Wissenschaft

Fragepraktiken im Coaching

Erkenntnisse aus einem interdisziplinären Forschungsprojekt

Fragen gehören zum unverzichtbaren Handwerkszeug eines Coachs. Ihr Einsatz regt Reflexion an und ermöglicht Gecoachten Veränderung. Die wissenschaftliche Fundierung des Einsatzes von Fragetechniken im Coaching steht jedoch noch am Anfang. Das internationale Projekt „Questioning Sequences in Coaching“ (QueSCo) leistet einen Beitrag, dies zu ändern. Dieser Beitrag liefert einen Einblick in den interdisziplinären Forschungsansatz und stellt bisherige Erkenntnisse vor.

12 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 1 | 2024 am 21.02.2024

Fragen, meist mit systemisch-lösungsorientiertem Hintergrund, gelten im Coaching als Königsweg für den Erfolg. Entsprechend ist eine große Anzahl an Publikationen entstanden, die diese zentrale Intervention in den Blick nehmen. In dieser Praxisliteratur werden Fragen dabei oftmals rezeptartig nach Typus, Funktion und möglichen Anwendungskontexten wie etwa Phasen geordnet sowie anhand dekontextualisierter Beispiele beschrieben. Fragen, die in Praxis- und Lehrbuchsammlungen aufgenommen wurden, sind aus der Theorie hergeleitet und in der Praxis erprobt. Allerdings finden sich in dieser Literatur auch empirisch nicht haltbare Aussagen wie etwa die negative Bewertung geschlossener Fragen. Außerdem stellt ihre dekontextualisierte Darstellungsform insbesondere für unerfahrene Coaches eine Herausforderung bei der Umsetzung ins konkrete Coaching-Handeln dar: Fragen sind immer eingebettet in einen Kontext und müssen auf die Anwesenden, die jeweilige kommunikative Interaktion mit ihnen sowie die lokale sequenzielle Struktur des Gesprächs übersetzt werden. Die wissenschaftliche Überprüfung, wie diese Fragensammlungen im Coaching (erfolgreich) ein- und umgesetzt werden, ist dabei insgesamt noch ganz am Anfang. Der vorliegende Beitrag berichtet von einem aktuellen interdisziplinären Forschungsprojekt, das Fragen in den empirischen Blick nimmt und dabei einen Übergang von Eminenz zur Evidenz ermöglicht. Der Beitrag liefert auch Ideen und Anregungen für Coaches, diese Übersetzungsarbeit zu leisten.

Auf einen Blick

  • Fragetechniken sind im Coaching von zentraler Bedeutung für den Erfolg. Ihre Anwendung ist jedoch noch nicht fundiert erforscht.
  • Das Forschungsprojekt QueSCo schickt sich an, diese Lücke zu schließen und eine coaching-spezifische Frage- und Fragesequenztypologie zu entwickeln.
  • Sequenzialität bildet die Grundlage, um im Coaching mittels des Einsatzes von Fragen Veränderung zu erzielen.

Forschungsstand

Wie sieht der Forschungsstand zu Fragen als zentrale Intervention im Coaching aus? Während die generelle Wirksamkeit von Coaching mittlerweile in zahlreichen Metaanalysen empirisch nachgewiesen ist, sind die Einsichten in den Coaching-Prozess selbst und den Beitrag von Coach und Klient/in immer noch sehr begrenzt. Forschende fordern deshalb, das konkrete verbale und non-verbale Verhalten aller am Coaching-Gespräch Beteiligten in den analytischen Blick zu nehmen (z.B. Ianiro & Kauffeld, 2015). Trotzdem gibt es kaum Forschung, die auf der Basis authentischer Coaching-Gesprächsdaten das reale Verhalten von Coach und Klient/in entlang einzelner Sitzungen und gesamter Prozesse dokumentiert und analysiert. Auch empirische Erkenntnisse über die In-situ-Realisierung (nicht-)erfolgreicher Interventionen wie etwa Fragen und ihren Beitrag zum Gelingen des Coaching-Prozesses sind noch sehr gering, wie auch Jordan und Kauffeld (2020) betonen. Bis dato existieren in der psychologischen Ergebnis- bzw. Prozess-Ergebnisforschung nur wenige Studien, die sich mit Fragen beschäftigen. Diese adressieren ausschließlich problemorientierte und/oder lösungsorientierte Fragen und deren Einfluss auf den Coaching-Erfolg. Grant und O’Connor (2018) kommen dabei u.a. zum Ergebnis, dass lösungsorientierte Fragen stärker zu positiven Ergebnissen führen als problemorientierte. Während die globale Veränderungsrelevanz von lösungsorientierten Fragen somit empirisch belegt werden kann, gibt es mittlerweile auch Erkenntnisse darüber, dass lösungsorientierte Fragen lösungsorientierte Antworten anregen. So konnten z.B. Jordan und Kauffeld (2020) zeigen, dass lösungsorientierte Fragen in einem positiven Zusammenhang mit der Produktion von lösungsorientierten und „selbstwirksamen“ Antworten stehen. Allerdings kann immer noch wenig über die tatsächliche Verwendung von problem- bzw. lösungsorientierten Fragen sowie über das Auftreten und die Wirkung anderer Fragetypen im authentischen Coaching-Gespräch ausgesagt werden. Existierende Studien arbeiten ausschließlich mit Studierenden, untersuchen vorab thematisch auf Problem- oder Lösungsorientierung festgelegte Sitzungen und setzen ein Set an wörtlich vorformulierten Fragen ein.

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Literatur

Deplazes, S.; Graf, E. & Künzli H. (2018). Das TSPP-Modell. Coaching | Theorie & Praxis, 4(1), S. 69–82.

Graf, E. (2019). The Pragmatics of Executive Coaching. Amsterdam: John Benjamins.

Grant, A. & O’Connor, S. (2018). Broadening and building solution-focused coaching. Coaching, 11(2), S. 165–185.

Ianiro, P. & Kauffeld, S. (2015). Annäherungen an den Coaching-Prozess. In: S. Greif et al. (Hrsg.), Handbuch Schlüsselkonzepte im Coaching (S. 41–52), Berlin: Springer.

Jordan, S. & Kauffeld, S. (2020). A mixed methods study of effects and antecendents of solution-focused questions in coaching. IJEBCM, 18(1), S. 57–72.

Peräkylä, A. (2019). Conversation analysis and psychotherapy. Research on Language & Social Interaction, 5(3), S. 257–280.

Schegloff, E. (2007). Sequence organization in interaction. Cambridge: Cambridge University Press.

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