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Die Wunderfrage mit Masterplan dient der Entwicklung eines realistischen Umsetzungsplanes für ein Coaching-Anliegen, das dem Klienten zwar äußerst attraktiv, aber zunächst unerreichbar erscheint. Das Tool ist sehr effektiv, wenn sich der Klient in der Problemtrance bewegt. Mit lösungsorientierten Fragen wird nicht nur der Zielzustand visualisiert, sondern auch der Weg dorthin über Handlungsschritte konkretisiert. Hierfür wird eine Skala als Timeline utilisiert und in einen Handlungsplan überführt.
Das Tool ist sehr effektiv und zielführend im Coaching einsetzbar und kann auch in der Führungsarbeit, z.B. in Entwicklungsgesprächen, eingesetzt werden, sofern die Führungskraft über Coaching-Skills verfügt. Es unterstützt den Coach darin, gemeinsam mit dem Klienten schnelle und gleichzeitig fundierte sowie langfristige Lösungen zu erarbeiten. Am Ende der Coaching-Session hält der Klient z.B. eine To-do-Liste, einen Vorgehensplan, eine Checkliste etc. in Händen, mit deren Umsetzung er sofort beginnen kann.
Mögliche Anwendungsbeispiele im Coaching lauten:
Es bestehen Einsatzmöglichkeiten in der Führungsarbeit, wenn z.B. …
Wenn Klienten/Mitarbeitende sich vor anstehenden Veränderungen, Entwicklungsschritten, Zielen etc. in einer Problemtrance befinden, richten sie ihre ganze Energie auf die Hürden und kommen immer wieder auf „ihr Problem“ zu sprechen. Für Coach und Klient kann sich die Situation geradezu erdrückend, kompliziert oder gar hoffnungslos anfühlen. Der Coach kann den Klienten durch lösungsorientierte und ressourcenfokussierte Fragen in ein positives Erleben zurückführen.
Die hier vorgestellte Methode, die Wunderfrage mit Masterplan, zielt genau darauf ab, gemeinsam mit dem Klienten den gewünschten Zielzustand zu visualisieren und die notwendigen Handlungsschritte zu planen. Sie schafft damit einen lösungsorientierten Rahmen, in dem sich der Klient vorstellen kann, was er erreichen möchte und was genau er dafür machen sollte.
Auf den Punkt gebracht erzeugt die Wunderfrage mit Masterplan folgende Effekte:
Die hier vorgestellte Intervention Wunderfrage mit Masterplan ist eine Abwandlung und Erweiterung der Wunderfrage von Steve de Shazer (2018), die in vielerlei Hinsicht das Herzstück lösungsfokussierten Vorgehens ist. Sie kommt zum Einsatz, wenn sich der Klient in der Problemtrance befindet und immer wieder über „sein Problem“ spricht. De Shazer beschreibt diese Fixierung als „Problemsprache“, die diverse Gründe enthält, wie und warum etwas nicht gehe, erreicht oder verändert werden könne. Dann ist der Coach gefragt, die „Lösungssprache“ einzuführen. Sie zielt auf das Erkennen und Aussprechen all der großen und kleinen Dinge, die gut gelaufen sind, als Erfolg wahrgenommen werden können bzw. zu Erfolgen beigetragen haben. Das nimmt die Schwere aus der Beratung und zielt auf die schrittweise Rückgewinnung des Kompetenzerlebens ab (Freimuth & Stein, 2017).
Wenn der Klient sein Problem als unlösbar erlebt, keine Ausnahmen benennen kann und sich ausgeliefert fühlt – dann hilft wohl allenfalls ein „Wunder“. Und genau danach erkundigt sich der Coach im Tool Wunderfrage mit Masterplan. Das Wunder wird durch eine Tranceinduktion (Inhalt und Sprachmodulation) zu Beginn der Session visualisiert und versetzt den Klienten über einen Als-ob-Rahmen emotional dort hinein, also in einen zukünftigen Zielzustand. Einfach ausgedrückt, soll sich der Klient vorstellen, er sei morgens erwacht, das Wunder wahr geworden und sein Problem verschwunden bzw. sein Ziel schon erreicht. Der Klient wird so in einen entspannten Zustand versetzt, aus dem heraus es leichter ist, neue Möglichkeiten zu erkennen und Lösungen für seine Probleme zu finden. Es ist darauf zu achten, dass sich der Klient wohlfühlt und der Coach eine eher permissive Sprache verwendet, die Angebote formuliert, anstatt direktive Aussagen zu treffen (Koch, 2018).
Der Coach führt dann eine Skala (siehe Abb.) ein, in der die 10 das Wunder (den Zielzustand) repräsentiert. Auf der Skala trägt der Klient seine Selbsteinschätzung als Startpunkt ein. Wie in der ursprünglichen Variante von de Shazer wird dann zunächst erarbeitet, woran er selbst oder andere die Veränderung bemerken würden, was anders wäre, wie sich das anfühlte etc. Wiederholt wird die Aufmerksamkeit des Klienten auf die Wahrnehmung der eigenen Ressourcen zur Problembewältigung gelenkt (Schaller & Schemmel, 2013).
Abb.: Skala zur Ableitung eines Handlungs- und Zeitplans, Visualisierung von Ressourcen
Ein stärkerer Fokus wird bei der Wunderfrage mit Masterplan jedoch auf die konkrete Umsetzungsplanung gelegt. Anhand der Frage, was der Klient im Einzelnen gemacht hat, um sein Wunder zu verwirklichen, werden die einzelnen Schritte mit Post-its oder Kärtchen entlang der Skala geplant. Das Tool ist somit durch die konkrete Umsetzungsplanung in starkem Maße praxisbezogen sowie handlungsorientiert und ermöglicht den Transfer des Coachings in die berufliche oder private Lebenswelt des Klienten. Durch das Festhalten der einzelnen Etappen bis zum Wunder wird dieses entmystifiziert und greifbar. Es wird vom Klienten fortan als erreichbar wahrgenommen.
Im Folgenden werden die einzelnen Anwendungsschritte mit Vorschlägen für Formulierungen und lösungsorientierte Fragen des Coachs vorgestellt. Am Anfang steht die Anliegenschilderung des Klienten, in der eine starke Problemorientierung deutlich wird. Es folgen acht Schritte.
Der Coach greift das Problem auf und lässt den Klienten schildern, worin es genau besteht. Über Backtracking und Nachfragen stellt der Coach sicher, dass er das Problem bestmöglich versteht. Der Coach stellt viele Verständnisfragen und lässt sich vom Klienten versichern, dass er nun alles erfahren hat, was für das Verständnis wichtig ist, und somit das Problem nicht weiter detailliert besprochen werden muss.
Der Coach würdigt das Problem mitfühlend und leitet damit zur Wunderfrage über: „Das hört sich wirklich schwierig an, da hilft ja vielleicht nur noch ein Wunder.“
Der Coach weckt die Aufmerksamkeit des Klienten und lenkt sie auf das Ungewöhnliche, indem er sagt: „Ich hätte da eine Frage, die Ihnen vielleicht ein wenig ungewöhnlich erscheint, und die ich Ihnen gerne stellen würde. Glauben Sie denn an Wunder?“
Unabhängig davon, ob der Klient bejaht oder verneint, leitet der Coach über und spricht mit etwas sanfterer, leiserer Stimme und mit kleinen Pausen nach jedem Satz: „Ich möchte Sie gerne zu einer kleinen Phantasiereise / einem Gedankenexperiment (Formulierung je nach Klient) einladen: Stellen Sie sich mal vor, Sie gehen nach unserem Coaching nach Hause, erledigen, was zu erledigen ist, machen, was Ihnen Freude bereitet, entspannen noch ein bisschen, putzen sich die Zähne und legen sich ins Bett. Und dann kommt nachts eine gute Fee zu Ihnen und lässt ein Wunder geschehen. Alle Ihre Probleme sind gelöst. / Sie haben Ihr Ziel erreicht. / Ihre Blockaden sind überwunden. (Anliegen des Klienten einsetzen) Morgens, wenn Sie aufwachen, erinnern Sie sich nicht, dass die Fee da war. Sie starten einfach in Ihren Tag. Ja, Wunder geschehen einfach. Wir wollen hier deshalb nicht erforschen, warum es passierte, sondern wir interessieren uns nur für das Wunder selbst und wie es sich im Alltag zeigt.“
Der Coach stellt offene, systemische Fragen, um das Erleben des Klienten im Zielzustand zu verstärken:
Der Coach schlägt sanft eine Brücke zurück ins Hier und Jetzt, indem er eine Skala aufmalt (idealerweise auf ein Flipchart) und diese erklärt: „Ich male Ihnen hier eine Skala auf. Ihr Wunder liegt bei 10.“
Immer noch im Storytelling der Trance verbleibend, jedoch mit Verortung in der Jetzt-Zeit, lädt der Coach den Klienten ein, aufzustehen, um sich auf der Skala zu verorten. Indem der Klient wortwörtlich in Bewegung kommt, wird seine Aktivität angeregt und er kann das blockierende Gefühl der Problemtrance leichter überwinden. Der Coach fragt den Klienten: „Wo befanden Sie sich denn, bevor Ihr Wunder geschah?“ Der Klient malt sich selbst in die Skala, macht ein Kreuz oder trägt eine Zahl ein – das sei ihm überlassen.
Coach: „Jetzt möchte ich gerne mit Ihnen gemeinsam eruieren, wie Sie es vollbracht haben, auf eine 10 zu kommen und Ihr Wunder wahr werden zu lassen. Lassen Sie uns doch dafür die einzelnen Stationen auf Ihrem Weg zum Wunder betrachten.“ Es folgen Fragen wie:
Der Klient hängt für jeden Zwischenschritt, jede Etappe, jeden Erfolg etc. ein Post-it an die Skala. Hier ist es sehr hilfreich, wenn der Coach immer wieder Zusammenfassungen macht (ohne wertende Kommentare), bezogen auf einzelne Schritte konkret nachfragt und den Klienten erzählen lässt. Das Sprechen über die Entwicklung macht den Prozess realistischer, regt den Klienten an, weitere Schritte zu durchdenken, Verknüpfungen herzustellen und Assoziationen zuzulassen, die der Handlungsplanung zugutekommen.
Angesichts der (voraussichtlichen) Menge an Einzelschritten, die für die Zielerreichung notwendig sind, sollte der Coach den Klienten nochmals einladen, sich seiner Selbstwirksamkeit, seiner Umsetzungsenergie und seines Ideenreichtums bewusst zu werden. Der Coach aktiviert erneuert den phantastischen Rahmen: „Bleiben wir noch ein bisschen im Bild des Wunders, das sich hier erfüllt hat.“
Ressourcenaktivierende Fragen (Selbstwirksamkeit):
Ressourcenaktivierende Fragen (externe Ressourcen)
Daraus können auch noch weitere Handlungsschritte abgeleitet werden, die ebenfalls auf der Skala verortet werden.
Coach: „Ich möchte mich bei Ihnen für Ihre Offenheit für dieses Gedankenexperiment bedanken. Sie haben sich darauf eingelassen, ein Wunder zu visualisieren und darüber einen ganz konkreten Masterplan erarbeitet, in dem Sie bereits klare Handlungsschritte etc. definiert haben.“
Fragen zur Transferplanung:
Hier entstehen typischerweise Anknüpfungspunkte für weitere Coaching-Sessions.
Der Anwender sollte eine Coaching-Ausbildung bzw. als Führungskraft Kommunikationstrainings inklusive Coaching-Skills absolviert haben. Er sollte somit über systemische Grundkenntnisse sowie Kenntnisse der systemisch-lösungsorientierten Gesprächsführung verfügen.
Es ist zu beobachten, dass viele Klienten nach der Arbeit mit der Wunderfrage erleichtert sind, weil ihr Ziel greifbarer geworden ist. Ein attraktives, reales Ziel, das mit ganz konkreten Handlungsschritten erreicht werden kann. Dennoch ist es immer wieder herausfordernd, einem Klienten aus der Problemtrance zu helfen. Nötigenfalls ist die hier vorgestellte Intervention mit weiteren systemischen Fragetechniken wie Ausnahmefragen, zirkulären und hypothetischen Fragen zu ergänzen, um ein Zurückfallen in die Problemfokussierung zu vermeiden. Sollte sich dennoch immer wieder ein Ohnmachtsgefühl einschleichen, sollte die Intervention zunächst durch eine starke Fokussierung auf Ressourcen des Klienten abgesichert werden. Sollte der Klient am Ende der Session seine Selbstwirksamkeit anzweifeln, so kann in einer Folgesession z.B. über die Intervention „Inneres Team“ (Schulz von Thun, 2013) oder eine andere Teilearbeit an limitierenden Glaubenssätzen gearbeitet werden.
Für die Session sollten eine bis zwei Stunden eingeplant werden, je nach zu erwartender Problemfokussierung des Klienten, die sich schon in Vorgesprächen gezeigt hat. Benötigt werden Stifte, Papier, Metaplankarten oder Post-its. Die Erfahrung zeigt, dass die Visualisierung am Flipchart mit Post-its besonders hilfreich ist, weil der Klient dann die einzelnen Handlungsschritte flexibel verändern und Abhängigkeiten darstellen kann. Durch die stehende Arbeit wird der Klient mobilisiert und bleibt somit auch geistig in Bewegung. Es sollte auf jeden Fall eine Fotodokumentation des Charts gemacht werden, um damit in Folgesessions weiterarbeiten zu können.