Coaching-Tools

Coaching mit inneren Bildern

Ein Coaching-Tool von Dieter Zinn

12 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 1 | 2015 am 25.02.2015

Kurzbeschreibung

In dem hier vorgestellten Tool geht es um Selbstbilder und Fremdbilder im Kopf des Klienten. Menschen definieren sich über Bilder, die ihr Leben und Handeln prägen und deren Oberflächen sie so zeigen sollen, wie sie meinen zu sein oder gerne sein würden. Diese (inneren) Selbstbilder verbinden sich unvermeidlich mit Bildern der Erwartungen an sich selbst, an andere Menschen, an Werte und Sinn. „Coaching mit inneren Bildern“ geht von der Erkenntnis aus, dass alle Ideen und Entwicklungen einen „unsichtbaren“ Anfang haben. Menschen tragen innere Bilder mit sich herum, in denen Ideen, Ziele oder Bedürfnisse durch einen Auslöser an Kontur und Schärfe gewinnen können. Ob in der Partnerschaft, Familie, Firma, im Beruf oder Sport, der Glaube an sich selbst basiert auf dem Bild, das ein Mensch von sich hat.

In diesem Tool geht es um die Wirkung der inneren Bilder auf die eigene Motivation und um die Resonanzen, die sie erzeugen in der Kommunikation mit anderen Menschen. Es geht um die Klärung vorhandener und erstrebter Selbstbilder, die dann auf ihre innere und äußere Wirksamkeit hin betrachtet werden sollen.

Im Verlauf der Intervention sollen Ambivalenzen erkannt und benannt werden, die an den Schnittstellen zwischen Selbstbildern, Fremdbildern, Leitbildern, Vorbildern, Abbildern und Sinnbildern entstehen. Ob bewusst oder unbewusst, wir sehen und fühlen mit den Sprachen der Bilder. Die systemische Therapeutin Virginia Satir hat dieses Phänomen kurz und genau benannt: „Worte haben keine Energie, solange sie nicht ein Bild auslösen. Das Wort an sich bedeutet nichts, gar nichts. Eines der Dinge, an denen ich immer dran bleibe, ist, ‚Welches sind die Worte, die bei den Menschen Bilder auslösen?‘ Denn die Menschen folgen dem Gefühl des Bildes“ (zit. nach Andreas & Andreas, 2004; 23).

Im Diskurs über Inhalte, Symbole und Metaphern eines Bild begeben sich Coach und Klient auf eine emotional aufgeladene Ebene. Die bisherige kognitive Sichtweise verbindet sich mit der emotionalen Betroffenheit des Klienten. Die Bildoberfläche wird zu einer Metaebene, auf der die Komplexität eines Themas, einer Lösung oder eines Ziels verdichtet und strukturiert werden kann. Erweiterungen oder Widersprüche, die „im Bild des Klienten“ entstehen, können durch Worte und/oder Bilder ergänzt werden und forcieren dabei die emotionale Lösungsorientierung des Klienten.

Genau hier befinden sich die Drehmomente des Tools: Es geht im ersten Schritt um die emotionale Lösungsorientierung des Klienten und im zweiten Schritt um seine kognitive Zielorientierung. In dieser Abfolge kommt der Klient zur Abklärung seiner Ausrichtung zwischen seinem Können und Wollen, Selbstbild und Fremdbild, zwischen „Hin-Zu“ und „Weg-Von“.

Anwendungsbereiche

Der Mensch kommuniziert ununterbrochen mit Bildern, Bildsprachen und Bildmetaphern. Darauf basiert die Wirksamkeit des Tools, mit praktisch unbegrenztem Radius, wenn erkannt wird, dass jeder angestrebte Moduswechsel des Klienten über seine inneren Selbstbilder und Fremdbilder „ferngesteuert“ wird.

Das Tool verdeutlicht die Diskrepanz des Klienten zwischen a) glaubwürdig wirken wollen und b) glaubwürdig wirken können. Besonders für Situationen, in denen es um Beförderungen, Bewerbungen, Präsentationen, Veränderungen geht, wirkt das Tool als Klärung und Vorbereitung.

Innere Bilder fördern innere Suchprozesse, die den Klienten wieder in Kontakt mit sich selbst bringen können. Vitalität und Kreativität werden emotional konditioniert mit dem Ziel, gewohnte Denkstrukturen mit einem veränderten Fokus anzuschauen. Ein Feedback des Coachs auf die Balance der Selbst- und Fremdbilder des Klienten kann den emotionalen Anteil seines Handelns sichtbar machen. Im nächsten Schritt lässt sich dieser Anteil in Beziehung zu Vorbildern, Leitbildern, Sinnbildern des Klienten setzen. Die hier entstehenden Resonanzen können auf Ziele und Entwicklungen fokussiert werden.

Effekte

Vorrangiges Ziel des Tools ist, dass der Klient seine bestehenden Ansprüche und Erwartungen an Selbst- und Fremdbilder reflektiert, um sich mit seinem Anliegen in einen visuellen Kontext zu begeben. Durch das Erkennen, Benennen und Bewerten persönlicher Bilder hinter den bestehenden Selbst- bzw. Fremdbildern können diese aus einer anderen/neuen Perspektive angeschaut werden. Durch die veränderte Perspektive auf Bilder im Kopf des Klienten spiegeln sich Strukturen wider, die nicht durch Worte oder Sprache blockiert werden. So wird es dem Klienten ermöglicht zu erkennen, aus welchen Gründen er sich in seinen Selbstbildern erkennt. Ergo: Wer seine Selbstbilder definieren kann, wird befähigt, in sie hineinzugehen, ihre Struktur zu beeinflussen. In diesem Kontext können auch „Fremdblicke“ erprobt werden, um die Balance zwischen den Bildern der Identität, Rollen und Erwartungen zu erkennen.

Wenn blockierende Glaubenssätze zum Thema werden, kann es, je nach Ziel, auch darum gehen, zuerst „alte“ Bilder aus dem Rahmen zu nehmen, um dann Vorbilder, Leitbilder und Sinnbilder als Ressourcen zu erkunden, zu erkennen und zu benennen.

Das Bestreben nach individuellen Werten und Sinnfindung bildet sich in unzähligen Metaphern und Symbolen ab. Der Klient entwickelt in diesem Tool ein Bild seines Themas, um dann gemeinsam mit dem Coach in das Bild hineinzugehen. Es geht jetzt darum, dass er sich ausschließlich im Bild der thematisierten Situation bewegt, um sich dann mit Bildern des avisierten Ziels zu synchronisieren.

Ausführliche Beschreibung

Vorab ist es wichtig auszuloten, ob der Klient für die Arbeit mit Bildern empfänglich ist. Daraufhin stellt der Coach das Tool der „Inneren Bilder“ vor mit dem Hintergrund, Wahrnehmungsfilter des Klienten zu sensibilisieren, um einen veränderten Blick auf sein Anliegen zu ermöglichen. Leise Musik, als geerdet und wohltuend empfunden, kann einen neuen Rahmen geben oder ein Reframing unterstützen.

Erster Schritt

Der Coach erläutert dem Klienten das Tool der inneren Bilder: Das Erkennen innerer Bilder geht davon aus, dass wir grundsätzlich befähigt sind, unsere Wahrnehmungen ergänzend miteinander zu verbinden. Deswegen sind wir in der Lage, Texte, gesprochene oder geschriebene Worte mit einem dazugehörigen Bild in Verbindung zu bringen. Das Wort „Tisch“ beispielsweise lässt ein entsprechendes Bild dazu assoziieren. Je nach persönlicher Disposition gibt es hier unzählige Varianten zum Wort Tisch. Mit einer Konkretisierung und ein oder zwei weiteren Worten kann daraus schon ein komplexes Bild, ein Film, eine Geschichte im Kopf entstehen (z.B.: Tisch – Konferenz – Sitzordnung, oder: Tisch – Runder Tisch – Dialog).

Zu den Bildsprachen der westlichen Kultur fallen uns ähnliche Worte ein, die wir, wenn auch oft unbewusst, mit Bildern, Gefühlen und Klängen verbinden. Wer z.B. ein Meer skizziert oder das Wort Meer in sein Bild schreibt, denkt je nach Erfahrungshorizont an Sichtbares wie Hafen, Schiffe, Kreuzfahrt, Segeln, Schwimmen, Fischen. Oder man verbindet das Wort Meer mit Emotionen und Sehnsüchten wie Weite, Einsamkeit, Ruhe, einsame Insel. Natürlich gibt es zum Wort Meer auch negativ konnotierte Varianten.

Zweiter Schritt

Flipchart oder Papier, breite Marker in vielen Farben sind vorhanden. Der Klient ist gehalten, seine Bewertungen und Wichtigkeiten seiner Bildelemente durch Größe, Farbgebung und Verteilung auf der Bildfläche zu unterstützen. Das gilt gleichermaßen für malende oder schreibende Vorgehensweisen. Wer mit dem Skizzieren oder Malen Probleme hat, schreibt die Begriffe seiner Bildelemente in sein Bild, positioniert sie nach Wichtigkeit oder Thema auf der Fläche, ordnet ihnen Farben zu und kann sie durch Schriftgrößen bewerten. Wichtig ist, dass der Klient genügend Zeit hat, damit er sein Bild mit seinen inneren Referenzen und Resonanzen vergleichen kann.

Zu Beginn der Übung stehen ein oder zwei kurze Fragen, die dem Selbstbild des Klienten einen Rahmen geben, in dem er sich bewegen kann.

  • „Welche Bilder prägen Ihre Motivation?“
  • „Für welches Bild stehen Sie?“
  • „Wie wollen Sie auf Ihr Umfeld wirken?“
  • „Wie wirken Sie auf Ihr Umfeld?“
  • „Welches Bild wollen Sie vermitteln?“
  • „Welche Werte müssen in Ihrem Bild vorhanden sein, damit Sie sich in Ihrem Bild befinden?“
  • „Ab welchen Merkmalen erkennen Sie, dass Sie sich in Ihrem gewünschten Bild befinden?“

Mit diesen Fragen geht es in die Entstehungsphase des Bildes. Der „sehr sprachgewaltige“ Klient wird animiert, in sein Bild hineinzugehen und in Bildern statt in Worten zu denken. Der „weniger Sprachgewaltige“ wird über Symbole, Metaphern, Zeichen zur Selbstkundgabe motiviert. Durch assoziative Begriffsentwicklungen entstehen Metaphern mit denen bekanntes Terrain verlassen werden kann, um zu Inhalten zu kommen, die auf andere Inhalte außerhalb des metaphorischen Bildes verweisen. Daraus können neue Bilder entstehen, deren amorphe Strukturen bekannte Sprachmuster und Glaubenssätze hinterfragen können. Worte werden zu „Bildelementen“ im Rahmen des Bildes und verwandeln die Schrift zu einem Tool, mit dem Themen visualisiert werden. Entwickeln sich jetzt konkrete visualisierte und eindeutig themenbezogene Bilder, können vertiefende Fragen, den Blick in Richtung Zielorientierung fokussieren:

  • „Wenn Sie jetzt an die Zukunft denken, welches Bild entsteht in Ihnen spontan?“
  • „Woran erkennen Sie, dass Sie sich in dieser Situation, in ihrem eigenen Bild bewegen?“
  • „An welches Bild erinnern Sie sich genau, wenn Sie an einen wirklich entscheidenden Augenblick in Ihrem (beruflichen) Leben denken?“
  • „Mit welcher Bildmetapher würden Sie Ihre jetzige Situation umschreiben?“
  • „Wie wollen Sie Ihre zukünftige Wirklichkeit gestalten?“

Dritter Schritt

Im dritten Schritt geht der Coach gemeinsam mit dem Klienten „in das Bild“ hinein. Dank der menschlichen Fähigkeit, einzelne Bildelemente apperzeptiv als ganzes Bild zu sehen, entsteht ein kreativer Prozess, der zu einer veränderten Betrachtung des Bildes führt. Jetzt können Details und Positionen im Bild ergänzt werden, um weitere Assoziationen und Bilder im Kopf des Klienten zu animieren. Genau hier entsteht die Wirksamkeit des Tools: Intuitive Assoziationen sollen den Klienten in die Lage versetzten, seine emotionalen und kognitiven Resonanzen auf das Bild, in sein Thema einzubringen und mit seinem Ziel zu synchronisieren. Je nach Situation können jetzt Fragen eingebracht werden, die dem Bild mehr Raum geben, oder auch ein weiteres Bild entstehen lassen. Folgerichtigkeit ist hier nicht zwangsläufig. Entscheidend ist, dass der Klient eingeübte, vorgefertigte Sprachmuster loslassen kann, um über seine Bildassoziationen zu einer veränderten Bewertung zu kommen. Sinnliche, emotionale, vernunftgeprägte Erkenntnisse können sich ja bekanntlich nur mit den Ebenen synchronisieren, die bereits in uns vorhanden sind. Metaphorisch gesprochen entsprechen unsere inneren Bilder einer Brücke, auf der sich sinnliche Wahrnehmungen und anschauliches Denken begegnen.

Je nach Inhalten oder Themen, die im Bild erkennbar werden, bieten sich weitere Fragen an:

  • „An welchen Merkmalen erkennen Sie, ob Sie sich über Bilder oder Sprache orientieren?“
  • „Haben Sie eine Lieblingspose? Wenn ja, in welcher sehen Sie sich?“
  • „In welchen Situationen mit anderen Menschen setzen Sie bewusst Ihren Blick ein? Gelingt Ihnen das häufig oder eher selten? Welche Situationen sind das?“
  • „An welches Bild erinnern Sie sich genau, wenn Sie an einen wirklich entscheidenden Augenblick in Ihrem (beruflichen) Leben denken?“
  • „Wenn Sie ein Selbstporträt von sich erstellen würden, welcher Ausdruck Ihrer Persönlichkeit sollte unbedingt enthalten sein?“
  • „An welchem Verhalten, an welchen Merkmalen stellen Sie fest, dass Sie ein individuelles Bildbewusstsein von sich selbst haben?“

Vierter Schritt

Der kreative und spielerische Umgang mit verschiedensten Bildassoziationen wird vom Klienten als erweiternde Klärung eigener Überzeugungen empfunden. Für Klient und Coach wird ein Bild sichtbar gemacht, in dessen Zentralperspektive sich Wollen, Können und Selbstrespekt des Klienten konzentrieren. Das ist die Zeit zur Standortbestimmung und Identitätsklärung:

  • „Wie sieht Ihr akutes Selbstbild jetzt aus?“
  • „Was könnten Sie tun, um dem Bild einen passenden Rahmen zu geben?“
  • „Wie und woran unterscheiden Sie zwischen Ihren Selbstbildern und den Bildern, die sich ihre Mitmenschen von Ihnen machen sollen (Fremdbilder)?“  

Alternative/Ergänzung

Der Coach reframed einen betont analytischen und kopflastigen Klienten mit dem Anliegen seiner Erdung. Er erklärt das Tool wie in Schritt 1 als kurz belichtete Fixierung der aktuellen Befindlichkeit des Klienten. Dann holt er sich die Genehmigung des Klienten, für ein zehnminütiges Innehalten, um nur diese eine Frage zu stellen: „Wenn Sie für die zehn wichtigsten und Ihr Leben prägenden Bilder nur jeweils ein Wort nennen können, welche Worte wären das? (... Meer, Beruf, Vater, Sommer, Respekt ...)“

Diese Begriffe werden in einen Bilderrahmen gestellt und der Klient kann sich sein Bild in Ruhe anschauen. Es geht zunächst um den emotionalen Drehmoment des Klienten: „Wer bin ich? Was ist wirklich wichtig in meinem Leben? Was will ich wirklich erreichen?“ Häufig brauchen Klienten für die Antworten mehr Zeit. Dann kann die Frage als Ergänzung und Weiterentwicklung des Gesprächs dem Klienten auch als Haus- und Denkaufgabe bis zum nächsten Termin mitgegeben werden.

Voraussetzungen

Jeder Coach, der einen „offenen Zugang“ zu Bildern hat, kann mit diesem Tool arbeiten. Offenheit steht hier für die Fähigkeit, vorschnelle Interpretationen zu vermeiden und stattdessen zu beobachten, welche Veränderungen in der Beobachtung des entstehenden Bildes zu erkennen sind. Bilder sind keine Geschmackssache, sondern kommunizieren Inhalte und Gefühle.

Persönlicher Hinweis

Einzuordnen ist das Tool als Selbstreflexion des Klienten, um ihm den Zugang zu eigenen Gefühlen zu öffnen und Kognition und Emotion in Balance zu bringen. Es ist erstaunlich, wie sich aus einfachsten Bildern, Zeichen, Symbolen, Metaphern, neue Bilder und Gedanken entwickeln können. Manchmal entsteht aus dem fixierten Bild des Klienten eine Landkarte des eigenen Lebens, mit Visionen, Bedürfnissen, Werten, Zielen. Manchmal auch eine Erkenntnis: Aus einem Leben mein Leben machen.

Technische Hinweise

Flipchart, Papier oder festes Papier, ein Spektrum farbiger Marker mit breitem Strich. Ein Gerät zur Musikwiedergabe. Dauer: 15 bis 30 Minuten.

Literatur

  • Andreas, Steve & Andreas, Connirae (2004). Mit Herz und Verstand. 4. Auflage. Paderborn: Junfermann.
  • Bauer, Joachim (2005). Warum ich fühle was du fühlst. Hamburg: Hoffman und Campe.
  • Hüther, Gerald (2014). Die Macht der inneren Bilder. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
  • Zinn, Dieter (2013). Fotokaraoke. Halle: Mitteldeutscher Verlag.

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