Konzepte

Kollaps-Coaching

Mit veränderten Haltungen aus der Krise

Veränderungen werden nicht selten als Verlusterfahrungen erlebt. Insbesondere dann, wenn ein Umbruch unerwartet hineinbricht – und dies ist im Zuge der Coronavirus-Pandemie vielfach der Fall –, kann diese Erfahrung von einem Schockzustand oder von Trauer begleitet sein. Wie die im vorliegenden Artikel skizzierten Praxisfälle veranschaulichen, kommt es im Coaching darauf an, in entsprechenden Fällen zunächst einen Ort des Zuhörens zu schaffen, anstatt eine schnelle Zielfokussierung anzustreben.

14 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 2 | 2021 am 19.05.2021

Berufliche und persönliche Erfahrungen im Zuge der Pandemie spiegeln ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, das seit Jahren vorausgesagt wird: Die Zeit des Wachstums und des „immer weiter nach oben“ scheint vorbei zu sein. Was sich im Hinblick auf das eigene Konsumverhalten noch einigermaßen handeln lässt, bekommt eine ganz eigene Qualität und Dringlichkeit, wenn es um den beruflich angestammten und bislang mit Erfolg verteidigten Platz geht. Seine berufliche Stellung unverschuldet zu verlieren und unerwartet neu suchen zu müssen, stellt das bisherige Mindset – oft sehr tiefgreifend und nachhaltig – in Frage. Ebenso verhält es sich mit persönlichen Veränderungen, die über Menschen einbrechen und ein Gefühl von Fragilität auslösen. Neue Strategien auf den Haltungsebenen von Werten und Sinn müssen dann entwickelt werden, wozu Menschen und soziale Systeme „unter Schock“ erst einmal nicht in der Lage sind. Hier kommt Coaching eine entscheidende Aufgabe zu, die mit den Begleiterscheinungen der Pandemie ebenfalls neu zu reflektieren ist.

Vieles findet sich in der Literatur zur ressourcenorientierten Begleitung von Veränderungen und zum Empowerment (z.B. Herriger, 2020). Und vieles daraus ist bis heute – zielführend – anwendbar. Daran hat sich nichts geändert. Was neu ist, ist die Eruption, mit der unvorhergesehene – teils existenzielle – Umbrüche mit der Pandemie über Tausende hereingebrochen sind. Auch der Eintritt in die neue Lebensphase des – fälschlicherweise – sogenannten „Unruhestands“ will vorbereitet, geplant, antizipiert sein, um nicht in das berüchtigte „Loch“ zu fallen. Und obwohl man – rational – weiß, dass und wann der letzte „aktive“ Tag kommen wird, muss dieser reale Umstand dann doch wahrgenommen und verarbeitet werden. Und das benötigt mitunter Wochen, wenn nicht Monate. Für viele Menschen ist das, was sich mit Corona „wie eine Verrentung über Nacht“ (O-Ton eines Coaching-Klienten) über sie gelegt hat, nicht nur wegen der damit verbundenen Folgen so unfassbar, sondern weil sie dafür keinerlei Vorbereitung hatten. Einige Fallbeispiele sollen dies hier veranschaulichen (Namen und Altersangaben sind verfremdet).

Ziele und Lösungen: aber „gemach, gemach“

Auch weiterhin erscheint es zutreffend, Coaching mit den Attributen Lösungsorientierung und Begleitung bei der Zielfindung zu verbinden. Im erfahrenen „Kollaps“ jedoch kann es darum nicht an erster Stelle gehen. Deutlich wird dies z.B. an der Bemerkung eines Mittelständlers: „Ich konnte im Coaching immer gute Strategien entwickeln. Doch aktuell stehen wir an einem ganz anderen Punkt.“ Das Business-Coaching scheint ebenso mit dem einführend genannten Muster von Wachstum und Optimierung in Verbindung zu stehen. Insofern ist die Reflexion über adäquates Coaching in der Krise und Pandemie auch zugleich eine Anfrage an ein Coaching „nach Corona“. Schockzustände, wie sie mit der Pandemie tausendfach erfahren wurden, können auch ein Zuviel an Positivismus verbieten. Denn Klienten erwarten nicht immer umgehend die optimale Lösung all ihrer Probleme, wenn sie ins Coaching kommen. Eine wesentliche Aufgabe ist es mit dieser pandemischen Erfahrung auch geworden, zu allererst einen Ort des Zuhörens zu schaffen und Raum zu geben für die Gedanken, Empfindungen und vor allem Emotionen des Klienten. Und diese fürs Erste sein und gelten zu lassen, ohne im Ablauf des Gesprächs als Coach schon die Musterzustandsänderung herbeizusehnen.

Bei Verlusterfahrungen spielt es im Grunde keine Rolle, ob es sich um körperliches Sterben handelt oder um den Verlust eines Arbeitsplatzes, das Ende einer Beziehung oder die Insolvenz nach vielen Jahren harter Arbeit. Das Wissen um klassische Phasenverläufe im Trauerprozess ist deshalb für Coaches in Krisenzeiten unerlässlich. Die Schweizer Ärztin Elisabeth Kübler-Ross (2001) hat vor Jahrzehnten in Gesprächen mit Sterbenden fünf Phasen des psychischen Erlebens herausgefunden: Nicht-Wahrhaben-Wollen, Zorn, Verhandeln, Depressionen und letztlich Zustimmung. Wichtig ist: Diese Phasen bilden keinen linearen Prozess und sie müssen nicht immer nacheinander verlaufen. Trauernde können Phasen überspringen, weniger intensiv durchleben oder in eine bereits durchlebte Phase zurückfallen. Der Trauerbegleiter – hier Coach – ist gut beraten, sich vom Trauernden in die entsprechende Phase führen zu lassen, sich darauf zu fokussieren und mit dem Klienten im Moment zu bleiben. Die Konzentration auf den Moment zeigt dem Coach auch seine Grenzen auf, wie weit er mit Vorschlägen für die Visionsarbeit hier überhaupt gehen darf. 

Kollaps: Schockzustand für Körper, Geist und Seele

Der leitende Ingenieur Jonathan, 38 Jahre, fasste seine eigene Corona-Erfahrung in den Satz: „Wenn der Kreislauf zusammensackt, dann muss der Marathon für eine Weile ausfallen.“ Diese Selbsterkenntnis war leitend für die ersten Sitzungen. So klar dieser Satz auch am Ende des ersten Treffens aus ihm hervorsprudelte, so zerstreut war er ins Coaching gekommen. Jonathan nutzte intuitiv das biblische Sprachbild „Tohuwabohu“. Oft als „wüst und leer“ (fehl-)übersetzt, bedeutet dieser Zustand eine tiefe „Irrsal und Wirrsal“ (Buber). Diese Empfindung spiegelte Jonathans fragile und unstrukturierte Situation, beruflich und privat. Seine somatischen Marker hatten hier die Sprache übernommen. Eine erste Aufgabe bestand im Coaching darin, Worte für seine Situation zu finden. Das Kunstwort der „Irrsal und Wirrsal“ bildete den Anfang. Dieser Schritt verlief über die Ebene der Bilder.

Mit der Multiple Code Theory hat Bucci (2002) die Bedeutung der Bilder für das Coaching neu erschlossen. Bucci geht von drei verschiedenen Informationscodes aus, mit denen der Mensch Informationen aufnimmt und verarbeitet: Sie unterscheidet eine vorsymbolische und eine symbolische Ebene. Die symbolische Ebene lässt sich nach Bucci in symbolisch-verbal und symbolisch-nonverbal differenzieren, also in eine Ebene der Worte und eine der Bilder. Die drei Codes sind durch einen inneren referenziellen Prozess in verschiedenen Hirnarealen miteinander verbunden. Bei diesem stellen Bilder die zentrale Scharnierstelle dar, um an den eigenen inneren Seelenbildern und ihren Bewertungen anzudocken.

Jonathan träumte viel in dieser Zeit. Da ihm seine Traumbilder noch lange bewusst waren, konnte er diese gut beschreiben. Ebenso seine ersten Assoziationen und Emotionen. Durch das Coaching bekam er seine „Geschichten, die oft bis in die Kindheit zurückreichen“, nach und nach sortiert und konnte sie in die aktuelle Herausforderung einbetten. Jonathan hatte sich aus einfachen Verhältnissen „als Migrant in der zweiten Generation hochgekämpft“. „Das kann man echt vergessen“, so selbstverständlich war ihm sein aktuelles Leben geworden. Mit einem intensiven Rückblick auf wichtige Scharnierstellen seines Lebens gelang es Jonathan später, sich jetzt die Auszeit zu nehmen, die das Kollaps-Gefühl von ihm einforderte. Es wurde eine wichtige Phase des Kraftholens und Neusortierens. Er holte neu Schwung und startete – mit einem beruflichen Marathon – nochmal richtig durch.

Inkongruentes Selbsterleben: eigene Lebensmotive wiederfinden

Die Lehrerin Monika, 57 Jahre, tat sich mit der empfundenen „Fremdbestimmung“ sehr schwer: „Es gibt kaum mehr Demokratie an der Schule. Du kriegst Vorgaben und musst sie umsetzen. Dreißig Jahre lang wurde debattiert. Heute erlebe ich null Mitsprache mehr.“ Sie hatte ihre Kindheit und Jugend in der ehemaligen DDR verbracht und spürte immer wieder, wie diese Erfahrungen sie „antriggerten“, wie sie es im Coaching beschrieb.

Die Theorie des Selbstkonzepts (Marsh & Shavelson, 2010) geht davon aus, dass jeder Mensch im Laufe seiner Sozialisation ein „Bild von sich selbst“ ausbildet. Dieser Prozess läuft jedoch nicht rein innerlich ab. Ein offenes Selbstkonzept bleibt empfänglich für neue Erfahrungen mit anderen Menschen und kann Rückmeldungen integrieren. Carl Rogers (2016) sprach in seinem personenzentrierten Ansatz von der Aktualisierungstendenz des Menschen: einem tiefen Wunsch nach Entfaltung. Einfach ausgedrückt: Jeder Mensch will sich entwickeln. Kinder überlegen nicht, ob sie nach einem Sturz wieder aufstehen, sie wollen weiterkommen und lassen sich z.B. im Laufen lernen nicht aufhalten. Die Rückmeldungen anderer Menschen leiten aber auch zum Abgleich mit dem eigenen Selbstbild an. Rogers nannte dies die organische Bewertungstendenz. Es gibt Erfahrungen, deren Integration lohnenswert erscheint. Aber auch solche, die lieber abgewehrt werden: Sogenannte Inkongruenzen, also Verzerrungen, die sich auch körperlich zeigen, entstehen dann, wenn eine neue, unliebsame Erfahrung das Selbstkonzept gefährdet, weil die Psyche diese als Korrektiv nicht zulassen will/kann. Die organische Bewertungstendenz äußert sich nicht nur sprachlich und rational, sondern drückt sich auch somatisch aus. Die Selbstaktualisierungstendenz schließlich strebt laut Rogers danach, das eigene Selbstkonzept den jeweiligen Herausforderungen anzupassen, es kontextuell zu aktualisieren.

Monika konnte ihren inneren Freiheitsdrang seit der politischen Wende umfänglich leben. Neben diesem gibt es ein zweites wichtiges Lebensmotiv: Gerechtigkeit. Beide trugen sie durch die Jahrzehnte, in denen sie sich beruflich neu orientieren musste. An ihrer Schule ist sie entsprechend tätig, in der Gewerkschaft ist sie engagiert, auch in Vereinen zum Opferschutz. All diese Felder konnte sie seit einem Jahr nicht mehr so leben, wie sie es zur Bestätigung ihrer Lebensmotive braucht. Die nicht mehr erlebte Selbstwirksamkeit bereitete Monika mehr und mehr Kummer. Ihre Stimme wurde schwächer, ihre Körperhaltung verlor an Spannung.

Durch die Arbeit mit dem Inneren Team (Schulz von Thun, 2013) gelang es im Coaching, aus der Erstarrung zurückzufinden. Monika erkannte, dass sich ein Großteil ihrer Innenwelt auf die aktuellen Umstände sehr angepasst hatte, ihr „freies Kind“ war hinter dem Vorhang ihrer Lebensbühne verschwunden, zurück blieb das angepasste. Monika hatte in der DDR unter Repressalien gelitten, die Ausreise war ihr mehrfach nicht genehmigt worden. Sie musste zur Strafe in einem (als minderwertig empfundenen) Beruf arbeiten, den sie nicht erlernt hatte. All diese Erfahrungen kamen in der Pandemie wieder an die Oberfläche. Ihr Körperwissen trug sie derart zu Tage, als ob die 30 Jahre dazwischen nie existiert hätten.

Um die Frage, was sie die harte Zeit in der Diktatur überhaupt seelisch überleben ließ, zu beantworten, brachte Monika ihr Tagebuch aus den 80er Jahren mit ins Coaching. Sie blätterte behutsam, vorschnelle Rückfragen verbat die Atmosphäre. Sie hielt immer wieder inne. Tränen nahmen ihren Lauf. Monika richtete sich auf und ihr Gesicht zeigte ein erstes Lächeln: „Hier drinnen war ich frei.“ Im weiteren Gespräch konkretisierte sie: „Ich hatte meine äußere Unfreiheit gegen eine ganz große innere Freiheit eingetauscht. Die konnte einem kein Staat und keine Partei nehmen.“ Ihre Stimme war jetzt sehr kräftig, ihr Blick fokussiert. Im weiteren Coaching wurde dieses innere Freiheitsgefühl der Wegbereiter, aus dem aktuellen Gefühl des Kollapses heraus zu finden. Und weil es ihre ureigene innere Kernressource war, wurde es ein sehr effizienter und fokussierter Weg. Die Deutschlehrerin entdeckte Viktor Frankl für sich wieder und beschloss das Coaching mit dieser Paraphrase: „Ich bin auch in Corona immer mehr als mein äußeres Schicksal, nach dieser Zeit kommt wieder eine andere.“

Die Relativität der Zeit: nicht nur Theorie

„Eigentlich habe ich mehr Zeit zur Verfügung. Das ist eindeutig, aber ich komme dadurch irgendwie nicht schneller voran. Es ist, ehrlich gesagt, oft ganz umgekehrt der Fall“, bemerkte die Freiberuflerin Hildegard, 64 Jahre. Interessant an ihrer Geschichte ist, dass sie so viele verschiedene Berufe und Bereiche bespielt hat, dass Spontaneität, Kreativität und agile Entscheidungen „eigentlich“ ihr Markenkern sind. Und auch bei ihr zeigte sich, obwohl sie weiterhin reichlich Aufträge hatte, durch den wiederholten Lockdown dieses Phänomen der für die Pandemie-Erfahrung typischen Zerstreutheit und einer fehlenden Struktur. Beides drückte sich bei Hildegard in starken Unruhezuständen und seit kurzem in Schlaflosigkeit aus. Sie fühlte sich vor allem sehr unzufrieden und kam der Ursache nicht auf den Grund.

Die Zeit zählt philosophisch zu den sogenannten Existenzialen. Raum und Zeit geben Struktur, Ablauf und Rhythmus vor. Mit der Pandemie und den mehr und mehr eingeführten Home-Offices wurden Räume, die zuvor getrennt waren, zusammengelegt. Auch die Zeiten zur Überbrückung der Wegstrecke zwischen den Wohn- und Schlafblasen auf der einen und der Arbeitsblase auf der anderen Seite fielen weg. Somit setzte eine doppelte Veränderung der Raum-Zeit-Struktur ein. Volkswirtschaftlich müsste damit rein rechnerisch eine große Optimierungsvariable bestehen, kommen so doch viele Stunden pro Woche und viele Tage pro Monat zusammen. In Mitarbeiter- und Führungs-Coachings kann aber immer wieder gezeigt werden, dass diese Rechnung nicht aufgeht. Denn wenn alles zu jeder Zeit theoretisch möglich ist, verliert die Zeit ihre Bedeutung, ist sie nicht mehr an den Raum-Zeit-Kontext gebunden.

Hildegard wurde „eigentlich“ (wie sie selber sagt) sehr traditionell (sie nennt es „bodenständig“) erzogen. Sie habe in ihrer Kindheit unter dieser „Enge“ sehr gelitten, weshalb sie ihre „Sozialisation mit und nach dem Studium abgelegt“ habe. Mittels verschiedener Persönlichkeitsmodelle erkannte sie eine große innere Pluralität (Schulz von Thun) und kam durch Aufstellungsarbeit nach und nach dazu, die vermeintlich längst abgelegten Anteile wieder in ihr Selbstbild zu integrieren. Diese innere Arbeit am eigenen Selbst (Hanstein, 2020) machte es erst möglich, nun mental an inneren und äußeren Strukturen zu arbeiten (Hanstein & Lanig, 2020).

Den Kollaps hinter sich lassen – neue Perspektiven erkennen

Im Zuge einer Umstrukturierungsmaßnahme konnte vor einigen Jahren der Arbeitsvertrag des Autors dieses Beitrags nicht verlängert werden (Schulleiter im Privatschuldienst). Eine damals angebotene neue Leitung (für ein erweitertes Schulzentrum) sagte er nach einem Coaching ab und entschied sich dafür, seine eigenen Erfahrungen in der Führung und Begleitung von Veränderungsprozessen zukünftig als Coach weiterzugeben. Der damaligen „Verlockung“, nur in der einen oder der anderen Option zu denken, konnte er durch einen guten Coach und gute methodische Anleitungen (z.B. Tetralemma) widerstehen. Das damals eingeräumte „Stopp“ nach erlebtem Schock hat ihm eine authentische, innerlich freie Entscheidung ermöglicht. Diese hat ihn erst zu etlichen neuen Perspektiven – er spricht von der „4-Felder-Wirtschaft“ – geführt. Als damals Mittvierziger keine laute Stimme des Egos zu hören, unbedingt wieder eine Leitung antreten zu „müssen“, hat ihn damals mit Glücksgefühlen bestätigt. Aus seiner Sozialisation heraus (Geschwisterfolge) war die Führungsaufgabe zwar konsequent, stimmig und authentisch, aber da war noch einiges im Inneren, das in mehreren Jahren der Führungsarbeit nicht zum Klingen gekommen war. Im Perspektiven-Coaching war das „Lebenshaus“ umzubauen. Auch die Mitglieder des „Inneren Teams“ mussten neu „aufgestellt“ werden. Das verdeutlicht exemplarisch, dass es bei beruflichen Change-Prozessen, die die eigene Person und ihr Selbstkonzept existenziell betreffen, immer auch um eigene Lebensthemen, eigene Werte und die Erfahrung von Sinn geht.

Aufzusteigen ist oft leichter als abzusteigen. Jeder, der eine Bergwanderung macht, wird das Phänomen körperlich erfahren. Hier ist das Natur-Coaching eine gute Variante, dies somatisch zu spüren sowie geistig und mental nachzuempfinden. Insofern ist es kein „Abstieg“, sondern ein Umstieg, auf den man stolz sein kann. Denn wer seine „Heldenreise“ (Hanstein, 2021) erfolgreich meistert, bleibt innerlich das, was er mit und durch seine Führungsaufgaben geworden ist. Mehr als das: Er kann diese gewonnenen Kompetenzen halten, bewahren, ausbauen und auf neue Bereiche übertragen, ohne an der alten Stelle (innerlich) hängen zu bleiben. Solche inneren Prozesse wollen kompetent begleitet sein, geht es schließlich um den ganzen Menschen. Beim Autor war es die Erfahrung, vor vielen Jahren – noch vor dem offiziellen Beginn der Saison – den Fuji, den „heiligen Berg“ Japans, bis zum Gipfel zu besteigen. So anstrengend der Aufstieg mit schwerem Gepäck auch war, das Zurück auf Lava-Gestein war die deutlich größere Herausforderung. Im Coaching war es ein Leichtes, an diesen eindrücklichen Erlebnissen, auch nach Jahren, anzuknüpfen.

Fazit

Kollaps-Coaching hat Konsequenzen für den typischen Ablauf des Gesprächsprozesses im Coaching. Klient und Coach benötigen mehr Zeit für Anliegenklärung und Situationsbeschreibung. Oft sind die Anliegen auch wirr, müssen entschlüsselt werden und ein Insistieren auf ein konkretes Anliegen würde nur unnötigen Druck aufbauen. Coaching-Gespräche sind oft weniger linear möglich. Der Coach sollte sich auf diese Schwankungen einstellen, immer wieder nachjustieren. Geduld in der Haltung und Askese in der Struktur können hier weiterführen.

Wichtig ist es zudem, die Situation immer wieder als Jetzt-Zustand zu spiegeln, als momentane Situation. Alles, was sich bei einem körperlichen Kollaps aus medizinischer Sicht ereignet – Schwindel, Schwächegefühl und Atembeschwerden –, trifft auch seelisch in Situationen zu, in denen im übertragenen Sinn der Kreislauf zusammenbricht. Es ist ein Step-by-step-Coaching, das nicht nur vom Klienten einen langen Atem verlangt. Aber jeder einzelne Schritt aus dem Kollaps heraus ist einer mehr auf dem Weg zurück zu Selbstermächtigung und Empowerment, erfahrener Aktualisierungstendenz und Selbstwirksamkeit, Klarheit und Licht. Denn die Zukunft ist offen, was jedoch unter Schock nicht spürbar ist. 

Literatur

  • Bucci, W. (2002). The referential process, consciousness and the sense of self. Psychoanalytical Inquiry, 22(5), S. 776–793.
  • Hanstein, Th. (2021). Selbstmanagement – mit Coachingtools. Baden-Baden: Tectum.
  • Hanstein, Th. (2020). Innere Arbeit am eigenen Selbst. Coaching-Magazin, 13(4), S. 54–58.
  • Hanstein, Th. & Lanig, A. (2020). Spirituelle Kompetenz in digitalen Lern- und Arbeitswelten. Baden-Baden: Tectum.
  • Herriger, N. (2020). Empowerment in der Sozialen Arbeit. Stuttgart: Kohlhammer.
  • Kübler-Ross, E. (2001). Interviews mit Sterbenden. Freiburg: Herder.
  • Marsh, H. & Shavelson, R. (2010). Self-Concept. Educational Psychologist, 20(3), S. 107–123.
  • Rogers, C. (2016). Entwicklung der Persönlichkeit. Stuttgart: Klett-Cotta.
  • Schulz von Thun, F. (2013). Miteinander reden, Band 3: Das „Innere Team“ und situationsgerechte Kommunikation. Reinbek: Rowohlt.

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