Beruf Coach

Harte oder weiche Evaluation

Pro- und Kontra-Argumente

6 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 2 | 2008 am 20.05.2008

Pro

Evaluation von Coaching als Handlungsforschung

von Prof. Dr. Harald Geißler

Coaching-Evaluation meint die wissenschaftlich begründete (1) Erfassung, (2) Analyse und (3) Bewertung von Coaching. Als Untersuchungsfelder bieten sich (a) der Coach mit seinen spezifischen Eigenschaften und Fähigkeiten, (b) der Coaching-Prozess, d.h. die Interaktion des Coachs mit dem Klienten in einem bestimmten Kontext und (c) die kurz-, mittel- und längerfristigen Wirkungen des Coachings auf benachbarte Praxisfelder, also z.B. auf das Verhalten des Klienten an seinem Arbeitsplatz und/oder auf die Effekte, die dieses dort auslöst.

Die Qualität von Evaluation muss sich an wissenschaftlichen Kriterien orientieren. Hier stehen sich zwei konkurrierende Richtungen (Paradigmen) wie „David und Goliath“ gegenüber:

Der die Forschungsszene beherrschende „Goliath“ ist die empirisch-analytische Forschung, die sich am Modell der Natur- und Ingenieurwissenschaften orientiert. Ich halte sie für die Evaluation von Coaching für nicht geeignet.

  • Denn erstens beinhaltet Coaching immer Sinn- und Wertaspekte, die nicht so wie beispielsweise die Daten eines Autos erfasst, analysiert und bewertet werden können.
  • Und zweitens kann der Anspruch der empirisch-analytischen Forschung, mit der Durchführung einer Untersuchung das Verhalten des Untersuchten nicht zu beeinflussen, d.h. zu verfälschen, praktisch nicht umgesetzt werden.

Diese Probleme lassen sich auch nicht durch die Bezugnahme auf „harte“ Fakten, wie z.B. Produktions- oder Vertriebskennzahlen vor und nach einem Coaching lösen. Denn bisher ist es nicht gelungen, über statistische Zusammenhänge hinausgehend auch detailliert ausgewiesene Ursächlichkeiten zwischen diesen Zahlen und bestimmten Fakten des Coaching-Prozesses empirisch-analytisch „sauber“ zu ermitteln.

Die Alternative zu diesem Paradigma ist der „David“ der sogenannten qualitativen Forschung. Ihr Anspruch ist, Sinn- und Bedeutungszusammenhänge zu rekonstruieren; und zwar mit Verfahren, bei denen die Untersuchten nicht als Untersuchungsobjekte, sondern als Partner wahrgenommen werden. Eine spezielle Richtung qualitativer Forschung, die ich für die Evaluation von Coaching für besonders geeignet halte, ist die Handlungsforschung. Sie wurde in den 40-er Jahren des 20. Jahrhunderts von Kurt Lewin begründet und verbindet zwei Ziele, nämlich die Untersuchungspraxis im engen Dialog mit den Untersuchten zu erforschen und diesen Dialog so zu gestalten, dass er bei den Untersuchten intensiv positive Lernprozesse anregt. Die Durchführung von Evaluation wird damit zu einer pädagogischen Gestaltungsaufgabe.

Vor diesem Hintergrund ist meine Initiative zu sehen, Coachs anhand eines ausgewählten, dokumentierten Coaching-Prozesses und seiner (selbst-) kritischen Reflexion zu evaluieren, und auf dieser Grundlage Gutachten, zu erstellen, die in Absprache mit dem Evaluierten auf meiner Homepage coaching-gutachten.de veröffentlicht werden, um so zur Verbesserung der Markttransparenz beizutragen. Im Sinne von Handlungsforschung betrachte ich dabei den Coaching-Markt als ein zu entwickelndes, lernfähiges System und die untersuchten Coachs als Forschungs- und Lernpartner, deren Evaluation ich mit Supervision verbinde. Um meine dabei zugrunde gelegten Kriterien transparent und diskutierbar zu machen, habe ich das Internetprogramm „Virtuelle Coaching Supervision“ entwickelt. Es besteht aus 40 Supervisionsfragen, die in sechs Themenblöcke gegliedert meinen Evaluationsgesprächen als Leitfaden dienen.

Kontra

Vom Evaluations-Dilemma – oder des Kaisers neuen Kleidern

von Prof. Dr. Stefan Kühl

Wenn danach gefragt wird, welche Funktionen die Evaluation von Coaching erfüllt, erhält man in der Regel mehr oder minder geordnete Aufzählungen wie diese. Evaluationen sollen

  • eine Kontrolle, Steuerung und Unterstützung von Coachings ermöglichen;
  • den Nachweis erbringen, dass die durch die Beratung angestrebten Ziele auch wirklich erreicht wurden;
  • eine permanente Verbesserung der betriebsinternen Prozesse ermöglichen und Rationalisierungsmöglichkeiten aufzeigen;
  • es ermöglichen, die Wirkung zukünftiger Projekte genauer einzuschätzen.

Als eine erste zentrale Funktion der Evaluation wird immer wieder das Lernen von Organisationen und ihrer Mitglieder angegeben. Durch Evaluationen könnte – so die Vorstellung – auch die Beratung von Organisationen verbessert werden. Erst durch die Evaluation laufender oder abgeschlossener Beratungsmaßnahmen sei es möglich, schrittweise das optimale Setting für ein Vorhaben, die richtige Methode oder das geeignete Personal zur Durchführung zu finden. Lernen durch Evaluation ist gut kommunizierbar. Man kann mit dem Verweis auf die Funktion des Lernens Mittel für Evaluationen beantragen und in Sitzungen an die Notwendigkeit dieser Funktion appellieren, ohne schräg angeschaut zu werden.

Die zweite Funktion von Evaluationen ist es, Legitimation für den Prozess herzustellen. Bei Legitimation geht es darum, mit zusätzlichem Aufwand Zustimmung für eine Maßnahme zu produzieren. Mit der wachsenden Kritik an der Beratung wird die Legitimationsfunktion der Evaluierung immer wichtiger. Die Bestrebungen, den ökonomischen Nutzen für Coachings zu berechnen, gewannen in dem Moment an Gewicht, als die erste Kritik an ihrer Wirksamkeit öffentlich wurde. Im Gegensatz zur Funktion für das Lernen ist diese Funktion schwer offen zu kommunizieren. Es ist schwierig, ein Budget dafür zu fordern, Unzulänglichkeiten aufzuzeigen an Maßnahmen, die man selbst zuvor befürwortet hat.

Die Problematik bei der Evaluierung von Beratungsleistungen besteht darin, dass sich die beiden Funktionen der Evaluation – Lernen und Legitimation – nicht gleichzeitig optimieren lassen. Die Versuche, Maßnahmen durch eine Evaluation zu legitimieren, führen, so könnte man zugespitzt ausdrücken, zu einer Behinderung der Lernprozesse in der Organisation. Oder umgekehrt formuliert: Die Versuche, über Evaluationen Lernprozesse zu initiieren, tragen häufig nicht zur Legitimation der Maßnahme bei.

Man kann das Problem der Evaluation aber auch umgekehrt denken: Der Versuch, aus einem Coaching wirklich zu lernen, bringt für Personalentwickler oder Berater immer das Risiko mit sich, dass die Maßnahme damit an Legitimation verliert. Das offene Ansprechen von Fehlern mag zwar in der konkreten Situation Respekt beim Gegenüber produzieren, aber spätestens, wenn sich das Wissen über diesen Fehler unkontrolliert in der Organisation verbreitet, gibt es ein Rechtfertigungsproblem.

So werden wir also weiter an dieser Berater-Lebenslüge festhalten: Je weniger wir tatsächlich Evaluationen durchführen, je schwieriger sie sich gestalten, desto mehr werden wir sie beschwören und desto härtere Anforderungen werden wir – verbal – an sie stellen. Und umgekehrt. Und wenn er kommt? Dann laufen wir! – Oder klatschen Beifall.

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