Wissenschaft

Lernprozesse im Coaching

Forschungsergebnisse

4 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 2 | 2010 am 20.04.2010

Coaching impliziert Lernen- eine Annahme, die in Fachkreisen hohe Zustimmung erhält, bisher aber kaum empirisch untersucht oder gar bestätigt ist. Kerryn Griffiths [ReciproCoaching] und Marilyn Campbell [School of Learning and Professional Studies, Queensland University of Technology, Australia] unternehmen in ihrer qualitatitven Untersuchung den Versuch, Lernprozesse im Coaching zu identifizieren.

Orientiert an dem Forschungsparadigma der Grounded Theory (Strauss & Corbin, 1998) aus der qualitativen Sozialforschung analysieren Griffiths und Campbell Interviews mit fünf zertifizierten Coachs (International Coach Federation, Master-Certified Coach, Professional Certified Coach) und jeweils neun ihrer Klienten inklusive der Dokumentationen der Coaching – Sitzungen. Auf der Basis dieser Analysen skizzieren sie ein Lern-Modell, das aus drei miteinander verflochtenen Kreisprozessen besteht.

Der erste Kreisprozess des Entdeckens / des Erkennens besteht aus vier Elementen:

  1. Beziehen: Beziehungsarbeit (Aufbau /-Aufrechterhaltung) zwischen Klient und Coach,
  2. Hinterfragen: Coach fördert das Explorieren des Klienten durch gezieltes Hinterfragen , dient als Antrieb des Erkenntnisprozesses,
  3. Reflektieren des Klienten,
  4. Zuhören: Coach unterstützt den Erkenntnisprozess des Klienten in dem er den Reflektionen des Klienten zuhört und ihn darin unterstützt, „neues“ Wissen identifiziert.

An diesen Prozess schließt sich der zweite Kreisprozess des Anwendens an, der dazu dient, neues Wissen zu vertiefen und zu festigen. Sobald die Klienten im Coaching-Prozess zu neuen Erkenntnissen kommen (neues Wissen), werden sie vom Coach dazu motiviert, diese außerhalb des Coaching anzuwenden. Für diesen Prozess ergeben sich zwei zentrale Wirkmechanismen:

  • die Betonung der Eigenverantwortlichkeit des Klienten, als auch
  • die motivierende Begleitung des Klienten bei der Umsetzung und der aktiven Gestaltung der daraus resultierenden Handlungen heraus

Gemäß den Ergebnissen dieser Untersuchung reicht jedoch allein das Anwenden des Wissens nicht aus, sondern das Wissen muss in das Selbstkonzept bzw. in das Leben des Klienten integriert werden. In diesem dritten Prozess des Integrierens lernt der Klient, Verantwortung für das Wissen zu übernehmen, was soviel bedeutet wie, auf der Basis des neuen Wissens Entscheidungen zu fällen, sich von alten Denkweisen zu lösen und daraus resultierend das eigene Vertrauen in sich zu stärken.

Alle drei Prozesse sind miteinander stark verflochten und nicht als abgeschlossene Phasen zu betrachten, die sich nahtlos einander anschließen. Dies bedeutet, dass sich in den Prozessen des Anwendens und des Integrierens immer wieder Phasen ergeben, in denen der Erkenntnisprozess simultan abläuft.

Aufgrund der kleinen Datenbasis und der qualitativen Auswertungmethodik muss dieses Modell zunächst lediglich als Skizze bezeichnet werden. Zur Untermauerung dieser Ergebnisse und des Modells, wie auch für seine Generalisierbarkeit wäre es wünschenswert, denselben Datensatz von unabhängigen Beurteilern mit der Methode der Grounded Theory zu analysieren zu lassen. Unklar bleibt inwieweit hier allgemeine Lernprozesse identifiziert wurden, oder ob dieses Studie die theoretischen Auffassungen der hier teilnehmenden Coachs wiederspiegeln.

Nichts desto trotz besitzt diese Studie einen hohen heuristischen Wert. Sollten sich diese verschiedenen Lernprozesse in weiteren Forschungen bestätigen, liefert sie eine der ersten empirischen Unterstützungen für theoretisch formulierte Coaching-Definitionen. Dies gilt vor allem für die empirische Untermauerung der zentralen Wirkmechanismen, die als unter die Prozessverantwortung des Coachs im Coaching fallen:

  • die Eigenverantwortung beim Klienten zulassen
  • und ihn in die Handlungsverantwortung zu bringen.

Sollten sich diese Wirkmechanismen in zukünftigen Arbeiten bestätigen, liefern diese Befunde Ansatzpunkte dafür, die Coaching-Tätigkeit gegenüber dem Trainings- und Beratungsumfeld abzugrenzen. Für die Praxis bedeutet dies, als Coach die eigene Haltung und Rolle im Rahmen des Coachings zu reflektieren, um einen optimalen Coaching-Prozess auf der Basis der gefundenen Lernprozesse zu gewährleisten. Sind Coachs Bergführer oder Wegbegleiter?

Fazit: Die in dieser Arbeit deutlich formulierte Notwendigkeit, dass der Klient neue Erkenntnisse in Handlungen umsetzt und durch kontinuierliches Handeln diese in das eigene Selbstkonzept integriert, unterstützt das Bild des Coachings als Prozessbegleitung.

Literatur

Griffiths, K, & Campbell, M. (2009). Discovering, applying and integrating: the process of learning in coaching. International Journal of Evidence Based Coaching and Mentoring, Vol.7, No.2, 16-28

Dieser Artikel gefällt Ihnen?

Dann unterstützen Sie unsere redaktionelle Arbeit durch den Abschluss eines Abonnements und ermöglichen Sie es uns, auch in Zukunft fundiert über das Thema Coaching informieren zu können.

Nach oben