Wissenschaft

Grenzgänge des Coachs

Wo hört Coaching auf und fängt Therapie an?

4 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 2 | 2010 am 20.04.2010

Allison Maxwell, Organisationsberaterin und Team-Coach mit mehr als 25 Jahren Berufserfahrung, geht in ihrer Studie der Frage nach, wie Coaches im Rahmen ihrer Tätigkeit, die Grauzone zwischen Coaching und Therapie erleben und definieren.

Mittels halbstrukturierter Interviews wurden acht Coachs mit mehr als elf Jahren Coaching-Erfahrung und unterschiedlicher beruflicher Herkunft befragt. Vier von ihnen hatte vor ihrer Coaching-Tätigkeit Führungspositionen in Großunternehmen inne (Business-Coachs), während die anderen vier Coachs therapeutische Ausbildungen aus den Bereichen Gestalttherapie, personenzentrierter Beratung und kognitiv-verhaltenstherapeutischer Ansätze absolvierten („Therapeut-Coachs“).

Es zeigte sich in den qualitativen Analysen der Interviews, dass die Therapeut-Coachs im Gegensatz zu den vier Business-Coachs auffallend oft von Erfahrungen in dieser Grauzone zwischen Coaching und Therapie berichten. Sie betrachten den Begriff der „Grenze“ nicht im Sinne einer Begrenzung ihrer Coaching-Tätigkeit, sondern als einen zentralen Hebelpunkt für den Coaching-Prozess. Alle „persönlichen Aspekte“, die zu einer Blockade in der beruflichen Leistung führen, gelten gemäß dieser Coachs als „legitimes Coaching-Territorium“. Im Gegensatz dazu orientierten sich die Business-Coaches dieser Studie in der Exploration und Reflektion enger an den „vertraglichen Zielvereinbarungen“ mit dem Klienten oder Auftraggeber.

Gemäß den Ergebnissen dieser Studie ergibt sich die Definition des „Coaching-Territoriums“ nicht nur aus der Expertise des Coachs, sondern besteht aus einem dynamischen Passungs-Prozess zwischen Klientenmerkmalen und Fähigkeiten des Coachs.

  • Seitens des Klienten bedarf es einer Motivation, sich auf die Bearbeitung persönlicher Themen einzulassen, und gleichzeitig eine Eigenwahrnehmungskompetenz, die sie befähigt, sachlich über emotionale Themen zu sprechen.
  • Der Coach sollte die Bereitschaft besitzen, diese Themen im Rahmen einer vertrauensvollen Arbeitsbeziehung anzusprechen, und eine entsprechende fachliche Kompetenz für die Bearbeitung dieser Grenzthemen vorweisen.

Die Autorin definiert vier Explorationsformen im Coaching-Prozess, die sich aus der Funktion dieser Bereitschafts- und Kompetenzdimension des Coachs und des Klienten ergeben.

Während die „vertiefte Exploration“ (erhöhte Bereitschaft und erhöhte Kompetenz zu Exploration) als auch die „vermiedene Exploration“ (niedrige Bereitschaft und niedrige Kompetenz zur Exploration) auf einer Passung zwischen Klient und Coach auf beiden Dimensionen beruhen, resultiert die „erzwungene Exploration“ und die „frustrierte Exploration“ aus einer Fehleinschätzung der Bereitschaft des Klienten als auch seiner Eigenwahrnehmungskompetenz durch den Coach. Diese falsche Wahrnehmung seitens des Coachs kann die Qualität des Coaching-Prozesses negativ beeinflussen. Als Fazit aus ihren Ergebnissen zieht Maxwell den Schluß, dass die Bearbeitung von „Leistungsblockaden“ psychischer Natur nicht problematisch sei, solange der Coach im Rahmen seiner Kompetenzen handle. Dies erfordere eine Anpassung der Coaching-Ausbildungen im Hinblick auf eine entsprechende Expertise.

Unabhängig von ihrer kleinen Datenbasis und dem qualitativen Forschungsansatz zeichnet sich diese Studie durch ihren heuristischen Wert aus. Für den Fall der Replizierbarkeit dieser Ergebnisse und Explorationstypen in unabhängigen Forschungsarbeiten lassen sich einige gedankliche Anregungen für die Praxis ableiten.

Zum einen stellt sich die Frage, ob die Kenntnis über Charakteristika psychischer Beeinträchtigungen, die eine psychotherapeutische Behandlung verlangen und die Möglichkeiten eines Coachings übersteigen, hilfreich ist für Eingrenzung des „eigenen Coaching-Territoriums“. Sollte dies der Fall sein, ist der Forderung der Autorin nachzugehen, die Ausbildungsinhalte zu adaptieren. Zum anderen wird durch die Annahme eines dynamischen Passungsprozesses besonders deutlich, dass der Coach im Rahmen seiner Prozessverantwortung, eine „Gespür“ für die Eigenwahrnehmungskompetenz des Klienten besitzen sollte, aber auch, dass er selbsteigenen Kompetenzen realistisch einschätzen muss, um ungünstige Coaching-Prozesse zu verhindern (erzwungene / frustrierte Exploration). Unabdingbar bleibt für den Coach, bereits in dem ersten Kontaktgespräch die Erwartungen des Klienten an den Coaching-Prozess zu klären und realistische Ziele zu definieren. Etwas irreführend ist der Begriff der „avoided exploration“. Wie sich in der Arbeit inhaltlich zeigte, handelt es sich hierbei weniger um eine vermiedene, sondern eher um eine klar umgegrenzte, auf das berufliche Umfeld orientierte Exloration. Die Frage, inwieweit eine solch „eingeschränkte Exploration“ die Basis für einen effektiven Coaching-Prozess liefern kann, bleibt allerdings unbeantwortet und sollte in zukünftigen Arbeiten aufgegriffen werden.

Literatur

  • Maxwell, A. (2009). The co-created boundary: negotiating the limits of coaching. International Journal of Evidence Based Coaching and Mentoring, Special Issue No.3, pp.82 – 94.
  • Maxwell, A. (2009). How do business coaches experience the boundary between coaching and therapy / counselling? An International Journal of Theory, Research and Practice, Vol.2, No.2, pp. 149-162.

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