Wissenschaft

Beeinflussen persönlichen Eigenschaften des Klienten den Erfolg im Coaching?

Aktuelle Forschungsergebnisse

4 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 2 | 2011 am 10.05.2011

Angesichts von Kosten-Nutzen-Kalkulationen stellt sich beim Coaching seitens der Firmen die nachvollziehbare Frage: Welcher Mitarbeiter profitiert besonders von dieser PE-Maßnahme? Die Forschungsbemühungen zum Effizienznachweis von Coaching-Prozessen stecken aber noch in den Kinderschuhen und sehen sich mit einer hohen Komplexität an Einflussfaktoren konfrontiert. Empirische Befunde liefern Hinweise, dass Persönlichkeitsfaktoren Lernerfolg und Arbeitsleistung vorhersagen (z. B. Herold et al., 2002) und Unterschiede zwischen Klienten und Coachs auf der MBTI-Dimension „Temperament/ psychische Energie“ mit größerem Coaching-Erfolg assoziiert werden konnten (Scoular & Linley, 2006).

Ausgehend von diesen Überlegungen und Befunden gingen Lorna J. Stewart und Kollegen der City University in London (UK) der Frage nach, ob spezifische Charaktereigenschaften der Klienten den Erfolg eines Coaching-Prozesses unterstützen. Als Persönlichkeitseigenschaften interessierten vor allem:

  • die persönliche Neigung des Klienten, zu planen, zu organisieren, verlässlich und zielstrebig zu sein (Pflichtbewusstsein), » die individuelle Neugier des Klienten (Offenheit),
  • die persönliche emotionale Ausgeglichenheit in Stress-Situationen (emotionale Stabilität) und
  • die individuell ausgeprägte Erfolgserwartung und Zuversicht (allgemeine Selbstwirksamkeit).

Das Pflichtbewusstsein, die emotionale Stabilität und die Offenheit gegenüber neuen Erfahrungen wurden durch Subskalen des „International Personality Item Pool“ (IPIP; Goldberg, 1999) erfasst. Die allgemeine Selbstwirksamkeit wurde über die „General Percieved Self-Efficacy Scale“ (Schwarzer & Jerusalem, 1993) gemessen.

Die in dieser Untersuchung zugrunde gelegte Definition „Erfolgreiches Coaching“ bezieht sich auf den nachhaltigen oder dauerhaften Transfer der durch das Coaching verbesserten Entwicklung des Klienten in die individuellen Arbeitsbedingungen (Stewart, 2006): Beispielsweise Veränderungen in Bezug auf Einstellungen, Wissenszuwachs, Ausbau von Fähigkeiten und so weiter. Zur Erfassung des Coaching-Erfolgs wurde ein Fragebogen (Coaching Tranfer Questionnaire – TCQ) eingesetzt, der den Transfer des Coaching-Ergebnisses auf drei Ebenen abbildet:

  • Anwendung des Transfers
  • dessen Generalisierung und
  • Nachhaltigkeit des Transfers

An der Online-Befragung nahmen insgesamt 110 Führungskräfte (zwei Drittel Männer, ein Drittel Frauen) teil, die vorher per E-Mail durch ihre Coachs oder ihre Unternehmen kontaktiert und um Teilnahme gebeten wurden. Das Teilnahmekriterium bestand aus mindestens sieben absolvierten Coaching-Sitzungen. Die theoretische Ausrichtung des Coachings war nicht vorgeschrieben. Die durchschnittliche Dauer eines Coaching-Prozesses dieser Stichprobe lag bei acht Monaten, schwankte aber zwischen drei und 18 Monaten. Die Gründe für die Inanspruchnahme eines Coachings variierten zwischen der Optimierung der beruflichen Entwicklung, allgemeiner Unterstützung bei der beruflichen Orientierung oder der Vorbereitung auf ein bevorstehendes Ereignis (z. B.: Job- oder Teamwechsel). Die Mehrheit der Befragten hat auf eigene Initiative einen Coach aufgesucht (63,6%).

Die Ergebnisse der Online-Befragung weisen auf recht niedrige Zusammenhänge zwischen dem Coaching-Erfolg und Persönlichkeitseigenschaften der Klienten hin. Den größten Einfluss mit ungefähren acht Prozent aufgeklärter Varianz an der Variablen „Anwendung der Inhalte des Coachings auf den Arbeitsalltag“ ist dem „Pflichtbewusstsein“ des Klienten zuzuschreiben. Einerseits bedeutet dies inhaltlich, dass per se zielstrebigere Klienten mit etwas höherer Wahrscheinlichkeit die Ergebnisse des Coachings in den Arbeitsalltag übertragen. Andererseits wird aber auch deutlich, dass die übrigen 92 Prozent der Variablen „Anwendung“ durch andere Einflussfaktoren bedingt sind. Die „Offenheit“ des Klienten trägt 5,76 Prozent zur „Anwendung des Transfers“ bei, gefolgt von der allgemeinen Selbstwirksamkeitsüberzeugung (4,88%) und der emotionalen Stabilität (4,33%).

Berücksichtigt man alle erhobenen Persönlichkeitsvariablen gemeinsam und deren Interaktionen, zeigt sich eine Gesamtaufklärung von 12,6 Prozent für die Anwendung des Coaching-Transfers. Dies bedeutet, dass die hier untersuchten Persönlichkeitseigenschaften letztlich nur maximal zu einem Fünftel den Coaching-Transfer in den Arbeitsalltag beeinflussen. Für die beiden anderen Ebenen des Coaching-Erfolgs (Generalisierung und Nachhaltigkeit) finden sich gar keine statistisch bedeutsamen Einflüsse der Persönlichkeitsvariablen.

Die Ergebnisse verdeutlichen, dass die Erfassung und die Erklärung des Coaching-Erfolgs an sich – wie eingangs erwähnt – ein schwieriges und komplexes Unterfangen ist. Die niedrigen Zusammenhänge sind nicht überraschend, sondern waren zu erwarten. Coaching „an sich“ findet nicht unter der „Käseglocke“ statt, sondern ist vielerlei situativen und individuellen Einflüssen ausgesetzt. Die Fokussierung auf die Persönlichkeitseigenschaften des Klienten greift zu kurz. Sowohl die Persönlichkeit des Coachs als auch die Beziehungsqualität zwischen Coach und Klient sollten ebenfalls berücksichtigt werden.

Gleichfalls wäre es nutzbringender gewesen, den Coaching-Erfolg nicht nur durch eigene Angaben der Klienten zu erfassen, sondern zusätzlich andere Einschätzungen (z. B. von Kollegen oder Vorgesetzten) einzubeziehen. Trotzdem verdeutlicht diese Studie eine wesentliche Tatsache: Eine Selektion „geeigneter“ Coaching-Klienten anhand von Persönlichkeitsmerkmalen ist viel zu einseitig und wenig erfolgsversprechend.

Stewart, L. J.; Palmer, S.; Wilkin, H. & Kerrin, M. (2008). The Influence of Character: Does Personality Impact Coaching Success? International Journal of Evidence Based Coaching and Mentoring, Vol. 6, No.1, 32-43.

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