Stabile Macht hat verschiedene Konsequenzen für Machthabende. Das wissen wir aus zahlreichen sozialpsychologischen Experimenten. Macht kann nicht nur das Denken und Verhalten verändern, sondern auch die Wahrnehmung und Emotionen. Sie lässt Empathie und Mitgefühl schwinden. Darüber hinaus handeln Menschen mit Macht impulsiver und erleben mehr positive Gefühle. Macht erleichtert, dass man ein Leben nach den eigenen Bedürfnissen gestalten kann. Scham und Schuldgefühle werden weniger stark wahrgenommen, das Umfeld wird stärker stereotypisiert und Menschen werden eher als Objekte gesehen und behandelt. Hier kommt schon einiges zusammen und dabei habe ich die physiologischen Konsequenzen noch ausgelassen. Das dopaminerge System im Hirn springt in stabilen Machtsituationen an und dadurch besteht ein Abhängigkeitspotenzial. Klar ist aber auch: Die Psychologie ist eine Mittelwertswissenschaft. Manche Menschen reagieren stärker und manche schwächer auf Macht.
Eine Konsequenz wäre, dass wir eine ordentliche Machtdiagnostik betreiben. Auf der organisationalen Ebene ergeben Machtlandkarten viel mehr Sinn als Organigramme. Doch auch in der Individualdiagnostik sollte der Umgang mit Macht ein wichtiges Thema sein. In vielen Betrieben wird keine professionelle Diagnostik beim Aufstieg zur Macht betrieben. Vor allem bei besonders machtvollen Stellen hoch in der Hierarchie wird lediglich mit einem unstrukturierten Gespräch gearbeitet. In anderen Organisationen wird das Thema hinter Dimensionen wie Konfliktfähigkeit oder Durchsetzungsstärke versteckt, aber nicht direkt fokussiert. Nicht nur im Bereich der Diagnostik werden Machtthemen in der dunklen Ecke belassen, weil das Thema als unangenehm oder sogar schmutzig wahrgenommen wird. Wir sollten Macht aus der Schmuddelecke holen.
Macht zu Einfluss werden zu lassen und mit Sinn, Selbstbestimmung und Kompetenz zu paaren, nennen wir in der Organisationspsychologie psychologisches Empowerment. Dieses Empowermenterleben hat sowohl für Organisationen als auch für Mitarbeitende viele positive Konsequenzen. Das wissen wir aus zahlreichen Studien, die in Metaanalysen zusammengefasst wurden. Führungskräfte, die ihre Mitarbeitenden psychologisch empowern, betreiben aktive Partizipation. Sie reduzieren bürokratische Hürden, berücksichtigen ihre Mitarbeitenden individuell, stimulieren Sinn und geben Entscheidungsbefugnisse ab. Diese Form der Führung, in der ich einen Menschen neben mir wachsen lasse, kann auch viele positive Auswirkungen auf die Führungskräfte haben.
Unbedingt. Wir brauchen Coaches, die sich mit Macht und Ohnmacht auskennen und die Macht- und Ohnmachtskompetenzen der Führungskräfte stärken. Coaches sollten helfen, dass Führungskräfte verstehen, welche Metamorphose durch Macht ausgelöst werden kann, und sie können dazu beitragen, dass Führungskräfte die Intensität und die Ausrichtung ihres Machtmotivs besser erkennen. Und dann gibt es noch eine andere wichtige Funktion. Häufig besitzen Mächtige kein kritisches Umfeld mehr. Früher gab es bei Königen den Hofnarren, der zumindest ein paar Wahrheiten, mit Humor verpackt, an die Mächtigen adressieren durfte. Das Spiegeln des Machtverhaltens kann heute ein guter und selbstbewusster Coach übernehmen. Machtfragen umgeben uns ständig in Organisationen und diese können positiv und verantwortungsvoll im Sinne der Gemeinschaft gelöst werden. Hier sehe ich ein wichtiges Zukunftsfeld für erfahrene Coaches.