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Konzepte

Coaching als Unterstützung schulischer Transformation

Bedarfsgerechte Weiterbildung von Lehrkräften „nach Corona“

Für den digitalen Wandel und dessen Begleitung an Schulen gibt es keine fertigen Rezepte. Lehrende mussten im Zuge der Pandemie quasi über Nacht digitale Strategien entwickeln. Dabei wurden die individuelle Situation und die Beeinflussung systemischer Koordinaten oft nachgeordnet. So gilt es nun, die Begleitung von Lehrkräften konzeptionell den veränderten Bedingungen anzupassen. Coaching kann hierbei Unterstützung leisten.

16 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 3 | 2021 am 08.09.2021

Drei Schulhalbjahre mit gravierenden Neuerungen liegen hinter deutschen Schulen – allen voran hinter Lehrkräften und Schulleitungen, aber auch Eltern und Erziehungsberechtigten und nicht zuletzt Schülerinnen und Schülern. Wo man hinkam und etwas von der Situation an Schulen und in Elternhäusern erhaschen konnte: Selten waren Zeit und Muße gegeben, diese – für alle – herausfordernde Zeit angemessen zu reflektieren.

Eine Rückmeldung zog sich – unabhängig von Fächerkombination, Schulart oder Alter der Lernenden – durch alle Fortbildungen und Coachings von Lehrenden in dieser Zeit: „Ich bin unsagbar müde (…) wie in meinem ganzen Lehrerleben noch nie.“ So bemerkte es ein Kollege, dem sofort beigepflichtet wurde. Diese Beobachtung verweist zum einen darauf, wie sehr – unter den Herausforderungen der begonnenen Digitalisierung – Lehrergesundheit und Prävention wieder neu in den Blick genommen werden müssen. Zum anderen macht sie aber auch deutlich, wie schnell diese wichtigen Aspekte krisenbedingt offensichtlich ins Hintertreffen geraten (können). Darüber hinaus ist dieses übergreifend wahrnehmbare Phänomen jedoch auch ein Ausdruck dessen, was in den drei Schulhalbjahren alles „gestemmt“ und neu organisiert worden ist: ein Kraftakt eben, der auch die Kräfte aller Beteiligten – oft über Gebühr – forderte.

Die Lehrerfortbildungen hatten zu Beginn und in der Krise naturgemäß andere Schwerpunkte und stellenweise auch eine veränderte Gesprächskultur. Die Entwicklungen in diesem Bereich sind – wenn auch heterogen – vorangeschritten, können aber auch noch nicht als abgeschlossen gelten. An diesen Schnittstellen zeigen sich aber bereits fruchtbare Überschneidungen zwischen Coaching und Bedarfen für die Weiterentwicklung von schulischen Online-Kontexten, und zwar auf verschiedenen Ebenen: erstens der Reflexion kollektiver und persönlicher Anforderungen, zweitens der Reflexion aller maßgeblichen Auswirkungen des – mit dem Online-Unterricht neu formatierten – Lehrens und Lernens auf das System Schule und die Schulentwicklung. Und drittens auch, aber nicht (mehr immer) an erster Stelle, inhaltliche Aspekte.

Im Folgenden sollen diese Bereiche konzeptionell angedacht werden. Das Ziel ist, für eine bedarfsgerechte Weiterentwicklung von Lehrkräften und Schulen mit bewährten Instrumenten und Formaten aus dem Coaching zu werben.

Sieben Thesen des Wandels

Diese Annäherung soll thesenhaft erfolgen, wobei die Thesen aus der Praxis der Weiterbildung mit Lehrerinnen und Lehrern – aller Schularten und über Bundeländer hinweg – und aus Coachings mit Lehr- und Führungskräften sowie mit Eltern und Erziehungsberechtigten entnommen sind. Zudem speisen sich diese Beobachtungen durch eigene Umfragen (Hanstein & Lanig, 2020a; 2020b; 2021).

  • Die Implementierung des Online- und Hybrid-Unterrichts war – und ist stellenweise nach wie vor – von Negativbegriffen geprägt.
  • Die begonnene Digitalisierung an deutschen Schulen stellt(e) einen gesamtgesellschaftlichen Veränderungsprozess dar, der bislang kaum reflektiert worden ist. Aspekte der „digitalen Anreicherung“ oder auch schon der „digitalen Sättigung“ (Hanstein & Lanig, 2020b, S. 86) sind derzeit (noch) relativ heterogen vertreten.
  • Fortbildungen im Kontext Online-Unterricht, besonders in der ersten und zweiten Phase der Pandemie, waren wichtig, aber vor allem auf inhaltliche und technische Aspekte beschränkt.
  • Die größte Unterstützung holten sich deutsche Lehrende von Kolleginnen und Kollegen, die oft nicht in den eigenen Fächern unterrichten und auch oft nicht im System der „eigenen“ Schule ihren Dienst verrichten.
  • Lehrende ließen sich relativ unterschiedlich auf die Herausforderungen des Online-Unterrichts ein. Neue Konzepte haben dabei ihre Wurzeln in den eigenen berufsindividuellen Überzeugungen.
  • Diese „teacher beliefs“ sind bislang, bezogen auf den Digitalisierungsprozess, zu wenig berücksichtigt. Ein Grund dafür liegt darin, dass es im Krisen-Modus insbesondere darum ging, den Unterrichtsbetrieb aufrechtzuerhalten.
  • Fort- und Weiterbildungen in digitalisierten Kontexten bedürfen neuer, adäquater Formate und sollten vermehrt auf Konzepte aus dem Coaching zurückgreifen, da es neben inhaltlichen, technischen und methodischen in starkem Maße auch um berufsindividuelle Fragen geht.

Diese Erfahrungen werden im Folgenden zu zwei vorläufigen Konzepten führen, die der schulischen Praxis und den schulischen Unterstützungssystemen zur weiteren Erprobung (und Fortschreibung) angeboten werden sollen.

Am Anfang war … Buchstabensalat

Der Anfangssatz im biblischen Johannesevangelium „Am Anfang war das Wort“ (Joh 1,1) ist, fernab aller Theologie, grundlegend für Kommunikation: Bevor man sich sinnvoll unterhalten kann, muss – philosophisch betrachtet – die Bedeutung des „Dinges an sich“ (Immanuel Kant) klar gesetzt sein. Dieser Grundsatz ist für Krisenkommunikation nochmals bedeutsamer. Wenn sich Umstände ändern, es dafür aber noch keine Begriffe gibt, wird vieles uneindeutig, manches gar unberechenbar. Dieser – bislang nicht hinreichend reflektierte – Prozess ist seit über einem Jahr in der Bildungslandschaft zu beobachten: Seit Frühjahr 2020 ist der Begriff „Homeschooling“ en vogue, die (Bildungs-)Politik hat versucht, ihn mit „Distanz“- oder „Fern-Unterricht“ zu konkretisieren. Die Rede von den „offenen“ Schulen hat dieses Unterfangen wieder konterkariert. Von Anfang an wurde „digital“ mit „Distanz“ bzw. „Ferne“ gleichgesetzt und „analog“ mit „Präsenz“ – so, wie der Aufruf zum „social distancing“ zuvor im Grunde ein „physical distancing“ meinte. Und so waren es im Wesentlichen Bezeichnungen der Abgrenzung, sprachliche Negativbegriffe, die das Neue, vielleicht sogar Visionäre zu definieren suchten – ein Widerspruch in sich.

Dieser sprachliche Dualismus setzte sich dann – in einer für Krisen entsprechenden Dynamik – fort. Man konnte den Eindruck gewinnen, dass es zwischen „offen“ und „zu“, zwischen „Präsenz“ und „Distanz“, zwischen „Vorreiter“ und „Verweigerer“ nichts mehr gab. Insofern hat der Auftakt zur Digitalisierung zuallererst zwei Aspekte offengelegt: die Frage nach dem Mindset und nach der sprachlichen Sensibilität (in der Krise). Eine der Thesen von Jürgen Handke (2020, S. 13), Pionier der Digitalisierung im Hochschulbereich, lautet: „Die Digitalisierung der Lehre gelingt nur mit einem neuen Mindset.“ Dieses Mindset verändert sich freilich weder subjektiv noch kollegial „über Nacht“. Dessen Veränderung bedarf aber der (kollegialen) Reflexion und Spiegelung. Die Sprache ist dafür ein Indikator. Als Grundsatz kann gelten: Negatives konserviert (unbewusst) Negatives, Positives indes potenziert Positives. An vielen „kleinen“ positiven Erfahrungen sollte – mit einer entsprechenden sprachlichen Sensibilität – und kann „nach Corona“ angesetzt werden. Auf Negativbegriffe sollte dabei durchgängig verzichtet werden. Denn wer die „Ferne“ im Munde führt, kann nicht gleichzeitig Verbundenheit stiften – geschweige denn, an deren virtuelle Möglichkeit glauben.

Kollegiale Transformationsprozesse begleiten

Auf mehreren Ebenen – der systemischen, der Schulentwicklung, der kollegialen und persönlichen – besitzt die Phase der Implementierung digitalisierter Lernprozesse alle Eigenschaften eines klassischen Veränderungsprozesses. In Anlehnung an die vielfach rezipierte Change-Kurve nach Kübler-Ross wären dies zu Beginn der „Schock“, das „Nein“ und das „Tal der Tränen“. Es ist im Rückblick wichtig, dass dieser Veränderungsprozess in den Schulen durch Corona bedingt extrinsisch stattfand.

Aus dem Change-Management ist bekannt, wie wichtig an dieser Stelle die wertfreie Unterstützung durch die Leitung bzw. durch externe Berater ist. Bekannt ist auch, dass die Phasen sich zeitlich sehr unterscheiden können und dass Veränderung keinen linearen Prozess darstellt. D.h. praktisch, dass es nach kürzester Zeit etliche digitale „Pioniere“ gab, während an anderen Schulen Kolleginnen und Kollegen den einen oder anderen Schritt mehr oder weniger „ausgesessen“ haben. Und wie aus der Not schon so manch kreative Lösung entsprungen ist, begannen engagierte Lehrerinnen und Lehrer mit der Phase dessen, was als digitale Anreicherung bezeichnet werden kann (vgl. Hanstein & Lanig, 2020b): Formen des herkömmlichen Unterrichts Schritt für Schritt durch digitale und hybride Formate zu unterlegen. Andere Lehrkräfte saßen womöglich noch etwas länger im „Tal der Tränen“ fest, taten sich schwerer, waren zögerlicher. Doch wo das Experimentieren in erste konkrete Formen einer digitalen Integration überging, wurde dieser Zustand immer daran erkennbar, dass das Entstandene als neue Normalität angesehen wurde. Was bedeutet: Das – individuelle wie kollektive – Mindset hatte sich an diesen Stellen durch die neuen Erfahrungen (bereits) verändert. Lehrende als Lernende und Lehreinrichtungen als lernende Organisationen: Damit ist die gewaltige Herausforderung der pandemiebedingten Implementierung digitalisierter Lernprozesse umrissen. Immer da, wo Menschen und Systeme ohne Vorerfahrungen Neues konstruieren müssen, ist es ganz normal, dass Widerstände und Blockaden aufkommen.

Was sich dann in inneren Widerständen und/oder in Gefühlen wie Angst zeigen kann, muss noch nicht einmal selbst in der Tiefe erkennbar sein. Diese Energien zuzulassen, ihnen eine Sprache zu geben und buchstäblich „ins Wort zu nehmen“, ist eine entscheidende Aufgabe von Begleitern in und durch die Veränderung. Modelle (wie die oben angesprochene Veränderungskurve) können als wichtige Folien in der Prozessbegleitung dienen. Denn sie bieten eine entscheidende Funktion, indem sie Zuständen ein Bild leihen. Dieses kann (und will) die Wirklichkeit dabei nicht abbilden, aber in der Visualisierung besteht ein erster reflexiver Zugang auf der Meta-Ebene, der zugleich den Bereich der inneren Bilder mit anspricht. Je weniger Begrifflichkeit diese Modelle dabei vorgeben, desto freier und authentischer lassen sie sich mit den eigenen Wahrnehmungen, Emotionen und Zuschreibungen der Beteiligten füllen. Der Abgleich aller, zu einem bestimmten Abschnitt im Prozess entstandenen Bilder ist eine entscheidende und spannende Scharnierstelle in der Begleitung. Nach dem Grundsatz des Lernens und Lehrens „vom anderen her“ (Rolf Arnold, 2012, S. 120) sollten diese Visualisierungen zuerst ebenfalls ohne Worte präsentiert werden, auf möglichst vielen Sinneskanälen wirken und schließlich Rückfragen gestatten. Ausgeschlossen sind jedoch „Korrekturen“: Jede einzelne Darstellung gibt die erfahrene Wirklichkeit der entsprechenden Lehrkraft bzw. eines bestimmten Teams wieder. Erst indem diese dann auf die eigene Visualisierung übertragen, diese gleichsam mit der „Brille“ der Visualisierungen aller anderen betrachtet wird, kann sich ein Zuwachs an Erkenntnis über die sich ereignete Veränderung oder gar persönliche, kollektive oder systemische Transformation ereignen.

Individuelle Entwicklungen spiegeln

Eine Visualisierung für die inhaltliche Reflexion – die entweder verbunden mit der systemischen oder getrennt davon angeboten werden kann – bietet das SAMR-Modell. Ruben Puentedura hat weit vor der Pandemie ein Modell entwickelt, das die Integration von Lerntechnologie visualisiert. Der Name seines Modells setzt sich aus den Schritten zusammen, die er bei Lehrenden analysiert hat (folgend Puentedura, 2006): Substitution meint die Ersetzung analoger Aufgaben durch digitale Repräsentationen, Augmentation die funktionale Verbesserung einer Ersetzung. Modification beschreibt die Formatänderung mit dem notwendigen Einsatz von Technik. Schließlich werden mit der Redefinition alle neuartigen digitalen Möglichkeiten im Unterricht beschrieben.

Dass die schlichte Ersetzung – in der Stufe Substitution – eines Textes am PC im Gegensatz zum Lesen eines ausgedruckten Arbeitsblattes z.B. keine wesentlichen Verbesserungen (bis auf die Ersparnis im Druck) mit sich bringt, ist offensichtlich. Folglich wäre die „Weigerung“ einer Lehrkraft zu diesem Schritt auch keine „fehlende Einsicht in die Notwendigkeit der Digitalisierung“ (O-Ton aus einem Coaching), sondern entsprechend des SAMR-Modells nur plausibel. Wichtig ist in solchen schulischen Situationen, am Modell aufzuzeigen, an welchem Punkt man, das Kollegium, die Fachschaft oder die Schule gerade steht. Und dass dieser Schritt wichtig ist, um zum nächsten Schritt zu gelangen. Das Beispiel verdeutlicht, weshalb mögliche Widerstände in Kollegien plausibel sein können. Auf der Ebene der Begleitung der Implementierung ist es daher wichtig, modellhaft weitere Möglichkeiten visionär in den Blick zu nehmen. Mit der zielgerichteten Integration von Technologie – in der Stufe Augmentation – wird die Sinnhaftigkeit dann einsichtig(er): Multimedia-Inhalte z.B. können in einer Präsentation derart eingebettet werden, dass den Zuhörern der Wechsel nicht auffällt. Dieses Beispiel zeigt auch an, dass die allermeisten Schulen mindestens den zweiten Schritt bereits gegangen sind.

Für schulische Change- und Transformationsprozesse ist es auch wichtig, inwieweit Lehrkräfte ihre subjektiven berufsspezifischen Überzeugungen verändern können. Ein großer Unterschied zu fast allen Berufen ist der, dass jede und jeder Schule von innen kennt. Denn den „Rucksack“ der eigenen schulischen Sozialisation trägt jeder (so lange er nicht reflektiert worden ist, auch unbewusst) mit sich – und damit auch das an Modellen erlernte Wissen darüber, „wie Lehrer geht“. Dabei lässt sich Kreide leicht gegen einen Marker austauschen, oder eine Tafel gegen ein Whiteboard. Doch für eine derart tiefgreifende Veränderung wie die Digitalisierung von Schule und des schulischen Lehrens und Lernens genügen die „mitgeführten“ Lehrer-Modelle nicht, hier geht Veränderung über in eine Transformation auf mehreren Ebenen – allen voran der beruflichen Rollenidentität.

Untersuchungen zeigen, dass Lehrerüberzeugungen relativ veränderungsresistent sind (z.B. Kunter & Pohlmann, 2009). Seit Jahren wird dieser Aspekt unter dem Fachbegriff „teacher beliefs“ erforscht (z.B. Fives & Buehl, 2012; Reusser & Pauli, 2014). Bedeutsam ist diese Erkenntnis, weil damit nachgewiesen worden ist, dass es nicht das im Studium erlernte Wissen ist, welches leitend für die Lehrtätigkeit ist. Denn die eigenen Erfahrungen der schulischen Sozialisation oder auch die eigene Motivation, Lehrkraft zu werden, sind um ein Vielfaches entscheidender und prägender. Insofern ist die Reflexion des beruflichen Selbstkonzepts und der – mit der Digitalisierung – veränderten Rollen als Lehrkraft sowie deren Auswirkungen auf die eigene berufliche Identität unerlässlich.

Coaching in der schulischen Fort- und Weiterbildung

Seit einigen Jahren erfreut sich Coaching – durch professionelle, ausgebildete Coaches – im System Schule wachsender Beliebtheit. Einige Bundesländer, z.B. Hessen und Baden-Württemberg, haben Coaching für schulische Führungskräfte zum Standard erklärt. Mit dieser Adaption eines Instruments, dem über Jahre der „Geruch“ der Wirtschaft anhaftete, hat Coaching keine Akzeptanzprobleme und kann daher gut im Bereich der Weiterbildung personaler und fachlicher Kompetenzen implementiert werden. Strukturell kann der Ablauf im systemisch-lösungsorientierten Coaching als Vorlage dienen: Anliegenklärung, Situationsbeschreibung, Zielfindung sowie Lösungs- und Maßnahmenformulierung. Dieser Hinweis auf die Gesprächsstruktur verdankt sich der Erfahrung, dass ein fester Ablauf, verbunden mit einer angemessenen zeitlichen Strukturierung, die Zielorientierung sichert.

Die Rückmeldungen, wonach sich die Mehrzahl der Lehrkräfte bei anderen Kollegen Unterstützung geholt hat, sprechen für ein Format kollegialen Coachings (Hanstein & Lanig, 2021). Hier wird der Gruppe die Kompetenz eingeräumt, aufgrund der intuitiven Präsenz ihrer Mitglieder Assoziationen zum eingebrachten Anliegen zu äußern. Der Organisierende gibt den Rahmen vor, erläutert Ablauf, Rollen, Regeln und die im Coaching einschlägigen ethischen Standards. Ansonsten gilt als Grundsatz: Die Gruppe als „Coach“.

Think – Pair – Share

Abb.: Think – Pair – Share (Quelle: Hanstein & Lanig, 2020b, S. 281)

Im Kontext Schule hat es sich bewährt, im Ablauf an Unterrichtsmethoden anzuknüpfen, die Lehrkräfte kennen. So kann zudem an der Methodenkompetenz der Lehrenden angesetzt werden. Hierzu bietet sich „Think – Pair – Share“ (im Folgenden Hanstein & Lanig, 2020b, S. 281) an (siehe Abb.). Der „Gecoachte“ ist in den ersten Phasen ein „stummer Wanderer“, der sich sein „Bild“ macht, ohne noch mit den anderen ins Gespräch zu kommen. Dabei hält zunächst – im Thinking – jeder Teilnehmer seine Eindrücke fest, die dann in einem zweiten Schritt – dem Pairing – geteilt und visualisiert werden. Im Sharing werden dem „Falleinbringer“ die Zwischenergebnisse präsentiert. Daraufhin steuert der Organisierende den Prozess zum Focusing: Die Assoziationen der Gruppe werden an das zu Beginn eingebrachte Anliegen rückgebunden. Sprachliche Äußerungen wie paraverbale Regungen des Falleinbringers werden vom Organisierenden gespiegelt – an dieser Stelle kommt das zum Tragen, was im Coaching als Änderung der Muster bezeichnet wird. Was inhaltlich, ausgelöst durch die zurückliegenden Schritte, an eigenen Handlungsoptionen – Activities – geäußert wird, wird notiert und der entsprechenden Lehrkraft am Ende zur eigenen Erprobung mitgegeben. 

Kollegiales Coaching sollte nicht als Instrument der Führung verwendet werden, sondern dem Sinn des Wortes gemäß als kollegiales Unterstützungsangebot. Dieses Format kann übergreifend von der eigenen Schule und Fachschaft zum Einsatz kommen und eignet sich auch im virtuellen Kontext. (vgl. Hanstein & Lanig, 2021)

Agilität ersetzt Formalismus

Das schulische Unterstützungssystem ist zwar länderspezifisch divergent aufgebaut, eine Gemeinsamkeit jedoch besteht in der funktionalen und inhaltlichen Strukturierung. So existieren neben fachbezogenen Fachdidaktikern beispielhaft die Fachberater für Schul- und Unterrichtsentwicklung sowie eine Vielzahl an Beauftragten für diverse Bereiche. Diese gewachsenen Strukturen mögen wichtig sein, um Funktionalität zu gewährleisten, die Inhalte jedoch sind nicht in jedem Fall klar abgrenzbar. Mit dem Einstieg in den Online-Unterricht und der Einführung der Lehrkräfte in neue Lernformate war zu beobachten, wie die gewohnte Struktur und Zuständigkeit teilweise zerflossen sind.

Dieses Phänomen war nur für jene problematisch, die darin „Zuständigkeitsgerangel“ gesehen haben. Viel bemerkenswerter war es, zu beobachten, wie Kolleginnen und Kollegen sich ihre Fortbildungen entsprechend ihres je aktuellen Bedarfs organisiert und „geholt“ haben. Damit konnte unter Umständen zwar die formale Zuständigkeit – auch aufgrund der größeren zeitlichen Flexibilität – „unterwandert“ werden; entscheidender waren für die Lehrkräfte ihr Anliegen und ihre Zielsetzung. Diese mit dem Einstieg in die Digitalisierung verstärkte Agilität der Lehrkräfte an deutschen Schulen spiegelt im Prinzip das, was unter dem Begriff „New Work“ seit Jahren prognostiziert und gefordert wird.

Aufgrund der ersten positiven Erfahrungen mit Coaching im schulischen Kontext könnte Coaching als additives Instrument in einem Blütenmodell integriert werden. Dieses Naturbild soll genutzt werden, um die Anordnung verschiedener – formal und inhaltlich „zuständiger“ – Systeme auf einen Fokus und Zweck hin zu visualisieren: So kann es Unterstützungssysteme geben, die – im Bild gesprochen – die Kelchblätter (i.d.R. grün) bilden, während andere die Aufgabe der Kronblätter (i.d.R. andersfarbig) wahrnehmen. Wie die Natur eine Vielzahl an Blüten herausgebildet hat, so kann auch jede Schule ihre eigene „Fortbildungsblüte“ mit den Pandemie- und Online-Erfahrungen „wachsen“ lassen. Die Stärke dieses Naturbildes liegt darin, dass Natur nie statisch ist. Wo die Entwicklungen, Bewegungen und Veränderungen natürlicher Vorgänge auf Prozesse der Schulentwicklung und die Unterrichtsentwicklung als deren Basis übertragen werden können, da kann Agilität auch weiterhin das schulische Leben und die schulische Fortbildungslandschaft bestimmen. Coaching ist – neben den vorrangigen Themen Change und Transformation – insbesondere dort von Bedeutung, wo es um die Balance von Gesprächsstruktur sowie Anliegen- und Zielorientierung geht.

Fazit

Die Schulen in Deutschland werden zum kommenden Schuljahr nicht umhinkommen, die letzten drei Schulhalbjahre zu reflektieren. Neben der konzeptionellen Ebene – Grundsatz: gute hybride Schulen von morgen haben heute gute Konzepte für diese Transformation – sollte es auch um die Ebene der kollegialen Begleitung von Lehrerinnen und Lehrern gehen. Die deutschen Lehrkräfte haben sich in der Corona-Krise als Berufsimprovisateure – im besten Sinne des Wortes – bewiesen. In der Reflexion dieser kollektiven Erfahrung besteht ein sehr großes Potenzial für die „hybride Schule von morgen“.

Lehrkräfte sind per se und bereits der Bedeutung des Wortes nach Führungskräfte: Sie führen Menschen, steuern Bildungsprozesse und leiten Schülerinnen und Schüler zur Selbstreflexion und Kollaboration an. Führung beginnt mit Selbstführung – ein Grundsatz, der unter krisenbedingtem Stress nicht selten auf die Probe gestellt wurde. Doch auch in diesen Erfahrungen und ihren Bewältigungsstrategien können Ressourcen (wieder-)entdeckt und nutzbar gemacht werden (vgl. Hanstein, 2021). Voraussetzung für diese Aspekte ist, dass Begleitungsformate für Lehrerinnen und Lehrer weder gezielt noch unbewusst in die „private bubble“ delegiert werden. Sie gehören zum begonnenen Change- und Transformationsprozess, soll dieser nachhaltig sein, d.h., möglichst viele Kolleginnen und Kollegen „mitnehmen“. Kollegiales Coaching bietet dafür einen konstruktiven Ansatz und stellt eine Chance dar.

Literatur

  • Arnold, R. (2012). Ich lerne, also bin ich. Heidelberg: Carl-Auer.
  • Fives, H. & Buehl, M. (2012). Spring cleaning for the „messy“ construct of teachers‘ beliefs. In K. R. Harris, S. Graham T. Urdan (Hrsg.), APA Educational psychology handbook (S. 471–499), Washington: APA.
  • Handke, J. (2020). Handbuch Hochschullehre Digital. Baden-Baden: Tectum.
  • Hanstein, Th. (2021). Selbstmanagement – mit Coachingtools. 2. Auflage. Baden-Baden: Tectum.
  • Hanstein, Th. & Lanig, A. (2021). #Online-Lehre meets #Online-Coaching. Münster/New York: Waxmann.
  • Hanstein, Th. & Lanig, A. (2020a). Spirituelle Kompetenz in digitalen Lern- und Arbeitswelten. Baden-Baden: Tectum.
  • Hanstein, Th. & Lanig, A. (2020b). Digital lehren. Das Homeschooling-Methodenbuch. Baden-Baden: Tectum.
  • Kunter, M. & Pohlmann, B. (2009). Lehrer. In E. Wild & J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie (S. 262–282), Heidelberg: Springer Medizin.
  • Puentedura, R. R. (2006). Transformation, Technology and Education. Präsentation. Abrufbar unter: www.hippasus.com/resources/tte
  • Reusser, K. & Pauli, C. (2014). Berufsbezogene Überzeugungen von Lehrerinnen und Lehrern. In E. Terhart, H. Bennewitz & M. Rothland (Hrsg.), Handbuch der Forschung zum Lehrerberuf (S. 642–661), Münster/New York: Waxmann.

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