In der heutigen Welt, die geprägt ist von Komplexität und Veränderung, ist es einer Führungskraft nicht mehr möglich, nur „klassisch“ zu führen. Da die Führungskraft oft inhaltlich nicht den gleichen Wissensstand haben kann wie ihre Mitarbeiter, muss sie diese mittels eines coachenden Stils führen, um die Eigenverantwortung und die Selbstständigkeit der Mitarbeiter zu fördern. Mit der eigenen Expertise Probleme zu lösen, ist motivierender, als gesagt zu bekommen, was zu tun ist.
Die Anwendung von Coaching-Methoden in der Führung kann das Lernen ankurbeln und zu einer erhöhten Motivation der Mitarbeiter führen. Dabei liegt der Schlüssel in der richtigen Haltung der Führungskraft und den richtigen Fragen.
Aber was ist, wenn Führungskräfte denken, dass sie coachen und es in Wirklichkeit gar nicht tun? In Führungskräfte-Workshops wird immer wieder deutlich, wie schwierig es vielen Führungskräften – erfahrungsgemäß besonders im Ingenieurbereich – fällt, nicht direkt die eigenen Lösungsansätze zu präsentieren, sondern abzuwarten und den Mitarbeiter dabei zu unterstützen, individuelle Lösungsmöglichkeiten zu finden.
Um die richtigen Erwartungen bei Führungskräften hervorzurufen, ist es zunächst wichtig darzulegen, was unter der Anwendung von Coaching als Führungskraft zu verstehen ist. Die hier beschriebene Anwendung von Coaching-Methoden kann in sowohl kurzen als auch langen Konversationen angewendet werden und unterscheidet sich von einer „normalen“ Coaching-Session dadurch, dass die Führungskraft nicht den Anspruch haben kann, als Coach ihrer Mitarbeiter zu fungieren. Dies könnte einen Rollenkonflikt heraufbeschwören. Stattdessen bringt sie Elemente des Coachings in die Kommunikation mit Mitarbeitern ein. Es geht in diesem Artikel um die Coaching-Haltung und das Nutzen einzelner Methoden des Coachings, um das Potenzial der Mitarbeiter abzurufen und die Leistungsfähigkeit zu steigern.
Die Coaching-Haltung bildet das Fundament des Einsatzes von Coaching-Methoden und ist sicherlich auch die größte Herausforderung für Führungskräfte, weil entgegen einer weitverbreiteten, eher direktiv-kontrollierenden Führungskräfte-Haltung gehandelt wird. Führung ist zielgerichtet und das Erreichen der Unternehmensziele steht im Vordergrund. Dagegen ist Coaching neutral und hat die Selbstverantwortung als Grundpfeiler, um die Mitarbeiter zu befähigen, mit beruflichen Herausforderungen eigenständig umzugehen. Um das als Führungskraft den eigenen Mitarbeitern bieten zu können, steht das echte Interesse an deren Gedanken und Sichtweisen im Vordergrund. Dabei ist elementar, dass die Führungskraft in Unterhaltungen mit Mitarbeitern bereits mit der Intention geht, diese dabei zu unterstützen, individuelle Lösungsansätze für das bestehende Problem oder die Herausforderung finden zu lassen. In der Praxis hat sich für die Führungskraft das Abwarten als fundamental erwiesen. Im Detail bedeutet dies, dass die Führungskraft auf eine Antwort des Mitarbeiters wartet, ohne direkt und sofort die Stille des Nachdenkens zu unterbrechen.
Das Bewusstsein für die Situation und für den Mitarbeiter trägt zu der Entscheidung bei, ob die Anwendung von Coaching-Methoden in der jeweiligen Situation sinnvoll ist. Wenn sich eine Führungskraft für den Einsatz von Coaching-Methoden entscheidet, muss sie sicherstellen, dass sich der Mitarbeiter dabei nicht gestresst oder unter Druck gesetzt fühlt. Denn eine Situation, in der sich der Mitarbeiter nicht wohl fühlt, verhindert den Erfolg von Coaching-Methoden. Druck und Stress führen dazu, dass sich der Mitarbeiter verschließt und die notwendige Offenheit für das Gespräch fehlt. Um solche Situationen zu vermeiden, ist eine Voraussetzung der Anwendung von Coaching-Methoden in der Führung die psychische Sicherheit in Teams. Psychologische Sicherheit ist laut Edmondson (2018) der Schlüsselfaktor für gesunde Teams und beschreibt einen psychologisch sicheren Arbeitsplatz, in dem Mitarbeiter sich wohl fühlen, ihre Meinung angstfrei äußern oder Fehler machen dürfen, ohne sich dafür zu schämen. Genau dies ist wichtig, damit sich Mitarbeiter in Gesprächen mit ihren Führungskräften öffnen und über Zweifel sprechen und neue Ideen entwickeln können.
Damit die psychologische Sicherheit aufrechterhalten werden kann, ist Vertrauen zwischen Mitarbeiter und Führungskraft essentiell. Dieses Vertrauen kann nur erhalten bleiben, wenn es bei der Anwendung von Coaching-Methoden ein Einverständnis gibt. Dafür muss kein Coaching-Vertrag aufgesetzt werden, wie bei einer offiziellen Coaching-Sitzung. Es gibt allerdings Techniken, um zu erkennen, ob der Mitarbeiter dem Einsatz von Coaching-Methoden zustimmt. Dafür betrachtet die Führungskraft die Grundhaltung des Mitarbeiters. Die Körperhaltung verrät viel über die eigenen Emotionen und was das Gegenüber ohne Worte mitteilen möchte. Es kann sich dabei um minimale Veränderungen der Mimik oder Gestiken handeln, die wahre Gefühle zeigen. Das Kopfnicken oder eine aufrechte und offene Körperhaltung signalisieren oftmals (aber nicht grundsätzlich) Freundlichkeit und Offenheit, sodass anzunehmen ist, dass das Gegenüber mit der Art des Gesprächs einverstanden ist. Eine verschlossene Körperhaltung, verschränkte Arme sowie Stirnrunzeln können Anzeichen von Desinteresse oder Skepsis sein und weisen eher auf eine Ablehnung als auf ein Einverständnis hin. Dementsprechend können Mimik und Gestik hilfreiche Informationen darüber geben, ob die Anwendung von Coaching-Methoden im Gespräch zwischen Führungskraft und Mitarbeiter sinnvoll ist.
Den Mitarbeitern zuzuhören, ohne eine eigene Agenda dabei zu verfolgen, schon den nächsten Termin im Kopf durchzugehen oder sich dabei nicht vom Telefon ablenken zu lassen, welches schon die nächsten Nachrichten mit Aufgaben ankündigt, sollte eigentlich als selbstverständlich gelten. Doch aufgrund der vielen potenziellen Störfaktoren am Arbeitsplatz kann es zu einer Herausforderung im Arbeitsalltag werden. Daher sollte für Coaching-Gespräche ein Ort gewählt werden, an dem es möglich ist, ein vertrauensvolles Gespräch auf Augenhöhe zu führen. Das kann an der Kaffeemaschine in der Teeküche, in einem (getrennten) Büro oder sogar auf einem Spaziergang um das Bürogebäude sein. Wichtig hierbei ist lediglich, dass eine vertrauensvolle Atmosphäre geschaffen wird und Störfaktoren minimiert werden können.
Neben dem richtigen Ort ist der Erfolg des Gespräches von der Art des Zuhörens abhängig, denn wie Covey (1989, S. 239) schon sagte: „Die meisten Menschen hören nicht zu, um zu verstehen; sie hören zu, um zu antworten.“
Es gibt vier Arten des Zuhörens (Haberleitner et al., 2018): Das Pseudo-Zuhören, aufnehmendes Zuhören, umschreibendes Zuhören sowie das aktive Zuhören. Während der Zuhörer beim Pseudo-Zuhören seiner eigenen Agenda folgt und lediglich seine Aufmerksamkeit vortäuscht, um sich anschließend selbst äußern zu können, zeigt der Zuhörer beim aufnehmenden Zuhören z.B. durch Kopfnicken und einer leicht vorgebeugten Haltung seinem Gegenüber eine höhere Zuhör-Qualität. Die dritte Stufe des Zuhörens ist das umschreibende Zuhören, bei dem der Zuhörer das Gesagte mit eigenen Worten wiedergibt, um das Gespräch aktiv zu fördern. Beim inhaltlichen Paraphrasieren des Gesagten werden die eigene Meinung, eine Bewertung sowie Ratschläge außen vor gelassen.
Das aktive Zuhören, welches im Rahmen von Coaching-Gesprächen überwiegend Anwendung finden sollte, ist eine Erweiterung des umschreibenden Zuhörens. Dieser Schritt wird um die Dimension der Selbstoffenbarung erweitert. Das bedeutet nichts weiter, als dass der Zuhörer auch die Gefühlsebene des Gesprächspartners erfasst. Es gilt daher, sich als Führungskraft den Empfindungen und dem Gemeinten zu widmen und zwischen den Zeilen zu lesen. Um aktiv zuzuhören sollten folgende drei Punkte beachtet werden:
Um der Coaching-Haltung nun eine Anwendungsstruktur hinzuzufügen, kann auf das GROW-Modell von Whitmore (2011) zurückgegriffen werden. Dieses Modell ist praxisbewährt und unterstützt die Führungskraft, eine Struktur in das Mitarbeitergespräch zu bringen und Effektivität und Effizienz im Zielsetzungsprozess zu erzielen.
Dabei ist GROW ein Akronym, bei dem die Buchstaben für einen bestimmten Schritt im Prozess stehen.
Es ist nicht selten, dass der Mitarbeiter das Gespräch nicht mit dem Ziel, sondern mit einem anderen Schritt im Prozess beginnt. So kann es sein, dass der Mitarbeiter mit der Wiedergabe der momentanen Situation beginnt und noch nicht genau weiß, wie das Ziel genau aussieht. Hier ist es Aufgabe der Führungskraft, von der Erfassung der Realität mithilfe von Fragen zur Zieldefinition zu gelangen.
Die Zieldefinition ist der erste Schritt des Prozesses und beinhaltet das Definieren eines klaren kurzfristigen Ziels für die jeweilige Session, sowie des langfristigen Ziels, welches zur Erreichung der Strategie beiträgt. Es ist möglich, mehrere Ziele in der Session zu definieren. Es sollte jedoch sowohl der Führungskraft als auch dem Mitarbeiter klar sein, was genau das Ziel der Session ist. Die Führungskraft muss darauf achten, dass der Mitarbeiter bei der Zieldefinition berücksichtigt, dass das Ziel spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch und terminiert ist (im Sinne SMARTEr Ziele). Wie auch in anderen strategischen Prozessen gilt das Definieren eines Ziels als grundlegend für den Erfolg der Strategieumsetzung. Mögliche Fragen für die Zielsetzung:
Nach der Definition der Ziele wird eine Bestandsaufnahme gemacht: Wie sieht die momentane Situation aus und was wurde bereits unternommen, um das Ziel zu erreichen? Es gilt herauszuarbeiten, welche Personen in die Herausforderung, das Problem oder die Idee des Mitarbeiters involviert sind. In diesem Schritt sollte die Führungskraft versuchen, den Fokus auf die Gesamtsituation zu legen, um den Mitarbeiter in die Lage zu versetzen, möglichst unvoreingenommen von der Situation erzählen zu können. Liegt der Fokus direkt auf dem Problem, wird es für den Mitarbeiter schwierig, nicht defizitorientiert an die Lösungsfindung heranzugehen. Mögliche Fragen für die Bestandsaufnahme:
Ist klar geworden, in welcher Situation sich der Mitarbeiter befindet, kann jetzt die Lösungsfindung starten. Hier ist es elementar, dass die Intention der Führungskraft darin besteht, den Mitarbeiter bei der eigenen Lösungsfindung zu unterstützen. Die Aufmerksamkeit der Führungskraft liegt also nicht auf dem Vorschlagen von Lösungen, sondern auf dem aktiven Zuhören und dem Schaffen einer Atmosphäre, die es dem Mitarbeiter erlaubt, kreative Ansätze zu entwickeln. Hierbei kann das Erstellen einer Liste mit allen Ideen, Optionen und Lösungsmöglichkeiten hilfreich sein. Es geht zuerst nicht um das Finden der „richtigen“ Lösung, sondern um die Kreativität des Mitarbeiters, sich neuen Möglichkeiten zu öffnen.
Um diese Prozessphase abzuschließen, ist es anschließend wichtig, die Liste aller Ideen durchzugehen und diese auf Machbarkeit und Attraktivität zu prüfen. Mögliche Fragen zum Finden von Optionen:
In dieser Phase gilt es, die Umsetzung der Lösungsmöglichkeiten zu besprechen. Wie stellt der Mitarbeiter sich die nächsten Schritte vor und fühlt er sich in der Lage, diese auch in die Tat umzusetzen, oder gibt es Hindernisse, die auftauchen könnten? Mögliche Fragen zu Umsetzungsideen:
Die Anwendung der Skalenfrage kann die Führungskraft dabei unterstützen, herauszufinden, wie wahrscheinlich es ist, dass der Mitarbeiter in die Umsetzung kommt. Dafür wird eine Skala von 1 bis 10 genutzt, auf der der Mitarbeiter die Wahrscheinlichkeit angeben kann. Liegt der Wert unter 8, kann die Führungskraft nachhaken, was passieren muss, damit eine neun oder zehn erreicht werden kann.
Damit die Anwendung von Coaching-Methoden in der Führung funktionieren kann, müssen die sowohl charakterliche Eignung der Führungskraft als auch die Fähigkeit, Coaching-Methoden anzuwenden, vorhanden sein. Die Führungskraft muss in der Lage sein, situativ entscheiden zu können, ob ein Coaching-Gespräch einen Interessenkonflikt darstellt oder dies gewinnbringend für Führungskraft und Mitarbeiter ist.
Um sich als Manager sicher an Coaching-Methoden heranwagen zu können, ist es notwendig, sich intensiv mit dem Thema Coaching und den ausgewählten Coaching-Methoden auseinanderzusetzen und Zeit zu investieren. Diese Qualifizierung kann durch externe Institute oder durch interne oder externe Coaches geschehen. Wichtig hierbei ist die intensive Übung des Gelernten. Es bietet sich daher an, den Führungskräften einen geschützten Raum zu bieten, in dem Wissen vertieft und angewendet werden kann. Ein sicherer Rahmen können regelmäßige Übungsstunden mit Kollegen sein, in denen die Anwendung von Coaching-Methoden geübt wird oder Probleme und Lösungsansätze aus der Praxis diskutiert werden. Im Optimalfall werden Führungskräfte in den Übungssessions von zertifizierten Coaches unterstützt, die für Fragen und Ratschläge zur Seite stehen. Das Risiko, keine zertifizierten Coaches zur Unterstützung zu haben, ist das Normalisieren von wenig wirksamem Verhalten.
Empathie, Reflexionsvermögen und die Fähigkeit, eine neutrale Beobachterposition einzunehmen, sind die Grundvoraussetzungen für Führungskräfte, um Coaching-Gespräche zu führen. Haben Führungskräfte darüber hinaus das Coaching-Wissen und einen kleinen Werkzeugkoffer mit Coaching-Methoden und Coaching-Fragen, sind sie bestens vorbereitet, um das Coaching zunächst in Übungssessions zu trainieren und anschließend situativ für die bestmögliche Entwicklung der Mitarbeiter und Teams anzuwenden.
Der am einfachsten und schnellsten zu erkennende positive Effekt des Einsatzes von Coaching in der Führung ist die erhöhte Selbstständigkeit der Mitarbeiter. Kurzfristig sorgt das Coachen von Mitarbeitern für einen erhöhten Aufwand für die Führungskraft, wirkt sich langfristig jedoch durch die erhöhte Selbstständigkeit der Mitarbeiter zeitlich positiv aus. Die Mitarbeiter werden individuell gefördert und sind motivierter, ihre eigene Expertise in den Arbeitsalltag einzubringen. Die Anwendung von Coaching in der Führung unterstützt die psychologische Sicherheit und das Vertrauen in Teams, was wiederum zu einem Arbeitsklima führt, welches das Lernen ermöglicht und fördert. Die Mitarbeiter fühlen sich gehört und mit dem Unternehmen verbunden, sodass sie motiviert sind, die Zukunft des Unternehmens aktiv mitzugestalten.