Kontrovers

Der Rasputin-Effekt

Ein Fall aus der Praxis

5 Min.

Rasputin erlangte ein besonderes Vertrauensverhältnis zur Zarenfamilie. Gerade deshalb organisierte sich der Hof gegen ihn und ermordete ihn schließlich. Damit schalteten sie einen als unkontrollierbar erlebten Machtfaktor aus.

Wegen des Rasputin-Effekts können gerade erfolgreiche Berater scheitern! Nicht, weil sie zu wenig gekonnt hätten, sondern zu viel, und dabei irrationalen systemischen Gegenkräften zu wenig Beachtung geschenkt haben.

Dazu ein Fallbeispiel:

Ein qualifizierter Berater arbeitet erfolgreich in einem Vorstandsbereich. Es entsteht ein besonderes Vertrauensverhältnis zu diesem Vorstand. Dieser wiederum gilt als aufstrebend im Vorstand. Der Vorstandsvorsitzende gilt als etwas farblos, konnte aber bislang immer gut mit der Eigentümerfamilie. 

In dem wegen pfiffiger Produkte sehr erfolgreichen Unternehmen hat sich eine gewisse Gemächlichkeit eingeschlichen. Um etwas mehr Zug hinein zu bringen wurde ein neuer Personalchef berufen, der ambitioniert und eher als Hardliner auftritt, fachlich eher klassisch und in Sachen Unternehmenskultur unbeholfen.Die Familie hat überdies einen neuen Aufsichtsratsvorsitzenden etabliert, der Erfahrung mit durchrationalisierten Industrieunternehmen mitbrachte.

Jetzt kam von der Familie über den Aufsichtsratsvorsitzenden der Auftrag, sich mehr um Visionen und Unternehmenskulturentwicklung zu kümmern. Dies etwas halbherzig vom Vorstandsvorsitzenden eingebrachte Anliegen wurde vom neuen Personalvorstand eifrig aufgenommen. Und um gleich ein großes Rad zu drehen, beauftragte er eine international agierende US-amerikanische Beratungsfirma. Diese organisierte mit den Top 50 Kräften einen Visions- und Kulturworkshop, in dem ohne Ankoppelung ans Unternehmen oder die besonderen Verhältnisse ein Konzept übergestülpt werden sollte. Ein Desaster mit Verweigerung selbst einiger Vorstände als Folge.

Nun soll dieser Versuch abgeblasen werden und der Berater wird von seinem Vorstand gefragt, ob er sich eine Alternative zutraut. Dieser möchte die Beantwortung der Frage von Klärungen mit den Ownern des Anliegens bzw. des Auftrags abhängig machen. Dabei vermutet er, dass allen im Management unklar ist, weshalb dieses Thema getrieben werden soll. Ob es dem Aufsichtsratsvorsitzenden klar ist, ist nicht bekannt. Daher die Idee, vielleicht mit wichtigen Familienmitgliedern vertrauensvolle Gespräche zu führen, um das Anliegen von der Quelle her verfolgen zu können.

Verständlich gedacht. Auch aus Sicht des Beraters unproblematisch, da dieser sich zu Recht zutraut, Kontexte nicht zu vermischen und keinen unerkannten Machtgelüsten nachzuhängen. Dennoch könnte hier der Rasputin-Effekt einsetzen. Nicht wegen Prozessen, die im Berater oder in seinen Beziehungen liegen, sondern wegen solchen, die sich in anderen und deren Beziehungen tatsächlich oder phantasiert abspielen. 

Was würde geschehen, wenn fachlich gut gemachte Gespräche etwa direkt mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden oder gar direkt zu Familienvertretern zu Vertrauensverhältnissen führen würden? Die jeweils dazwischen liegenden Instanzen könnten sich umgangen fühlen, Phantasien entwickeln, dass beim Berater Macht aufgebaut wird, die sich ihrer Kontrolle entzieht. Dies könnte im vorliegenden Beispiel zu einer vielleicht unbewussten Koalition zwischen Personalchef, Vorstandsvorsitzenden, evtl. sogar Aufsichtsratsvorsitzenden (im Falle der direkten Kontakte zur Familie) führen. 

Hauptstoßrichtung: Den Berater in Schranken verweisen!

Solche Prozesse werden leicht von solchen betrieben, die sich ihrer Kompetenz, ihres Profils und ihres Standings ungewiss sind. Sie spielen dann auch gut zusammen, auch wenn sie sich sonst gegenseitig argwöhnisch im Auge behalten. Es könnten sich auch solche anschließen, die selbst keinen solchen Argwohn hegen. Aber aus Unsicherheit darüber, was gespielt wird, kollaborieren sie vorsichtshalber bei einer Machtreduktion des Beraters. Man könnte die psychische Dynamik mit dem aus der Sozialpsychologie bekannten Reaktanzphänomen beschreiben. Menschen, die sich in einer Freiheit eingeschränkt wähnen, sichern hauptsächlich die Wiederherstellung dieser Freiheit, auch um einen erheblichen Preis. Begründet werden die Aktionen aber in der Regel völlig anders. 

So könnte es dann auch im hier vorgetragenen Beispiel laufen. Die Widerstände gegen den Berater kämen auf unerwarteten Ebenen und in unerwarteter Einmütigkeit. (Für eine gemeinsame Kreuzigung reicht’s immer!) Würde sich eine solche Koalition gegen den Berater bzw. seine Arbeit oder Resonanz richten, könnten die vorhandenen Vertrauensbeziehungen zur Familie dem kaum etwas entgegensetzen, da sie doch zu weit von den Gestaltungshebeln entfernt und letztlich auf Positionsinhaber im Unternehmen angewiesen sind. Selbst die Vertrauens- und Arbeitsbeziehung zum vertrauten Vorstandsmitglied des Beraters könnte Schaden nehmen, weil auch er sich kaum gegen eine breite Koalition stellen kann. Dann könnte Rasputin am Ende zur Strecke gebracht werden.

Was sind in diesem Lichte Alternativen?

  • Den Vorstandsvorsitzenden nach dem Sinn der geplanten Aktion befragen.
  • Anregen, dass dieser den Aufsichtsratsvorsitzenden evtl. in einer gemeinsamen Sitzung befragt, wenn es keine plausible Beschreibung gibt.
  • Falls es dem Aufsichtsratsvorsitzenden selbst unklar geblieben ist, worum es bei der Initiative der Familie geht, gemeinsam über Klärungsmöglichkeiten beraten.Personalvorstand zuziehen oder zumindest dessen Duldung anstreben.
  • Vorstandsvorsitzendem in einer Schirmherrenrolle würdigen, ohne dass er sich fachlich engagieren muss. Er sollte den Aufsichtsratsvorsitzenden selbst einbeziehen (Gespräch: Berater – Aufsichtsratsvorsitzender  – Vorstandsvorsitzender) oder den Kontakt zu ihm freigeben.
  • Keine Flächendeckenden Aktionen, sondern Unternehmens- und Situationsspezifische Pilote, die auf Resonanz geprüft werden und für unterschiedliche Unternehmensbereiche passend ausgeweitet werden.
  • Schritt für Schritt weitere Akteure einbeziehen, wie sie auch eingeführt werden und eine Rolle ausfüllen können (kristallisierendes Prinzip).
  • Rückendeckung nach oben bei jedem Schritt sichern.
  • Klärung mit dem vertrauten Vorstandsmitglied des Beraters, was die jeweilige Situation für die Ausgangs-Beziehung zu ihm bedeutet, damit kein Schaden daran entsteht. Gerade kompetente und ehrgeizige Manager unterschätzen Systemkräfte selbst und neigen dazu, unliebsame zu ignorieren. Wenn sich schwer fassbare Widerstände regen, kann es schwierig sein, diese zu orten oder aufzufangen.

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