Kontrovers

Schnelles Geld durch Manipulation

Ein Erfahrungsbericht

Dass man mit verschiedenen Coaching-Tools und psychologischem Wissen Menschen für seine Zwecke manipulieren kann, scheint insbesondere für ein Institut der Personalvermittlungsbranche momentan von großem Interesse zu sein. Hier werden erwerbslose Akademiker systematisch psychisch beeinflusst und sozial isoliert. Welche schockierenden Ausmaße die Manipulation zum Zweck der „Personalsuche“ annehmen kann, wird anhand des Gedächtnisprotokolls eines Anwerbungsversuchs zur Mitarbeit in diesem Institut deutlich.

7 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 3 | 2013 am 11.09.2013

Im Juni 2013 erhielt ich einen Anruf eines angeblich EU-geförderten Instituts mit Sitz in Süddeutschland und der Aufgabe, erwerbslose Akademiker wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. 42 Mitarbeiter und 20 Jahre Erfahrung belegen den Erfolg, so mein Gesprächspartner Herr G. Er gab vor, jemanden wie mich zu suchen, die ihn berate, was erwerbslosen Akademikern helfen könne, damit deren Einstieg in den Arbeitsmarkt erfolgreich sei. Das Folgende ist ein Gedächtnisprotokoll dieses Gesprächs.

Die Ausgangslage

Auf Nachfrage, wie Herr G. an erwerbslose Akademiker komme und was genau er mit ihnen vorhabe, gab er vor, mit Berufsgenossenschaften, Rentenversicherungsanstalten, Agenturen für Arbeit und vielen verschiedenen sehr namhaften großen Firmen zusammenzuarbeiten.

Die Kontaktdaten dieser Akademiker bekomme er über eine Datenbank und er arbeite mit zwei Dipl.-Psychologinnen in Frankfurt zusammen, die ein psychologisches Eingangsgutachten erstellten und ihm behilflich seien, mit den Erwerbslosen zu arbeiten. Für deren Unterstützung und um den einzelnen Erwerbslosen „auf den Zahn zu fühlen“, suche er jetzt eine Frau, die sowohl psychologisch als auch im Coaching-Bereich geschult sei.

Über eine Datenbank könne ich mich im Institut einloggen, um die Daten des Klienten zu sichten. Diese enthielten Lebenslauf, Bewerbungsschreiben, das psychologische Eingangsgutachten, sämtliche geführten Gespräche mit Arbeitsagenturen und Vorstellungsgespräche. Ich würde mit diesem Klienten einen Telefontermin vereinbaren. Da jeder Klient eine Webcam habe, würde ich ihn sehen – er mich aber nicht. Dieser Umstand war Herrn G. sehr wichtig, da „meine Anonymität gewahrt bleiben“ müsse. Während des Gesprächs solle ich herausfinden: Welche Aktivitäten hat er bisher gestartet? Wie sind Vorstellungsgespräche verlaufen? Wie hat er sich dabei gefühlt? Was wäre seiner Meinung nach verbesserungsfähig?

Dabei gelte es insbesondere, die Person zu beobachten – darum auch der Einsatz der Webcam: Wie verhalte er sich, werde er nervös usw.? Kurz: Sind die Aussagen kongruent zur Körpersprache? Daneben solle ich ihm Arbeitsaufträge geben, z.B. den Gang zur Agentur für Arbeit, die er erfüllen müsse.

Herr G. gab eine Arbeitszeit von ca. acht Std./ Woche mit einem anfänglichen Stundenlohn von 150 € an, die aber nach einer Einarbeitungszeit selbstverständlich steigerungsfähig seien. Eine langfristige Zusammenarbeit sei wünschenswert.

Die Zuspitzung

Bis zu diesem Punkt klang das Geschilderte nach einem Bewerbungstraining, wenn auch einem eher merkwürdigen. Zumal Herr G. betonte, dass mit dieser Aufgabe keinerlei Coaching-Arbeit verbunden sei, sondern lediglich Informationen zur Beurteilung einzuholen und an ihn weiterzugeben seien. Sollte ich zu dem Ergebnis gelangen, dass hier Coaching-Bedarf bestehe, würden sich andere dieser Arbeit annehmen.

Er verfüge weiterhin über verschiedene Möglichkeiten, die Klienten zu beschäftigen. Sei es durch Praktika oder niedere Arbeiten in Organisationen, mit denen er zusammenarbeite. Zudem habe er Kontakte zu großen Firmen, die zu Pseudovorstellungsgesprächen einladen, diese aufzeichnen und an das Institut weiterleiten. Auch zu diesen Daten hätte ich Zugang.

All diese Vorgehensweisen dienen dazu, so Herr G., den Klienten aus seiner Lethargie zu holen, um ihn für den Arbeitsmarkt wieder optimal vorzubereiten. Weiterhin erklärte er, dass das Institut zu jedem Klienten einen Abschlussbericht verfassen müsse, der in 80 Prozent der Fälle negativ ausfalle. Diesem Umstand sei es dann geschuldet, dass der Klient nicht mehr vermittelbar sei und somit das Arbeitslosengeld II als Perspektive für sein weiteres Leben habe. Die restlichen 20 Prozent hätte das Institut bisher erfolgreich vermitteln können – allerdings nicht in ihrem ursprünglichen Beruf.

Bis zu diesem Zeitpunkt dauerte das Gespräch bereits 1,5 Stunden und es zeichnete sich ein immer dubioseres Bild dieses Instituts ab. Doch trotz der Dauer und der Gewissheit, dass es bei diesem Angebot nicht mit rechten Dingen zugehen konnte, wollte ich mehr erfahren. So googelte ich zwischendurch den Namen Herrn G.s, auch in Zusammenhang mit bekannten Sekten, doch ohne Ergebnisse. Außerdem drängte sich die Frage auf, warum er explizit eine Frau mit psychologischem Hintergrundwissen und Coaching-Erfahrung bräuchte, vor allem da kein Coaching durchgeführt werden sollte.

Herr G. erklärte, dass es sich zum größten Teil um männliche Klienten handle, die Probleme mit weiblichen Vorgesetzten hätten und es somit eine „gute Vorbereitung“ sei, eine Frau vor sich zu haben. Der Klient wird also permanent einer Situation ausgesetzt, die ihm unangenehm ist. Zudem muss man an dieser Stelle mitdenken, dass der Klient mich nicht sehen, ich ihm Arbeitsaufträge erteilen würde und er einer permanenten Kontrolle ausgesetzt wäre. Das ist nicht nur ein enormes, hierarchisches Gefälle, sondern auch eine psychisch sehr bedenkliche Situation.

Diese nicht geäußerten Bedenken verstärkte Herr G. mit seiner Antwort zum Psychologie- und Coaching-Hintergrund. Er gehe von meiner Fähigkeit aus, für die Klienten kein Mitleid zu empfinden. Er stellte auch meine Zusammenarbeit mit den Psychologinnen genauer dar, denen ich während ihres Gesprächs mit dem Klienten, das ich mithören könne und das aufgezeichnet werde, sagen könne, wo ich ihn „hinhaben“ wolle. Diesen Umstand wollte ich nun genauer wissen – und Herr G. kam endlich zum Punkt.

Das eigentliche Ziel 

Wo will dieses Institut seine Klienten „hinhaben“? Herr G. wies mich auf den persönlichen Background vieler Klienten hin. Sicherlich sei mir klar, dass z.B. die Partnerin eines Klienten Probleme mit seiner Langzeitarbeitslosigkeit habe und auch Freunde dessen „Gejammer“ und Lethargie nicht ertragen könnten. Und von seinen Psychologinnen wisse er, dass hier nur helfe, selbst zur einzigen Vertrauensperson des Klienten zu werden, damit man ihn beeinflussen könne. Dazu gehörten selbstverständlich in der Vorbereitung viele Negativerlebnisse, wie gescheiterte und fingierte Vorstellungsgespräche, Praktika, die nicht zur Zufriedenheit absolviert werden können und – hier käme ich ins Spiel – enttäuschte Ansprechpartner, gestellte unerledigte Aufgaben usw. Hier könne ich kreativ sein.

Auch solle man ruhig mit der Partnerin ein Gespräch führen, um ihr klarzumachen, dass sich in dieser Situation nur noch eine Trennung lohne. Zugleich müsse man dem Klienten beibringen, dass seine Partnerin ihn betrüge und sie sich nur nicht traue, ihm davon zu erzählen. Tatsächlich hielten sie und sein Umfeld ihn für einen Versager. Sicherlich, so Herr G. wörtlich, wäre es für mich logisch, dass ich es zum größten Teil mit Versagern zu tun hätte, die nur eines lernen müssten: zu dienen.

Dienen bedeutet hier, derart gebrochen und von seinem sozialen Umfeld isoliert zu sein, dass man zu jeder Tätigkeit bereit ist. Als Beispiel nannte Herr G. einen Dipl.-Ingenieur, der bei einem Ehepaar den Haushalt führt. Dabei scheint für das Institut die Isolierung der Person der zentrale Hebel zu sein, wie das Angebot Herrn G.s belegt: Wenn ich es schaffe, dass sich die Partnerin trenne, der Klient von seinen Freunden isoliert sei und somit für die Zwecke des Instituts zur Verfügung stünde, dann wäre es seinem Institut auch 350 €/Std. wert. Mit meinen Möglichkeiten dürfe das einfach sein und ich bekäme auch Unterstützung von den Psychologinnen.

Er versicherte weiter, dass das Institut mit dieser Vorgehensweise konkrete politische und wirtschaftliche Ziele verfolge. Die Auswahl der erwerbslosen Akademiker wie auch der Unternehmen, für die diese später arbeiten sollen, sei klar abgesteckt – er wisse genau, wohin der Einzelne letztlich gebracht und wofür er eingesetzt werden solle.

Allerdings wunderte sich Herr G. mittlerweile über meine Fragen und wollte merklich zum Schluss kommen. Ich bat um den Namen des Instituts, den er bisher nicht genannt hatte. Doch er verwies darauf, dass man dies erst bei Vertragsgesprächen besprechen könne. Denn mir müsse vorab klar sein, dass dieser Vertrag zur absoluten Verschwiegenheit verpflichte, unter Androhung hoher Konventionalstrafen. Er werde sich demnächst melden, um nachzufragen, ob ich mit ihm arbeiten wolle. Dieser Anruf blieb aus.

Fazit

Es ist überaus schockierend, dass eine „Personalvermittlung“ ganz offensichtlich systematisch darauf hinarbeitet, Menschen derart zu manipulieren. Man hört zwar gelegentlich, dass Klienten ähnlichen Praktiken begegnen. Doch sind Umfang und Organisation – vorausgesetzt die Angaben Herrn G.s stimmen – sowie Mittel und Zweck alarmierend und geben Anlass zur Warnung. Vor allem der große finanzielle Anreiz für im Grunde wenig Arbeit könnte als gutes Lockmittel dienen.

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