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Beruf Coach

Haltung & Persönlichkeit im Coaching

Persönlichkeitsbildung

Es gibt in der Coaching-Szene eine große Nachfrage nach Tools. Doch es geht bei Coaching um weit mehr. Das übergeordnete Ziel von Coaching ist die Bildung der ganzen Persönlichkeit. Keine einzelne Methode kann die umfassende und kontinuierliche Arbeit an der eigenen Persönlichkeit ersetzen. Auf der Basis der gereiften Persönlichkeit erst kann sich Führung nachhaltig entfalten.

10 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 2 | 2010 am 20.04.2010

Bildung

Den Begriff Persönlichkeitsbildung beziehen wir sowohl auf den Prozess der individuellen Menschwerdung („sich bilden“) als auch auf den Zustand des Menschseins („gebildet sein“). Dieses „Sich-Bilden“ wird nicht betrieben, um ein materielles Ziel zu erreichen, sondern um der eigenen Vervollkommnung (Menschwerdung) willen. Das Menschsein beinhaltet die Herausforderung zur Menschwerdung. Dies ist die primäre Bildungsaufgabe im haltungszentrierten Coaching.

Bildung ist etwas, das Menschen mit sich und für sich machen: Man bildet sich. Ausbilden können uns andere, bilden kann sich jeder und jede nur selbst. Eine Ausbildung durchlaufen wir mit dem Ziel, etwas zu können. Wenn wir uns dagegen bilden, arbeiten wir daran, etwas zu werden – wir streben danach, auf eine bestimmte Art und Weise in der Welt zu sein. Und weil wir dazu Unterstützung benötigen, ist Coaching ein hilfreiches Mittel – gerade in der gegenwärtigen Zeit.

Viele Unternehmen versuchen, die Bewältigung gegenwärtiger Probleme immer noch durch rational-kognitive Kompetenz und durch Vermehrung der Wissensinhalte zu erreichen. Sie versuchen durch Funktionsoptimierung eine Leistungssteigerung zu erreichen. Demgegenüber vertreten wir die These, dass es nicht nur um Wissen und kognitive Kompetenz (IQ) geht, mit dem wir die anstehenden Probleme zu lösen vermögen, sondern auch um emotionale Kompetenz (EQ) und die Entwicklung einer Sinn- und Werteorientierung (SQ), mit deren Hilfe wir unser Handeln und unser Leben in einen größeren reichhaltigeren Sinnzusammenhang stellen. Denn inhaltliches Wissen ist mittlerweile überall verfügbar und sehr vergänglich. Situative Kompetenzentwicklung auf der Grundlage elementarer Grundbefähigungen macht die Haltung und die Werte eines Menschen aus.

Denn Erfolg im Leben ist nicht nur Resultat harter Arbeit, exakter Planung oder der ehrgeizigen Realisierung materieller Ziele. Zum Erfolg gehören auch Gesundheit, Lebensfreude, Zufriedenheit und Glück als innere Charakteristika einer reifen Persönlichkeit.

Persönlichkeitsbildung geht nicht von einem Stufenmodell der Persönlichkeitsentwicklung aus, an deren Ende als „Krönung“ die „entwickelte Persönlichkeit“ steht. Vielmehr regt sie einen kontinuierlichen Bildungsprozess an. Im Geschehen sind alle Beteiligten gleichermaßen involviert – der Coach ebenso wie der Klient, die Führungsverantwortlichen ebenso wie die Mitarbeitenden.

Wir unterscheiden vier Kompetenzen, die uns für den Prozess der Persönlichkeitsbildung im Coaching als interdependente Teilaspekte wichtig erscheinen. Sie bilden gemeinsam eine konzeptionelle Landkarte:

  • Dialogische Kompetenz, die zu Kommunikation, Beziehung und Begegnung führt.
  • Geschichtliche Kompetenz, die beispielsweise zur Prozesskompetenz führt, da wir immer Schöpfer und Geschöpf einer (unserer) Geschichte sind.
  • Symbolische Kompetenz, die anregt, nicht-sprachliche Bedeutungen durch symbolhafte Handlungen (Rituale) auszudrücken und zu kommunizieren.
  • Dialektische Kompetenz, die zu Konfliktfähigkeit und dem kompetenten Umgang mit Spannungsfeldern, Paradoxien und Dilemmata führt.

Haltung 

Innere Haltung konstituiert sich im Wesentlichen aus unseren Werten und unserem Menschenbild. In der didaktischen Haltung wird ein Menschenbild gelebt, das sich als Wert auf die Beziehung zum Anderen und zu mir konzentriert. Es betont das Positive der Person, ihre prinzipielle Konstruktivität und Kreativität, die Ressourcenorientierung statt der Defizitorientierung: In der Interaktion (zum Beispiel beim Coaching) wird mit den vorhandenen Ressourcen gearbeitet, die genutzt, ausgebaut und gestärkt werden: Die Stärken stärken und weiterentwickeln und für die Schwächen eine kreative Lösung finden!

Dieses Menschenbild betont die Bewusstheit des Menschen in seiner gegenwärtigen Wirklichkeit - und betont nicht das Unbewusste. Es betont die prinzipielle (Entscheidungs-) Freiheit der Person, die Verantwortlichkeit für das eigene Leben, die Ziel- und Sinnorientierung des Menschen, und den Bezug der Person zu den jeweiligen Kontextfaktoren.

Ein solches Menschenbild ist die Vorgabe für den Coach, der Klient entwickelt sich in diese Richtung, wenn man ihm eine solche Haltung konsequent und überzeugend entgegenbringt. Diese „sich selbst erfüllende Prophezeiung“ funktioniert, weil man diese Haltung in jedem Menschen (als angelegt) voraussetzen kann. Der „Glaube“ an den betreffenden Menschen erhöht die Chance, dass dieser letztlich selbst an sich glaubt und Kräfte aktiviert, die er zur positiven und konstruktiven Gestaltung seines Lebens braucht.

Bei der Haltung geht es um ein authentisches Begegnen von Person zu Person, und nicht um Unterweisen – und erst recht nicht um (Ver-) Urteilen. Die innere Haltung kann mit folgenden Punkten konkretisiert werden und ist zugleich das Herzstück der Coaching-Kompetenz:

  • Der Coach achtet im Besonderen darauf, aufmerksam (Wahrnehmung) und hervorragend ein aktiver Zuhörer zu sein (Zuhören).
  • Coachs sind immer wertschätzend – sie achten das Individuum und sehen in jedem Menschen den eigenen Meister (Wertschätzung).
  • Coachs bilden möglichst wenig oder spät ein eigenes Urteil über einen Menschen – über Prozesse, Zusammenhänge und Inhalte selbstverständlich zügig (Achtsamkeit bei Anerkennung systemischer Wirklichkeit).
  • Coachs akzeptieren, dass das, was gerade ist, in diesem Moment die Aufgabe ist (lösungsorientierter Gegenwartsbezug).

Als notwendige Voraussetzungen gelingender Persönlichkeitsbildung gelten uns: Respekt, Empathie und Wahrhaftigkeit.

Respekt

Am Anfang jeder Begegnung im Coaching steht als elementare Verhaltensintervention das Bemühen, mit dem Klienten wirklich in Kontakt zu kommen und zu bleiben. Es ist immer das Ausgangsverhalten in einem Coaching, das auf Persönlichkeitsbildung zielt. Hier muss der Klient ernst genommen werden mit dem, was er jetzt gerade „auf der Seele“ hat oder wie er jetzt gerade gestimmt ist und sich einbringen kann.

Erst hiernach kann eine zweite Verhaltensintervention sich anschließen: das Folgen. Es beinhaltet, dass der Coach wach und interessiert am Klienten und an seinen Themen ist. Worum geht es? Welches Anliegen ist ihm oder ihr vorrangig? Der Klient möchte vom Coach in seinem Anliegen verstanden werden, das zu erleben ist dem Klienten ein Vertrauensbeweis. Coach und Klient kreisen so lange um diesen einen Punkt, bis der Klient tief in sich spürt und weiß, dass er vom Coach verstanden wird.

Oft ist nicht immer klar, auf welchen Kanälen der Klient sich mitteilt: Sprache, Gefühl, Bilder, Körpersprache? Um folgen zu können, muss der Coach natürlich genau verstehen, worum es geht. Er muss das notfalls stellvertretend für den Klienten verbalisieren – möglicherweise auf mehreren Ausdruckskanälen in kongruenter Weise (Sprache, Emotionen, Bilder, Körpersprache).

Empathie

Auch im weiteren Verlauf des Coachings muss das Gespräch immer wieder auf die bisher genannten Verhaltensinterventionen zurückgreifen. Erst wenn genügend Akzeptanz vorhanden ist, kann die nächste Verhaltensintervention eingesetzt werden: das Begleiten. Es bedeutet, dass der Coach mit den Themen und Schilderungen des Klienten „mitgeht“. Er braucht dazu nicht immer neue Informationen. Er gibt seinem Klienten vielmehr klare Signale, dass er ihn verstanden hat und bereit ist, mit ihm zu gehen – weiterzugehen in seinem Klärungsprozess. Der Klient entscheidet selbst, ob und bis zu welchem Punkt er in seinem Prozess weitergeht.

Dem Begleiten kann nun das Teilen als weitere Verhaltensintervention folgen. Diese reichert das Begleiten mit einer größeren Beziehungsdichte an. Im Teilen wird nicht nur auf der Oberflächenstruktur des Gesagten begleitet, sondern auch in der Tiefenstruktur des Gemeinten und in der Emotionalität des Klienten. Dass Teilen also mit Empathie zu tun hat, liegt auf der Hand. Denn im Teilen stehen die emotionalen Erlebnisinhalte des Klienten im Mittelpunkt und nicht mehr nur die inhaltlichen Themen und Schilderungen. Dabei geht es nicht nur um Gefühle, es geht um komplexe innere Zusammenhänge. Oft sind diese noch nie verbalisiert worden, ja möglicher weise sind sie dem Klienten selbst noch nie bewusst geworden.

In diesem Teil des Coachings beginnt die Selbstexploration des Klienten (Selbsterforschung und -erkenntnis). Er oder sie entdeckt die tieferen Zusammenhänge innerhalb ihrer Persönlichkeit. Sie spürt ihre innere Beteiligung zu ihren inhaltlichen Themen und kann dadurch im Coaching eine sehr persönliche (Be-) Deutung für sich erfahren.

Eine Kündigung etwa wird dann nicht nur als formaler Akt erzählt, sondern auch mit Traurigkeit und Ärger empfunden. Eine Gehaltserhöhung wird nicht nur als faktische Folge eines erfolgreichen Projektabschluss erlebt, sondern mit Freude und Dankbarkeit empfunden. Sich selbst reflektierend erfährt der Klient seine emotionalen Erlebnisinhalte, kann sie interpretieren, differenzieren oder einfach diese Seite von sich spüren und sich dadurch verändern und bewegen lassen – der Prozess der Persönlichkeitsbildung ist hier intensiv spürbar. Da diese Phase für den Klienten oft überraschend, ungewohnt und deshalb auch anstrengend ist, versucht er nicht selten, aus dieser Intensität und Intimität wieder in die Sachlichkeit zu wechseln (was sein gutes Recht ist).

Dann beginnt der Coach den Prozess wieder mit den Verhaltensinterventionen Bemühen und Folgen, um Akzeptanz für den Prozess der Persönlichkeitsbildung aufzubauen. Er hat die Aufgabe, dem Klienten die Möglichkeit der Persönlichkeitsbildung weiterhin anzubieten und zu ermöglichen – alleine ist das dem Klienten zu diesem Zeitpunkt noch nicht möglich.

Deshalb folgt der Verhaltensintervention des Teilens nun die Verhaltensintervention des Haltens. „Halten“ bedeutet für den Coach gleichermaßen wie für den Klienten, bei dem „dichten“ Gefühl des Klienten zu verweilen und nicht aus dieser Dichte und Intensität der Persönlichkeitsbildung wegzugleiten.

Trotzdem braucht der Klient immer die Wahl, er braucht Wahlmöglichkeiten. Denn das, was er auswählt, ist das, was für ihn jetzt wichtig ist. Daher kann es sein, dass der Klient sich trotz des Angebotes des Coachs für die Rationalisierung der emotionalen Erlebnisinhalte entscheidet und damit signalisiert, dass er für den weiteren Prozess wieder mehr Akzeptanz aufbauen muss oder will. Für den Coach bedeutet das, dass er zu den Verhaltensinterventionen Bemühen und Folgen wechseln sollte.

Wahrhaftigkeit

Auf der Grundlage von Respekt und Empathie kann der Coach sich selbst als Individuum verstärkt in den Coaching-Prozess einbringen. Dabei ist es nicht etwa sein Ziel, von einem beratenden Gespräch zu einem partnerschaftlichen Austausch zu wechseln. Vielmehr können die Sichtweisen, Hypothesen, Wahrnehmungen, Beobachtungen, Erwartungen und Erfahrungen des Coachs dem Klienten als Reflexionsfeld und Spiegel dienen und seine eigenen „Be-Deutungen“ in einem neuen Licht, in einem neuen Kontext erscheinen lassen.

Es geht dabei nicht um Wahrheit, sondern um ein Angebot vergleichender Wahrnehmung (Differenz-Erfahrung). Deshalb nennen wir diese Verhaltensintervention Konfrontieren. Der Coach konfrontiert den Klienten mit sich – diese Formulierung ist wunderbar doppeldeutig und tatsächlich im doppelten Sinne gemeint: Konfrontation des Klienten mit den Ansichten, Reaktionen und Erfahrungen des Coachs und (dadurch, im Vergleich dazu) gleichzeitig Konfrontation mit den eigenen Klienten-Sichtweisen, -Reaktionen und -Erfahrungen.

Damit die Konfrontation vom Klienten nicht als aggressive Provokation aufgefasst wird, sollte sie erst auf der Basis von Respekt und Empathie eingesetzt werden. Es ist eine sehr wichtige Intervention für die Persönlichkeitsbildung des Klienten – und sie erfordert viel Feingefühl und Erfahrung von Seiten des Coachs.

Ebenfalls auf der Grundlage von Akzeptanz und Empathie kann der Coach die Verhaltensintervention Führen einsetzen, um den Klienten beispielsweise auf eine andere Ausdrucksform oder -ebene zu bringen. Das Selbst des Klienten sucht sich ja immer einen „Kanal“, um sich auszudrücken: etwa Sprache, Bilder, Emotionen oder Körpersprache. Der Klient bevorzugt zunächst einen bestimmten Ausdruckskanal. Wenn dieser blockiert ist, muss der Kanal gewechselt werden. Über alle vier genannten Kanäle sollte kongruent dasselbe ausgedrückt werden – diese „Perspektivenerweiterung“ ist eine beobachtbare Veränderung des Entwicklungsstandes der Persönlichkeit, wie sie (hoffentlich) als Ergebnis eines jeden Coaching-Prozesses in Erscheinung tritt.

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