Führungskräfte führen doppelt: Das Unternehmen und die Mitarbeitenden. Auf der einen Seite behalten sie die Bilanzen im Blick und achten darauf, dass Ressourcen effizient eingesetzt und Auslastungsquoten optimiert werden.
Auf der anderen Seite kümmern sie sich um die Mitarbeitenden, müssen inhaltlich klares sowie zugleich zugewandtes und schonendes Feedback geben und eine Atmosphäre im Team und am Arbeitsplatz schaffen, in der alle sowohl gern als auch produktiv arbeiten.
Auf einen Blick
Im Grunde genommen spitzt sich in der Führungskraft die Reibung zweier Denk- und Handlungssysteme zu, in die jedes Unternehmen auch als Ganzes eingespannt ist.
Das erste Denk- und Handlungssystem ist instrumentell und wird dominiert durch den Verstand. Ausgehend von langen philosophischen Traditionen ist der Verstand zuständig für Zweck-Mittel-Relationen. Soll heißen, der Verstand ist bemüht, durch die Wahl der optimalen Mittel einen gegebenen Zweck zu verwirklichen. Zwecke sind hier Gewinnerwartungen, Produktivitätsraten und Kundenzufriedenheit, um nur einige zu nennen. Innerhalb dieses Denk- und Handlungssystems sind Führungskräfte bemüht, ökonomischen Zwecke unter Einsatz ihres Teams als Mittel zu erreichen.
Das zweite Denk- und Handlungssystem ist bestimmt durch die praktische Vernunft. Diese fängt da an, wo der Verstand aufhört, nämlich bei den Zwecken. Die praktische Vernunft ist mit der Frage beschäftigt, warum und wie bestimmte Zwecke überhaupt erst gesetzt werden und ob die Setzung gerechtfertigt ist. Dabei orientiert sie sich an Werten und Ideen. Im unternehmerischen Kontext ist das Setzen des Zweckes Gewinnmaximierung unproblematisch und leicht zu rechtfertigen, schließlich ist das Verdienen von Geld eine der ureigensten Leitideen von Unternehmen. Doch das Reich der praktischen Vernunft erstreckt sich weiter als die Setzung und Rechtfertigung ökonomischer Zwecke und impliziert beispielsweise alles menschlich Wertvolle wie Selbstbestimmung, Sinn und Sympathie.
Die oben erwähnte Reibung im Denken und Handeln von Führungskräften entsteht, weil das relativ beherrschbare und operationalisierbare verstandesmäßige Denken inklusive seiner ökonomischen Zweck-Mittel-Relationen mit dem weitaus umfassenderen und komplexeren praktischen Vernunftdenken in Beziehung gebracht werden muss. Und das ist eine Herausforderung, weil letztere Werte im Umgang mit Menschen berücksichtigt und in Zwecke als Ziele von Handlungen übersetzt. Plötzlich wird der Einsatz humaner Ressourcen als Mittel zur Erreichung der Quartalszahlen erheblich durch Ideen von Empathie und Gerechtigkeit verkompliziert.
Nun bedeutet die Reibung der instrumentellen und vernunftgeleiteten Denk- und Handlungssysteme keinen Konflikt und Unvereinbarkeit, sondern erfordert lediglich Kenntnis und Übung von beiden Denkformen.
Instrumentelles Denken und das Ersinnen der angemessenen Mittel für die Erreichung betriebswirtschaftlicher Zwecke dürfte in den Köpfen von Führungskräften in ausgezeichneter Weise vorhanden sein. Bleibt das Denken in Ideen und Werten. Reflektieren und Klarheit über handlungsleitende Zwecke ist seit jeher das „Geschäft“ der Philosophie. Philosophisches Coaching kann hier also behilflich sein.
Dabei sind es nicht nur inhaltliche Werte wie Fairness und Empathie, welche für das gute Miteinander handlungsleitend sind, sondern auch der methodische Wert der Reflexion. Darüber hinaus stärken die persönlichen Werte der Integrität und Vorbildlichkeit die Rolle als Führungskraft. Im Folgenden werden diese Werte und Ideen als mögliche Inhalte eines philosophisch ausgerichteten Coachings und deren Anwendungen in der Praxis vorgestellt.
In der Führung geht es nicht nur darum, entlang der Zweck-Mittel-Logik optimale betriebswirtschaftliche Ergebnisse zu erzielen, sondern auch um die Sicherstellung gleicher Chancen und gerechter Behandlung für alle. Entscheidungen und Ressourcen müssen gerecht und gleichmäßig verteilt und niemand darf aufgrund von Diskriminierung oder Vorurteilen benachteiligt werden.
Werte wie Gerechtigkeit und Fairness tragen so nicht nur zur Zufriedenheit der Mitarbeitenden bei, sondern auch zur Schaffung einer gerechteren und inklusiveren Organisation.
Nun gibt es eine ganze Auswahl von philosophischen Ansätzen, mit denen sich die ethischen Prinzipien für ein gerechtes und faires Miteinander begründen ließen. John Rawls (1979) „Theorie der Gerechtigkeit“ bietet einen guten Ansatz, um den gerechten Zugang Aller zu verfügbaren Ressourcen zu begründen. Martha Nussbaum (1999) legt mit ihrem Befähigungsansatz dagegen in schönster aristotelischer Tugendethik-Tradition Wert auf die Berücksichtigung der verschiedenen Bedürfnisse und Befähigungen von Menschen. Die ethische Philosophie des Anderen, wie sie von Emmanuel Levinas (2002) entwickelt wurde, betont die Bedeutung der Anerkennung und Berücksichtigung der Bedürfnisse und Interessen anderer.
Um die Fruchtbarkeit dieser Ansätze in einem philosophischen Coaching zu verdeutlichen, seien hier einige Anwendungsbeispiele für die Praxis genannt:
Empathie in der Führung bezieht sich auf die Fähigkeit einer Führungskraft, sich in die Lage und die Empfindungen ihrer Mitarbeitenden hineinzuversetzen. Philosophisches Coaching in diese Richtung befähigt Führungskräfte dazu, Verständnis zu zeigen, Beziehungen aufzubauen und auf die individuellen Bedürfnisse und Perspektiven ihrer Mitarbeitenden einzugehen. Empathie schafft ein unterstützendes und motivierendes Arbeitsumfeld und trägt zur Mitarbeiterzufriedenheit bei.
Die Tradition der Begegnungsphilosophie, in der sich auf vielfältigste Weise mit „Dem Anderen“ beschäftigt wird, schlägt grob einen Bogen beginnend bei Husserl (2012), z.B. in seinen „Cartesianischen Meditationen“, und führt dann über Heideggers (2006) „Sein und Zeit“ und Sartres (1993) „Das Sein und das Nichts“ hin zu Martin Bubers (1999) dialogischem Prinzip. Besonders Letzterer betont die Bedeutung von authentischen und bedeutungsvollen Beziehungen zwischen Menschen. Buber argumentiert, dass wahre Begegnungen auf einer tiefen Verbindung und einem echten Dialog zwischen den Menschen basieren.
In dieser Philosophie steht das Ich-Du-Verhältnis im Mittelpunkt, in dem Menschen einander als einzigartige Individuen mit eigenen Bedürfnissen und Gefühlen sehen und respektieren. Mitgefühl ist ein wesentlicher Bestandteil der Begegnungsphilosophie. Nach Buber (ebd.) werden echte zwischenmenschliche Beziehungen erst dann ermöglicht, wenn man in der Lage ist, die Gefühle und Bedürfnisse des anderen zu erkennen und sich einfühlsam in dessen Lage zu versetzen.
Von den Ausführungen der Begegnungsphilosophen zu deren Früchten im Alltag ist es oft ein langer Weg. Daher auch hier ein Einblick in die Anknüpfungspunkte eines Philosophischen Coachings für die Praxis:
Selbstkenntnis in der Führung bezieht sich auf die Fähigkeit einer Führungskraft, sich selbst sowie ihre eigenen Fähigkeiten, Stärken und Schwächen zu verstehen. Dazu gehört es, über eigene Entscheidungen und Handlungen nachzudenken, Emotionen zu kontrollieren und langfristige Perspektiven einzunehmen. Sind diese selbstreflexiven Tugenden in einer Person vereint, versetzt es sie in die Lage, bessere Entscheidungen zu treffen, effektiver zu kommunizieren und emotionale Intelligenz zu entwickeln. Selbstkenntnis wird so zu einem Schlüssel in der persönlichen Entwicklung und beim Aufbau von Vertrauen und Glaubwürdigkeit bei den Mitarbeitenden.
Philosophisch betrachtet ist Selbstreflexion weniger Gegenstand von Philosophien als vielmehr Wesen des Philosophierens selbst. Das Philosophische Coaching beinhaltet hier also eher die Einübung in die selbstreflektorische Praxis als die Aneignung und Anwendung philosophischer Inhalte. Mit einer Einschränkung: Die kritische Theorie – beispielsweise ausgehend von Adorno – und insbesondere Habermas (1973) in „Erkenntnis und Interesse“ thematisieren gewinnbringend das emanzipatorische Potenzial der Selbstreflexion.
In der Praxis hängt Selbstreflexion mit der Bewusstwerdung der eigenen Verantwortung und der Orientierung des Handelns an ethischen Prinzipien zusammen:
Integrität ist eine der zentralen Eigenschaften, die eine gute Führungspersönlichkeit auszeichnen. Integrität in der Führung bezieht sich auf die Übereinstimmung zwischen den moralischen Prinzipien und den tatsächlichen Handlungen. Es bedeutet, Versprechen und Verpflichtungen einzuhalten, das Handeln an ethischen Standards und Werten auszurichten und transparent zu agieren. Integrität als moralische Grundlage der Führung schafft Vertrauen und Glaubwürdigkeit und ist ein wesentlicher Faktor, um Mitarbeitende zu motivieren und zu inspirieren.
Für Integrität ist ein handlungsleitendes Wertesystem wesentlich, also kurz: Ethik. Bei der Beantwortung der Frage, wie ein ethisches – also schlicht gutes – Leben und Arbeiten im Unternehmen aussehen soll, bieten sich verschiedene Theorien an, die hier kurz vorgestellt werden sollen. Es ist Teil des Philosophischen Coachings, sich mit diesen Überlegungen vertraut machen zu lassen und selbst darüber ins Philosophieren, ins strukturierte Nachdenken, zu kommen.
Die Deontologie ist eine ethische Theorie, die betont, dass bestimmte Handlungen unabhängig von den Konsequenzen intrinsisch richtig oder falsch sind. Ausgehend von Kant legt dieser Theoriekomplex den Schwerpunkt auf die Einhaltung moralischer Pflichten und Prinzipien. In der Führung bedeutet dies, dass Führungskräfte sich an moralische Prinzipien halten sollten, selbst wenn dies kurzfristig nachteilige Konsequenzen haben könnte. Die Deontologie betont die Bedeutung von nicht verhandelbaren moralischen Standards, welche die Grundlage für die Integrität einer Führungspersönlichkeit bilden.
Der Konsequentialismus hingegen legt den Schwerpunkt auf die Folgen und Ergebnisse von Handlungen und weniger auf handlungsleitende und abstrakte Prinzipien. In der Führung handeln Personen orientiert an Konsequenzen, indem sie sicherstellen, dass ihre Entscheidungen langfristig positive Auswirkungen haben und die Interessen aller Stakeholder berücksichtigen. Integrität ist ausgehend vom Konsequentialismus also nicht nur auf das Einhalten von Regeln und Pflichten beschränkt, sondern auch darauf, die besten Ergebnisse für das Unternehmen und ihre Mitglieder zu bewirken.
Die Tugendethik konzentriert sich auf die Entwicklung von Integrität als moralisch guter Charaktereigenschaft durch kontinuierliche moralische Selbstverbesserung. Tugendhafte Führungskräfte zeichnen sich durch Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit und Verlässlichkeit aus und fördern ihre Integrität dadurch, dass sie an der Entwicklung dieser Qualitäten arbeiten und sie in ihrem täglichen Handeln praktizieren.
In der Praxis zeigt sich eine integre Führungspersönlichkeit durch die klare und außenwirksame Verpflichtung, ethische und moralische Prinzipien in Entscheidungen und Handlungen zu berücksichtigen. Dies erfordert eine sorgfältige ethische Prüfung und die Fähigkeit, moralisch fundierte Entscheidungen zu treffen.
Vorbildlichkeit in der Führung bezieht sich auf die Bereitschaft einer Führungspersönlichkeit, sich kontinuierlich selbst zu entwickeln und an ihren persönlichen und moralischen Eigenschaften zu arbeiten. Die Führungskraft fungiert im Idealfall als Vorbild für ihre Mitarbeitenden, indem sie bestrebt ist, ihre eigenen Stärken und Schwächen zu erkennen und an ihrer sozialen und intellektuellen Entwicklung zu arbeiten.
Philosophisch bieten sich hier zwei Strömungen an. Zunächst der Existentialismus in der Ausprägung von Sartre, hier wieder in „Das Sein und das Nichts“ (1993) oder „Der Existenzialismus ist ein Humanismus“ (2000) mit der Betonung der Freiheit, und Verantwortung, für das eigene Handeln. Selbstentwicklung erfolgt in diesem Zusammenhang durch die Fähigkeit, stetig reflektierend im Einklang mit den eigenen Werten und Überzeugungen zu handeln.
Außerdem sind (neo-)aristotelische Ansätze fruchtbar, die ausgehend von der tugendethischen Tradition die Entwicklungen eines moralischen Charakters fördern. Wie auch schon in obigen Beispielen erwähnt, beinhaltet dies nicht nur die Kenntnis von Strategien zur Entwicklung von Eigenschaften wie Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit, Gerechtigkeit und Verlässlichkeit, sondern insbesondere entsprechende Übungen und die kontinuierliche Anwendung ethischer Handlungsanleitungen im Alltag.
Die Begleitung von Führungskräften durch ein Philosophisches Coaching soll in der Praxis genau dazu beitragen und bei der kontinuierlichen moralischen Selbstverbesserung behilflich sein. Dies beinhaltet die Selbstreflexion mit Blick auf moralische Werte im Arbeitsalltag, die Identifizierung von Schwächen und die aktive Entwicklung von vorbildlichen Persönlichkeitsmerkmalen.
Zusammenfassend hilft Philosophisches Coaching bei der Erschließung des gesamten persönlichen Potenzials durch wertegeleitetes Denken und Handeln. Doppelte Führung mit Verstand und Vernunft kommt so beidem zugute, dem Unternehmen und seinen Mitarbeitenden.