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Konzepte

Funktioniert Selbst-Coaching?

Pro- und Kontra-Argumente

6 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 3 | 2008 am 13.10.2008

Pro

Man kann sich nicht nicht selbst coachen!

von Dr. Rudolf Stroß

Selbst-Coaching findet bei Führungskräften sowieso ständig statt – ob sie wollen oder nicht. Im Alltag geschieht dies in der Gestaltung der Außenwelt in der Weise, beispielsweise mehr Ressourcen zu beantragen, eine neue Marketingstrategie zu entwickeln oder technische Lösungen anders anzugehen als bisher. Dies ist Management der Außenwelt, also Selbst-Coaching im Verhalten nach außen. Damit kommen unweigerlich selbstreflexive Fragen:

  • Habe ich richtig delegiert?
  • War ich zu direktiv?

Die Beschäftigung mit ähnlichen Fragen geht rasch in die Innenwelt über. Mit diesen Fragen hat das Selbst-Coaching, lange bevor der Begriff überhaupt benutzt wird, schon begonnen. Durch Selbstreflexion wird also der eigene Anteil selbstreferenziell überprüft.

Im Alltag findet Selbst-Coaching in unsystematischer Form ständig statt. Es stellt sich daher nicht die Frage, Selbst-Coaching: ja oder nein? Vielmehr lautet die Frage: Selbst-Coaching mit welcher Disziplin, welchen Methoden und welcher Art Selbstreflexion über das Vorgehen im Selbst-Coaching?

Frei nach Paul Watzlawick können wir sagen: Man kann sich nicht nicht selbst coachen! Dies ist die ausdrückliche Gegenposition zu: Zum Coaching braucht es immer den Fachmann. Viele Dinge machen alle Menschen nämlich mit sich selbst aus, und gehen gestärkt daraus hervor.

Die Regel ist Selbsthilfe, die Ausnahme von der Regel ist die Hinzuziehung eines Experten. Der Einzelne als Experte seiner selbst kann sogar Ergebnisse erzielen, die er vorher nicht für möglich gehalten hat. Selbst-Coaching bei Leistungs- und Führungsfragen bedeutet:

  • Selbst-Diagnostik
  • Selbst-Beratung
  • Selbst-Begleitung
  • Selbst-Feinsteuerung
  • Selbst-Evaluation

Es geht beim Selbst-Coaching darum, Dinge schrittweise anzugehen, mit einer gewissen Konsequenz und Beobachtung der Zwischenergebnisse, mit Prozessreflexion und Ergebnisreflexion. Im Selbst-Coaching tun wir dies systematisch, transparent, reflektiert – und hoffentlich gebunden an Werte.

Ich selbst beschreibe in meinem Buch zwölf leicht anwendbare Methoden der Selbstveränderung, auf dem Hintergrund eigener empirischer Forschung. Auf zwei mögliche Einwände möchte ich eingehen:

  • Die Gefahr des blinden Flecks, indem man am Wichtigen vorbei coacht: Aber der Mensch stellt sich auch manchen Peinlichkeiten, für andere braucht er die (Selbst-) Konfrontation. Außerdem hat auch der professionelle Coach blinde Flecken. Oder das Vermittlungsangebot des Coachs erreicht den Coaching-Kunden gar nicht.
  • Der Coach habe das größere Methodenrepertoire: Auch hier gibt es viele Gegenbeispiele. So wird in manchen Fällen aus einem unsicheren Vorgesetzten durch ernsthaftes Selbst-Coaching nach einiger Zeit ein sicherer Vorgesetzter – ohne professionellen Coach.

Jeder von uns hat solche Prozesse von Wandlung und aktiver Selbstveränderung schon erlebt. Wenn man annimmt, alle Führungskräfte in einer schwierigen Situation könnten nur durch Coaching Hilfe erfahren, so unterschätzt man die Selbsthilfekräfte des Betreffenden und die Kräfte der sozialen Unterstützung außerhalb des Coaching-Raums.

Es gibt in Deutschland etwa fünf Millionen Menschen mit Leitungsfunktion. Es wäre eine grandiose Überschätzung der gesellschaftlichen Bedeutung von Coaching, wenn man dieses Instrument für viele oder gar für alle Führungskräfte für erforderlich hielte.

Fazit: Coaching ist ein gutes Instrument, aber es erreicht nur einen Bruchteil derer, die mit Führungsaufgaben Probleme haben. Das Selbst-Coaching hat mit Sicherheit quantitativ und qualitativ eine gleichrangige Bedeutung wie das Coaching durch einen professionellen Coach.

Kontra

Im Teufelskreis mit dem eigenen Schweinehund!

von Dr. Martina Offermanns

Jeder, der sich schon mal vorgenommen hat, bestimmte Dinge in seinem Leben zu ändern, kennt die Situation: Das Problem ist erkannt, aber an der konkreten Umsetzung scheitert es. Die Gründe dafür sind:

  • Fehlende Selbstdisziplin: Es hapert daran, sich genügend Zeit zu nehmen, um sich mit sich und der Situation aktiv auseinander zu setzen – bzw. daran, neue Ansätze tatsächlich nachhaltig im Alltag umzusetzen; Stichwort: „Innerer Schweinehund“.
  • Unsicherheit: Ist man gedanklich auf dem richtigen Weg? Und wenn ja, welche Lösung ist die „richtige“?
  • Fehlender neutraler Feedbackgeber: Freunde, Familie, Kollegen und so weiter sind vielleicht befangen und haben eigene Interessen.
  • Impulsivität: Handeln ohne Nachzudenken.
  • Verharren im Problemsumpf: Gedankliche „Teufelskreise“.

Vergegenwärtigt man sich diese Situation, so wird eines schnell klar: Wie schwierig ist es, sich selbst zu coachen! Damit dies tatsächlich funktionieren könnte, bräuchte es sehr reflektierte und starke Persönlichkeiten mit viel Disziplin und Zeit. Ganz schön anspruchsvolle Voraussetzungen – insbesondere in einer Zeit, in der der Druck im Job oder im Privatleben häufig den Alltag, die eigenen Gedanken und Emotionen beherrscht.

Meine Interviews mit Führungskräften, die klassisches Coaching bzw. Selbst-Coaching durchgeführt haben, zeigten auf, dass der Coach vier wesentliche Funktionen hat, die den Coaching-Erfolg positiv und nachhaltig unterstützen:

  1. Zeit nehmen zur Selbstreflexion: Termine mit einem Coach sind verbindlicher. Termine mit sich selbst wirft man häufig über Bord, da vermeintlich wichtigere Ereignisse häufig dazwischen kommen. Einen vereinbarten Termin mit einem Bezahlten hilft daher, am Thema zu bleiben und Regelmäßigkeit zu gewährleisten.
  2. Förderung der Selbstreflexionskompetenz durch gezielte Interventionen: Gut ausgebildete Coachs können durch reflexionsfördernde Methoden und Fragetechniken – wie zum Beispiel zirkuläres Fragen, Rollenspiele, Feedback, Thesenbildung, Symbolarbeit – Strukturierungs- und Orientierungshilfen bieten. Durch den Aufbau einer positiven Beziehung zwischen den beiden, fällt es dem Gecoachten leichter, sich für den Selbstreflexionsprozess zu öffnen. Die Neutralität des Coachs ist hierbei eine wichtige Voraussetzung, die andere Bezugspersonen in der Regel nicht mitbringen.
  3. Ausgleich zwischen handlungs- und lageorientierten Phasen schaffen: Es gibt Personen, die ihr Problem oder ihre Lage sehr differenziert beschreiben können. Sie können aber dieses Wissen nicht lösungsorientiert nutzen. Bei Managern fällt häufig auf, dass diese sehr schnell in Lösungen denken und somit sehr handlungsorientiert agieren. Sie nehmen sich aber nicht die Zeit, die Lage aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Dies birgt schnell die Gefahr, wichtige Aspekte zu übersehen, die für die Problemlösung wichtig wären. Der Coach kann hier wertvolle Unterstützung bieten, in dem er einen Ausgleich zwischen den Phasen durch den Einsatz gezielter Interventionen schafft.
  4. Den inneren Schweinehund überwinden: Neue Handlungsansätze gedanklich durchzuspielen sowie Vor- und Nachteile abzuwägen, ist die eine Seite. Diese tatsächlich im Alltagsstress umzusetzen, ist die andere Seite der Medaille: Entweder sind die Automatismen im Alltag zu stark, der Mut zur eigenen Courage verlässt einen wieder. Oder der Aufwand erscheint einem zu hoch – vielleicht ist es doch bequemer im alten Brei zu rühren… Doch zu wissen, dass der nächste Termin mit dem Coach ansteht, spornt an und motiviert. Wer möchte schon gerne jedes Mal sagen müssen: ich hatte keine Zeit!

Fazit: Braucht Coaching einen Coach? Ja! Unterstützung durch einen Coach ist nachhaltiger, zielführender und effektiver!

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