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Coaching-Tools

Die Weichspüler

Ein Coaching-Tool von Anja Wilson-Wiegmann und Andrea Brakemann

12 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 4 | 2022 am 16.11.2022

Kurzbeschreibung

„Die Weichspüler“ ist ein Coaching-Tool, das sich mit der Bedeutung von Tilgungen in unserer Sprache und Ausdrucksweise sowie deren Auswirkungen und Ursachen beschäftigt. Der Begriff der Tilgung ist vor allem aus dem Finanzwesen bekannt. So werden etwa ein Kredit oder eine Hypothek getilgt. In unserem Sprachgebrauch haben Tilgungen eine ähnliche Wirkung: Sie eliminieren das Gesagte teilweise oder vollständig. Ein häufig verwendetes Füllwort in diesem Zusammenhang ist der Begriff „eigentlich“. Werden Tilgungen auffällig häufig vom Klienten verwendet, so kann dies ein Hinweis auf blinde Flecken, versteckte Ängste oder unbewusste Bedürfnisse sein. Die Autorinnen haben sich für den Begriff „Weichspüler“ statt „Tilgung“ entschieden, da das Gesagte nicht gänzlich „vernichtet“ wird, sondern eher einen schwammigen, vagen Charakter annimmt. Mit diesem Tool soll eine systematische Bearbeitung der als „Weichspüler“ benannten Tilgungen ermöglicht werden.

Anwendungsbereiche

Das Tool eignet sich für die Anwendung in der Analyse- oder Veränderungsphase eines Coaching-Prozesses. Voraussetzung ist, dass ein gutes Vertrauensverhältnis zwischen Coach und Klient besteht. Besonders sinnvoll ist der Einsatz dieses Tools bei Klienten, die sehr häufig „Weichspüler“ in der Kommunikation verwenden und sich dessen (oder der Bedeutung) nicht bewusst sind.

Zielsetzung & Effekte

Ziel ist es, den Klienten auf seinen Einsatz und vor allem auf die Wirkung von Weichspülern aufmerksam zu machen. Das Erforschen der Ursachen und die Umwandlung in eine klare, ehrliche Sprache ermöglichen es dem Klienten, sich selbst zukünftig besser wahrnehmen und dementsprechend klarer nach außen kommunizieren zu können. Dies wird positive Auswirkungen darauf haben, wie der Klient von seinem Umfeld wahrgenommen wird.

Ausführliche Beschreibung

Das Tool wird hauptsächlich bei Klienten eingesetzt, bei denen der Coach eine häufige Nutzung von Weichspülern beobachtet hat. Im ersten Schritt weist der Coach den Klienten darauf hin, dass ihm aufgefallen sei, dass er häufig Worte wie „eigentlich“, „ziemlich“, „im Grunde“, „irgendwie“, „würde“, „könnte“ etc. verwende. Ist sich der Klient bewusst, dass er häufig Tilgungen benutzt, und möchte er dies ändern, kann die Intervention direkt, wie im Folgenden beschrieben, eingesetzt werden.

Ist sich der Klient seines häufigen Gebrauchs von Weichspülern nicht bewusst, folgt ein Zwischenschritt. Das Gespräch zwischen Coach und Klient wird normal fortgesetzt. Währenddessen notiert der Coach unauffällig (durch eine Strichliste, Sammeln von Büroklammern o.ä.) die verwendeten Weichspüler des Klienten. Nach einer Weile weist der Coach den Klienten darauf hin, wie viele Weichspüler dieser im Laufe der letzten Minuten benutzt hat, und erläutert ihm deren Wirkung. Spätestens jetzt ist es wahrscheinlich, das Interesse des Klienten geweckt zu haben. Das Tool kann zum Einsatz kommen.

Konkretisierung „weichgespülter“ Sätze

Abb.: Konkretisierung „weichgespülter“ Sätze

Schritt 1: Persönliche Beispielsätze des Klienten

Coach und Klient sammeln gemeinsam Beispielsätze mit Weichspülern. Hilfreich ist es, wenn der Coach auf Basis seiner Notizen möglichst konkrete Beispiele des Klienten benennen kann. Dabei ist es wichtig, ganze Sätze zu sammeln und nicht nur die Begriffe selbst. Andernfalls ist es im weiteren Verlauf der Intervention nicht möglich, die Auswirkungen der tilgenden Begriffe im Kontext herauszuarbeiten. Falls es keine Notizen des Coachs gibt, kann eine beliebige Satzliste vom Klienten erstellt werden.

Beispiel: „Du hast das Meeting eigentlich ganz gut geleitet.“ Zunächst wird der Klient aufgefordert, die tilgenden Worte zu identifizieren. Coach und Klient erforschen dann an diesem einfachen Beispiel, warum „eigentlich“ und „ganz“ verwendet werden, und welche Wirkung dies erzeugt. Hilfreiche Fragestellungen dabei lauten:

  • Hat der Klient die Formulierung bewusst gewählt?
  • Welches Bedürfnis steckt dahinter, nicht deutlich und klar zu kommunizieren? Die Sorge vor Ablehnung? Die Sorge vor Disharmonie? Die Sorge, die Aussage begründen zu müssen? (Die jeweilige Sorge sollte vom Klienten näher beschrieben werden.)
  • Was würde passieren, wenn die Aussage deutlich formuliert wird?
  • Welche Konsequenzen werden befürchtet bzw. in Betracht gezogen?
  • Gibt es mögliche andere Gründe für die Formulierung (z.B. Höflichkeit)?
  • Wie möchte der Klient wahrgenommen werden?

Im Folgenden wird angenommen, der Klient strebt nach Harmonie und hat Sorge, dass diese gestört wird, wenn er seine ehrliche Meinung preisgibt, die möglicherweise lautet: „Die Leitung des Meetings war konfus.“

Nach dieser Vorarbeit erörtern Coach und Klient gemeinsam, wie ein ehrlicher und stimmiger Satz lauten könnte, der das Bedürfnis nach Harmonie nicht beeinträchtigt, dem Klienten aber ein anderes Standing gibt: „Ich finde Deinen lockeren Stil, die Meetings zu leiten, angenehm und sympathisch. Mit einer strukturierteren Herangehensweise, würden die Besprechungen noch mehr Spaß machen.“ Diese Übung wird anhand weiterer zwei bis drei Äußerungen fortgesetzt. Beispiele für mögliche Sätze lauten:  

  • „Eigentlich würde ich ja gerne mehr Zeit in das Projekt investieren.“
  • „Arbeit an den Wochenenden ist eigentlich nicht vorgesehen.“
  • „Es ist mir wichtig, bei der Umsetzung meiner Aufgaben über relativ viele Freiheiten zu verfügen.“
  • „Das finde ich schon etwas schade und nicht ganz optimal.“

Für alle gefundenen Beispiele wird ein Gegenbeispiel (klarer Satz) ausformuliert. Zur besseren Anschaulichkeit ist es sinnvoll, diese entweder am Whiteboard oder Flip-Chart einander gegenüberzustellen.

Schritt 2: Analyse

Hinter all diesen Äußerungen stehen konkrete Erfahrungen, Beurteilungen, Wahrnehmungen und Gefühle, die im Rahmen der ursprünglich gewählten Formulierungen getilgt bzw. weichgespült, nur angedeutet oder nicht klar geäußert wurden. Der Klient soll befähigt werden, zukünftig bewusst zu entscheiden, welche Art der Formulierung er in verschiedenen Situationen einsetzen möchte. Dazu ist es notwendig, zu erkennen, welche Gründe, Bedürfnisse und Ursachen (blinde Flecken) hinter den gewählten Weichspülern stehen. Diese werden zu den einzelnen Sätzen festgehalten.

Wichtig für die spätere Umsetzung ist, dass der Klient zusätzlich über seine somatischen Marker (körperliche Reaktionen) erfährt und erinnert, wie sich die alten und die neu gefundenen Formulierungen anfühlen und auswirken. Dafür schildert der Klient seine jeweiligen körpereigenen Wahrnehmungen. Diese werden ebenfalls den Sätzen zugeordnet und schriftlich notiert. Begleitende Fragen können lauten:

  • Wie fühlt sich die neue Formulierung im Vergleich zur alten an?
  • Was nehmen Sie wahr?
  • Welche Gedanken, Gefühle und Körperempfindungen haben Sie?
  • Können Sie ergründen, warum Sie bisher die alte Formulierung gewählt haben?
  • Welche Erfahrungen, Beurteilungen und Wahrnehmungen haben Sie gemacht?
  • Haben diese heute noch Gültigkeit? Entsprechen sie noch Ihrem heutigen Ich?

Schritt 3: Allgemeine Sammlung von Weichspülern

Nachdem der Klient in Schritt 1 und 2 anhand seiner persönlichen Beispiele die Thematik analysiert hat, geht es nun darum, zur weiteren Verankerung die Perspektive zu erweitern. Hierfür werden zusätzlich zu den persönlichen Beispielen alle Begriffe gesammelt, die dem Klienten einfallen. Als Anregung kann der Klient gefragt werden, welche Weichspüler ihm bei anderen Personen aufgefallen sind. Der Coach kann Begriffe ergänzen, sofern dies gewünscht ist. U.a. könnten sie lauten: eigentlich, ziemlich, an sich, vielleicht, irgendwie, im Prinzip, grundsätzlich, normalerweise, würde, könnte, müsste, ein Stück weit, möglicherweise, recht.

Schritt 4: Allgemeine Ursachensammlung

Analog zu Schritt 2 folgt nun eine Ursachenbenennung – hier in Bezug auf die in Schritt 3 gesammelten Begriffe zur Perspektivenerweiterung. Mögliche Ursachen können sein: Harmoniebedürfnis, Höflichkeit, Sorge vor Konfrontation, Unzufriedenheit, mangelndes Selbstbewusstsein, das Offenhalten von Ausweichmöglichkeiten etc. Wird der Klient z.B. in einem Meeting nach seiner Meinung zu einem Thema gefragt, so kann er kompromissvoll antworten: „An sich (oder im Prinzip) finde ich das ganz gut.“ Sollte sich später dann herausstellen, dass sein Vorgesetzter die Idee nicht befürwortet, kann der Klient aus „an sich ganz gut“ leichter ein „gefällt mir auch nicht“ machen, als wenn er zuvor deutlich Stellung („Die Idee befürworte ich zu 100 Prozent!“) bezogen hätte.

Weitere Fragen können sein: Was steckt hinter einem Konditional wie „würde“, „könnte“ oder „müsste“? Was würde passieren, wenn der Klient könnte, was hält ihn davon ab, was wären die Konsequenzen, was müsste passieren, damit er kann? Was umgeht der Klient? Welches Gefühl ist da noch? Welche Meinung?

Schritt 5: Hausaufgaben für den Klienten

Als Hausaufgaben sollte der Klient folgende Fragen für sich selbst beantworten und schriftlich festhalten:

  • Worauf will ich in Zukunft achten?
  • Was soll sich dadurch ändern?
  • Woran werde ich die Veränderung spüren?
  • Woran werden andere merken, dass sich etwas verändert hat?

Die Hausaufgaben werden im nächsten Termin von Klient und Coach gemeinsam besprochen. Hierbei werden konkrete Umsetzungsschritte geplant, die im Zuge des weiteren Coachings begleitet und reflektiert werden können.

Ein Fallbeispiel

Eine junge Vertriebsmitarbeiterin im Außendienst ist seit längerem im internen Coaching ihres Unternehmens. Betreffend ihrer Selbstwahrnehmung und der ihr entgegengebrachten Wertschätzung hat sie in den letzten Monaten bereits erhebliche Fortschritte gemacht. Mehrere Sitzungen mit dem Coach sind vorangegangen und das Vertrauensverhältnis zwischen Coach und Klientin ist sehr gut. Dennoch klagt die Klientin immer wieder über „Unsicherheiten“ und fragt sich, ob sie genügend Selbstvertrauen und Standing hat, um sich in der männerdominierten Baubranche zu behaupten.

Dem Coach ist aufgefallen, dass die Klientin häufig tilgende Begriffe beim Kommunizieren verwendet. Er weist sie darauf hin und fragt, ob sie sich vorstellen könne, an diesen Formulierungen zu arbeiten. Sie ist sofort einverstanden, da sie grundsätzlich sehr offen und selbstreflektiert ist sowie gerne die Potenziale zur Kompetenz- und Ressourcenerweiterung durch das Coaching nutzen möchte. Daraufhin gehen Coach und Klientin die Schritte wie oben beschrieben durch. Ihre Beispielsätze lauten:

  • „Eigentlich habe ich ja eine ganz schöne Figur.“
  • „Der Termin beim Kunden war eigentlich ganz gut.“
  • „Die Terrassenüberdachung ist ja an sich echt ganz cool.“

Die Klientin hat bewusst Beispiele aus drei verschiedenen Bereichen gewählt: aus ihrer Selbstwahrnehmung, dem beruflichen und dem privaten Umfeld. Die Umformulierungen in klare Sätze lauten:

  • „Ich habe eine schöne Figur.“
  • „Der Termin beim Kunden war gut. Ich hätte aber noch Frage xy stellen können.“
  • „Die Terrassenüberdachung wäre nicht mein Fall, aber wenn Ihr damit zufrieden seid und sie Euch gefällt, ist das doch super!“

Coach und Klientin erarbeiten gemeinsam die Gründe und Bedürfnisse, welche hinter den Weichspülern stehen, und erörtern blinde Flecken, welche hinter diesen Gefühlen verborgen sind. Schnell wird klar, dass sich genau die zentralen Coaching-Themen der Klientin hinter dem Einsatz der Weichspüler verbergen und diese widerspiegeln. Im Vorfeld wurde über verschiedene Interventionen bereits erarbeitet, dass sie sich oft „zu klein macht“, nicht immer selbstbewusst und häufig abhängig von der Meinung anderer ist. „Falsche Bescheidenheit“, „Bestätigung anderer einfordern“, „rollengerechtes Verhalten“ traten bei den Gründen und Bedürfnissen hinter den Tilgungen zutage. Ebenso die Abwertung der eigenen Person, mangelndes Selbstvertrauen, Abhängigkeit und Harmoniebedürftigkeit bei den blinden Flecken. Die Wahrnehmungen auf Gefühls-, Gedanken- und Körperebene zu den „klaren Umformulierungen“ waren durchweg positiv: Die Klientin fühlte sich selbstbewusst, aufrecht, strahlend, souverän, selbstreflektiert, unabhängig, kompetent und „nicht angreifbar“. Bezüglich des dritten Beispielsatzes aus dem privaten Umfeld hat sie sich letztendlich dafür entschieden, diesen so zu belassen, wie er ursprünglich „weichgespült“ formuliert wurde (Sprechen im Kompromiss) – aus Gründen der Höflichkeit und in Abwägung der Beziehung, um die es ging.

Im weiteren Verlauf der Sitzung wurde analysiert, dass sie den ersten Satz eher unbewusst weichgespült hatte, den zweiten halbbewusst und den dritten bewusst. In diesem Zusammenhang sei auf „Das Innere Team“ von Friedemann Schulz von Thun verwiesen. Erfahrungen aus diesem Bereich sind förderlich für den Einsatz des Tools. Beim ersten und zweiten Satz wollte oder brauchte sie die Bestätigung anderer, die ihr sagen sollten, dass sie eine schöne Figur hat oder dass der Kundentermin gut war. Sie selbst hatte sich diese klaren Äußerungen bei den „weichgespülten“ Sätzen (noch) nicht ganz zugetraut.

Nach der intensiven Bearbeitung der persönlichen Beispielsätze wurden in den nächsten Schritten ganz generell Beispiele für Tilgungen gesammelt sowie die möglichen Gründe, Ursachen und Bedürfnisse, die dahinterstehen könnten. Diese Sammlung kann durchaus zum Schmunzeln anregen, da klar wird, wie oft wir alle in die „Weichspülerfalle“ tappen. Als Hausaufgabe hat die Klientin selbst formuliert, dass sie zukünftig stärker auf ihre Sprache achten und auf die im Kontext angemessene Formulierung fokussieren möchte. Der entscheidende Zusatz war, dass sie dies alles für sich selbst und nicht für andere tun werde.

Voraussetzungen

Wichtig ist ein gutes Vertrauensverhältnis zwischen Klient und Coach. Hilfreich sind Erfahrungen des Coachs in zirkulärer Fragestellung und zum Inneren Team sowie der Einbeziehung emotionaler Ebenen im Coaching.

Persönlicher Hinweis

Das Tool ist gut geeignet, um den Klienten dafür zu sensibilisieren, warum er ggf. in bestimmten Situationen nicht so ernst genommen wird, wie er es sich wünscht, oder warum er sich nicht wohlfühlt. Vielen Klienten ist nicht bewusst, dass sie ihre Aussagen durch den Gebrauch von Weichspülern teilweise wieder tilgen. Durch das Bewusstwerden über die Gründe für die Anwendung der Weichspüler gewinnt der Klient an Selbstbewusstsein und wird freier in seinem Handeln. Er kann bewusst deutlich formulieren, empfindet sich selbst klarer und wird von seinem Umfeld eindeutiger wahrgenommen.

Technische Hinweise

Die Übung dauert je nach Intensität und Beispielvielfalt zwischen 60 und 90 Minuten. Benötigt werden ein Whiteboard, eine Pinnwand oder ein Flip-Chart sowie Moderationskarten, Magnete und Stifte.

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