Portrait

Interview mit Dr. Werner Vogelauer

Coaching ist Prozess- nicht Expertenberatung

Führungskräfteentwicklung, Coaching und Organisationsentwicklung – Coaching ist für Dr. Werner Vogelauer immer in einen breitere Perspektive eingebunden. Er versteht sich dabei strikt als Prozessberater. Denn Expertenrat unterstützt die Klienten nicht, ist er zutiefst überzeugt, und lehnt es ab, den Schattenmanager oder Hofnarren zu geben. Als „gelernter“ Transaktionsanalytiker weiß er um die Spiele, die im Management laufen. Deswegen lotet er lieber die Tiefe aus für seine Kunden – und nimmt sie damit radikal ernst: Der Kunde muss sich nicht minderwertig fühlen, weil er ein Problem hat.

8 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 3 | 2010 am 13.07.2010

Ein Gespräch mit Thomas Webers

Wie kamen Sie zum Coaching?

Als ich Anfang der 80er Jahre eine Geschäftsführung für Managemententwicklung in Wien innehatte, bin ich dort angesprochen worden, Bildungsberatung anzubieten. Daraufhin habe ich ein eigenes Modell für Einzelgespräche entwickelt, das Pilot-Konzept: Problemidentifizierung – Lernorganisation – Transfer. Das hatte schon Coaching-Charakter, vor allem von der Haltung her: Was sind die wichtigen Punkte, wo wollen die Leute hin, was sind die Voraussetzungen, was die Rahmenbedingungen et cetera? Mitte der 80er Jahre habe ich dann Coaching als eigenständiges Format im US-amerikanischen Bereich kennengelernt. Ende der 80er Jahre kamen dann die ersten Kunden zu mir, die Coaching lernen wollten. Auf mein Wirtschafts- und Organisationsentwicklungs- sowie psychologisches Wissen, ich hatte ja eine Ausbildung in Transaktionsanalyse absolviert, und meine Erfahrungen aus der Führungskräfteausbildung konnte ich aufbauen. So habe ich Anfang der 90er Jahre in Österreich mit zwei Kollegen ein Programm entwickelt und angeboten.

Sie haben Etliches aus der Organisationsentwicklung abgeleitet. Sind das nicht zweierlei Paar Schuh': die Arbeit mit Gruppen und die mit Einzelnen?

Zum Teil. Es gibt etliche Übungen, die sowohl als auch anwendbar sind. Manchmal muss man das nur adaptieren, denn beides ist Prozessbegleitung. Ich steige in keinem Fall in die inhaltliche Beratung ein ...

... ganz in der Tradition von Ed Schein, von dem ja die Unterscheidung zwischen Prozess- und Expertenberatung stammt.

Fritz Glasl, ein Kollege von mir, hat einmal gesagt: Coaching ist so etwas wie die Mikro-Organisationsentwicklung. Dort arbeitet man mit mehreren, hier mit Einzelnen. Auch die Ethik ist ähnlich: Eine empathische, unterstützende, fördernde und entwickelnde Haltung zeichnet beides aus.

Ist Ethik für Sie eine implizite Haltung?

Es ist eine Haltung, aber ich habe auch eine explizite Ethik. Es geht mir darum, die Autonomie des Kunden zu unterstützen und zu fördern. Dazu gehört auch seine emotionale Eigenständigkeit sowie seine Flexibilität und Spontanität. Wir Transaktionsanalytiker sagen ja: Ich bin ok, Du bist ok. Der Kunde soll sich frei entscheiden können. Und er kann sich entwickeln. Die Potenziale sind in ihm. Ich bin nur eine „Hebamme“ und muss nicht auf ihn zu gehen, weil ich meine, er braucht nun unbedingt eine Beratung von mir. Und ich wüsste besser, was er tun kann und soll.

Wenn er aber auf mich zugeht, dann ist es oft so, dass er sagt: „Interessante Frage, die Sie da aufwerfen! Die habe ich mir selbst noch gar nicht gestellt.“ Dann decke ich etwas auf, das neu ist für ihn – wenn ich selber kreativ genug bin, solche Fragen aufzuwerfen. Die Basis dafür, dass ein gutes Gespräch entstehen kann, ist, dass man den Anderen akzeptiert – und sich selbst auch mag.

Sie meinen, der Klient muss so sein dürfen, wie er ist. Er darf sich akzeptiert fühlen – und muss sich nicht minderwertig fühlen, weil er ein Problem hat?

Genau. Passivität und Abwertung ist im Coaching oft ein zentrales Thema. Klienten kommen ins Coaching und sagen: „Ich kann nichts mehr machen, Sie müssen mir helfen!“ So wird ein Problem konstruiert und nicht mehr gesehen, dass man die Sache auch anders wahrnehmen könnte und dass links und rechts auch noch diverse Rahmenbedingungen eine Rolle spielen. Viele Fallen im Coaching entstehen schon zu Beginn. Wenn beispielsweise eine Problembeschreibung als vorweggenommenes Ziel aufgefasst wird.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Nehmen wir dieses: „Mein Problem ist, ich habe keine Mitarbeiter“. Oder dieses: „Mein Problem ist, ich habe keine Strategie“. Oder das: „Mein Problem ist, ich habe keine Unterlagen für die nächste Sitzung“. Menschen denken dann nicht mehr darüber nach, welche Alternativen es geben kann. Man glaubt, etwas „ist“ das Problem. Viele Führungskräfte sind dermaßen lösungsorientiert orientiert, dass es ihnen schwerfällt zu sagen, was ist. Statt dessen sagen sie, was sein sollte. So legen sie sich selbst ein Kuckucksei ins Nest. Wenn jemand sich beklagt, er hätte keine Mitarbeiter, kann das eben schlicht erst einmal heißen, er hat momentan zu viel um die Ohren. Dann frage ich ihn, was er denn genau in den 15 Arbeitsstunden pro Tag macht? Was ist das alles, was er um die Ohren hat? Da kann ich dann konkret einsteigen.

Ist es so, dass Sie oft Klienten „zurück auf Los“ holen müssen, weil die schon viel zu schnell und zu weit davon galoppiert sind nach dem Motto Mark Twains: Als wir das Ziel endgültig aus den Augen verloren hatten, verdoppelten wir unsere Anstrengungen?

Ich habe mir da so meine eigene Jiu-Jitsu-Technik zurechtgelegt. Ich arbeite mit der Energie des Kunden und sage: „Erzählen Sie mir mehr darüber“. Wenn er sich dann ausbreitet, kann ich das meinen vier Analyseebenen zuordnen. Handelt es sich also um ein persönliches Thema, ein Beziehungs-, ein arbeitsmethodisches oder um ein Strukturthema der Organisation? Je nachdem kann man dann besser schauen, was ist der richtige Prozess hin zur Lösung? Handelt es sich nämlich um ein Problem der Struktur seiner Organisation, kann ich ihm mit Coaching relativ wenig helfen, im Gegenteil: Coaching kann ein gefährliches Angebot werden, wenn ich am falschen Ende anpacke. Im Zweifelsfall hat der Mensch, der da bei mir im Coaching hockt, gar keine Entscheidungsgewalt über Fragen der Organisationsstruktur. Ich kann mit einem Klienten doch nur sinnvoll an dem arbeiten, was er auch selbst verändern kann.

Andernfalls kämpft man gegen Windmühlenflügel und beschränkt sich aufs Pflasterkleben. Aber das können Sie ihm doch deutlich sagen?

Richtig. Das würde ich dann auch tun und ihn fragen, welche Möglichkeiten sehen Sie, dieses Strukturproblem in Angriff zu nehmen? Wer kann darüber entscheiden? Und wenn er sagt, mein Chef, dann kann ich ihn fragen, welche Möglichkeiten sehen Sie, ihm die Problematik zu verdeutlichen und Initiativen zu setzen? Dann kommt er ganz schnell auf die Idee, sich Gedanken darüber zu machen, wie sein Chef so „tickt“, was dem wichtig ist, welche Erfolgskriterien der anlegt, auf welchem Ohr der hört. So kann er sich auf den Chef einstellen und einen Weg planen, mit ihm über das Thema zu sprechen. Wohl wissend, dass der Chef es ist, der die Entscheidung über das Strukturproblem letztlich trifft.

Wie kamen Sie zu dem Vierebenenmodell?

Ich bin eher der analysierende Typ. Ich denke sehr schnell in Strukturen und Bildern und visualisiere gerne. Wenn ein Klient kommt und mir von seinem Problem erzählt, neigt er dazu, sich zunächst einmal auszubreiten. Ich bekomme jetzt also einen solch riesigen „Heuhaufen“ serviert. Meine Ausgangslage ist dabei: Wie kann ich mir das so sortieren, dass ich zumindest einmal „Spreu von Weizen“ trennen kann. Und da bietet sich natürlich grundsätzlich an zu schauen, redet die Person überwiegend über sich?

Hat sie ein sehr persönliches, intrapsychisches Problem? Oder redet sie über interpsychische, also Beziehungsprobleme? Oder schildert sie sachlich-methodische Probleme, beispielsweise mit dem Zeitmanagement. Oder geht es um das größere System der Organisation? So habe ich eine erste Sortiermöglichkeit, um Wichtiges zu identifizieren, auf die ich dann später noch verfeinernd eingehen kann. Aber wichtig ist, ich muss die Lösung auf der Ebene finden, auf der das Problem liegt. Suche ich Lösungen beispielsweise auf der arbeitsmethodischen Ebene für persönliche Probleme, funktioniert das nicht, die „Lösung“ ist nicht nachhaltig.

Sie sagten, Sie haben auch Transaktionsanalyse gelernt. Auch die TA bietet diverse Analyseschemata an.

Damit arbeite ich auch. 1984 habe ich meine TA-Ausbildung begonnen, seit 1992 biete ich selbst Ausbildungsgruppen in Österreich und der Schweiz an. Ich denke, TA, Organisationsentwicklung und Coaching haben eine vergleichbare Ethik. Wenn ich TA-Konzepte anwende, biete ich meinen Klienten an, die Welt mit einer anderen Brille auf der Nase anzuschauen. Und damit besteht die Chance, dass er andere Dinge erkennt, als er bis jetzt erkannt hat. Denn eine differenzierte Wahrnehmung ist ein entscheidender Ausgangspunkt für jede Veränderung.

Ist die TA für Sie heute noch die maßgebliche Methode? Coachs wie Bernd Schmid beispielsweise haben dort ja auch ihre Wurzeln, haben ihren Ansatz aber mehr in Richtung systemisches Denken erweitert.

Für mich ist die TA als Methode ein wesentlicher Teil. Sie ist gut strukturiert, das kommt auch bei Managern, mit denen ich arbeite, positiv an. Sie können die Konzepte gut nachvollziehen und auch leicht eigene Ableitungen treffen. Aber ich habe auch Psychodrama gelernt, Psychosynthese und NLP. Ich kenne also viele Methoden. Im Coaching schaue ich, welche Frage hat der Kunde und dann, welche Methode dazu passt. Und nicht anders herum. Da Sie explizit Bernd Schmid ansprechen: Mich verbindet sehr viel mit ihm - auch in Richtung systemische Transaktionsanalyse. Ich habe das Systemdenken aber seinerzeit schon beim niederländischen NPI-Institut für Organisationsentwicklung gelernt und im Rahmen meiner Tätigkeit als Organisationsentwickler bei Trigon. Dieser Ansatz hat weniger mit dem Tavistock-Ansatz zu tun, sondern ist viel pragmatischer und ganzheitlicher.

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