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Ethik

Die Frage eines gelungenen Lebens

Coaching als Praxis einer Philosophie der Lebenskunst

Coaches orientieren sich in der Regel ganz bewusst an therapeutischen Interventionen und nutzen sie kreativ für die Veränderungsprozesse ihrer Klienten. Coaching basiert jedoch auch auf ausgesprochenen oder verborgenen philosophischen Konzepten und Grundsatzentscheidungen, die dem Coach und dem Klienten nicht immer bewusst sind. Dennoch haben diese einen entscheidenden Einfluss auf den Inhalt, den Verlauf und das Ergebnis eines Coaching-Prozesses und können diesen in verschiedener Hinsicht bereichern.

14 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 2 | 2023 am 17.05.2023

Eigentlich ist jede Coaching-Sitzung auch eine Stunde des gemeinsamen Philosophierens. Jedenfalls wenn man Wilhelm Schmid und seiner Philosophie der Lebenskunst folgt. „Unter Philosophie soll hier zunächst nur der Moment des Innehaltens und Nachdenkens verstanden werden, der Raum der Freiheit und der Muße, Fragen zu stellen, die andernorts [...] außeracht gelassen werden, ja nicht einmal formuliert werden können.“ (Schmid, 1999, S. 27)

Auf einen Blick

  • Philosophisches Denken und Reflektieren, z.B. anhand sokratischer Frageformen, ist Bestandteil vieler Coachings.
  • Coaching als Praxis einer Philosophie der Lebenskunst beinhaltet das skeptische Hinterfragen von als selbstverständlich Wahrgenommenem, z.B. verinnerlichten kulturellen Antreibern.
  • Ein entsprechendes Coaching-Verständnis hilft Coaches dabei, einer einseitigen Selbstoptimierung von Klienten nicht unkritisch Vorschub zu leisten.

Im Raum stehen im Zusammenhang mit den konkreten Zielen des Klienten ganz selbstverständlich die Fragen: Wie kann und will der Klient sein Leben führen? Was ist erstrebenswert und sinnvoll? Was ist überflüssig (geworden) und darf gerne zurückgelassen werden? Welche Lebensthemen könnten wichtig sein, sind aber noch gar nicht wirklich wahrgenommen worden? Fragen der Lebensgestaltung, ja der Lebenskunst.

Auch den Begriff der Kunst auf das eigene Leben anzuwenden im Sinne einer Lebenskunst, ist bisher nicht besonders weit verbreitet. Normalerweise wurde unter Kunst etwas verstanden, das einen Werkcharakter hat, „etwas Gesondertes […], das von Experten, nämlich Künstlern gemacht wird. Aber könnte nicht das Leben eines jeden ein Kunstwerk werden?“, fragte sich nicht nur Foucault seinerzeit (nach ebd., S. 71). Diese Vorstellung, das eigene Leben als ein Kunstwerk zu betrachten und zu gestalten, eröffnet ein ganz neues Verhältnis zu sich selbst und zum eigenen Leben.

Dabei muss an dieser Stelle daran erinnert werden, dass Fragen der gelungenen Lebensgestaltung in der Antike ein üblicher Bestandteil der Philosophie waren, ebenso wie später in der Renaissance. In der akademischen Fachphilosophie sind sie dagegen lange Zeit nicht in dem Ausmaß erörtert worden. Diese Leerstelle wurde geschlossen, als sich – auch aus der Philosophie heraus – im 20. Jahrhundert sowohl die Psychoanalyse als auch verschiedenste andere psychologische Schulen entwickelten.

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Literatur

  • Grunick, K. & Buchholz, L. (2021). Entdecke deine Körperintelligenz. München: Gräfe und Unzer.
  • Han, B. C. (2016). Psychopolitik. Neoliberalismus und die neuen Machttechniken. Frankfurt: Fischer.
  • Klein, O. G. (2018). Tagebuchschreiben. Berlin: Wagenbach.
  • Klein, O. G. (2009). Zeit als Lebenskunst. Berlin: Wagenbach.
  • Schmid, W. (1999). Philosophie der Lebenskunst – Eine Grundlegung. Frankfurt: Suhrkamp

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