Coaching-Tools

Work-out

Ein Coaching-Tool von Susanne Keck

12 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 2 | 2010 am 20.04.2010

Kurzbeschreibung

Work-out kombiniert „The Work of Byron Katie“ und Elemente des Solution Focused Brief Coaching (SFBC) von Insoo Kim Berg und Peter Szabó zu einem effizienten Kurz-Coaching.

Anwendungsbereiche

Work-out ist dann sinnvoll, wenn der Klient sich in einem Konflikt, einer Krise oder einer schwierigen Entscheidungssituation zu sehr in eine mögliche Sichtweise seiner selbst, einer Person oder einer Situation verrannt hat.

Zielsetzung/Effekte

Work-out bringt einseitige Denkmuster in Bewegung und aktiviert Lösungsressourcen. Der Gewinn daraus ist eine deutliche Stress-Reduktion, viele Klienten berichten von einem Gefühl von innerer Freiheit und Ausgeglichenheit. In diesem Zustand haben wir Menschen optimalen Zugang zu kreativen Lösungs- und Handlungsoptionen.

Ausführliche Beschreibung

„Es sind nicht die Dinge, die uns beunruhigen, sondern unsere Sicht auf die Dinge.“ Diese Weisheit nach Lucius Annaeus Seneca (4 v. – 65 n. Chr.) ist spätestens seit der kognitiven Wende der Psychologie in den 1950er-Jahren zu einer allgemein anerkannten Tatsache geworden. Work-out nutzt „The Work of Byron Katie“, um die Sicht der Dinge, in der der Klient feststeckt, in Bewegung zu bringen. The Work wurde von der US-Amerikanerin Byron Katie Mitchell entwickelt und besteht aus vier Fragen und Umkehrungen. Um konkrete und auf den Klienten zugeschnittene Lösungsschritte zu entwickeln, wird mittels Methoden aus dem Solution Focused Brief Coaching (SFBC) eine Zukunftsvision geschaffen und kleine, realisierbare Schritte entwickelt, mit denen der Klient sofort erste Erfolge erzielen kann. SFBC wurde von Peter Szabó und Insoo Kim Berg entwickelt – auf der Basis der zuvor von Insoo Kim Berg und Steve de Shazer konzipierten Solution Focused Brief Therapy (SFBT).

Step 1: Die Stellen finden, an denen es am meisten zwickt

Kaum ein Work-out geht ganz ohne ein Zwicken ab, besonders wenn man vorher ziemlich eingefahren war. Der erste Schritt besteht darin, die Stellen zu finden, an denen es am meisten zwickt, nämlich die negativen und Stress verursachenden Überzeugungen des Klienten über sich, andere Personen oder Situationen. Es ist Aufgabe des Coachs im freien Gespräch über das Anliegen des Klienten auf Schlüsselsätze zu achten. Es gilt: Je höher die emotionale Beteiligung, desto wichtiger ist die Überzeugung. Je ungeschminkter die Gedanken ausgesprochen werden, desto größer ist der Effekt der Methode. Hier ist natürlich rückhaltloses Vertrauen zwischen Coach und Klient unerlässlich. Be- und Ver-Urteilen ist eine zutiefst menschliche Eigenart, auch wenn wir selten offen darüber reden, was wir über andere oder uns selber denken. Hier wird es genutzt! Der Coach notiert sich die hervor stechenden Aussagen und lässt am Ende des freien Gesprächs den Klienten die für ihn bedeutsamsten Aussagen auswählen.

Ein Beispiel: Der Klient, der im Februar 2010 zum Kurz-Coaching kommt, ist Initiator und Geldgeber eines Entwicklungsprojekts im Bereich klimafreundlichen Transports. Im Rahmen der Beantragung von EU-Geldern für die Entwicklung einer marktfähigen Version des Produkts kommt es zum Konflikt zwischen dem Klienten, der im Dreier-Kernteam für Produktentwicklung und Design zuständig ist und dem Projektmitglied N., das für den betriebswirtschaftlichen Teil Verantwortung trägt. Aus Sicht des Klienten erfüllt N. seinen Teil im Beantragungsprozess nicht und reagiert gereizt, wenn man ihn darauf anspricht. Die Deadline zur Abgabe der umfangreichen Papiere ist in drei Wochen und die Lage spannt sich zunehmend an. Die Kommunikation wird dadurch erschwert, dass alle Projektmitglieder in verschiedenen europäischen Ländern leben. Der Klient wünscht sich eine schnelle Idee, wie man die negative Entwicklung stoppen und die Deadline einhalten kann.

Die Stress verursachenden Überzeugungen, die der Klient aus der vom Coach während des Gesprächs gesammelten Liste wählt, sind „N. soll endlich seine Hausaufgaben machen“ und „Er soll nicht im Chef-Ton mit mir reden“. Diese werden nacheinander mit folgender Methode hinterfragt.

Step 2: Be-Worken der negativen Überzeugungen (nach „The Work of Byron Katie“)

Nun wird jede vom Klienten ausgewählte Aussage nacheinander mit den jeweils gleichen vier Fragen konfrontiert und dann Umkehrungen der Aussagen gebildet. Hier wird das Beispiel „Er soll nicht im Chef-Ton mit mir reden“ näher beschrieben.

1. Frage: Ist das wahr?

Der Klient wird gebeten, sich ohne Erklärungen und Rechtfertigungen (z. B. „Nein, aber …“) auf ein Ja oder Nein festzulegen. Es gibt keine a priori richtige oder falsche Antwort.

Unser Klient beantwortet die Frage klar mit Ja.

2. Frage: Können Sie ganz sicher wissen, dass das wahr ist?

Diese Frage vertieft die erste Frage insofern, als der Klient im Innersten genau untersuchen soll, ob es wirklich und hundertprozentig für alle Beteiligten und zu allen Zeiten so ist, wie in der ursprünglichen Aussage behauptet wird. Oder im Falle eines Wunsches (wie im Beispiel-Satz: N. sollte …) die Situation im Falle der Wunscherfüllung wirklich und hundertprozentig für alle Beteiligten besser wäre.

Unser Klient antwortet auch hier mit Ja.

3. Frage: Was passiert, wenn Sie den Gedanken denken?

Hier soll deutlich werden, was der Gedanke im Fühlen, Denken und Handeln beim Klienten bewirkt und wie dies seine Beziehung zu sich selber und zu anderen beeinflusst. Der Klient soll sich in eine Situation einfühlen, in der er den Gedanken hatte. Unterstützende Fragen können lauten: Wie genau behandeln sie X und sich selber (z. B. Selbstvorwürfe)? Wie fühlen Sie sich? Bringt der Gedanke Stress oder Entspannung? Was für Selbstgespräche und „Filme“ laufen in Ihrem Kopf ab?

Unser Klient erzählt, dass er wütend reagiert. Er fühlt sich angegriffen und redet mit N. in aggressivem Ton. Er will es sich nicht bieten lassen, von N. Befehle entgegen zu nehmen und sich behandeln zu lassen wie einen Angestellten. Er merkt, dass er ungehalten wird, wenn N. versucht, eine Führungsrolle zu übernehmen und sieht vor seinem geistigen Auge das Projekt scheitern.

4. Frage: Wie wäre es ohne den Gedanken?

Diese Frage stellt ein Experiment dar: Der Klient wird gebeten, sich die gleiche (Lebens-) Situation vorzustellen, mit dem einzigen Unterschied, dass er nicht diesen Gedanken hat. Wie sieht er die Situationen dann, und wie geht es ihm damit? Der Coach kann dem Klienten erklären, dass es nicht darum geht, den Gedanken in Zukunft fallen zu lassen, sondern ihn nur vorübergehend „wegzulegen“.

Nach einigem Nachdenken sagt der Klient, ohne den Gedanken wäre er nicht wütend und er könnte N. besser zuhören und klarer sehen, was als Nächstes passieren muss, nämlich Klarheit und Struktur in das Projekt zu bringen. Der Klient erklärt, dass es bald nötig ist, die bisher lockere Struktur, die das Projekt während der Planungsphase hatte, zu festigen. Dies bedeutet unter anderem, das Personal und die Positionen endgültig festzulegen. Ohne den Gedanken könnte der Klient damit anfangen, die Diskussion darüber zu eröffnen, auch mit dem Risiko einer Veränderung der Beziehung zu seinem Projektmitglied.

Die Umkehrungen

Nach den vier Fragen wird die ursprüngliche Aussage auf verschiedene Weisen umgekehrt. Der Klient wird gebeten, mindestens ein konkretes Beispiel zu nennen, wie jede Umkehrung sich als wahr erwiesen hat.

Der Klient findet folgende Umkehrungen und Beispiele:

  • Eine Umkehrung ins genaue Gegenteil: Er soll im Chef-Ton mit mir reden. Der Klient kann damit zunächst nichts anfangen. Der Coach fragt, ob er Input geben dürfe, und der Klient stimmt zu: Es wäre möglich, dass N. versucht, die offensichtlich fehlende Führungsrolle zu übernehmen, sich damit überfordert fühlt und dann in den vom Klienten beschriebenen negativen Chef-Ton gerät. Der Klient wird sehr nachdenklich und meint, das könne stimmen.
  • Eine Umkehrung zum Klienten selbst: Ich soll nicht im Chef-Ton mit ihm sprechen. Dies leuchtet dem Klienten sofort ein. Der einzige Unterschied zwischen dem Klienten und N. besteht darin, dass der Klient sein Verhalten im Gegensatz zu N.s Verhalten selber in der Hand hat und es ändern kann. Zu erwarten, dass N. mit dem Chef-Ton aufhört, ist hoffnungslos – besonders wenn er es ihm im Chef-Ton sagt!
  • Eine weitere Variante der Umkehrung zum Klienten: Ich soll im Chef-Ton mit ihm reden. Diese Umkehrung ist insofern bedeutsam, als der Klient sich aus biografischen Gründen bisher weigerte, die offensichtlich notwendige Führungsarbeit, zu der er aufgrund seiner Persönlichkeit und seiner Rolle als Geldgeber prädestiniert ist, zu leisten. Er sei Nachkomme einer Industriellen-Familie und wollte in einer konfliktären Abkehr von seinem Vater niemals selber Chef sein. Deshalb sei es ihm so wichtig, mit Menschen zu arbeiten, die in der Gemeinschaft Verantwortung tragen, denn das bewahre ihn davor, klar in die Führungsverantwortung gehen zu müssen. Nun werde ihm deutlich, dass er aufgrund der Verzögerung durch N. in diesem Projekt seine eigene Führungsrolle für sich definieren müsse.

Zusammen mit dem Work-out der anderen Aussagen erkennt unser Klient, dass er es ist, der seine Hausaufgaben machen muss, wenn er nicht will, dass das Projekt scheitert. Er muss die Führung übernehmen und seine inneren Widerstände gegen die Chef-Position aufgeben. Dies bedeutet auch, zu klären, ob N. noch im Boot ist, oder eventuell N.s Position zu ersetzen. Hier kann man gut sehen, dass es die Aufgabe vieler Stress verursachender Überzeugungen ist, von der tatsächlichen Herausforderung der Situation abzulenken. Es ist für den Klienten vermeintlich einfacher zu denken, dass N. seine Hausaufgaben machen soll, als wahrzunehmen, welche Konsequenzen es für ihn selber hat, wenn er es nicht tut.

Step 3: Zieleinlauf (mit SFBC)

Jede Umkehrung in Step 2 birgt eine (Selbst-) Erkenntnis oder eine Lösung in sich, die ihre volle Wirkung erst entfalten kann, wenn man sie in die Tat umsetzt. Um dies für den Klienten sofort möglich zu machen, entwickelt der Klient aus denjenigen Umkehrungen, die für ihn den größten Aha-Effekt hatten, Zukunftsvisionen und erste Schritte zu ihrer Verwirklichung. Hierbei kann man viele Spielarten lösungsorientierten Arbeitens anwenden, im Folgenden soll eine Variante vorgestellt werden.

Der Klient nennt als Umkehrungen, die ihn am meisten bewegt haben: „Ich soll im Chef-Ton mit ihm reden“ und „Ich soll endlich meine Hausaufgaben machen“.

Vision vom Zieleinlauf

Frage an den Klienten: „Stellen Sie sich vor, Sie hätten diese Umkehrungen und die (Selbst-) Erkenntnisse, die für Sie darin liegen, in Ihr Leben integriert. Wie sähe dann in X Wochen oder Monaten Ihr Leben, Ihre Arbeit, Ihre Beziehung zu N. aus? Woran würden andere Beteiligte das merken?“

Der Klient beschreibt, wie sich die Situation innerhalb zweier Monate entspannt hätte und das Projekt in sicherem Rahmen auf einem guten Weg sei. Alle Projektmitarbeiter wissen mehr über die Aufgaben der anderen und können deshalb besser kommunizieren. Er selber weiß viel mehr über den Aufgabenbereich von N. und könnte seine Aufgaben übernehmen, falls N. nicht mehr im Projektteam sein sollte. Er würde beginnen, seine Führungsrolle auf eine Art auszuüben, mit der er selber glücklich ist und die sich von der, die sein Vater bekleidete, unterscheidet. Durch die klare Rollenverteilung würden alle eine deutliche Entspannung in der Kommunikation und Zusammenarbeit bemerken.

Skalierung

„Auf einer Skala von 1 bis 10, wobei 10 bedeutet, es ist so wie in ihrer Vision, und 1 den schlimmsten Zustand vor dem Coaching bedeutet – wo sind Sie jetzt?“

Unser Klient gibt an, er wäre jetzt bei Stufe 7 angelangt. Dies läge daran, dass er nun wisse, was er tun könne und optimistisch sei, dass er die vor ihm liegenden Aufgaben bewältigen könne.

Der erste Schritt

Frage an den Klienten: „Stellen Sie sich vor, Sie wären einen Schritt weiter auf der Skala, was wäre dann anders?“

Unser Klient sagt, er hätte sich jemanden gesucht, der ihm die betriebswirtschaftlichen und administrativen Aspekte des Projekts beibringen könne. So könne er besser mitreden, aber gegebenenfalls auch für N. einspringen. Zudem wäre er ruhig und in einem positiven Chef-Ton auf N. zugegangen und habe herausgefunden, ob N. sich immer noch mit dem Projekt und seiner Rolle wohlfühle. Je nachdem ob N. im Projekt bleiben wolle, könnten sie dann die Deadline einhalten oder nicht. Falls nicht, wolle er die Zeit bis zum nächstmöglichen Abgabetermin im Herbst nutzen, um „seine Hausaufgaben“ zu machen.

Frage an den Klienten: „Und was können Sie gleich als Allererstes heute noch tun, um diesen ersten Schritt auf der Skala zu gehen?“ Unser Klient wollte sofort Kontakt zu N. aufnehmen.

Der Klient berichtete am Tag nach dem Work-out, dass er N. eine Mail geschickt habe, auf die dieser sehr positiv reagiert und einem Treffen zugestimmt habe.

Voraussetzungen/Kenntnisse

Die beste Voraussetzung, um Klienten beim Work-out zu begleiten, ist, Work-out auf sich selbst anzuwenden. Je mehr Erfahrung man selbst hat, desto leichter kann man schwierige Situationen gemeinsam mit dem Klienten meistern und ihn mit authentischen Beispielen und Vorschlägen unterstützen.

Persönlicher Hinweis/Kommentar/Erfahrungen

Der Work-out funktioniert am besten, je offener das Ergebnis sein darf. Weder Coach noch Klient sollten auf einen bestimmten Ausgang festgenagelt sein. Das könnte für den Klienten zum Beispiel sein, einen bestimmten Job zu bekommen oder für den Coach, den Klienten in einen bestimmten Job zu coachen.

Technische Hinweise

Ein Work-out kann – je nach Kondition von Klient und Coach – zwischen einer und drei Stunden dauern. Eine längere Zeitspanne ist nicht empfehlenswert.

Literatur

  • Mitchell, B. K. (2002). Lieben was ist: Wie vier Fragen Ihr Leben verändern können. München: Goldmann.
  • Szabó, P. & Berg, I. K. (2006). Kurz(zeit)coaching mit Langzeitwirkung. Dortmund: Borgmann.
  • http://www.thework.com

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