Wissenschaft

Stille in der dyadischen Beratung

Umgang mit Momenten unerwarteter Leere in Coaching und Supervision

Tritt im Coaching eine plötzliche Stille ein, kann dies von Coaches als Kontrollverlust empfunden werden und Verunsicherung bedingen. Eine Reaktion, die in diesem Artikel mit dem Begriff Horror Vacui bezeichnet wird. „Horror Vacui bedeutet, dass ich Angst davor habe, dass mir nichts einfällt, dass ich nichts sagen kann, dass ich nichts fühlen kann“, so ein interviewter Coach im Rahmen der hier vorgestellten Studie. Werden Momente der Leere jedoch als Möglichkeitsräume und Schwelle zu einem vertieften Prozess begriffen, können sie das Coaching nachhaltig bereichern.

13 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 3 | 2025 am 09.09.2025

In einer Abendstimmung am Meer steht ein einsamer Stuhl im flachen Wasser im Sand.

Coaching und Supervision leben von Beziehung, Resonanz und dem gemeinsamen Erkunden von Bedeutungsräumen. Umso irritierender sind jene Momente, in denen das Gespräch ins Stocken gerät, kein Gedanke greifbar ist, kein Dialog anschlussfähig scheint. Eine diffuse Stille erfüllt den Raum – eine vermeintliche Leere, die gleichermaßen herausfordern wie auch faszinieren kann. Der Beitrag beleuchtet zentrale Ergebnisse einer qualitativen Studie, die sich mit diesem Zwischenraum im Beratungsprozess befasst, in dem Reaktionen zwischen Angst, Irritation und kreativer Offenheit changieren.

Auf einen Blick

Symbol einer Lupe
  • In Coaching- und Supervisions-Gesprächen kann es zu Momenten unangenehmer Interaktionslosigkeit kommen, was z.B. mit Angst verbunden sein und zu reflexhaften Reaktionen führen kann – hier als Horror Vacui bezeichnet.
  • Diese Reaktionen dienen dazu, Orientierung und Handlungsfähigkeit zurückzuerlangen, führen jedoch dazu, dass die Potenziale der stillen Unterbrechungen ungenutzt bleiben.
  • So können Momente der Stille, sofern man sie als Möglichkeitsräume versteht, der Beziehungsgestaltung und Entwicklung dienlich sein.

Die Studie untersucht, wie Coaches und Supervisor/innen das Phänomen im dyadischen Beratungsprozess erleben, welche Reaktionen sie im Umgang damit beschreiben – und wie sie solche Situationen fachlich einordnen. Im Zentrum steht die Frage, ob unerwartete Leere Angst auslöst – und damit zu reflexhaften Interventionen verleitet – oder ob sie, wenn sie ausgehalten werden kann, als Möglichkeitsraum für Beziehungsgestaltung und -entwicklung wirksam wird. Die Ergebnisse laden zum vertieften Diskurs über herausfordernde Coaching-Situationen ein und sprechen für eine curriculare Verankerung des professionellen Umgangs mit solchen Momenten in Coaching-Aus- und Weiterbildungen.

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Literatur

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