Portrait

Dr. Ulrike Wolff im Gespräch

Der Sprung über die unsichtbare Schwelle, die den Anführer vom Experten oder Manager trennt.

12 Min.

Erschienen im Coaching-Newsletter in Ausgabe 11 | 2007

Souveränität und Demut sind das gewisse Etwas, das einen Coach erst richtig gut macht. Im Jahr 1996 gründete Dr. Ulrike Wolff ihre gleichnamige ManagementBeratung in Berlin. Sie war Gründungs- und Präsidiumsmitglied des Deutschen Bundesverbands Coaching (DBVC), Leiterin des Fachausschusses "Profession" im DBVC, ist Beiratsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Personalführung (DGFP) und Aufsichtsrätin der Gothaer Allgemeine Versicherung AG.

Woher rührt eigentlich Ihre Affinität zum Coaching?

Coaching beinhaltet eine Kombination von Fähigkeiten, die gut mit dem übereinstimmt, was ich mitbringe, wie zum Beispiel ein etwa gleich ausgeprägtes analytisches wie kreatives Talent. Das ist ein Geschenk, das ich im Coaching sehr nützlich einbringen kann: Für die Klärungsvorgänge ist das ordnende, strukturierende Element enorm wichtig, für das Erreichen einer neuen Erkenntnis- oder Entwicklungsstufe ist der Sprung aus dem System oder der Perspektivenwechsel oft der entscheidende Kick. Vor allem aber faszinieren mich meine Klienten. Sie müssen sich selbst und andere in einer Welt mit vielen widersprüchlichen Anforderungen auf Kurs bringen und halten.

Höre ich da die Faszination der Entwicklungspsychologin heraus?

Ja, da ist sicher etwas dran. Ich war lange in der entwicklungspsychologischen Forschung tätig und das prägt natürlich. Ich bin nach wie vor neugierig auf das Leben und die menschliche Natur – vor allem in der Auseinandersetzung mit dem Außeralltäglichen, dem Herausfordernden, dem manchmal auch Überfordernden.

Und diese Neugier hat Sie unmittelbar zum Coaching geführt?

Nein, mein Weg zum Coaching war lang – und das ist auch gut so, um mit dem berühmten Zitat unseres Berliner Oberbürgermeisters zu antworten. Ich bin überzeugt, dass Coaching eine gewisse Reife voraussetzt, sowohl bezogen auf die Persönlichkeit als auch bezogen auf das Spektrum von Wissen und Erfahrung. Erst daraus entsteht dieses gewisse Etwas aus Souveränität und Demut, das einen Coach erst richtig gut macht. Mein Weg zum Coaching führte erst über die Verknüpfung von zwei verschiedenen Disziplinen, die wichtige Teile meines beruflichen Werdens sind: die entwicklungspsychologische Forschung und die bankfachliche Praxis.

Wie passt denn das zusammen?

Auf den ersten Blick gar nicht, auf den zweiten Blick ist es eine tolle Kombination. Aber das war alles überhaupt nicht geplant, genauso wenig wie meine Karriere als Coach. Ich musste nach meinem Postdoktorat an der Uni ganz einfach die Entscheidung treffen, ob ich den vorgezeichneten Weg einer Wissenschaftlerlaufbahn mit der Habilitation fortsetze oder ob ich mich draußen sozusagen in freier Wildbahn bewegen wollte. Gereizt hat mich das Unbekannte. Ich habe dann eine kleine Auszeit an der Uni genommen und drei Praktika in unterschiedlichen Industrien – Bank, Handel, Produktion – absolviert, um zu sehen, ob ich in diesen Umfeldern zurecht kam und ob das wirkliche Leben überhaupt etwas mit mir anfangen konnte. Zu meiner Freude hatte ich am Ende drei sehr positive Erfahrungen und drei Jobangebote. Die Entscheidung fiel für die Dresdner Bank und für eine Position in der Führungskräfteentwicklung. Wie damals üblich, sollte ich zum Einstieg einen Kurzdurchlauf durch die wesentlichen Bankbereiche machen ... Ich glaube, es hat nur wenige Wochen gedauert, dann kam ich zurück und bat meine Vorgesetzten, eine bankfachliche Trainee-Ausbildung machen zu dürfen. Ich hatte Feuer gefangen und wollte das Geschäft lernen, mit allem was dazu gehört.

Die haben sicher die Welt nicht mehr verstanden – so wie ich jetzt, wenn ich Ihnen zuhöre?

Ja, stimmt. Niemand hat das verstanden. Man hat mir sogar dringend abgeraten. Ich war ja bereits hoch qualifiziert, hatte einen klar umrissenen Karriereweg vor Augen – und nun wollte ich all das ohne Not aufgeben, um in einer Gruppe deutlich jüngerer Trainees noch einmal die Schulbank zu drücken. Aber ich war nicht davon abzubringen: Ich sah die Chance, mir zusätzlich eine neue Welt zu erschließen. Und genau so ist es auch gekommen. Es war eine tolle Zeit und ich habe viel gelernt, wenngleich es sicher kein Spaziergang war, mich in all die neuen Fachgebiete einzuarbeiten. Andererseits war ich natürlich ambitioniert und hatte hervorragende Rahmenbedingungen: Im Goldfischteich der Bank konnte ich in diversen Vorstandsprojekten mitarbeiten, hatte hochrangige Mentoren und besuchte sehr gute Seminare. Nach zwei Jahren hatte ich von der Vermögensverwaltung bis zum Investment Banking alles kennen gelernt, hatte eine Kreditausbildung und eine Ausbildung zur Firmenkundenbetreuerin absolviert und nahm am ersten Führungskräftenachwuchsprogramm der Bank teil.

Konnten Sie in dieser Zeit Ihr sozialwissenschaftliches Wissen irgendwo einbringen?

Nein, in den ersten Jahren war all das weit weg, ich bin voll und ganz in das Bankgeschäft und in das Leben in einem Großunternehmen eingetaucht. Aber nach einiger Zeit fügte sich alles wieder zusammen: Ich arbeitete im Firmenkundenkreditgeschäft und hatte immer häufiger mit Unternehmen in akuten Krisen- oder Sanierungssituationen zu tun – also mit Kunden, die unter erheblichem Druck standen. In diesen Situationen können Sie hautnah fast alle verdeckten und offenen Varianten von Angst- und Belastungsverhalten erleben und da war mein psychologisches Wissen und Können ausgesprochen nützlich. In dieser Zeit begannen dann Kollegen, sich mit meiner Unterstützung auf schwierige Verhandlungen vorzubereiten oder Erlebtes auszuwerten. So kam ich peu a peu mit Coaching in Kontakt, las viel darüber, beteiligte mich an einem entsprechenden Zentralprojekt des HR-Bereiches und lernte John Whitmore kennen. Trotzdem, damals war Coaching für mich nur ein hoch interessantes Konzept, mehr nicht.

Und welcher Weg hat Sie dann in die Selbstständigkeit als Coach geführt?

Der Ausgangspunkt war eine schwierige Situation, in die ich mich selbst hinein manövriert hatte. Mein Mann hatte sich zwischenzeitlich beruflich nach Leipzig orientiert und wir hatten entschieden, dort gemeinsam präsent zu sein. Ich wechselte also – wieder gegen den ausdrücklichen Rat meiner Mentoren – in die regionale Niederlassung der Bank. Nur dieses Mal behielten die warnenden Stimmen Recht: Es hatte dort wirklich niemand auf mich gewartet... Ich war am falschen Platz, hatte das Gefühl zu verhungern und geriet in eine klassische Sackgassensituation, die mich nach kurzer Zeit sehr unzufrieden machte.

Das war sicher keine einfache Situation für Sie ...

Ja, das kann man wohl sagen. Aus heutiger Sicht war das aber eine wichtige Erfahrung, denn der Umgang mit beruflichen Talfahrten gehört genauso zum Leben wie der Genuss beruflicher Erfolge. Beides habe ich erfahren und es hat mich um Vieles reicher gemacht.

Und dann Sie haben die Bank verlassen?

Ja, schweren Herzens, denn ich war der Bank verbunden. Die Alternative damals hätte aber die Zentrale in Frankfurt bedeutet und das wollte ich ja aus privaten Gründen nicht. Also begann ich, auf Gesprächsangebote von Personalberatern einzugehen, die sich zum Glück zu der Zeit relativ häufig bei mir meldeten. Dann passierte interessanterweise fast immer das Gleiche: Man bot mir – unabhängig von der eigentlich ausgelobten Stelle – den Eintritt in die jeweilige Beratungsgesellschaft an. Meine Doppelqualifikation war damals noch selten und offensichtlich attraktiv im Beratungsgeschäft. Als mir das klar wurde, war die Entscheidung denkbar einfach: Ich setzte auf den identifizierten Marktwert und gründete mein eigenes Beratungsunternehmen. Zu dem Zeitpunkt war es längst keine Frage mehr mit welchem Schwerpunkt: Coaching.

Das war Mitte der 90iger Jahre und seither führen Sie Ihr Unternehmen sehr erfolgreich.

Ja, es ist Gott sei Dank von Anfang an prima gelaufen. Heute sind wir ein gut etablierter und profilierter Player im Markt und dafür bin ich sehr dankbar.

Ihre Spezialität ist das Top Executive Coaching. Was verstehen Sie eigentlich darunter?

Die Begleitung von Verantwortungsträgern an der Spitze, also von Menschen mit Gesamtverantwortung für eine Organisation. Hier ist das Spannungsfeld zwischen Erfolgserwartung, Unwägbarkeiten des Marktes, gegensätzlichen Interessen, Machtkonstellationen, öffentlicher Wahrnehmung und politischen Untiefen besonders ausgeprägt. Da gibt es oft kein Richtig oder Falsch, sondern nur das Bestmögliche in einer gegebenen Situation. Top Executive Coaching setzt zwar wie das Personal Coaching an den Perspektiven und am konkreten Verhalten der handelnden Personen an, aber die Referenzpunkte sind eben nicht nur das Wohlbefinden und die Entwicklung des Einzelnen, sondern in gleicher Weise auch das Unternehmenswohl und die Entwicklung der Organisation insgesamt.

Und wie sehen typische Konstellationen aus, in denen Sie zugezogen werden?

Abgesehen vom klassischen Einzel-Coaching kommen wir meist in unternehmerischen Adjustierungs- oder Umbruchsphasen an Bord, wie zum Beispiel in Strategieprozessen, anlässlich von Unternehmenszusammenschlüssen, in Führungs- und Kulturentwicklungsprozessen, aber auch in Krisen- oder Konfliktkonstellationen. In diesen Zeiten ist das Management besonders gefordert, Orientierung zu geben und sich sowohl einzeln als auch als Team an der Spitze hinter eine Sache oder Richtungsvorgabe zu stellen. Wir sehen unsere Aufgabe darin, eine Plattform zur Verfügung zu stellen, auf der man sich offener und vorwärtsgerichtet mit den Entwicklungsoptionen, aber genauso auch mit den heikleren Themen im Leistungsprozess auseinandersetzen kann.

Sie erwähnten das Thema Macht. Welche Bedeutung hat dieser Begriff für Sie?

Macht ist für mich zunächst einmal neutral bis positiv besetzt, weil ich Macht spontan mit Begriffen wie Orientierung geben, Einfluss nehmen, Gestalten oder Verantwortung verbinde. Macht hat aber auch eine dunkle Seite: das Unterdrücken, Dominieren, Gewalt ausüben, Manipulieren. Beide, die helle wie die dunkle Seite sind Erscheinungsformen der Machtausübung. Davon untrennbar ist aber auch die Interpretation der Betroffenen: Was der eine als Orientierung oder Gestaltungsbeitrag anerkennt, das empfindet der andere schon als Akt der Unterdrückung; und um je mehr es geht, um so bedeutsamer ist die Wechselwirkung von hell und dunkel. Von daher ist es eine wesentliche Führungskompetenz und ein nicht unerheblicher Erfolgsfaktor, Macht-Phänomene zu kennen und damit umzugehen zu können.

Apropos, was zeichnet denn in Ihren Augen eine gute Führungskraft aus?

Gute Führungskräfte sind für mich diejenigen, die die Fähigkeit und den Mut haben, in angemessener Zeit nachvollziehbare Entscheidungen zu treffen, diese auf vernünftige Weise zu kommunizieren, umzusetzen und dafür verantwortlich einzustehen. Aber Sie sehen schon, eine solche Frage verführt dazu, die Idealkonstellation einer Eier legenden Wollmilchsau zu beschwören. Dabei wissen wir genau, dass eine Person selten alle idealtypischen Führungskompetenzen in sich vereint und dass die Anforderungen je nach Kontext erheblich variieren. Aber trotz aller Bereitschaft zur Relativierung: Für mich sind Anschluss-, Entscheidungs- und Vermittlungsfähigkeit, Mut und Verantwortungsübernahme – also Integrität – sowie die Fähigkeit, mit Konflikten, Widersprüchen und Dilemmata umzugehen, zentrale Merkmale einer Führungskraft an der Spitze einer Organisation.

Und was fasziniert Sie an solchen Menschen?

Es ist der Sprung über die unsichtbare Schwelle, die den Anführer vom Experten oder Manager trennt; der Schritt heraus aus der Menge, wo es keinen Verantwortlichen mehr hinter einem gibt, wo das Mehr an Freiheitsgraden und Sozialstatus mit dem Preis öffentlicher Aufmerksamkeit und – wegen der Entfernung zum Tagesgeschäft – mit zunehmender Abhängigkeit einher geht. Ab diesem Punkt ist auch der überzeugte Teamplayer oft auf sich selbst gestellt und agiert in einer Welt, in der andere Spielregeln gelten und in der das Zurechtkommen mit politischen Gegebenheiten, divergierenden Interessen und widerstreitenden Werten eine deutlich größere Rolle spielt. Hier ist interessant, wie Führungskräfte diesen Sprung bewältigen, wie sie lernen, sich in der Rolle an der Spitze zurecht zu finden, wie sie eventuell nach einiger Zeit über sich hinaus wachsen; aber auch, ob und wie sie den Weg zurück finden, wenn sie die Rolle des Anführers nicht ausfüllen können oder wollen.

Zu guter Letzt die Frage: Was denken Sie, wie sich Coaching in Zukunft weiter entwickeln wird?

Hier bin ich mir selbst noch nicht schlüssig. Vor zwei Jahren hätte ich noch gesagt, es tut sich etwas in Sachen Professionalisierung. Vielleicht stimmt das sogar, aber ich bin skeptisch, ob es in naher Zukunft gelingen wird, Transparenz in diesen heterogenen Markt zu bekommen oder die Vielzahl von Konzepten unter gemeinsamen Qualitätsstandards zu vereinen. Ich sehe nach wie vor viele, ich nenne sie mal Lebenskünstler, im Feld, die sehr freiheitsliebend sind. Und solange es einerseits genügend Zulauf für alle Anbieter gibt und andererseits die Überzeugungstäter, die meinen, die Welt müsse an ihren Lehren genesen, auch durch geringe Verdienstmöglichkeiten nicht abzuschrecken sind, solange werden wir wohl mit dieser Vielfalt leben müssen.

Teilt sich dann womöglich das Feld?

Gut vorstellen kann ich mir, dass das Personal Coaching und das Executive Coaching unterschiedliche Entwicklungspfade nehmen und zwar sowohl bezogen auf die Kunden als auch auf das Kompetenzprofil des Coach und eventuell auf die Finanzierung. Mit Letzterem meine ich, dass Unternehmen damit beginnen, die Betroffenen an der Finanzierung eines Personal Coaching auch zu beteiligen. Der Executive Coach wird neben dem psychologischen Grundhandwerkszeug eine betriebswirtschaftliche und an Managementtheorien ausgerichtete Qualifikation haben, während der Personal Coach seinen weitgehend psychologischen oder psychotherapeutisch geprägten Zugang beibehalten wird. Für wahrscheinlich halte ich die Bildung von Coaching Companies. Die heutigen Coach-Pools aus überwiegend unabhängig arbeitenden Freelancern könnten auf Dauer – zumindest für die großen Unternehmen – zu aufwändig in der Einsatz- und Qualitätssteuerung werden, so dass Coaching-Angebote aus einer konzeptionellen Hand immer attraktiver werden dürften. In diesem Zusammenhang ist auch der Trend von Personal- oder Unternehmensberatungen zu verstehen, eigene Coaching-Tochterfirmen aufzubauen. Wenn man das Geschäft nicht vermischt, kann das sehr sinnvoll sein. Beides passt zur Professionalisierung von Coaching und zu dem, was wir heute Entwicklung zu Performance Excellence nennen.

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