Nach oben

Kontrovers

Coaching und Wirtschaftsskandale. Teil 1

Coaching als reine Dienstleistung?

Business-Coaches bewegen sich in Kreisen der Wirtschaft. Dies eröffnet Möglichkeiten der positiven Einflussnahme im Sinne des Ethikverständnisses der eigenen Profession. Viel zu oft, so ein im vorliegenden Artikel vorgebrachter Standpunkt, stehe dem jedoch eine Haltung im Wege, mit der Coaches sich selbst zum reinen Dienstleister reduzieren. Müssen Coaches angesichts immer neuer Wirtschaftsskandale umdenken? Und – so wird in Part 1 dieses zweiteiligen Beitrages zudem gefragt – wie ist es ihnen überhaupt möglich, ethischen Verfehlungen auf die Spur zu kommen?

6 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 1 | 2018 am 21.02.2018

Zurzeit erschüttern wieder Skandale die deutsche Wirtschaft. Technische Betrügereien und Kartellabsprachen sind in der Automobilindustrie entdeckt worden. Was haben Coaches damit zu tun? Zunächst einmal nichts. Sie beeinflussen weder die Software für den Schadstoffausstoß noch begleiten sie die Bosse der Autokonzerne zum Frühstückskartell. Insofern sind Coaches fein raus und können sich mithin ungestraft empören.

 Aber schaut man genauer hin, stellt man fest: Seit Jahren stehen die Führungskräfte Deutschlands auch mit Coaches in Verbindung, was ganz besonders für die Automobilindustrie gilt. Dies ist erst einmal gut, weil es zeigt, dass in der Wirtschaft Offenheit für Impulse von außen vorhanden ist. Andererseits werden Coaches dadurch aber unter Umständen auch Teil eines anderen Systems, Teil der Form des Wirtschaftens, die gerade praktiziert wird. Also darf man durchaus fragen: Wie ist es um den Einfluss der Coaches auf ihre Klienten bestellt?

Coaching oder Kumpanei?

Es ist davon auszugehen, dass die allermeisten Coaches eine klare ethische Haltung vertreten, die solche Verhaltensweisen, wie sie nun wieder einmal entdeckt wurden, alles andere als gutheißen. Im Gegenteil, Coaches propagieren aufrichtige und transparente Kommunikation, die Ethik des ehrbaren Kaufmannes etc. Nur kommt das auf der Seite der Unternehmenslenker nicht immer an. 

Nicht auszuschließen ist auch, dass einige Coaches noch einem allzu simplen Verständnis von „Business-Coaching“ folgen, nachdem ein guter Coach sich dadurch auszeichnet, dass er stets im Sinne des Kundenwunsches handelt, also reiner Dienstleister ist. Er schaut aus dieser Haltung, wenn er es überhaupt bemerkt, über einiges hinweg, was er im Unternehmen mitkriegt. Für diesen Dienst wird er ja auch gut bezahlt. Dies aber wäre streng genommen nicht Coaching, sondern Kumpanei. Hat man als Coach mit den „Executives“ der Konzerne zu tun, die „Großes“ entscheiden, kann man sich vielleicht sogar noch narzisstisch gebauchpinselt fühlen. Aber: Wer im Coaching stets nur den Kundenwunsch bedient oder sich hinter der Entschuldigung versteckt, Coaches seien ja nur Dienstleister, der stiehlt sich aus der Verantwortung. Vielleicht sollte man den Begriff „Business-Coaching“ bei der Gelegenheit insgesamt dahingehend überprüfen, ob er nicht heute etwas Falsches suggeriert. Ist hier vielleicht für die Profession Coaching ein neues Begriffszentrum nötig?  

Auch manche pseudo-systemischen Rechtfertigungsversuche, dass man in Unternehmen erst einmal an das System „ankoppeln“ müsse, sind durchaus nicht selten. Getreu der alten Devise „Die Revolution frisst ihre Kinder“ bedeutet dies: Das Business-System frisst seine Coaches.

Was ist zu tun?

Für Coaches sollten Vorfälle wie der Abgasskandal, die Kartellabsprachen oder auch die schon etwas zurückliegenden Delikte in der Finanzindustrie (z.B. Libor-Absprachen) ein Weckruf sein. Coaching stellt sich immer noch nicht genug als eigenständige Profession dar, die hier für die Wirtschaft insgesamt etwas zu bieten hat (Mohr, 2015). Das hätte Folgen, denn eine Profession hat eigene Positionen. Sie ist kein Durchlauferhitzer für alle möglichen Business-Modalitäten. Coaches haben auch eine Pflicht zur Einflussnahme nach der Ethik der Profession.

Problemdiagnostik

Aber kann der Coach diese ethischen Verfehlungen überhaupt bemerken? Bei genauer Betrachtung gibt es klare Hinweise. Eine eindeutig kriminelle Verhaltensweise folgt in der Abwertungshierarchie erst auf einer späteren Stufe. Zunächst werden andere Aspekte wie die Offenheit der Kommunikation, Aufrichtigkeit, Kritikmöglichkeit oder Querdenken abgewertet. Dies geht in der Regel mit – einerseits – Angstmustern in Unternehmen als auch – andererseits – deutlichem Pochen auf Hierarchie einher. In Verbindung steht dies nicht selten mit rigiden und bürokratischen Strukturen. Der Coach genießt dann meist zu Beginn seiner Einführung in das Unternehmen eine längere Instruktion, woran im Unternehmen besser nicht gerüttelt werden sollte, wenn man Erfolg haben, also „drin bleiben“ wolle. Vielleicht sollte dies in Zukunft stärker ein diagnostischer Hinweis darauf sein, was das eigentliche Problem einer Organisation ist (anstelle dessen, was dem Coach als Problem präsentiert wird). Hier nehmen Coaches noch zu wenig ihre Professionskompetenz in Anspruch. Die Verwechslung von Symptom und Problem geschieht schnell.

Dialogische Haltung weitertragen

Ethik hat mit der Form der gelebten Systembeziehungen zu tun. Im Einzelnen ist beispielsweise in den Ethikrichtlinien für Coaches (z.B. im Kompendium des Deutschen Bundesverbands Coaching e.V., DBVC, 2012) der Dialog als Maxime des Arbeitens gefordert. Dies wiederum wird in erster Linie gewährleistet durch Transparenz und offene Kommunikation. In allen Skandalen der letzten Zeit stellte sich allerdings heraus, dass das Wissen um Missstände und Fehlverhalten schon seit langem vorhanden war, die Mitarbeiter in den Unternehmen sich aber nicht trauten, dies zu äußern. Angst und fehlende Ansprechpartner kennzeichneten die Lage. Transparenz, Kommunikation und Dialog, wie sie in Ethik-Codes der Verbände benannt sind, waren nicht möglich. Dies ist auch für die Coaching-Branche eine wichtige Lehre. Einen Einzelnen im Coaching weiterentwickelt zu haben, ist eine Errungenschaft. Coaching im Kontext von Unternehmen bedeutet aber vor allem das Weitertragen einer dialogischen Haltung in das Unternehmen hinein. Es ist wichtig, in Zukunft ethische Grundsätze des Handelns in der Wirtschaft verstärkt deutlich zu machen.

Zielgruppen ethischer Fragen

Vorgaben von Unternehmensleitungen, die nach dem Motto „Wir geben euch folgende Ziele, die ihr zu erreichen habt“ erfolgen und verbunden sind mit einer verdeckten Ebene („Aber wir wollen nicht wissen, wie ihr sie erreicht.“), müssen in Unternehmen der Vergangenheit angehören. Psychodiagnostisch reicht dies an „double-bind“-Botschaften heran, die bekanntlich schizophrene Muster erzeugen können, weil Kommunikation ausgeschlossen wird. Es ist ein ungeschriebenes Gesetz, dass sich im Falle der Entdeckung der Machenschaften die Vorstände schadlos halten können.  

Dementsprechend ist die ethische Fragestellung viel stärker in einer umfassenden Matrix (siehe Tabelle) zu betrachten: Zur (ethischen) Zielgruppe des Coachings zählt nicht nur die Führungskraft als Klient, sondern auch deren Mitarbeiter, sogar Kunden und Lieferanten. Darin könnte man die Horizontale der Matrix sehen. In der Vertikalen kann man die inhaltlichen Punkte wie Menschenwürde, das dialogische Prinzip, die Verantwortlichkeit für das Gemeinwohl usw. auflisten.

Ethische Prinzipien & Zielgruppen im Coaching

Tabelle: Matrix ethischer Prinzipien und Zielgruppen im Coaching

Mit einem solchen Instrument könnte zumindest eine Analyse der Tragweiten des Handelns ermöglicht werden. Es folgt aus der Betrachtung der genauen Situationen, welche ethischen Fragestellungen im jeweiligen Fall betroffen sind, da es nicht nur um die personale Ethik geht, die auf den Einzelnen bezogen ist, sondern sehr stark um die systemische Vernetzung, Einbettung und Wirksamkeit der Gecoachten.

Hiermit wird bereits deutlich: Coaching Organisationsangehöriger muss über personale Einzel-Beratung hinausgehen. In Teil 2 dieses Artikels (erscheint im Coaching-Magazin 2/2018) wird auf diese These und ihre wirtschaftsethischen Implikationen detaillierter eingegangen.

Literatur

  • DBVC e.V. (2012). Leitlinien und Empfehlungen für die Entwicklung von Coaching als Profession. 4., erweiterte Auflage.
  • Mohr, Günther (2015). Systemische Wirtschaftsanalyse. Bergisch Gladbach: EHP.
  • Mohr, Günther (2009). Wirtschaftskrise und neue Orientierung. Berlin: ProBusiness.

Dieser Artikel gefällt Ihnen?

Dann unterstützen Sie unsere redaktionelle Arbeit durch den Abschluss eines Abonnements und ermöglichen Sie es uns, auch in Zukunft fundiert über das Thema Coaching informieren zu können.