Kontrovers

Misserfolge im Coaching

5 Min.

Erschienen im Coaching-Newsletter in Ausgabe 02 | 2003

Unlängst wurde in unserem Diskussionsforum zum Coaching gefragt, ob es Informationen und Erfahrungsberichte zum Thema "Misserfolg im Coaching" gibt. Nun können Misserfolge zwar zuweilen lehrreicher sein als Erfolgsgeschichten; auf der anderen Seite ist aber (nicht nur in der Beratungsbranche) kaum etwas so gefürchtet, wie ein Misserfolg - oder damit auch nur in Verbindung gebracht zu werden. Folgerichtig finden sich entsprechende Erfahrungsberichte eher selten in der Coaching-Literatur. Schon häufiger werden Misserfolge im kleinen Kollegenkreis und natürlich in der Supervision besprochen, unterliegen hier aber i.d.R. der Schweigepflicht.

In der Zeitschrift "managerSeminare" (Ausgabe Februar 2003) berichtet die Trainerin und Beraterin Ingeborg Dietz in dem Artikel "Was tun, wenn der Draht reißt?" nun über drohenden Misserfolg im Coaching. In einem dort geschilderten Fallbeispiel wehrt sich ein Klient gegen die (natürlich gut gemeinten) Erklärungsversuche des Coachs mit Hilfe diverser Einwände und Gegenargumente. Der Klient ist blockiert, der Coaching-Prozess scheint festgefahren. Während der Coach immer aktiver wird, um einen Misserfolg zu vermeiden, wird der Klient immer passiver. Scheinbar nimmt er die Vorschläge des Coachs an, um sie dann letztlich doch nicht umzusetzen. Es entsteht ein regelrechtes "Spiel" zwischen Coach und Klient, in dem sich beide zunehmend unwohl fühlen.

Der "Ausbruch" aus dem Spiel gelingt erst, als der Coach seine eigenen Gefühle (Ärger, Unverständnis, Hilflosigkeit) reflektiert und sich in der Beratung mehr zurücknimmt, statt immer aktiver zu werden. Für den Klienten wird es zur Entlastung, als der Coach die Situation anspricht und der Klient, statt noch mehr Druck und ungeliebte Ratschläge, Verständnis und Mitgefühl für seine schwierige Situation erfährt. Dieses neue Gefühl des "verstanden-werdens" verschafft dem Klienten Entlastung, er wird wieder handlungsfähig. Der Coach erkennt zugleich, dass statt gut gemeinter Ratschläge das Stellen von Fragen und Zurückhaltung zu besseren Ergebnissen führt.

Hier zeigt sich, warum Coaching als Prozessberatung helfen kann, wenn die vermeintlich guten Ratschläge schon lange nicht mehr angenommen werden. Aus dem Beispiel im Artikel wird deutlich, dass es im Coaching weniger darum geht, dem Klienten eine Lösung zu präsentieren, sondern vielmehr eine Hilfestellung gegeben werden sollte, eine eigene Lösung zu finden. Dazu - auch das wird aus einem weiteren Beispiel in dem Artikel deutlich - ist neben einer verständnisvollen Haltung auch methodisches Können hilfreich, z.B. um über Rekonstruktionen dem Klienten einen neuen Zugang zu seinen Anliegen zu ermöglichen.

Erfreulich ist, dass sich bereits die Forschung mit schwierigen Situationen im Coaching beschäftigt. Die Diplomarbeit von Felix Reiners, Augsburg, behandelt 16 "Beratungsdilemmata im Coaching" (s. Rubrik "Forschung & Wissenschaft" im Coaching-Report). Ziel der Arbeit ist nicht nur die theoretische Identifikation der intra- und interpersonalen Konfliktstrukturen, sondern auch eine Befragung von Coachs zu ihren diesbzgl. Erfahrungen im Coaching.

Als Präventivmaßnahmen gegen Misserfolge zeigen sich einmal mehr vermeintlich "simple" Grundlagen, die vor dem Hintergrund einer zunehmenden Methodengläubigkeit anscheinend immer wieder in Vergessenheit geraten:

- Der Kontrakt mit dem Klienten sollte einen ebenso klaren wie verbindlichen Rahmen schaffen, dass Coaching eine zuweilen längerfristige Intervallmaßnahme ist, in der realistischerweise keine schlagartigen Erfolge zu erwarten sind. Kurzum: Der Coach braucht bei Fällen, die eine längere Beratung erfordern, die bewusste Entscheidung des Klienten, einen Prozess mit Höhen und Tiefen einzugehen.

- Beratung basiert prinzipiell auf Freiwilligkeit und Einsicht (Grundregel: "Keine Beratung ohne Auftrag."). Wer nicht beraten werden will und auch nach einem (meist durch den Vorgesetzten initiierten) Vorgespräch keinen Beratungsbedarf hat, kann nicht beraten werden.
Ein Coach sollte keinen "missionarischen Eifer" entwickeln ("Aber Sie müssen doch einsehen, dass..."), jede(r) hat das Recht, nicht beraten zu werden.

- Die eigentliche Zielsetzung im Coaching wird meist erst im Beratungsprozess deutlich. Vorschnelle Zielsetzungswünsche durch den Klienten sind zuweilen eher diagnostisch wertvoll, als wirklich zielführend. Nimmt der Coach (vor)schnelle Ziele an, entsteht beim Klienten zudem eine Machbarkeitsillusion, die nahezu zwangsläufig in einer Enttäuschung endet. Zielvereinbarung können erst dann getroffen werden, wenn das Ziel sorgfältig definiert ist.

- Coaching-Prozesse ermöglichen insbesondere dann eine Veränderung, wenn an Punkten gearbeitet wird, die der Klient (bewusst oder unbewusst) bisher ausgeklammert hat. Wirkliche Veränderungsbereitschaft beginnt oft jenseits des bisher Gedachten. Damit wird Coaching nicht zur Therapie, sondern legt den Fokus oftmals auf andere Zusammenhänge. Genau dies kann ein Coaching für den Klienten wertvoll machen, weil scheinbar Unerklärliches auf einmal verständlich wird. Neue Horizonte brauchen einen Perspektivenwechsel.

- Der Coach braucht für seine Arbeit Supervision, um gerade kritische Fälle professionell aufarbeiten zu können. Ohne Supervision geht es nicht, auch wenn der Coach noch so erfahren ist, denn Niemand ist vor blinden Flecken gefeit (auch wenn das Verhalten mancher Berater und Führungskräfte darauf ausgelegt scheint, das Gegenteil suggerieren zu wollen). Wer andere berät, sollte selbst Beratung in Anspruch nehmen.

- Coaching ist keine therapeutische Maßnahme und kann eine solche nicht ersetzen. Wird im Coaching ein entsprechender Bedarf offensichtlich, muss der Coach verantwortlich handeln und auf die Notwendigkeit einer angemesseneren Maßnahme verweisen. Coaching und Therapie sollten - um eine Überforderung zu vermeiden - auch nicht zeitgleich durchgeführt werden.

- Entscheidend ist nicht, dass der Coach (s)eine Lösung findet, sondern dem Klienten eine eigenständige Lösung seines Anliegens ermöglicht. In dieser Haltung ist auch der wertschätzende Ansatz verborgen, den Klienten als Experten in eigener Sache zu sehen.

FAZIT

Misserfolge im Coaching gibt es vermutlich ebenso zahlreich wie in anderen Beratungsformen. Professionelle Coachs kennen verschiedene Konfliktstrukturen und wissen, dass es meist nicht raffinierte Methoden, sondern eine authentische Haltung und die konsequente Anwendung von Grundregeln sind, die Erfolge ermöglichen oder zumindest das Ausmaß von Misserfolgen begrenzen können.

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