Kontrovers

Coaching-Gutscheine

Kaufentscheidung vor dem Erstgespräch?

Um ihre Leistungen an den Mann oder die Frau zu bringen, können Coaches sich einiges einfallen lassen. Dabei sollte jedoch stets darauf geachtet werden, dass die Verkaufsinstrumente erfolgsrelevante Aspekte der anschließenden Zusammenarbeit nicht unterlaufen. Wie ist es zu bewerten, wenn Coachings in Form von Gutscheinen zu erwerben sind, die anschließend (möglicherweise) nichts ahnenden Personen als Geschenke überreicht werden?

7 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 4 | 2021 am 17.11.2021

Wer kennt es nicht: Zum Geburtstag oder anlässlich eines anderen Ereignisses erhält man einen Gutschein als Geschenk. Zwar wäre man aus eigenem Antrieb nicht auf die Idee gekommen, die Leistung, die der Gutschein beinhaltet, in Anspruch zu nehmen, aber nun steht man unter Zugzwang. Der Gutschein soll ja schließlich nicht verfallen, wäre dies doch schade und zudem nicht sehr schmeichelhaft für die Person, die den Gutschein gekauft und mit besten Absichten als Geschenk überreicht hat. Alles halb so wild, handelt es sich beispielsweise um einen Konzertbesuch, einen Töpferworkshop oder ähnliche Freizeitangebote – zur Not steht man es eben durch.

Wie ist es hingegen zu bewerten, wenn man einen Gutschein über ein Coaching erhält? Die Frage ist nicht lediglich theoretischer Natur, wie man spontan vermuten könnte. Tatsächlich gibt es im Markt Anbieter, bei denen man Coaching-Gutscheine für andere Personen, die von ihrem Glück womöglich nichts ahnen, erwerben kann. Wenngleich dieses Verkaufsinstrument in der Coaching-Branche vergleichsweise selten zur Anwendung kommt, lohnt es sich, zu fragen, ob (und ggf. unter welchen Bedingungen) das Gutschein-Modell mit der Berufsethik des Coachs vereinbar ist. Dies geschieht hier – losgelöst von konkreten Angeboten – aus theoretischer Perspektive.

Folgend sollen einige grundlegende Aspekte, die die Anbahnung eines Coachings betreffen, aufgegriffen werden. Dabei wird gefragt, ob der Verkauf von Coaching-Gutscheinen mit ihnen in Einklang zu bringen ist. Zentral ist hierbei die Betrachtung des unverbindlichen Erstgesprächs und seiner Bedeutung im Coaching.

Die Bedeutung des Erstgesprächs

Das Erstgespräch erfüllt im Coaching-Kontext mehrere Funktionen (siehe hierzu auch Rauen, 2014). Es dient der Klärung, worin das Anliegen des potenziellen Klienten besteht, und damit u.a. der Beantwortung der Frage, ob ein Coaching überhaupt die richtige Maßnahme ist: Ist ein Coaching geeignet, den potenziellen Klienten bei seinem individuellen Anliegen zu unterstützen oder wäre eine andere Maßnahme, z.B. ein Training, vorzuziehen? Das Erstgespräch ist schon allein aus diesem Grund unverbindlich zu gestalten. Es steht vor der „Kaufentscheidung“. Letztere wird der Person, die einen Gutschein erhält, jedoch von einem Dritten abgenommen.

Nun könnte man argumentieren, dass es im organisationalen Kontext ebenfalls Situationen gibt, in denen einer Person – z.B. einer Führungskraft – ein Coaching von nächsthöherer Stelle im Unternehmen nahegelegt oder gar „verordnet“ wird. Hier besteht jedoch ein wesentlicher Unterschied in der frei(er)en Wahl des Coachs und damit der Frage, ob eine Passung gegeben ist: sowohl zwischen (a) Coach und potenziellem Klienten als auch zwischen (b) dem Coach mit seinen Erfahrungen und inhaltlichen Arbeitsschwerpunkten und dem Klienten-Anliegen. Rauen (2021) empfiehlt Interessenten, mit mindestens drei Coaches in Kontakt zu treten, um eine Entscheidung auch auf Vergleichswerte stützen zu können.

Die Passung ist wiederum hinsichtlich der Frage relevant, ob eine tragfähige Arbeitsbeziehung aufzubauen ist. Anstatt ein unverbindliches Erstgespräch nutzen zu können, um sich ein Bild von seinem potenziellen Coach zu machen und im Anschluss zu entscheiden, ob die Chemie stimmt und man sich vorstellen kann, sich diesem Coach anzuvertrauen, ist die Wahl des Coachs bereits gelaufen, sobald der Gutschein erworben und dem Klienten in spe überreicht wird. Eine kritische Prüfung der Passung wird optimalerweise nicht nur vonseiten der Klienten, sondern ebenso von den Coaches vorgenommen. Auch dies entfällt im Gutschein-Modell (zumindest zunächst), schließlich lernt auch der Coach seinen Klienten erst kennen, nachdem er bereits ausgewählt und engagiert wurde.

Besteht keine Passung, so könnte der Aufbau einer guten Arbeitsbeziehung erschwert sein. Dies kann die Erfolgsaussichten eines Coachings schmälern, denn aus Sicht der Forschung stellt die tragfähige Arbeitsbeziehung einen Wirkfaktor im Coaching dar. Graßmann (2019) weist darauf hin, dass die Beziehungsqualität zwischen Coach und Klient deutlich mit den im Coaching erzielten Ergebnissen zusammenhängt.

Es bleibt festzuhalten: Neben der Frage, ob er sich coachen lassen möchte und sollte, ist auch die Frage, von wem er ggf. begleitet werden will, vom Klienten nicht gänzlich frei zu beantworten, sofern dem Coaching ein Gutschein-Modell zugrunde liegt.

Unverbindlichkeit auch im Gutschein-Modell möglich?

Entstehen hingegen nur bei tatsächlicher Inanspruchnahme der Leistung Kosten oder besteht die Möglichkeit, das gebuchte Coaching nach einem ersten (formal gesehen unverbindlichen) Kennenlernen gegen vollständige Rückerstattung der Kosten zu stornieren, relativieren sich die zuvor genannten Aspekte deutlich. Sie werden aber nicht in Gänze obsolet. Es könnte bei Nichteinlösung des Gutscheins nämlich das unangenehme Gefühl entstehen, das gutgemeinte Geschenk zu verschmähen und damit einem – vermutlich nahestehenden – Menschen vor den Kopf zu stoßen. Das Empfinden, nach sozialer Erwünschtheit handeln zu müssen, kann im Beschenkten aufkommen und möglicherweise zu einem Coaching wider Willen führen, dessen Nutzen infrage zu stellen wäre. Es steht somit die Frage im Raum, wie ein Coach damit umgeht, wenn er den Eindruck hat, dass der potenzielle Klient sich unter anderen Umständen eigentlich eher nicht (oder nicht von ihm) coachen lassen würde. Führt er das Coaching dennoch durch oder verzichtet er darauf? Sensibilisiert er sein Gegenüber für den Umstand, dass nur ein freiwilliges und aus eigenem Antrieb begonnenes Coaching sinnvoll ist, sowie für die Bedeutung der Passung?

Darüber hinaus macht es einen Unterschied, ob das Coaching im direkten Anschluss an das Erstgespräch stattfinden soll oder nicht. Rauen (2014) weist darauf hin, dass die Entscheidung für ein Coaching nicht im Erstkontakt erfolgen sollte. Einem Interessenten sei stattdessen die Möglichkeit einzuräumen, „sich in einem für ihn angemessenen Zeitraum zu überlegen, ob er mit dem Coach eine gemeinsame Arbeitsbeziehung eingehen möchte“ (ebd., S. 64).

Schultert ein Coach die Herausforderung, auch im Rahmen des Gutschein-Modells eine Unverbindlichkeit herzustellen, die nicht nur auf dem Papier gegeben ist, sondern dem Klienten den (möglicherweise) gefühlten Druck nimmt, unter Zugzwang zu stehen, und blickt er im Erstkontakt seinerseits kritisch auf die Passung sowie weitere relevante Fragen? Dann dürfte das Gutschein-Modell durchaus zu vertreten sein.

Die Bedeutung der Veränderungsmotivation

Eine dieser weiteren relevanten Fragen betrifft die Veränderungsmotivation des potenziellen Klienten, die als Voraussetzung eines erfolgversprechenden Coachings verstanden werden kann. Ob dem Coaching ein Gutschein zugrunde liegt oder nicht, ist hier zwar nicht entscheidend. Kommt der Klient aber nicht auf eigene Initiative ins Coaching, kann hierin der Anlass gesehen werden, die Veränderungsmotivation im ersten Kontakt zwischen Coach und Klient noch intensiver zu prüfen. Nach Schermuly (2019) kann eine mangelhafte Veränderungsmotivation aufseiten des Klienten die Wahrscheinlichkeit eines Coaching-Abbruchs erhöhen.

Fazit

Neben den hier diskutierten Aspekten könnte man weitere kritisch hinterfragen. Auf welcher Basis wird z.B. der Umfang des Coachings festgelegt, wenn das zu bearbeitende Anliegen noch gar nicht im Detail besprochen wurde? Deckt ein Gutschein nur wenige Coaching-Einheiten ab, obwohl das Anliegen einer tieferen und ausführlicheren Bearbeitung bedarf, könnte es sein, dass ein Klient das Coaching mit angestoßenen, aber letztlich unbearbeiteten Problemen verlässt, was nach Schermuly (siehe Ebermann, 2021, S. 15) dazu führen kann, dass der Klient mit „offenen, möglicherweise schmerzhaften Themen umgehen muss, ohne dabei durch einen Coach begleitet zu werden“. Wird das Coaching dann zur Akquise weiterer Einheiten genutzt? Eine mögliche Schlussfolgerung aus diesem Gedanken besteht darin, dass sich das Gutschein-Modell – setzt man voraus, dass i.d.R. nur wenige Einheiten vom Gönner finanziert werden – nur für Anliegen eignet, die keiner tieferen Bearbeitung bedürfen, wie z.B. einfache Entscheidungssituationen. Aber woher soll der Coach wissen, dass der Klient mit einem „einfachen“ Anliegen kommt, bevor er ihn kennengelernt hat? Coaching per Gutschein mag unter bestimmten Voraussetzungen gut funktionieren. Man darf jedoch bezweifeln, dass das Modell für die Coaching-Praxis prädestiniert ist.

Literatur

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