Von 100 Unternehmensneugründungen überleben nur etwa 20 die ersten fünf Jahre. Weitere fünf Jahre schaffen von den verbliebenen 20 Firmen nur vier. Vier von 100 – das sind dramatische Zahlen. Hinter den nackten Zahlen stehen Schicksale. Motivierte und engagierte Gründer, die mit versierten Business-, Marketing- und Vertriebskonzepten gestartet sind, um den Markt zu erobern. Sie haben den Traum von einem sinnvollen, nützlichen und attraktiven Unternehmen geträumt und enden bei einer 80-Stunden-Woche und grässlichen Bilanzen.
Unternehmen sind das Produkt der Unternehmer-Persönlichkeit; sie ist die Stellschraube für den Unternehmenserfolg - oder den Untergang. Einer der Hauptgründe für das Scheitern ist häufig eine mangelnde Rollenklarheit – eine fehlende Vorstellung von den eigentlichen Aufgaben des Unternehmers.
Der Unternehmensberater Michael Gerber unterscheidet in seinem Buch „Das Geheimnis erfolgreicher Firmen“ zwischen den Rollen einer Fachkraft, eines Managers und eines Unternehmers.
Diese Rollen gibt es in jedem Unternehmen. Doch allzu oft werden diese Rollen von ein und derselben Person ausgeführt. Und hierin liegt das Kernproblem: Alle drei Rollen werden in einem Unternehmen gebraucht, aber – diese Rollen widersprechen sich. Die Tätigkeiten unterscheiden sich je nach Rolle im Anlass, warum sie ausgeführt werden, im Ziel, das erreicht werden soll, im grundlegenden Verständnis von Arbeit, der Arbeitsweise und im Ergebnis.
Niemand kann sämtliche Rollen gleichermaßen gut ausfüllen. Stellen Sie sich dazu folgende Situation vor: Sie befinden sich in einem Dschungel. Dann benötigen Sie Leute, die mit ihren Macheten den Weg frei räumen – die Fachkräfte. Zudem benötigen Sie Leute, die die Arbeit einteilen, so dass niemand zu sehr ermüdet, aber trotzdem alle vorwärts kommen. Diese Personen überprüfen auch, ob einzelne Fachkräfte effektiver sind und warum dies so ist. Schließlich bringen Sie den anderen die Optimierungen bei. Das sind die Manager. Und dann gibt es noch einen, der oben im Baum sitzt und herunter ruft: „Hört mal zu, Jungs und Mädels, wir sind im falschen Wald.“ Das ist der Unternehmer. – Ein Unternehmer kann aber nicht zur gleichen Zeit den Weg frei hacken, die Arbeit einteilen und auf dem Baum sitzen.
Doch genau das, alles gleichzeitig zu machen, kennzeichnet meistens Unternehmensgründer. Weil sie unzufrieden mit der aktuellen Situation sind oder den Wunsch besitzen, eine eigene Idee zu verwirklichen, beschließen in aller Regel Fachkräfte, ein Unternehmen zu gründen. Die wesentliche erste Hürde besteht darin, überhaupt in den Markt zu kommen. Wenn dies gelingt, wenn die Fachkraft, die das Unternehmen gründet, aus Kundensicht regelmäßig gute Leistungen bringt, dann gelingt es oft, diese Hürde zu nehmen. Bringt sie diese Leistungen nicht, dann ist das Spiel an dieser Stelle bereits zu Ende.
Der Gründer bleibt in der Regel Fachkraft, lernt jedoch in dieser Phase, aus Kundensicht zu denken und zu verkaufen. Werden die Leistungen oder Produkte verstärkt nachgefragt, dann wächst das Unternehmen. Werden mehr Mitarbeiter eingestellt, müssen diese koordiniert werden, damit ein strukturiertes Unternehmen entsteht. Der Einzige, der diesen Prozess steuern kann, ist der Gründer – so er denn die Rolle des Managers und des Unternehmers übernimmt. Dass heißt für den Unternehmensgründer zukünftig am Unternehmen und nicht im Unternehmen zu arbeiten.
Leider ist der Gründer aber oft noch immer Fachkraft und denkt wie eine solche. Seine Stärken liegen im fachlichen Bereich. In der Konsequenz werden bei den meisten Unternehmen mit einer Unternehmensgröße von fünf bis 30 Mitarbeitern die Rollen des Managers und des Unternehmers daher nur ungenügend erfüllt – und die Probleme fangen an.
Das Fatale daran ist, dass Menschen ganz automatisch versuchen, Probleme mit den Mitteln zu lösen, die sie am besten kennen. Wurde das Unternehmen von einem Techniker gegründet, wird er automatisch versuchen, über technische Verbesserungen des Produkts weiter zu kommen; war es ein Verkäufer, so wird er versuchen, die Probleme mit Vertriebstraining in den Griff zu bekommen. Wenn das Problem jedoch im notwendigen Rollenwechsel besteht, dann kann ein Unternehmer es nicht lösen, indem er eine noch bessere Fachkraft wird.
In meiner Tätigkeit als Unternehmer-Coach treffe ich immer wieder auf Unternehmerinnen und Unternehmer, die nach einer Zeit der Erfolge in einer Sackgasse stecken oder die finanziell, psychisch oder körperlich am Ende sind: 15 Stunden am Tag an sieben Tagen in der Woche, das Privatleben ein Scherbenhaufen, nörgelnde Kunden, Stagnation der Umsätze, gesundheitlicher Zusammenbruch...
Sicherlich kann man mit den gängigen Coaching-Interventionen hier einiges erreichen, aber durchschlagenden Erfolg sehe ich nur, wenn ein spezielles, auf den Beruf des Unternehmers zugeschnittenes Coaching-System zur Anwendung kommt.
Der Unternehmer muss vielfach nicht nur seine Denkweise und Glaubenssätze ändern, sondern nicht selten einen kompletten Berufswechsel vornehmen: Den von der Fachkraft im eigenen Unternehmer hin zum – eigentlichen – Unternehmer. Hinzu kommt, dass es gerade in der Krise nicht ganz einfach ist, hierfür die letzten verbliebenen Energiereserven zu mobilisieren.
Ein Selbstständiger oder auch Freiberufler ist eine Fachkraft, die zum Teil die Aufgaben des Managers und des Unternehmers übernimmt. Der Unternehmer hingegen muss ausschließlich die Aufgaben des Unternehmers übernehmen, wenn er wachsen will. Dazu muss er anders denken, anders fühlen und anders handeln als ein Selbstständiger, damit er nicht an der Grenze der eigenen Belastbarkeit scheitert. Die Probleme der Zielgruppe entstehen dadurch, dass sie wie Selbstständige denken, fühlen und handeln, was für die Startphase bei der Unternehmensgründung auch richtig ist. Später trägt dieses Rollenmodell dann aber nicht mehr.
Deshalb funktioniert bei Unternehmern auch klassisches Zeitmanagement-Training nicht. Stattdessen gilt es, alle bisherigen Aufgaben zu überprüfen, zu einem großen Teil zu streichen oder an die Mitarbeiter zu übergeben. Sie werden verblüfft sein, wie wenig Zeit die meisten Unternehmer für Unternehmeraufgaben aufwenden: Bei meinen Coachings kommen wir meist auf einen Prozentsatz von etwa 20 Prozent. Es werden also 80 Prozent der Arbeitszeit nicht als Unternehmerzeit, sondern für Tätigkeiten der Fachkraft und des Managers genutzt. Und hier beginnt dann die Spirale aus Überlastung, Unzufriedenheit, Zeitmangel und Stagnation.
Für alle Berufe gibt es Aufgabenbeschreibungen. Fragt man jedoch drei verschiedene Unternehmer, so wird man drei verschiedene Antworten bekommen auf das, was denn die Aufgaben des Unternehmers seien. Wenn man jedoch die Aufgaben nicht einmal kennt, wie will man sie dann ausführen – erst recht: gut ausführen?
Aus meiner Sicht gibt es nur eine zentrale Aufgabe des Unternehmers: Er muss ein Unternehmen mit einem hohen Nutzen für den Nachfolger schaffen. Der Nachfolger ist der eigentliche Kunde des Unternehmers, hier liegt der Sinn der ganzen Unternehmung.
Für das Coaching bedeutet dies, dass es weniger entscheidend ist, welche Methoden man wählt, sondern dass der Coach die Situation von Unternehmern kennt und am eigenen Leib erfahren hat. Coachs, die nicht selbst Unternehmer sind (oder waren), werden von den meisten Klienten nicht ernst genommen – ein Phänomen, das auf Seiten vieler Coachs gerne als „Beratungsresistenz“ der Unternehmer rationalisiert wird. Doch an dieser Stelle nähert sich das Coaching von Unternehmern sehr der ursprünglichen, aus dem Sport kommenden Bedeutung des Begriffs an – dort würde auch niemand einen Football-Coach einstellen, der noch nie Football gespielt hat.
Der Unternehmer benötigt sehr spezifische Kompetenzen, um seine neue Rolle zukünftig auszufüllen. „Wollen Sie überhaupt Unternehmer werden? Wollen Sie die Aufgaben der Fachkraft gegen die neuen Aufgaben eintauschen? Wollen Sie einen völlig neuen Beruf ergreifen?“ Zur Beantwortung dieser Kernfrage zu Beginn des Coaching-Prozesses nutze ich gerne ein fundiertes Entscheidungsverfahren, das von den Jesuiten stammt – allerdings in einer verweltlichten, abgespeckten und beschleunigten Variante. Sie hat den Vorteil, dass im Gegensatz zu herkömmlichen Entscheidungstabellen auch die inneren Zweifel abgeklopft werden, zu denen man bei Plus-Minus-Tabellen mit Punktwertungen oft keinen Zugang hat. Ein gutes Entscheidungsverfahren muss das Gefühl der Sicherheit und Überzeugung zum Schwerpunkt haben, nicht die analytische Korrektheit. Emotionen sollen bewusst nicht aus dem Entscheidungsverfahren herausgelassen werden, sondern sind zu integrieren.
Der Ansatz, den ich verfolge, ist intuitiv-emotional-meditativ. In vier speziell entwickelten Meditationsrunden nähern wir uns den Gefühlen des Unternehmers zu seinem Berufswechsel an. Die erste Meditation betrachtet folgende Situation: Ein Freund steht vor einem ähnlichen Entscheidungsproblem. Was würden Sie ihm raten? Hier soll keine Entscheidung getroffen, sondern wertfrei sollen alle Alternativen beleuchtet werden. Dabei beobachtet der Klient sehr genau seine Reaktionen wie Ängste, Spannungen, unangenehme Gefühle. In Runde zwei und drei arbeiten wir mit den Träumen, Zielen und Werten, die wir bereits in einer Coaching-Session erarbeitet haben. Auch hierbei sind wieder die Gefühle im Fokus. In der vierten Runde geht es ans Eingemachte: Der Klient begibt sich gedanklich in seine Todesstunde und nimmt von seinem Leben Abschied. Welche Entscheidung würde er sich wünschen, getroffen zu haben? Wie ist das Licht? Wie ist die Stimmung? Wie fühlt es sich an? Welche Emotionen kommen hoch?
Manchen Klienten erscheint diese Art der Meditation zu Beginn zu esoterisch oder irrational. Aber erfahrungsgemäß führt sie zu einem optimalen Commitment auf die Rolle, die er zukünftig ausfüllen will.
Der Unternehmer hat sieben Aufgabenbereiche zu meistern. Daher müssen im Coaching auch diese sieben Aufgabenbereiche geklärt, teilweise zusammen mit dem Klienten erst entwickelt werden.
Wenn der Klient ein Unternehmen aufbauen möchte, benötigt er ein Bild davon, was das Unternehmen langfristig für die Gemeinschaft beitragen soll und nach welchen Grundprinzipien es funktionieren soll. Man könnte es auch anders formulieren: Der Unternehmer benötigt ein Bild davon, was er seinem Nachfolger übergeben möchte. Dabei geht es nicht um die üblichen Visionsplattitüden wie Kundenorientierung oder Service. Eher um so etwas wie die Vision von Microsoft: „Ein Computer in jedem Wohnzimmer“.
Was steht im Fokus dieses Wertes? Der Nutzen für den Verbraucher, für den Kunden. Viele Unternehmer glauben aber, das oberste Ziel sei ein höherer Umsatz oder die Gewinnmaximierung, und so muss an diesem „Wertewechsel“ im Coaching intensiv gearbeitet werden.
Darunter verstehe ich die grundsätzliche Ausrichtung des Unternehmens: Welche Stärken hat das Unternehmen? Welche Zielgruppe wird angesprochen? Was macht unser Unternehmen anders? Und darauf folgend die Frage: Wie bringen wir das so in die Köpfe, dass die Kunden davon bewegt werden? Auch das ist eine permanente und fortwährende Aufgabe, die den unmittelbaren und direkten Kontakt zur Zielgruppe erfordert. Aus meiner Sicht eignet sich zur Ermittlung der Werte und der darauf basierenden Strategie vor allem die EKS – die engpasskonzentrierte Strategie von Wolfgang Mewes. Die Strategie baut auf vier Prinzipien auf und besteht in einer methodischen Abfolge von sieben Schritten, die wir im Fortgang des Coachings mit Leben füllen.
Um ein Unternehmen aufzubauen, das an einen Nachfolger weiter gegeben werden kann, muss das Unternehmen zwingend auch ohne den Unternehmer existieren können. Für das Wachstum wird externe Energie benötigt. Externe Energie ist all das, was der Organismus des Unternehmens aufnimmt, um zu wachsen. Der permanente Zufluss dieser Energie muss organisiert werden. Der Unternehmer benötigt die richtigen Mitarbeiter, Kapital und eine positive Öffentlichkeit. Er ist dafür verantwortlich, diese Kräfte anzuziehen. Je besser er die ersten beiden unternehmerischen Aufgaben erfüllt hat, umso erfolgreicher wird er damit sein. Denn wenn Vision und Werte stimmen, dann kann er auch Sinn und Nutzen vermitteln.
In allen lebenden Organismen – und ein Unternehmen ist ein solcher – sammelt sich „Müll“. Veraltete Produkte. Kunden, die nicht mehr zur Zielgruppe passen. Mitarbeiter, die die Entwicklung des Unternehmens nicht mehr mittragen. Sinnlose oder umständliche Prozesse. Das Problem dabei ist: Einige beginnen den Müll zu lieben...
Die einzige außen stehende(!) Person, die auch die Macht hat, den Müll zu beseitigen, ist der Unternehmer. Solange er aber im Tagesgeschäft steckt und Fachkraftaufgaben ausfüllt, liebt er auch unpassende Prozesse oder Kunden. Daher ist ein permanent wirkender Prozess zu installieren, der zur systematischen „Müllentsorgung“ beiträgt.
Hier entstehen die meisten Missverständnisse. Sie können wahrhaft schöne Werte und Strategien aufschreiben, die von allen bewundert werden. Wenn der Unternehmer nicht sicherstellt, dass auch danach gehandelt wird, dann kann er sich auch die ersten vier Aufgaben sparen. Das Sichern der Umsetzung beinhaltet eine möglichst fokussierte Planung auf mehreren zeitlichen Ebenen und eine ebenso fokussierte Kontrolle.
Weder die Mitarbeiter noch die Gewinne oder Umsätze werden zuerst kontrolliert. Der Zweck eines Unternehmens ist es aus meiner Sicht, seinen Kunden einen überragenden Nutzen zu bieten. Das Erste, was also zu kontrollieren ist: Ob das Unternehmen seinen Zweck erfüllt, also den Kunden einen Nutzen bietet. Das kann aber nur der Kunde verraten. Also fängt dort die Kontrolle an. Unmittelbar und direkt beim Kunden. Die zweite Frage ist, ob das Unternehmen auch morgen noch einen überragenden Nutzen bieten wird. Weiter steht auf der Kontrollagenda die Frage, ob Systeme geschaffen werden, mit denen das Unternehmen unabhängig vom Unternehmer funktioniert. Nur so wird es interessant für einen möglichen Nachfolger.
Das Unternehmen ist letztlich der Spiegel der Unternehmerpersönlichkeit. Beides kann sich nur gemeinsam entwickeln. Wenn das Unternehmen wächst, muss der Unternehmer mit wachsen – oder das Unternehmen wächst ihm über den Kopf. Ohne gezielte Weiterbildung ist der Unternehmer zuerst die treibende Energie, dann der begrenzende Engpass. Wer Erfolg haben will, kommt an der persönlichen Entwicklung nicht vorbei. Auch hierfür benötigt man ein besonderes, auf die Zielgruppe abgestimmtes Verfahren. In einem speziellen Mindmapping-Verfahren werden die Diskrepanzen zwischen den jetzigen Fähigkeiten und den zukünftig benötigten ermittelt. Diese werden auf verschiedene Zeitachsen bezogen, um die kurzfristig benötigten Kompetenzen und die eher langfristigen Entwicklungsschritte zu identifizieren und Schritt für Schritt anzugehen.
Hiermit ist nicht die konkrete Übergabe an den Nachfolger gemeint, hier geht es mehr um die Leitfrage „Für wen machen Sie das alles? An dieser Stelle schließt sich der Kreis zur Vision und den Werten. Die siebte Aufgabe umfasst also die Bestimmung des Nachfolgers und die permanente Überprüfung, ob das Unternehmen auf dem richtigen Wege ist.
Aus den sieben skizzierten Aufgabenbereichen lassen sich nur zu einem gewissen Teil die nötigen Kompetenzen herleiten. Das liegt daran, dass bestimmte Aufgaben mit ganz unterschiedlichen Strategien und Stärken ausgeführt werden können. Zum Beispiel können Sie einen Umzug machen, indem Sie einfach Geld in die Hand nehmen und ein Transportunternehmen beauftragen. Sie können aber auch Freunde fragen. Die Aufgabe ist dieselbe. Welchen Weg Sie wählen, hängt von Ihren Stärken ab. Das bedeutet, dass auch ein Unternehmer-Coaching die jeweiligen Stärken und Kompetenzen zur Erfüllung der Aufgaben berücksichtigen muss.
Ein Schuster produziert Schuhe, ein Schriftsteller produziert Schriftstücke, ein Unternehmer produziert Unternehmen. Dazu benötigt er die Fähigkeit zur langfristigen Zielorientierung und strategische Fähigkeiten, um das Feld für seinen Nachfolger zu bereiten. Zur Erlangung dieser Kernkompetenzen kann ein Unternehmer-Coaching beitragen – und auch vielleicht dazu, dass von hundert gegründeten Unternehmen mehr als nur zwanzig die ersten fünf Jahre überleben.