Ethik

Da ist mehr drin!

Fünf konstruktive Perspektiven auf die Zukunft

Wenn wir mit Zukunft schlicht die vor uns liegende, weil noch nicht erlebte Zeit meinen, scheint die Definition der Zukunft einfach und jede weitere Nachfrage überflüssig. Steigt man etwas tiefer ein, wird schnell klar, dass dieses auf den ersten Blick eindeutige und erschöpfende Verständnis des Begriffs Zukunft ungenügend ist und der Komplexität der Zukunft nicht gerecht werden kann.

16 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 3 | 2012 am 12.09.2012

Die Zukunft, unendliche Weiten – und unendliche Missverständnisse. Wenn schon beim Gespräch über die Gegenwart das Missverständnis bekanntlich die Regel ist, wird es mit der Zukunft erst recht schwierig, ein gemeinsames Verständnis zu erzielen. Manager und die sie Beratenden sind aber von einer professionellen Sichtweise in besonderer Weise betroffen.

Mit sage und schreibe zehn Arten von Zukunft bekommt man es bei genauerem Hinsehen zu tun: Die undenkbare Zukunft bildet den größten Raum, die denkbare demgemäß die Teilmenge davon. Ein Teil davon ist bereits gedachte Zukunft, ein Teil davon ist grundsätzlich möglich, davon wiederum ein Teil ist plausibel und darin liegt die wahrscheinliche Zukunft. Die überraschende Zukunft liegt dazu etwa quer, genauso wie die gestaltbare Zukunft, die die erstrebte Zukunft beinhaltet und diese wiederum die geplante Zukunft. Damit wird offensichtlich, warum es im Alltagsgespräch, im Workshop oder bei Medienbeiträgen so oft zu Zukunftsverwirrungen kommt.

Aber wer kann sich schon zehn verschiedene Arten von Zukunft merken und auch noch ad hoc anwenden? Auf der Suche nach einem einfachen Modell hilft ein Blick auf die dem Menschen eigenen Grundmotive beim Blick in die Zukunft. Bei unserem einige tausend Jahre alten Streben, in die Zukunft zu sehen, treiben uns fünf wesentliche Motive:

  1. Die wahrscheinliche Zukunft: Wir wollen die wahrscheinliche Zukunft kennen, um bessere Entscheidungen mit weniger Fehlern und mehr Chancen zu treffen. Dabei hilft es, Annahmen darüber zu haben, was kommt, was bleibt und was geht?
  2. Die überraschende Zukunft: Wir wollen die Überraschungen und Bedrohungen der Zukunft kennen. Wir wollen sicherer sein und weniger Angst haben, indem wir uns auf Überraschungen vorbereiten.
  3. Die gestaltbare Zukunft: Wir wollen die Chancen der Zukunft erkennen, um mehr aus unserem Leben und unseren Organisationen und Gesellschaften machen zu können.
  4. Die erstrebte Zukunft: Wir wollen eine Vision von der erstrebten Zukunft entwickeln, um unser tägliches Tun an einer besseren Zukunft orientieren zu können.
  5. Die geplante Zukunft: Wir wollen unsere Strategie, unsere Projekte und Prozesse planen, um zu wissen, was wir als nächstes tun sollen, um die erstrebte Zukunft zu verwirklichen.

Diese fünf Motive gelten für jeden von uns in seinem eigenen Leben, wie auch für die großen Konzerne und prinzipiell für jede Organisation, seien es Städte, Staaten, Schulen oder Kirchen.

Sie kann man sich leicht veranschaulichen, wenn man sich vorstellt, der Kapitän eines Segelschiffs zu sein. Man steht dort auf der Bühne des Lebens (oder des Unternehmens). Das Wetter und das Meer sind das Umfeld.

Die wahrscheinliche Zukunft

Betrachtet man die Zukunft durch die Brille der Wahrscheinlichkeit, steht dafür symbolisch das Wetter und das Meer. Es sind große und starke Kräfte, an denen man nichts ändern kann, von denen aber die Existenz des Schiffs und seiner Mannschaft abhängt.

Was kommt, was bleibt, was geht?

Das Wetter lässt sich bekanntlich nur schwer vorhersagen. Selbst wenn man Wetterdienste befragt, hört man verschiedene Prognosen. Der Kapitän ist also gezwungen, sich seine eigene Meinung, oder genauer, seine eigenen Zukunftsannahmen über das Wetter und die Strömung zu bilden. Schließlich trägt er die Verantwortung. Die Wetterdienste bezahlen das Schiff nicht, wenn es wegen falscher Prognosen verunglückt.

Man kann wunderbar ohne Prognosen auskommen, aber niemand kommt ohne Zukunftsannahmen aus. Man gründet seine gesamte wirtschaftliche Existenz auf Annahmen über die Zukunft, beispielsweise die Annahme, dass es dauerhaft einen Bedarf nach der eigenen Arbeit und den eigenen Produkten geben wird, dass weiterhin das heutige Vertriebskonzept von den Kunden angenommen werden wird und dass auch in Zukunft die eigene Art, die Kundenprobleme zu lösen, eine gute ist.

Jede Entscheidung und jede Maßnahme beruht auf Annahmen über die Zukunft. Man kann gar nicht anders, weil wichtige Entscheidungen uns für die Zukunft festlegen. Ob man eine Software einführt oder nicht, einen Mitarbeiter einstellt oder entlässt, ein Produkt entwickelt oder vom Markt nimmt, immer sind Zukunftsannahmen im Spiel. Meist ist man sich dessen nicht bewusst, selten sind die Annahmen aufgeschrieben. Oftmals offenbaren sich die wirklichen Zukunftsannahmen erst durch das praktische Handeln.

Die Zukunftsannahmen an die Oberfläche bringen

Wenn man als Manager das nächste Mal mit seinem Team zusammensitzt, kann man jedem zwei Blatt Papier in die Hand geben und die Kollegen bitten, auf das erste Blatt ganz oben folgende Frage zu schreiben: „Was wird sich in den nächsten fünf bis zehn Jahren wie in unserem Umfeld mit großer Wahrscheinlichkeit verändern?“ Nun fordert man die Kollegen auf, diese Frage zu beantworten und dabei nur solche Veränderungen aufzuschreiben, auf die sie einige Monatsgehälter verwetten würden.

Nach etwa einer halben Stunde lässt man das Team eine zweite Frage auf das zweite Blatt schreiben: „Was wird sich in den nächsten fünf bis zehn Jahren wie mit großer Wahrscheinlichkeit nicht verändern?“ Auch diese Frage soll so beantwortet werden, dass die Mitstreiter sehr sicher sind, mit ihren Antworten Recht zu behalten.

Wenn alle ihre Zukunftsannahmen aufgeschrieben haben, legt man die Blätter nebeneinander und staunt. Man wird mitunter gar erschüttert sein darüber, wie unterschiedlich und oftmals widersprüchlich die Zukunftsannahmen des eigenen Teams sind. Und das, obwohl alle schon lange im Geschäft sind und man bisher glaubte, dass man ein Team im Konsens ist.

Praktisch bedeuten solch unterschiedliche Einschätzungen, dass die drei, fünf oder acht Kapitäne auf dem „Schiff “ vollkommen unterschiedliche Einschätzungen schon des Wetters haben, geschweige denn der Richtung, in die sie gemeinsam segeln sollten.

Zukunftsannahmen als Fundament der Strategie

Was kann man tun? Die üblicherweise großen Unterschiede in den Zukunftsannahmen lassen sich durch einen ausführlichen Austausch der mentalen Bilder der Kollegen verringern. Jede Zukunftsannahme sollte durch eine so genannte Argumentenbilanz unterlegt werden, was also die Annahme stützt und was sie in Frage stellt.

Zukunftsannahmen kommen mitnichten wirklich aus der Zukunft, sondern dorther, wo der Mensch sein Leben verbracht hat, also aus seiner Vergangenheit.

Deshalb sollte man die Zahl und Beschreibungsqualität der den Team-Mitgliedern bekannten Trends erhöhen. Aus dem Gedächtnis kann kaum jemand mehr als eine Handvoll Trends aufzählen, tatsächlich wirken auf die meisten Märkte derer dutzende ein.

Die überraschende Zukunft

Für einen Segler gibt es auf dem Meer eine Reihe denkbarer Überraschungen. Eine davon sind Riesenwellen, die mitunter aus dem Nichts auftauchen und in den letzten Jahrzehnten bereits geschätzten 200 größeren Schiffen den Untergang brachten. Eine andere Überraschung ist ein Piratenangriff im Mittelmeer. Am Horn von Afrika dürfte man hingegen heutzutage kaum noch von einer Überraschung sprechen. Es geht also per Definition um unwahrscheinliche, aber potenziell auswirkungsstarke Ereignisse und Entwicklungen. Wer könnte mit einer neuen Technologie das eigene Geschäft überflüssig machen? Wie könnte ein Wettbewerber sich plötzlich einen wesentlichen Vorteil verschaffen, etwa durch eine Fusion?

Was, wenn es ganz anders kommt?

Gerade seit 2001, aber im Grunde schon über die gesamte Menschheitsgeschichte hinweg, wissen wir, dass es immer wahrscheinlich ist, dass etwas Unwahrscheinliches passiert. So sprach es schon Aristoteles aus. Manche sprechen dabei von den schwarzen Schwänen, andere von Wildcards.

Es ist erschreckend zu sehen, wie wenig sich der Mensch mit den potenziellen Überraschungen beschäftigen mag. Weil sie unwahrscheinlich sind, wischen wir das Thema gerne vom Tisch. Zudem ist es unangenehm, sich mit den meist unangenehmen Überraschungen zu befassen. Dabei sind es meist die Überraschungen, die man im Nachhinein gerne vorher als gefährlich erkannt und sich darauf vorbereitet hätte. Dabei ist es leichter und interessanter als man gemeinhin denkt.

Von der Zukunft weniger überrascht werden

Wie erkennt man potenzielle Überraschungen mit großer Relevanz? Indem man die Zukunftsannahmen umkehrt. Was, wenn die Zukunft genau das Gegenteil bringt? Insbesondere die Umfeldbedingungen, die man als gleichbleibend annimmt, sind dabei ein guter Ansatzpunkt.

Es kommt nicht so sehr darauf an, dass man sich phantasievoll ausdenkt, was genau passieren könnte. Wesentlich wichtiger ist, dass man identifizieren kann, wo man verletzlich ist und welche einigermaßen plausiblen Szenarien unerwarteter Veränderung beispielsweise zur Zerstörung des eigenen Geschäftsmodells führen könnten.

Wie wäre es mit einem „War Game“? Mehrere Teilgruppen des eigenen Teams nehmen die Rolle der schärfsten Wettbewerber ein und greifen mit großzügig bemessenen Mitteln das eigene Unternehmen an, um einem den Markt wegzunehmen oder einen schlicht zu zerstören. Man wird staunen, auf welche gefährlichen Gedanken die Kollegen und eigenen Mitarbeiter dabei kommen. Wieder in die vertraute Rolle zurückgeschlüpft, gilt es zu überlegen, welche Aktionen der Wettbewerber man problemlos abwehren und überleben könnte, und welche davon existenziell bedrohlich sind. Gegen Letztere muss man sich und das Unternehmen weitestmöglich immunisieren.

Die gestaltbare Zukunft

Mögliche Destinationen zu ergründen, sich die fruchtbaren Länder und lohnenden Inseln vorzustellen, zu denen man segeln könnte, ist die vielleicht angenehmste Aufgabe eines Kapitäns. Fast genauso wichtig und interessant ist die Aufgabe, nach der Entscheidung für eine Destination die Möglichkeiten zu ergründen, wie man segeln könnte. Beide Male ist das Ziel, ausreichend viele und geeignete Optionen und Chancen zu erkennen, um eine gute Entscheidung zu ermöglichen.

Die gestaltbare Zukunft

Was könnte man aus seinem Leben oder Unternehmen noch machen? Die Zukunft ist nicht vorhersehbar, weil sie gestaltbar ist. In Grenzen natürlich. Weil Milliarden von Menschen täglich Entscheidungen treffen, mal bessere, mal schlechtere, auf jeden Fall aber nicht vorhersagbare, kann auch die Zukunft nicht vorhersehbar sein. Und das ist schön so, denn nur dann ist das Leben gestaltbar.

Man hat nur ein Leben. Es gibt keine Parallelwelten, in denen wir unsere Jahre nochmals leben könnten. Man sollte sich die Zeit nehmen, an der Kernaufgabe eines (Lebens-)Unternehmers zu arbeiten, am Erkennen von Chancen für die nächste Ära. Wie kann man sein Unternehmen in die Zukunftsmärkte hinein entwickeln, es zum Wohle der Kunden nachhaltig in Zukunftsmärkten wachsen lassen, wie es gegen zerstörende Zukunftsmärkte schützen und wie für die Zukunftsmärkte veredeln, also für Talente und Kunden attraktiver machen? Die gestaltbare Zukunft bildet die Brücke zwischen der Außenwelt und unserem eigenen Handeln. Die wahrscheinliche und die potenziell überraschende Zukunft vermitteln uns ein Bild vom Umfeld. Die gestaltbare Zukunft zeigt uns die Chancen für unsere Vision und unsere Strategie.

Den Chancenhorizont erweitern

Solange man damit beschäftigt ist, das Unternehmen im Tagesgeschäft durch die gegenwärtige Ära und die nächsten ein oder zwei Jahre zu führen, ist es durchaus richtig, sich auf eine begrenzte Auswahl sehr offensichtlich relevanter Trends zu konzentrieren.

Wenn man aber die nächste Ära vordenken möchte, muss man die Frage nach der Relevanz anders stellen. Nicht „Was ist relevant?“, sondern „Was könnte relevant werden?“, muss dann die Frage sein. Es ist ein kleiner und banal anmutender Unterschied, der für die Gestaltung der Zukunft den ganzen Unterschied macht.

Nicht die vier, acht oder zwölf Megatrends bergen die Chancen der nächsten Ära, sondern die vielen Dutzend Trends, Technologien und Themen der Zukunft, die man mit dem ersten Blick des zeitknappen Tagesgeschäfts nach zwei Sekunden beiseiteschieben würde. Es ist eine Frage der Zeit und von ein wenig Aufgeschlossenheit, in so gut wie jedem Trend und jeder Technologie der Zukunft eine Chancenrelevanz für das eigene Unternehmen zu erkennen.

Noch vor zehn Jahren war es eine gewisse Herausforderung, gute Anregungen über Zu kunftsfaktoren zu finden. Doch heute, mit den Segnungen des Internets, findet man zumindest das Rohmaterial mit ein wenig Systematik, einem kritischen Blick und etwas Fleiß. Man kann sich ein Nutzerkonto für einen RSS-Reader anlegen, etwa bei Google. Sucht man nach Stichwörtern wie Zukunft, Futures, Foresight, Wildcards und so weiter, wird man unzählige Feeds von Bloggern finden, die aus purem Interesse oder für ihre eigene Vermarktung über Trends und Technologien der Zukunft berichten. Oder man lässt sich von den tausenden von Zukunftsvideos auf Youtube inspirieren. So viel visuelle Inspiration zu dem, was vor uns liegt, gab es noch nie.

Der zentrale Erfolgsfaktor für die Zukunftschancen sind aber die eigenen Einstellungen. Man sollte der Maxime folgen, dass jeder Trend und jede Zukunftstechnologie – und schiene sie auch noch so weit entfernt – nach einigen Minuten Denkzeit die wertvollsten Zukunftschancen und Zukunftsmärkte für einen beinhalten kann. Und das Beste daran ist, dass genau diese Chancen kaum einer der Konkurrenten im Blick hat. Wenn es leicht wäre, könnte es jeder.

Die erstrebte Zukunft

Was will ich? Welche Zukunft will ich verwirklichen? Von keiner Antwort hängt unser Leben mehr ab. Sie bestimmt, was heute richtig und falsch, was heute gut und schlecht für uns ist.

Die erstrebte Zukunft

Für den Segel-Kapitän ist es vergleichsweise leicht, sich für eine Destination zu entscheiden und eine Vision zu entwickeln. Im Leben und Arbeiten fällt es uns dagegen extrem schwer. Besonders dann, wenn wir nicht alleine die Vision bestimmen, sondern sie ein Kompromiss aus vielen Vorstellungen sein muss. In der Managementtheorie spricht man vom „normativen Management“. Wir setzen die Norm, indem wir uns zwischen Alternativen entscheiden und festlegen, was genau wir wollen.

Vision war ein Modewort. Viele sind dieses Begriffs überdrüssig. Zwar findet man in den meisten, einigermaßen professionell geführten Unternehmen ein Dokument mit dem Wort „Vision“ in der Überschrift. Aber darunter stehen in der Regel bloß einige schöne Sätze über Qualität, Wachstum, Nachhaltigkeit und Rentabilität. Die erstrebte Zukunft erfordert aber klare Richtungsentscheidungen, und damit im Wesentlichen Entscheidungen gegen sehr viele Chancen und für nur wenige.

Eine Vorlage für das tägliche Puzzle schaffen

Jeder Mensch hat zu jedem Zeitpunkt zumindest Fragmente einer Vision. Die Frage ist nur, ob die Vision auch im Einklang mit derjenigen der Kollegen ist.

Nicht nur im Leben, vor allem in Teams und ganzen Unternehmen braucht es eine bildliche Vorlage für das tägliche Tun. Niemals würde man jemanden, den man mag, ohne Vorlage puzzeln lassen. Und erst recht würde man nie jemanden, den man nach Zeit bezahlt, ohne Vorlage puzzeln lassen.

Das wäre zumindest extrem ineffizient und damit sehr teuer. Genau dies tut aber jeder Führende, wenn er seinem Team keine strategische Vision im Sinne einer bildlichen Vorlage für das Puzzle aus Entscheidungen, Projekten und Prozessen im Tagesgeschäft gibt. Er verzichtet damit auf das mächtigste Führungswerkzeug. Erst eine gemeinsam getragene Vision schafft das orientierende Zielbild.

Wie der Kapitän sich mehrere attraktive Destinationen vorstellt, bevor er sich entscheidet, sollte man für sich oder für sein Unternehmen nicht nur eine einzige Vision entwickeln, sondern mindestens drei Kandidaten. Wer nur eine einzige Vision entwickelt, wird im Wesentlichen nur die Historie fortschreiben und seine Chancen im Wettbewerb unerkannt und ungenutzt lassen.

Visionskandidaten machen es einem möglich, in einem gleichsam evolutionären Prozess, mehrere alternative Visionsentwürfe gegeneinander in einen Wettbewerb um die emotionale wie rationale Zustimmung des Teams antreten zu lassen. So findet man den für die Zukunft richtigen Visionskern.

Die uralte Erkenntnis, dass eine Vision bildhaft sein muss (videre = sehen), ist inzwischen wissenschaftlich belegbar. Wirklich erstaunlich ist deshalb, dass Führungskräfte noch weitgehend mit Zahlen und Worten zu führen versuchen.

Misst man Erfolg daran, wie gut man eine Vision verwirklicht hat? Nur bedingt. Eine Vision ist ein periodischer Prototyp. Wir lernen ständig hinzu und müssen von Zeit zu Zeit mit dem Gelernten die Vision anpassen. Eine über viele Jahre identische Vision könnte bedeuten, dass man über die erstrebte Zukunft jahrelang keine neuen Erkenntnisse hatte. Entscheidend ist daher die Gegenwartswirkung einer Vision, dass die Vision im täglichen Tun Orientierung gibt.

Die geplante Zukunft

Erst wenn er sich für die Destination entschieden hat, kann der Kapitän die Route planen. Erst dann kann er die Segelstrategie bestimmen und seine Mannschaft und seine Ressourcen einteilen.

Die geplante Zukunft

Bevor wir eine Strategie entwickeln können, müssen wir noch einmal zurück zur gestaltbaren Zukunft gehen und Chancen und Optionen entwickeln. Dann entscheiden wir über und planen den augenscheinlich besten Weg zu unserer Vision.

Im Planen sind nicht nur die Betriebswirte und Ingenieure große Meister. Manager tragen den größten Teil ihrer Zeit nur diese Zukunftsbrille. Als die Welt noch etwas weniger dynamisch und komplex war, wurden Bibliotheken mit der Beschreibung von Planungsmethoden gefüllt.

Den flexiblen Weg zur Vision planen

Planen im engeren Sinne bedeutet, dass man sich möglichst genau festlegt, wie man was tun möchte. Die letzten Jahrzehnte haben uns gelehrt, dass wir immer weniger weit in die Zukunft planen sollten. Schon vor mehr als dreißig Jahren hat uns Henry Mintzberg, einer der großen Management-Vordenker, eine realistische Regel mit auf den Weg gegeben: Vieles vom Geplanten wird nie realisiert werden, und vieles vom Realisierten war nie geplant.

Wenn man vorher die anderen vier Sichtweisen auf die Zukunft eingenommen hat, kann man sich vorsichtig an die Planung herantrauen. Ohne Analyse und Verbesserung der Annahmen, ohne die Vorbereitung auf potenzielle Überraschungen, ohne das Erkennen vieler sinnvoller Chancen und ohne die Entwicklung einer Vision ist Planung im Grunde wertlos – und tendenziell gefährlich. Umso erstaunlicher ist es, wie oft und früh sich der Mensch in die operative Planung stürzt und sich unrealistisch und oft unnötig stark festlegt.

Die fünf Zukunftsbrillen

Die fünf Zukunftsmotive des Menschen sind gleichzeitig fünf Sichtweisen auf die Zukunft. Ich habe diese Sichtweisen „die fünf Zukunftsbrillen“ genannt, um daraus die Basis für das so genannte „Eltviller Modell“ zu formen. Es ist aus der Arbeit mit und der Beobachtung mehrerer hundert Führungsteams entstanden. Die fünf Zukunftsbrillen haben Gläser in fünf verschiedenen Farben:

  1. Blau: Die wahrscheinliche Entwicklung unseres Umfelds betrachten wir wie der Kapitän das Meer und das Wetter.
  2. Rot: Die überraschende Zukunft sieht der Kapitän beim Gedanken an einen Piratenangriff mit Blutvergießen und Feuer.
  3. Grün: Die gestaltbare Zukunft in Form der fruchtbaren Länder und Inseln sieht der Kapitän durch diese Zukunftsbrille.
  4. Gelb: Mit der erstrebten Zukunft entscheidet sich der Kapitän vielleicht für die Insel, auf der er den schönsten Sonnenschein vermutet. 
  5. Violett: Auf einem Segelschiff setzt man die geplante Zukunft durch harte Arbeit um und zieht sich fast zwangsläufig Blutergüsse zu.

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