Wissenschaft
Wenn Coaching wirkt, dann verändert sich das Gehirn der Klientinnen und Klienten. Plakativ formuliert könnte man fragen: Wo sitzen die Probleme im Kopf und was genau ändert sich dort eigentlich? Die Art, wie wir die Welt wahrnehmen und in ihr handeln, wird entscheidend durch unsere verschiedenen Gedächtnisse geprägt. Ohnehin wäre ein Mensch ohne Gedächtnis ziemlich hilflos. Es ermöglicht uns einen Zugriff auf unsere Vergangenheit und unsere Lernprozesse. Daher ist es wichtig, sich als Coach mit den Gedächtnissen und ihrer Funktionsweise auseinanderzusetzen.
Üblicherweise werden in Lehrbüchern zwei Arten von Langzeitgedächtnissen voneinander unterschieden, die beide aus neurowissenschaftlicher Sicht zum Vorbewussten gezählt werden: das deklarative und das prozedurale Gedächtnis (Squire, 1987) bzw. das explizite und implizite Gedächtnis (Schacter, 1996). Stark vereinfacht könnte man auch von einem Wissens- und einem Verhaltensgedächtnis sprechen. Das deklarative Gedächtnis bezieht sich auf Inhalte, die verbalisiert werden können und damit zum bewussten/expliziten Wissen zählen. Auf das prozedurale Gedächtnis trifft dies nicht oder nur teilweise zu, es ist daher implizit.
Das limbische System gilt als Sitz unserer Persönlichkeit und die Hirnvorgänge, die hier subcortical (außerhalb der Großhirnrinde) ablaufen, sind unbewusst. Sie bestimmen jedoch maßgeblich unser Erleben und Verhalten. Eine Doktorarbeit (Ryba, 2018) hat gezeigt, dass der Körper einer der wichtigsten „Zugänge“ zum Unbewussten ist, weil Körpersignale wie z.B. die nonverbale Kommunikation vom limbischen System gesteuert werden. Somit kann neben dem Wissens- und dem Verhaltensgedächtnis als drittes Gedächtnis die körperliche Ebene betrachtet werden, die eine Art unbewusstes Gedächtnis darstellt. Im Folgenden werden die drei Gedächtnisse und ihre Relevanz für das Coaching vorgestellt.
Das deklarative Gedächtnis (explizites „Wissensgedächtnis“) wird strukturell unterteilt in das episodische Gedächtnis, das Faktengedächtnis (reines Wissen ohne Emotionen) und das Vertrautheitsgedächtnis (Objekt/Ereignis bekannt vs. unbekannt). Für Coaches ist besonders das Erste interessant, welches sich in das autobiografische Gedächtnis und das Quellengedächtnis untergliedert. Beide Gedächtnissysteme sind mit Emotionen verbunden. Das Quellengedächtnis ermöglicht die spätere Einschätzung der Glaubwürdigkeit einer Quelle, weil es Informationen darüber speichert, wann, wo, wie und von wem etwas gelernt wurde. Viel wichtiger für Coaches ist jedoch das autobiografische Gedächtnis. Dieses bezieht sich auf eigene Erlebnisse und die von nahestehenden Personen. Es kann daher auch als Erlebnisgedächtnis bezeichnet werden. Für Coaches ist es von besonderer Bedeutung, da es in der Beratung häufig um Erfahrungen beruflicher oder privater Art geht, die Klientinnen und Klienten in der Vergangenheit gemacht haben und welche in der Gegenwart die Zielerreichung im Coaching beeinflussen.
Die Inhalte des deklarativen Gedächtnisses werden in der kognitiven und limbischen assoziativen Großhirnrinde gespeichert (Roth & Strüber, 2014). Sie sind demnach bewusstseinsfähig und verbalisierbar. So können sich Coaches von ihren Klientinnen und Klienten sprachlich ihre autobiografischen Erlebnisse und Erfahrungen berichten lassen (Erlebnisgedächtnis). Die meisten Coaching-Methoden arbeiten mit dem deklarativen Gedächtnis, also dem Vorbewussten, auf einer sprachlichen und manchmal vielleicht auch bildlichen Ebene. Da Bilder im deklarativen Gedächtnis gespeichert werden, zählen sie zum Vorbewussten und nicht zum Unbewussten – das Unbewusste ist wirklich unbewusst.
Spannend ist, dass die Inhalte des deklarativen Langzeitgedächtnisses einer zunehmenden „Datenkompression“ unterliegen. Das bedeutet, sie werden im Laufe der Zeit immer kompakter gespeichert und dann auch in dieser komprimierten Weise erinnert (ebd.). Die Datenkompression wird unterbrochen, wenn Inhalte aufgefrischt werden. Geschieht dies nicht, werden sie immer weiter komprimiert, bis die Inhalte schließlich kaum noch erinnert werden können, wenngleich sie noch vorhanden sind. So braucht es z.B. aktive Erinnerung, um Details eines lange zurückliegenden Erlebnisses abzurufen, und in manchen Fällen können sie ohne Unterstützung von anderen gar nicht mehr abgerufen werden. So kann es im Coaching vorkommen, dass selbst prägende Ereignisse nur mühevoll erinnert werden können und es sehr viel Geduld braucht, um den Prozess des Erinnerns zu unterstützen.
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