Arbeit ist ein vielschichtiges Phänomen. Das hat die Philosophin Hannah Arendt schon vor gut 50 Jahren in ihrem Werk Vita Activa dargelegt. Ursprünglich war Arbeit nichts anderes als die unausweichliche und tägliche Sorge für den Lebensunterhalt. Sie diente dazu, den notwendigen Erfordernissen des Lebens zu genügen – von Tier, Mensch und Pflanzung. Später wandelte sich die Arbeit zur Produktion. Der Mensch wurde zum Homo Faber und sah seinen Lebensinhalt darin, Güter zu produzieren und damit Handel zu treiben. Jenseits dessen gab es als dritte Spielart menschlichen Tätigseins immer auch das Handeln: die Einrichtung des eigenen und gesellschaftlichen Lebens. Handeln, so Arendt, bedeutet, sich in der Welt zu zeigen und im Zusammenwirken mit anderen das Leben zu gestalten oder, wie man heute sagen würde, zu managen.
Traditionelle Arbeit, Herstellung und Handel prägen bis heute die Arbeitswelt. Das wird sich nun ändern. Traditionelle Arbeit und Produktion werden auf Maschinen übergeben. Zugleich werden sich mehr Freiräume fürs Handeln öffnen, die aber sinnvoll gefüllt werden müssen. Davon sind die meisten Unternehmen noch weit entfernt. Warum? Weil sie sich weiterhin in einem Mind-Set bewegen, der aus der untergehenden Homo Faber-Welt des 19. Jahrhunderts herrührt: dem Paradigma der instrumentellen Rationalität.
Herstellungsprozesse lassen sich optimieren, indem man klare Vorgaben macht und nach deren Maßgabe die Effizienz, Funktionalität und Produktivität optimiert. Entscheidend ist der Output, nicht der Prozess. Gebraucht wird dafür eine bestimmte Form menschlicher Intelligenz, die Max Weber „Zweckrationalität“ und Max Horkheimer „Instrumentelle Vernunft“ nannten. Sie dominiert längst nicht nur den ihr angestammten Bereich der Herstellung, sondern auch das ökonomische Handeln, sprich das Management. Heerscharen von Coaches und Beratern haben in den letzten Dekaden Unternehmen mit instrumentellen Management-Tools überschwemmt, die allesamt in Aussicht stellten, deren Funktionalität und Profitabilität zu steigern (was teilweise auch geschah). Dabei richteten sie einen fatalen Kollateralschaden an: die völlige Ausdörrung der Ressourcen Kreativität und Innovationsfähigkeit, die zu erschließen unverzichtbar ist, will man den Herausforderungen der Entwicklung der Arbeitswelt angemessen begegnen.
Damit ist auch eine Antwort auf die noch im Raume stehende Frage gegeben, wie die infolge von Digitalisierung und Robotisierung der Arbeitswelt frei werdenden Räume sinnvoll genutzt werden können: nicht durch weitere Optimierung instrumenteller Prozesse, sondern durch Einrichtung von Kreativitätszonen. Und das aus zwei Gründen: zum einen, weil die eigene Kreativität als letzter Wettbewerbsvorteil und Alleinstellungsmerkmal von Unternehmen übrigbleibt, wenn alles maschinell optimiert ist; zum anderen, weil kreatives Schaffen sich in einer von Arendt nicht bedachten menschlichen Praxis entfaltet, die auf absehbare Zeit von keinem noch so klugen Roboter vollzogen werden kann: im Spielen. Die These, die hier zur Diskussion steht, lautet mithin: Auf die ökonomischen Paradigmen traditionelle Arbeit und Herstellung folgt als weitere Spielart der menschlichen Vita Activa das Spiel. Von ihm aus wird zudem neu zu bedenken sein, was Management ist und leisten kann.
Warum das Spielen? „Spielen ist doch Kinderkram, gehört höchstens in die Freizeit – nicht in die ernste Welt des Business!“ So denkt die instrumentelle Vernunft, und so denkt sie falsch. Inzwischen wissen wir: Spielen ist kein Kinderkram, sondern ein zentrales Element stimmigen und erfüllten Menschseins. Wenn Friedrich Schiller in seinen Briefen über die Ästhetische Erziehung des Menschen notierte, der Mensch sei überhaupt „nur da ganz Mensch, wo er spielt“, dann ist dies eine sehr prägnante Formulierung für einen Fakt, den die Hirnforschung bestätigt: Das menschliche Gehirn ist keineswegs ein gutes, gleichwohl optimierbares Instrument zweckrationaler und nutzenorientierter Kalküle, sondern – ganz im Gegenteil – ein Spielzeug. Gewiss kann es auch von der instrumentellen Rationalität vereinnahmt werden, aber eigentlich wird es dadurch missbraucht, denn zu Höchstform läuft es erst dann auf, wenn es spielen darf. Dann erst zeigt es, was in ihm steckt: ein unerschöpfliches Potenzial an Kreativität.
Dieses Potenzial liegt in den meisten Unternehmen brach. Einfach deshalb, weil dort nicht gespielt wird; und weil sich die meisten Unternehmen lange schon nicht mehr auch als menschliche Kulturräume verstehen, sondern nur noch als zweckrationale Produktionsstätten. Falls doch gespielt wird, dann meist ein falsches Spiel, für das das Wort Gamification erfunden wurde: Dabei werden entweder funktionale Prozesse als Spiele getarnt oder Spiele für fremde Zwecke instrumentalisiert. Dadurch wird der verhängnisvollen Dominanz der instrumentellen Rationalität im Business nur weiter Vorschub geleistet. Verhängnisvoll nicht nur, weil auf diese Weise die Kreativitätspotenziale arbeitender Menschen austrocken, sondern auch, weil die Menschen in einer rein funktionalisierten Umgebung erst unglücklich und dann krank werden. Die Quote der Burnout- und Depressionserkrankungen spricht diesbezüglich eine deutliche Sprache.
Also: Unternehmen, denen es um ihre Zukunfts- und langfristige Wettbewerbsfähigkeit zu tun ist, sind gut beraten, Spielräume für Kreativität zu schaffen. Was heißt das? Es heißt nicht, dass man einen Tischkicker in die Kantine stellt oder Computerspiele installiert. Es heißt, dass man Reservate schafft, die frei sind von instrumentellen Kalkülen: Räume, in denen nichts gemacht werden muss; Zeiten, in denen kein Zweck verfolgt wird.
Damit sind wir bei der Frage angelangt, was die Kulturform des Spielens eigentlich auszeichnet und von der funktionalen Intelligenz unterscheidet: Spiele sind zweckfrei. Wer spielt, spielt um des Spielens willen und nicht, weil er damit ein bestimmtes (anderes) Ziel verfolgt. Tut er es doch, ist er kein Spieler mehr – kein homo ludens –, sondern ein Geschäftsmann – ein homo oeconomicus. Zwei Beispiele: Wer Fußball um der Siegprämie willen spielt, spielt nicht wirklich und spielt auch nicht gut. Wer gut spielen will, muss sich der Logik des Spiels anheimgeben: Ziel des Spielens ist, gut zu spielen. Jeder Fußballer weiß das: Als echter Spieler kann man mit einer Niederlage gut klar kommen, wenn man das Gefühl hat, ein gutes Spiel gemacht zu haben. Was aber heißt das? Es heißt, die Potenziale, die in einem Spiel schlummern, entfaltet zu haben und – das ist das Entscheidende – dabei die eigenen Lebendigkeitspotenziale zu erschließen: diejenigen Potenziale, die sich außerhalb des Spielfeldes nie zeigen würden: Man hat sein Bestes gegeben, war kreativ, hat intensive Lebendigkeit erfahren – und trotzdem verloren. Was soll’s?
Anderes Beispiel: Wer früher in ein Spielcasino ging, legte dafür – wie ursprünglich bei allen Spielen – eine besondere Spielkleidung an: die Dame das Abendkleid, der Herr den Smoking. Anders wäre man gar nicht ins Casino gekommen. Auf diese Weise konnte man sich dessen vergewissern, dass man in dem Augenblick, da man das Casino betrat, Zugang zu einer Welt erhielt, die signifikant von der Welt jenseits des Casinos getrennt ist: eine Spielwelt. Hier wird man aber nur einen guten Abend verleben, wenn man sich im Klaren ist, dass dort nicht gewirtschaftet, sondern gespielt wird: Man sollte nicht auf die Idee kommen, am Ende Profit machen zu müssen.
Wobei man im Casino natürlich (etwas) gewinnen möchte, das verlangen Spielregel und Spielidee. Nur bemisst sich das Gelingen des Spiels nicht daran, dass man einen Gewinn nach Hause bringt (sonst wäre es kein Spiel, sondern Business), sondern ausschließlich daran, in angenehmer Gesellschaft einen guten Abend verbracht zu haben. Ein Spielcasino ist seiner Idee nach ein Kulturort – wie ein Theater- oder Opernhaus – und kein Handelsplatz. Dass wir die meisten Casinos zu neonleuchtenden und tristen Orten des vermeintlich billigen Gelderwerbs gemacht haben, wo man in Jeans und Turnschuhen am Automaten die schnelle Mark verdienen will, zeigt nur, wie sehr die instrumentelle Vernunft die Spielwelt zu kolonialisieren begonnen hat. Über das Business Fußball ließe sich ähnliches sagen.
Spiele brauchen Zweckfreiheit. Sie genügen sich selbst, ihr Sinn erschöpft sich im Vollzug. Das ist entscheidend wichtig, sonst kann man nicht verstehen, was Spiele sind. Hat man sich das aber klar gemacht, dann ist auch klar, was Spiele brauchen, um sich diese Freiheit zu wahren: Sie brauchen Grenzen. Erstens räumliche Grenzen, die klar markieren, wo das Spielfeld ist, in welchem Bereich das Spiel seinen Zauber entfalten kann und wo die Nicht-Spiel-Welt wieder beginnt. Ebenso brauchen Spiele zeitliche Grenzen, eine Spielzeit. Man kann nur spielen, wenn man weiß, dass und wann das Spiel ein Ende hat. Drittens brauchen Spiele interne Grenzen, die es strukturieren: die Spielregeln. Ohne sie ist kein Spiel möglich, denn sie dienen dazu, eine Spieldynamik zu entfesseln, die es den Spielern erlaubt, im Spielgeschehen ihre Potenziale zu entfalten und intensiv gesteigerte Lebendigkeit zu erfahren.
Wo diese Voraussetzungen erfüllt sind – und zwar nur wo diese Voraussetzungen erfüllt sind –, können Spiele zu Brutkästen der Kreativität werden. Und darauf sind sie alle angelegt: ob Sportspiele oder Brettspiele, Musikspiele oder Theaterspiele, Kampfspiele oder Liebesspiele, Kultspiele oder Geschicklichkeitsspiele – sie alle öffnen zweckfreie Spielräume, damit sich darin etwas zeigen kann, was sich außerhalb des Spielfeldes und der Spielzeit niemals zeigen könnte: Menschen zeigen ein anderes Gesicht, schlüpfen in andere Rollen, erproben nie gekannte Emotionen, spielen Gedanken und Strategien durch, erschließen brachliegende Fertigkeiten. Ein jedes Spiel ist – genau genommen – eine Bühne, auf der die Spielenden sich zeigen können: mal in ihrem Können, mal in ihrer Geschicklichkeit, mal in ihrem wahren Charakter (man denke nur an Spiele wie „Mensch ärgere dich nicht“ oder „Malefiz“ …). Schon Platon sagte: „Beim Spiel kann man einen Menschen in nur einer Stunde besser kennenlernen als im Gespräch in einem Jahr.“
Dass Spiele Freiräume für Darstellung eröffnen und es Menschen erlauben, sich zu zeigen, weist auf das dritte Wesensmerkmal echter Spiele hin, das wir hinzunehmen müssen, um ein vollständiges Bild davon zu gewinnen, was sie von den Pseudo-Spielen à la Gamification unterscheidet: Echte Spiele brauchen Mitspieler. Sich oder etwas in einem Spiel zu zeigen, ist witzlos, wenn da niemand ist, der mitspielt oder zuschaut – Zuschauer sind auch Mitspieler (man denke nur an die Fankurve eines Stadions oder die Menschentrauben um Schachspieler in Buenos Aires). Natürlich sind auch Gegenspieler Mitspieler, ohne sie macht kein Spiel wirklich Spaß. Und wenn ein Kind mit sich alleine spielt, dann geht auch das nur deshalb, weil es in seiner spielerischen Genialität seine Spielzeuge zum mitspielenden Du wandelt.
Mitspieler sind auch deshalb unverzichtbar, weil nur sie sicherstellen, dass sich so etwas wie ein unvorhersehbarer Spielfluss ergibt, infolge dessen sich der Zauber des Spiels und die ihm eigene Kreativität entfalten können. Sie gedeiht im Hin und Her, das für jedes Spiel so unentbehrlich ist und das auch in der Sprache seine Spuren hinterlassen hat, wenn wir etwa vom Spiel der Wellen reden. Deswegen hat ein guter Spielfluss auch nie die Form jener Flüsse, die der Homo Oeconomicus mit seiner instrumentell-funktionalen Rationalität so sehr schätzt: geradlinige Kanäle. Nein, der Spielfluss mäandert durch die Spielzeit. Er hat ein langsameres Tempo, doch in seinen Windungen und Biegungen gedeihen jene Biotope, in denen das Leben sich ausbreiten kann. Hier, im chaotischen Flusslauf und nicht an funktional-optimierten, glattbetonierten Kanalwänden keimt Kreativität.
Auch das bestätigt die Neurophysiologie. Gerald Hüther, einer der führenden Repräsentanten dieser Zunft, schreibt, niemand komme auf „eine neue, kreative Idee, wenn er sich anstrengt, wenn er sich unter Druck gesetzt fühlt oder von starken Affekten getrieben ist“ (2016, S. 32). Und er ergänzt, dass Menschen immer dann kreative Einfälle haben, „wenn sie ohne Druck, frei und unbekümmert, also spielerisch in der Lage sind, ihre Gedanken einfach laufen zu lassen und abzuwarten, was sich dann wie von selbst zusammenfügt. Bei manchen passiert das unter der Dusche, bei manchen im Bett oder beim Spazierengehen. Zweckfrei und absichtslos, also spielerisch, sind sie mit ihren Gedanken unterwegs“ (ebd.).
Dafür Räume zu schaffen, ist die Schlüsselaufgabe eines zukunftsfähigen und avancierten Coachings. Bereits zu Tode optimierte Prozesse und Menschen weiterhin zu optimieren, kann nicht länger Sinn und Zweck der Übung sein, sondern die Rückbesinnung auf das genuin Menschliche – auf die kreative Qualität des Menschen, die ihn dauerhaft von seinen Maschinen unterscheiden wird, selbst wenn die Künstliche Intelligenz noch so weit voranschreitet. Denn wirklich spielende Maschinen wird die KI nie zustande bringen – und wirklich kreative Wesen ebenso wenig. Wenn sich ein zukunftsfähiges Coaching anschickt, Spielräume zu generieren, dann schlägt es folglich also zwei Fliegen mit einer Klappe: Es schafft einen Zugang zu der kostbaren Ressource Kreativität – und es trägt die Menschlichkeit, das Humanum, zurück in die Unternehmen. Wirtschaftlicher Erfolg durch Innovation und menschlicher Erfolg durch Sinnstiftung werden die Folge sein.
Wie macht man das? Zwei Beispiele aus der philosophischen Beratungspraxis können andeuten, wie sich in Unternehmen Reservate des Spiels bzw. Inseln der Lebendigkeit einrichten lassen. Die Vorschläge sind praktisch erprobt und haben bereits unter Beweis gestellt, in welchem Maße sie die Kreativitätsressourcen von Beschäftigten öffnen können.
Ein mittelständisches Unternehmen aus der Automobilbranche hat beschlossen, seine Unternehmenskultur zu entwickeln. Als zentrales Thema identifizieren die Führungskräfte in einem eigens dafür gebildeten Team das Stichwort Verantwortung. Tatsächlich stellen sie bald fest, keine belastbare und operable Definition von Verantwortung zu haben. Der in den Prozess einbezogene Philosoph erarbeitet mit den Führungskräften ein Verständnis von Verantwortung, das dieses Wort wörtlich nimmt und darauf abhebt, Verantwortlichkeit als eine Haltung des Antwortgebens zu profilieren – des Antwortgebens auf die Ansprüche und Anforderungen, die von Kunden, Belegschaft, Stakeholdern etc. an Führungskräfte herangetragen werden. Verantwortliche Führung, so erkennen die Beteiligten, setzt daher voraus, sorgsam darauf zu achten, wer einer Führungskraft etwas zu sagen hat und vor allem, was eine Führungskraft etwas angeht; um sodann mutig und beherzt eine passende und stimmige Antwort zu geben.
Wie macht man das? Die Frage bleibt nicht aus, lässt sich aber nicht theoretisch beantworten. Daher wird ein eigener Workshop an einer passenden Location verabredet, zu dem der Komponist und Improvisationsmusiker Matthias Graf anreist. Er wird diesen Spieltag bestreiten. Dafür hat er einen Lieferwagen voller Musikinstrumente mitgebracht – und zwar solche, die auch blutige Laien bedienen können. Das sind die Spielzeuge, mit deren Hilfe die Workshop-Teilnehmer ihre Improvisationsspiele bestreiten werden. Dabei geht es immer darum, vermittelt über die mit den Instrumenten erzeugten Töne, sich auf die jeweiligen Mitspieler einzustimmen bzw. im spielerischen Miteinander eine gemeinsame Musik zu finden: Co-Kreativität vom Feinsten.
Achtsames Zuhören und Zugehören, couragiertes Den-Takt-Angeben, achtsames Sich-Einspielen, gemeinsames Komponieren. Das alles macht den Teilnehmern nicht nur einen Heidenspaß, sondern schärft und weckt auch ihren Sinn füreinander. In der Auswertung sprudelt aus den Spielern ein Strom kreativer Ideen für die konkrete Ausgestaltung der künftigen Unternehmenskultur.
„Theater ist verdichtetes Leben“, sagt Coach und Schauspielerin Adele Landauer. In ihren Coachings mit CEOs und Top-Führungskräften lädt sie ihre Klienten dazu ein, sich im geschützten Spielraum des Theaters auf eine Weise auszuprobieren, wie sie es in ihrem normalen Berufsalltag sonst nie könnten. Im Spiel aber haben sie die Chance, ansonsten brachliegende Potenziale sichtbar zu machen. Dabei geht es nicht darum, dass sich die Teilnehmer bestimmte Rollen aneignen und so zu tun, als ob sie – sagen wir – Maria Stuart oder Hamlet wären; nein, im Spielraum der Bühne sollen die Menschen darin unterstützt werden, mit Hilfe des Theaters ihr sonst verborgenes Inneres, ja Innerstes zeigen und darstellen zu können. Für eine solche Arbeit eignen sich daher auch eher die Mittel des Improvisationstheaters statt vorgegebene Texte und Rollen.
Gerade in der Arbeit mit Gruppen oder Teams hat sich diese Arbeit bewährt. Durch einfache Übungen wird den Teilnehmern die Scheu genommen; z.B., indem sie sich eine innere Geschwindigkeitsskala von eins bis zehn geben, um dann auf Kommando zu erproben, wie es sich mit „drei“ oder „sieben“ läuft, sich dabei begegnet und damit Nähe, Distanz, Blickkontakt ausprobiert und wahres Aufeinandereinlassen, intensive Begegnung und Verbindung erprobt. Der Fundus solch einfacher, aber höchst unterhaltsamer Tools der Improvisationskunst ist schier unerschöpflich. In einem fortgeschrittenen Stadium erhalten die Teilnehmer konkrete Aufgaben, die es ihnen erlauben, sich improvisierend auf meist neue und überraschende Weise zu erleben. Dieses Durchspielen unterschiedlicher Verhaltensoptionen und Entscheidungsmöglichkeiten entfesselt die Kreativität und Spielfreude der Beteiligten.
Theaterspielen kann man nicht allein, auch hier braucht man Mitspieler, Teamplayer, ein Du, ein Wir. Erst im Miteinander kann man sich erfahren – und seine Rolle innerhalb dieser Gruppe, dieses Teams kennenlernen. So lernt man, sich als Teil eines Großen Ganzen zu verstehen, sich ein- und manchmal auch unterzuordnen. Aber man lernt auch, Führung zu übernehmen. All das erfährt man – auf spielerische Weise – nur, wenn man sich selbst führt.
In besonderen Fällen – vorwiegend bei Einzel-Coachings – kann man aber auch sehr gut mit vorgegebenem Textmaterial arbeiten. So erzählt beispielsweise Adele Landauer von einem CEO, mit dem sie in einem intensiven Prozess die berühmte Rede Mark Antons aus Shakespeares Julius Cäsar einstudiert hat: „Friends, Romans, countrymen, lend me your ears …“. Auch das geschieht nicht, um den Klienten dazu zu bringen, so zu tun, als sei er ein römischer Feldherr, sondern um ihn einzuladen, die Qualität eines entschlossenen Strategen und begnadeten Redners in sich freizuschalten. Ein gutes Beispiel dafür, wie spielerisch Neues kreiert werden kann.
Die große Stärke des Theaterspielens liegt darin, dass es bleibende Spuren hinterlässt. Was man einmal für sich leibhaftig durchgespielt hat, prägt sich als Erfahrung ins Körpergedächtnis ein. Der erwähnte CEO etwa weiß jetzt, wie es sich anfühlt, wenn man eine aufgebrachte Menge mit der Kraft der Rede zu einem Stimmungswandel bewegt. Und er weiß, dass es sich gut anfühlt. Diese emotional codierte Leiberfahrung macht das kreative Spiel zu einer unvergleichlichen existenziellen Lernerfahrung. Dadurch wird Kreativität nachhaltig. Das geht aber nur im geschützten Raum des Spiels. Denn hier fühlt sich der Klient sicher und frei.
Solche Räume einzurichten, zu pflegen und gegen die stets drohende Kolonialisierung seitens der landläufigen instrumentellen Rationalität zu verteidigen, ist eine Kernaufgabe künftiger Unternehmenskulturentwicklung. Sie erschließt die kostbare Ressource der Kreativität, stiftet Sinn und gewährleistet Menschlichkeit in einer zunehmend technisierten bzw. digitalisierten Welt. Es wird Zeit, dass Unternehmen wieder zu Kulturräumen werden: Räumen spielerischer Lebendigkeit.