Dieses Tool überträgt reteaming®, eine Methode für Teams, auf das Setting des Einzel-Coaching. Es ist eine lösungsorientierte Methode in elf Schritten, bei der sich ein Klient auf ein zukunftsorientiertes Motto fokussiert, Probleme benennt, diese in Ziele umwandelt, nach Ressourcen im Umfeld sucht und forciert an der Erreichung seines zentralen Ziels arbeitet.
Die hier beschriebene Klärungsarbeit ist sowohl Methode wie auch grundsätzlicher Ansatz eines gesamten Coaching-Prozesses. Ihr Einsatz ist also immer dann sinnvoll, wenn ein Klienten-Thema durch die Besinnung auf die Ressourcen des Klienten und zielorientiertes Verhalten erfolgreich bearbeitet werden kann. Idealerweise steht der Klient vor einem individuellen „Change Management“-Projekt, wie dem Einfinden in eine neue (Führungs-) Rolle, die Veränderung in der Zusammenarbeit mit Anderen oder der beruflichen Neuorientierung.
Bei der Übertragung des reteaming® ins Einzel-Coaching soll dessen strukturierter Prozess dem Coach wie auch dem Klienten eine einfache Struktur an die Hand geben, selbstständig zu einer Lösung zu kommen. Dabei sollen dem Klienten seine eigenen Ressourcen bewusst gemacht, und diese als Ausgangspunkt für eine positive Veränderung genutzt werden.
Das reteaming® wurde in den 90er Jahren von Ben Furman und Tapan Ahola entwickelt, um Teams in Unternehmen nach schwierigen Reorganisationsprozessen ein Handwerkszeug an die Hand zu geben, welches hilft, nach vorne zu schauen und unproduktive Schuldanalysen zu vermeiden. So lautet eine zentrale Aussage im reteaming®: „Niemand ist (allein) für das Problem, aber alle sind für die Lösung verantwortlich!“ (B. Furman). Durch diese lösungsorientierte Grundhaltung kommen Teams erst gar nicht in die Versuchung, sich mit gegenseitigen Schuldvorwürfen immer weiter zu demotivieren und besinnen sich statt dessen auf die Kraft und Möglichkeiten der Gruppenmitglieder.
Zwischen reteaming® und der lösungsfokussierten Gesprächsführung von Steve DeShazer besteht eine grundsätzliche Übereinstimmung in der allgemeinen Ausrichtung. Auch wenn sie unabhängig voneinander und in verschiedenen Kontexten (Organisationsentwicklung und Therapie) entwickelt wurden, so stellen doch beide Ansätze das Ziel und die vorhandenen Ressourcen in den Mittelpunkt der Veränderungsarbeit. Entsprechend können Methoden des einen Ansatzes auch für den jeweils anderen genutzt werden. Die bekannte Wunderfrage ließe sich auch im reteaming® zur Entwicklung der Anfangsvision nutzen. Umgekehrt kann die aktive Einbeziehung von Unterstützern aus dem reteaming® ebenfalls eine hilfreiche Ergänzung in der Veränderungsarbeit nach DeShazer sein. Außerdem wird in beiden Ansätzen mit Skalen gearbeitet, auch wenn die konkrete Anwendung im Detail etwas anders aussehen kann, was später bei der Beschreibung eines Beispiels noch deutlicher wird. Zuerst aber soll hier im Überblick auf die (ursprünglichen zwölf) Schritte des reteaming® eingegangen werden.
Das reteaming® besteht nach Furman und Ahola aus zwölf klaren Schritten.
Die Umsetzung dieser zwölf Schritte in ein Einzel-Coaching soll im Folgenden anhand eines realen Coaching-Falls beschrieben werden. Im Unterschied zum klassischen Vorgehen mit einem Team, ziehen wir in der Einzelarbeit den vierten Schritt vor den dritten und erledigen dabei den neunten gleich mit.
Der Klient bekleidet eine führende Funktion im Personalwesen eines Konzerns. Anlass für das Coaching sind akute Burnout-Symptome, die in eine zweimonatige Arbeitspause münden. Das Coaching beginnt nach dieser Arbeitspause und erstreckt sich über einen Zeitraum von cirka neun Monaten.
Schon im Erstgespräch wird deutlich, dass der Klient immer noch stark angespannt ist und beim Bericht über seine Verfassung immer wieder ins Stocken kommt. Es wird ein Coaching vereinbart, welches das generelle Ziel hat, eine Entlastung im Arbeitskontext zu erreichen.
In der ersten Coaching-Sitzung wird dieses allgemeine Ziel näher beleuchtet und als positive Zukunft beschrieben. Da der Klient recht pragmatisch orientiert ist, wird aus der Vision schnell ein relativ konkretes Zielbild: Der Klient will freier bestimmen, für welche Themen er sich engagiert und welche er ablehnen möchte. So würde er flexibler in der Gestaltung seiner Arbeitszeit sein, und seine Mitarbeiter würden in allen Arbeitsbereichen stärker eingebunden sein müssen. Letztlich würden sie dann auch ohne seine Unterstützung Themen eigenständig vertreten und von den internen Kunden als Ansprechpartner akzeptiert werden.
Mit diesem Bild im Kopf gehen wir bereits an die Fokussierung und Operationalisierung des Zielbilds. Dabei geht es darum, sich möglichst auf nur ein einziges Ziel zu konzentrieren, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass dieses Ziel auch wirklich erreicht wird. Für den Klienten heißt das, dass er nur noch zu 30 Prozent operativ und zu 70 Prozent strategisch arbeiten will.
Im weiteren Prozess überprüfen wir den Nutzen des Ziels, um die Motivation zur Veränderung des eigenen Arbeitsverhaltens zu steigern. Der Klient beschreibt die für sich erhofften Effekte:
Von der Zielerreichung würden auch andere Personen profitieren:
Die Überprüfung des Nutzens für andere Personen oder Gruppen ist von ähnlicher Bedeutung wie das Herausstellen des Nutzens für die eigene Person. Sollte die Zielerreichung anderen Personen eher Nachteile bringen, müsste der Klient mit entsprechenden Widerständen von diesen Personen rechnen. Umgekehrt kann sich der Klient bei einem klaren Nutzen für Andere auch derer Unterstützung sicher sein.
In der Gesamtbetrachtung des Klienten erscheint das Ziel also immer für ihn und sein Umfeld attraktiv. Daher ist es einfach, den nächsten Schritt zu vollziehen und nach möglichen Unterstützern für das Ziel zu suchen. Die Unterstützer sollten über den aktuellen Stand des Coaching, die geplanten Veränderungen im Verhalten und ihre mögliche Rolle bei der Verstärkung des neuen Verhaltens informiert werden. Hier werden schnell der Vorgesetzte des Klienten und seine Ehefrau identifiziert. Es findet ein gemeinsames Gespräch mit dem Vorgesetzten statt, der sich bereitwillig als Feedbackgeber im Arbeitsalltag zur Verfügung stellt. Das Gespräch zwischen dem Klienten und seiner Frau wird ohne Beteiligung des Coachs geführt.
Der Einsatz der Unterstützer hat an dieser Stelle mehrere Ziele: Zum einen wird das Vorhaben öffentlich gemacht, was einen positiven Einfluss auf die Veränderungsmotivation hat. Zum anderen sind die Unterstützer eine wichtige Quelle von Rückmeldungen und auch Anregungen auf dem Weg zur Zielerreichung. Da man bekanntlich die eigenen blinden Flecken nicht sehen kann und der Coach den Klienten zumeist nicht in seiner alltäglichen Arbeitswelt erlebt, sind die Rückmeldungen der Unterstützer für jeden Coaching-Prozess eine wichtige Resonanzquelle.
Es werden nun die bereits vorhandenen Ressourcen und konkreten Fortschritte in den Fokus des Klienten gerückt. Sehr häufig berichten Klienten von den positiven Veränderungen, die zwischen der Zeit der Entscheidung für ein Coaching und der ersten Coaching-Sitzung stattgefunden haben. Diese Fortschritte gilt es, anzuerkennen und zu würdigen. Sie sind konkrete Beispiele für die Ressourcen des Klienten.
Zur Verdeutlichung der Fortschritte eignet sich in idealer Weise eine 10er-Skala, wie sie aus der lösungsfokussierten Arbeit von Steve DeShazer bekannt ist. Der Klient verortet sich auf einer Skala von 1 bis 10, wobei 10 die Zielerreichung ist und 1 die maximale Entfernung vom Ziel darstellt (und nicht wie bei DeShazer der heutige Ausgangspunkt). Welche Zahl der Klient nun auch immer angeben mag, die nächste Frage lautet: „Wie haben Sie es bereits geschafft, auf der Stufe 3 (4 oder 6…) zu sein? Was funktioniert bereits im Sinne Ihres Ziels?“
Unser Klient sieht sich selbst auf der dritten Stufe und begründet dies mit dem Beginn des Coaching an sich sowie bereits erfolgten ersten Teilschritten wie dem Aussortieren von Arbeitsthemen, mit denen er sich nicht mehr so intensiv beschäftigen will. Als Ressourcen, die dies ermöglichen, werden von ihm in erster Linie die Gespräche mit seinem Vorgesetzten und seiner Ehefrau über die Situation genannt.
Die Stufe 3 auf der 10er-Skala ist also der aktuelle Ausgangspunkt für die weiteren Schritte. Und genau diese nächsten Schritte gilt es als Nächstes zu identifizieren. Dazu wird die Zielbeschreibung auf die Skala übertragen und immer weiter in kleine Schritte „herunter gebrochen“. So entsteht eine Skala mit vielen kleinen Schritten auf dem Weg zum Ziel. Besonders viel Wert wird auf die nächsten Schritte in Richtung „3,5“ und „4“ gelegt, da es darum geht, eine Vorwärtsbewegung mit relativ gesicherten Erfolgen zu organisieren.
Jeder Schritt wird sowohl auf der Verhaltensebene wie auch auf der Ebene der eigenen Werte und Normen besprochen. Dadurch wird sichergestellt, dass die Veränderungen auf der Verhaltensebene in Übereinstimmung mit den inneren Überzeugungen des Klienten stehen. Schließlich fokussiert sich der Klient als erstes auf eine Reihe von Selbstmanagement- und Arbeitstechniken. Die beiden zentralen nächsten Schritte sind dabei:
Doch bevor diese Schritte in die Tat umgesetzt werden, gilt es, noch einmal klar zu erkennen, worin die Herausforderungen bei der Umsetzung der Veränderungen liegen. Die Herausforderungen sieht unser Klient nicht in der praktischen Durchführbarkeit, sondern eher in dem bisherigen Arbeitsverhalten und dem Anspruch an die Qualität der Arbeitsergebnisse. In der Diskussion über diese Herausforderungen wird deutlich, dass eine Veränderung nur mit einer „Holperstrecke“ und einem gehörigem Maß an Fehlertoleranz auf Seiten des Klienten in Bezug auf seine Mitarbeiter zu erreichen ist.
Daher werden für die entsprechenden Herausforderungen auch gleich mögliche Ressourcen gesucht, die es dem Klienten dennoch ermöglichen sollen, die Maßnahmen konsequent in die Tat umzusetzen. Dabei spielen die Unterstützer, vor allem der eigene Vorgesetzte, eine zentrale Rolle. Der Vorgesetzte macht deutlich, dass er dem Klienten und auch seinen Mitarbeitern bei dem anstehenden Lernprozess (der Holperstrecke) auf jeden Fall den Rücken stärken wird und dass ihm ein emotional stabiler Mitarbeiter wesentlich wichtiger und wertvoller ist, als eine vollkommene Fehler-Vermeidungskultur in seinem Bereich.
Die zweite wesentliche Ressource ist die Fähigkeit des Klienten, sein eigenes, neues Verhalten (bestimmte Aufgaben und die entsprechende Verantwortung an die Mitarbeiter zu delegieren) als Experiment zu definieren: Damit werden für ihn sowohl das „Scheitern“ wie auch der „Erfolg“ ein akzeptables Ergebnis. Drittens wird eine Reihe von Themen definiert, die auf jeden Fall für die nächsten Monate beim Klienten bleiben sollen, da sie eine große strategische Bedeutung für ihn haben. Dermaßen vorbereitet und durch den Vorgesetzten gestützt geht es in die Umsetzungsphase der Maßnahmen. Der neunte Schritt im reteaming®-Konzept, „Das eigene Commitment öffentlich machen“, wird in der Einzel-Coaching-Adaption nicht noch einmal explizit vollzogen, da dies durch die Gespräche mit den Unterstützern bereits geschehen ist.
Schon nach kurzer Zeit zeigen die eingeleiteten Maßnahmen eine sehr positive Wirkung auf das Wohlbefinden unseres Klienten. Schon nach einem Monat ist er auf seiner Zielskala bereits auf der „5“, also weiter als geplant. Die emotionale Entlastung ist ihm deutlich anzusehen. Vereinbart werden daher auch keine neuen Maßnahmen, sondern die Fortführung der eingeleiteten, positiven Veränderungen. Die wichtigste Funktion des Coaching besteht nun im Herausheben der positiven Veränderungen, im bewussten Erleben der eingesetzten Ressourcen und in der konsequenten Weiterführung der eingeleiteten Maßnahmen.
Zusätzlich wird Feedback vom Vorgesetzten eingeholt, der die positive Entwicklung ebenfalls betont. Auch kann der Klient von den positiven Effekten auf sein Familienleben berichten, die vor allem auf den zusätzlichen freien Tag in der Woche zurückzuführen sind. Dies trägt insgesamt sehr zur emotionalen Stabilität des Klienten bei.
Natürlich gibt es auch Probleme bei der Umsetzung der Maßnahmen, insbesondere bei der Übertragung von Aufgaben an einen konkreten Mitarbeiter, der der Aufgabe offensichtlich nicht gewachsen ist. Doch kann der Klient aufgrund seiner zurück gewonnenen, emotionalen Stabilität die Situation durch Re-Delegation an einen anderen Mitarbeiter entschärfen. Dies ist gleichzeitig ein willkommener Anlass, noch einmal über die eigenen Möglichkeiten zu sprechen, mit Rückschlägen umzugehen. Kernpunkte dabei sind die gemachten Erfahrungen der Ruhe und der Pause (freier Tag), die positive Haltung des Vorgesetzten sowie der Austausch des Klienten mit der Ehefrau.
Ganz nebenbei ergibt sich der letzte Coaching-Schritt: Der Klient und seine Frau nehmen eine im Laufe der Zeit verloren gegangene Gewohnheit wieder auf und unternehmen nun wieder praktisch jede Woche eine kleine gemeinsame Freizeitaktivität. Dies ist zum einen die Belohnung für die umgesetzten Maßnahmen und zum anderen verstärkt es den positiven emotionalen Zustand des Klienten. Aufgrund der anhaltenden, positiven Veränderung wird beschlossen, das Coaching an dieser Stelle zu beenden, was dann im Rahmen eines gemeinsamen Rückblicks durch den Klienten, dessen Vorgesetzten und den Coach auch geschieht.
Voraussetzungen sind allgemeine Kenntnisse über Coaching als Beratungsprofession sowie die grundlegenden Gesprächstechniken im Coaching. Hilfreich sind darüber hinaus Erfahrungen mit systemisch-ressourcenorientierten Methoden wie zum Beispiel der lösungsfokussierten Gesprächsführung nach Steve DeShazer.
Lösungsfokussierung kann nur dann wirklich erfolgreich sein, wenn sich der Klient auf diesen Weg einlassen möchte. Sollte es aus Sicht des Klienten notwendig sein, stärker in die Problemanalyse zu gehen oder Ursachen in der weiteren Vergangenheit zu sehen, so gilt es, dies anzuerkennen. So war in den 90er-Jahren eine Erfahrung bei der Einführung der lösungsfokussierten Arbeit nach DeShazer in Deutschland, dass die Anzahl der Sitzungen hier durchschnittlich doppelt so hoch war, wie in den USA.
Dies liegt vermutlich u.a. daran, dass wir in Deutschland erst ein wenig im sogenannten „Problem-Talk“ verweilen, bevor wir in den „Solution-Talk“ wechseln können. Dies kann auch etwas mit der Würdigung der Situation des Klienten zu tun haben. Sollte dies bei einem Klienten der Fall sein, so ist zum Beispiel lösungsorientiertes Vorgehen, wie oben beschrieben, in Kombination mit einem biografisch orientierten Ansatz durchaus erfolgsversprechend. Dadurch wird in der Regel das Bedürfnis des Klienten erfüllt, mit der Vergangenheit im Reinen zu sein, bevor es dann nach vorne gehen kann. Es mag aus der Sicht des Coachs nicht immer notwendig sein, doch bestimmt letztlich der Klient, was das Coaching erfolgreich werden lässt – und was nicht.
Da es sich hier um einen gesamten Coaching-Prozess handelt, lassen sich pauschal keine konkreten Zeitangaben angeben.
Bei tieferem Interesse am reteaming® als eigenständiger Methode sei auf Wilhelm Geisbauer verwiesen, der im direkten Kontakt mit Ben Fuhrmann die Ausbildung zum reteaming®-Coach im deutschsprachigem Raum durchführt (www.reteaming.de).