als einen Angriff auf ihren bisherigen Stil verstehen oder als eine Belehrung von oben herab. Deshalb ist es wichtig, sich Zeit zu nehmen und die Klienten – und das ist vollkommen egal, ob man in Deutschland oder Rumänien coacht – zuerst genau zu beobachten, ohne zu bewerten: Was ist hier eigentlich los? Was für Menschen, was für ein Team habe ich vor mir? Wie arbeiten die miteinander, wie verhalten sie sich untereinander? Welche Ergebnisse werden erzielt, welche erwartet? Das ist die absolute Grundlage, um die Situation zu verstehen und zu erkennen, woran bestimmte Dinge, Konflikte, Probleme etc. liegen. Der Coach muss ein sehr guter Beobachter sein.

Als Vorstandsmitglied im DBVC sind sie u.a. für das Thema Internationalität zuständig. Worum geht es da?

Im Endeffekt überlegen wir uns, inwieweit das Thema Internationalisierung oder Internationalität für den DBVC eine Rolle spielen kann. Es ist also zunächst eine strategische Frage: Wie könnte unsere strategische Positionierung in dem Bereich aussehen? Hintergrund ist, dass viele Mittelständler und sehr viele Konzerne – sprich unsere Klienten – sich im internationalen Kontext bewegen. Die Frage ist dann: Kann ein Klient, der für ein paar Jahre nach China, Indien oder Israel geht, weiterhin von unseren Standards und unserem Wissen profitieren und wie können wir ihn optimal unterstützen und begleiten? Als großer Coaching-Verband müssen wir uns hier weiterentwickeln und Sorge tragen, dass wir auch im internationalen Kontext entsprechend als Ansprechpartner wahrgenommen werden.

Wie kann man sich die stärkere internationale Präsenz vorstellen?

Wir sind zwar noch in der Anfangsphase, aber ich stelle mir vor, internationale Standards und Netzwerke für unsere Mitglieder zu etablieren. Dort können Coaches mit internationalem Tätigkeitsfeld ihre Erfahrungen austauschen und sich gegenseitig unterstützen. Auch für unsere Klienten ist es wichtig zu wissen, dass sie in diesem Bereich auf den DBVC zählen können. Schließlich sind wir einer der wenigen Verbände in Deutschland, der sich ganz auf Business fokussiert hat, und Business hört nicht an der Landesgrenze auf.

Dieser Artikel gefällt Ihnen?

Dann unterstützen Sie unsere redaktionelle Arbeit durch den Abschluss eines Abonnements und ermöglichen Sie es uns, auch in Zukunft fundiert über das Thema Coaching informieren zu können.