Kontrovers

Coaching und KI

Chancen und Gefahren des Einsatzes künstlicher Intelligenz

Spätestens seit der Bereitstellung von ChatGPT berührt das Thema der künstlichen Intelligenz (KI) unmittelbar den beruflichen Alltag vieler Menschen – etwa in der Bildung, der Wissenschaft, der PR- sowie Marketingbranche und zahllosen weiteren Feldern. Die Debatte um Risiken und Chancen, die mit dem Einsatz von KI-Systemen verbunden sind, hat seither entsprechend Fahrt aufgenommen. Mit der Frage, welche Gefahren und Potenziale KI im Kontext Coaching birgt, befasst sich der vorliegende Beitrag.

6 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 4 | 2023 am 15.11.2023

Künstliche Intelligenz (KI) ist derzeit das Thema der Stunde. Niemand kann allerdings vorhersagen, welche Auswirkungen diese technische Revolution tatsächlich auf jede und jeden von uns haben wird. Was sich abzeichnet ist, dass im Besonderen wissensintensive und kognitiv anspruchsvolle Tätigkeiten von den tiefgreifenden Umwälzungen betroffen sein werden. Dazu zählen auch verschiedene Coaching- und Beratungsdienstleistungen, einschließlich psychotherapeutischer Angebote. Nichts scheint momentan unmöglich. Auch nicht, dass in absehbarer Zeit gar keine Coaches, Berater und Therapeuten mehr gebraucht werden, da die KI stets die besseren Fragen und Antworten für die Klienten parat hat. 

Problemfelder des KI-Coachings

Realistisch ist dieses Szenario bei nüchterner Betrachtung allerdings (zumindest mittelfristig) noch nicht. Denn vor einem vollständigen Siegeszug der KI-Coaches stehen noch einige Fragezeichen. Dabei handelt es sich – neben u.a. kulturellen Barrieren oder möglichen Angriffen durch Hacker – im Kern um folgende Themenfelder.

Datenschutz

Überzeugende KI-Angebote stammen derzeit noch fast ausschließlich aus den USA. EU-Staaten spielen eine vergleichsweise kleine Rolle. Da vor allem die USA und China um die Vorherrschaft im KI-Bereich konkurrieren (Martin, 2023), wird dies wohl auch erst einmal so bleiben. Damit die KI die Aussagen der Klienten zum Anliegen und ggf. zu dessen persönlichen Problemen sinnvoll verarbeiten kann, müssen diese auf Servern, welche sich zumeist in den genannten Ländern befinden, verarbeitet und durch die KI bewertet werden. Dabei werden diese Daten in der Regel gespeichert und zum weiteren Training der KI genutzt. Hier braucht es überzeugende Datenschutz-Richtlinien und eine entsprechende Kontrolle. Beides steht im Bereich der KI noch aus und stellt in den genannten Regionen ohnehin ein tiefgreifendes Problem dar, vor allem hinsichtlich des Umgangs mit sensiblen Daten.  

Missbrauch/Haftung

Die Warnungen vor möglichen Missbrauchsszenarien scheinen momentan die Chancen zum Einsatz von KI völlig zu übertönen – zumal einige der prominentesten Fürsprecher einer Regulierung aus dem Kreis der KI-Pioniere stammen. Auch für Coaching lassen sich leicht Möglichkeiten skizzieren, wie eine KI Schaden anrichten kann. Beispiele wären gefährliche oder dysfunktionale Lösungsvorschläge, erfundene Fakten oder falsche Schlussfolgerungen als Basis für eine Entscheidungsfindung (Stichwort „halluzinierende KI“) oder sogar die Anstiftung zu radikalen Handlungen. Abgesehen von der Frage, wie solche Aktivitäten in einem Coaching jemals zweifelsfrei ausgeschlossen werden können, ist derzeit die Haftungsfrage bei Fehlberatungen völlig ungeklärt. Analog zur Problematik selbstfahrender Autos braucht es hier eine regulatorische Grundlage durch die Gesetzgebung.

Zwischenmenschliche Verbindung

Selbst wenn die oben angesprochenen Punkte geklärt wären, bliebe noch die Frage, wer sich von einem Avatar eigentlich coachen lassen möchte. Per Chatfunktion wird das nicht reibungslos funktionieren. Die allermeisten Coaching-Themen (vor allem im beruflichen Kontext) weisen eine so hohe Komplexität auf, dass ein Chatbot schnell an seine Grenzen stößt. Themen wie Führung, Stress oder Kommunikation im Team machen eine überzeugende Visualisierung der besprochenen Inhalte zwingend notwendig.

Denkbar wäre hier der Einsatz eines digitalen Coaching-Avatars und einer entsprechend vorbereiteten Plattform zur automatischen Visualisierung von Inhalten. Wahrscheinlich wird so ein Avatar in absehbarer Zeit auch recht flüssig mit den Klienten kommunizieren können, aber ob die Klienten deshalb mit ihm auch komplexe, womöglich auch  persönliche Fragestellungen bearbeiten möchten, bleibt abzuwarten. Momentan scheitern viele KIs noch an grundlegenden Elementen des Coaching-Prozesses wie z.B. am Zeigen als echt wahrgenommener Empathie, aber zumindest hier zeigen Studien (siehe Heller, 2023), dass sich dies bald ändern könnte. Problematischer ist ein Effekt, den künstlich erschaffene Bilder von Menschen regelmäßig auf echte Menschen haben: Wenn die Avatare fast, aber nicht vollständig menschlich wirken, dann werden sie als ziemlich unheimlich oder sogar gruselig wahrgenommen. Dieser Effekt tritt in jeglicher Interaktion mit digitalen Avataren auf und wird „Uncanny Valley“ bzw. Akzeptanzlücke genannt. Ein solchermaßen unheimliches Grundgefühl in der Interaktion zwischen Coach und Klient torpediert natürlich den Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung als fundamentalen Erfolgsfaktor im Coaching.

Chancen des Einsatzes von KI

Auch wenn die bisherigen Ausführungen einige ernstzunehmende Hürden für den Einsatz KI-gestützter Coachings darstellen, beinhalten KIs nichtsdestotrotz ein großes Potential im Bereich Coaching. Wie auch in anderen Berufsfeldern könnte die Entwicklung auch hier in eine Richtung gehen, dass diejenigen profitieren werden, die in der Lage sind, die KI als sinnvolle Unterstützung und Erweiterung ihres bisherigen Werkzeugkoffers zu nutzen. Wie könnte dies für Coaches aussehen? Nachfolgend einige Vorschläge und Umsetzungsbeispiele.

Die KI unterstützt den Coach mit sinnvollen Vorschlägen im laufenden Coaching-Prozess (z.B. zu passenden Coaching-Fragen oder Coaching-Tools). Beispiel: Während eines Coaching-Gesprächs mit einem Klienten, der sich in einer beruflichen Umbruchphase befindet, analysiert die KI in Echtzeit die vorherigen Gesprächsinhalte und erkennt Muster und Themen. Basierend darauf schlägt die KI dem Coach passende Fragen vor, die darauf abzielen, tiefer in die Ursachen des beruflichen Wandels einzutauchen und dem Klienten zu helfen, klare Ziele und Handlungspläne zu entwickeln.

Die KI hilft bei der Visualisierung der Coaching-Ergebnisse und gemeinsam erarbeiteten Informationen. Beispiel: Nach einer Reihe von Coaching-Sitzungen mit einer Klientin, die ihre persönlichen Ziele besser verstehen möchte, nutzt die KI die gesammelten Daten und erstellt anschauliche Grafiken und Diagramme. Diese visualisierten Ergebnisse zeigen der Klientin ihre Fortschritte, identifizieren mögliche Herausforderungen und verdeutlichen die Entwicklung neuer Erkenntnisse. Dadurch erhält die Klientin eine klarere Übersicht über ihre Entwicklungsschritte und kann leichter Veränderungen in ihrem Denken und Verhalten erkennen.

Die KI unterstützt kreative Prozesse im Coaching durch Generierung abstrakter oder konkreter Bilder, Videos, Texte usw. aus vorgegebenen Informationen. Beispiel: Ein Klient möchte während des Coachings seine persönliche Kreativität steigern, um innovative Lösungen für seine beruflichen Herausforderungen zu finden. Die KI analysiert die bisherigen Gespräche des Klienten sowie seine Interessen und generiert darauf basierend inspirierende Bilder, Videos und Texte. Diese kreativen Impulse sollen dem Klienten dabei helfen, neue Ideen zu entwickeln und alternative Perspektiven einzunehmen, um innovative Ansätze für seine beruflichen Aufgaben zu finden.

Die KI interagiert mit den Klienten im Rahmen der Vor- und Nachbereitung von Coaching-Gesprächen. Dies kann z.B. auch durch rein chatbasierte KIs geschehen. Beispiel: Vor einem bevorstehenden Coaching-Gespräch mit einer Klientin sendet die KI der Klientin eine Nachricht über einen Chatbot. Die KI fragt die Klientin nach ihren aktuellen Gefühlen, Fortschritten oder Hindernissen seit der letzten Sitzung. Basierend auf den Antworten der Klientin generiert die KI eine Zusammenfassung der relevanten Themen und sendet sie dem Coach vor der Sitzung zu. Dadurch ist der Coach gut informiert über die aktuelle Situation der Klientin und kann sich gezielt auf die bevorstehende Sitzung vorbereiten, um das Coaching noch effektiver zu gestalten.

Damit die geschilderten Beispiele Realität werden können, müssen jedoch zunächst die zuvor skizzierten Problemfelder adressiert werden. Es ist erforderlich, überzeugende Lösungen für jedes einzelne dieser Hindernisse zu finden. 

Literatur

Heller, P. (2023). Automatische Empathie-Korrektur. Deutschlandfunk. Abgerufen am 21.08.2023: www.deutschlandfunk.de

Martin, N. (2023). China vs USA: Das Rennen um die KI-Führung. DW. Abgerufen am 21.08.2023: www.dw.com

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