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HR

Braucht der HR' ler eine Coaching-Ausbildung, um "mitreden" zu können?

Pro- und Kontra-Argumente

7 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 3 | 2011 am 13.09.2011

Pro

Wo soll das notwendige Wissen sonst herkommen? 

von Burkhard Binder

Ist externes Coaching bereits im Unternehmen eingeführt, konzentriert sich die Funktion des für das Thema verantwortlichen HR’lers in erster Linie auf die Vermittlung und Organisation von Coaching-Leistungen. Ziel ist es, den an Coaching interessierten, organisationsinternen Kunden ein passendes Coaching-Angebot zu unterbreiten und den internen Coaching-Prozess zu steuern. Das wird umso besser gelingen, je besser die Bedürfnisse des Kunden und das Angebot des infrage kommenden Coachs verstanden werden.

Folgt man dieser These und unterstellt, dass der professionell agierende HR’ler den Kontext seiner Kunden und der eigenen Organisation bereits gut kennt, geht es darum, sich einen Eindruck zu verschaffen, wie ein Coach „tickt“ oder durch welche zentralen Einflusfaktoren das Profil des Coachs entstanden ist. Was verbirgt sich hinter den Angebots- und Kompetenzbeschreibungen der einzelnen Coachs? Welche gezielten Fragen sind in Auswahlinterviews mit den Coachs zu stellen, damit das Matching zwischen Klient und Coach erfolgreich ist und darüber hinaus der HR’ler als kompetenter Gesprächspartner wahrgenommen wird?

Seriöse Coachs haben heute in der Regel eine oder mehrere fundierte Coaching-Ausbildungen absolviert. Durch diese Ausbildungen und die dort erlebten Denkschulen sind die Coachs häufig entscheidend geprägt worden. Wenn man als HR’ler verstehen will, wie ein Coach in seiner Arbeit vorgeht, ist es daher von großem Vorteil, selbst erfahren zu haben, welche Inhalte vermittelt werden und mit welchen mentalen Modellen (Systemischer Ansatz, Transaktionsanalyse, Neurolinguistisches Programmieren, Hypnotheraphie, Gruppendynamik und so weiter) sich der Coach auseinandergesetzt hat.

Zentrale Themen in allen qualifizierten Ausbildungen sind in der Regel – neben der Vermittlung des zugrundeliegenden Modells – der Rahmen des Coachings, die Gestaltung des Coaching-Prozesses und die Vermittlung von Methoden. Nehmen HR’ler an diesen Ausbildungen teil, haben sie in guten Instituten die Möglichkeit, ihre Perspektive und Fragestellungen einzubringen. Sie können beispielsweise das Thema Coach-Auswahl mit der Lerngruppe und den Trainern diskutieren. Stehen Sie anschließend in ihrem Verantwortungsbereich vor der Aufgabe, einen Coach auszuwählen, können sie dann auf fachlicher Augenhöhe mit den infrage kommenden Coachs (mit-) reden – und ihren internen Kunden somit ein optimales Angebot machen.

Immer mehr, gerade größere Unternehmen haben bereits einen Coaching-Pool oder denken daran, einen aufzubauen. Auch hier stellt sich die Frage der Coach-Auswahl. Geeignete Coachs müssen identifiziert werden, es sind Auswahlgespräche zu führen und regelmäßige Austauschveranstaltungen mit den im Pool arbeitenden Coachs müssen organisiert werden. Auf der Basis der in der Coaching-Ausbildung gesammelten Erfahrungen kann der HR’ler auch diesen Prozess optimal gestalten.

Viele Unternehmen, die mit externen Coachs arbeiten und in denen sich eine entsprechende Coaching-Kultur aufgebaut hat, beginnen nach einiger Zeit, ihr Angebot auch mit internen Coachs zu erweitern. In der Regel übernehmen HR’ler, die vorher in der Rolle des Vermittlers von Coaching-Leistungen gearbeitet haben, diese Funktion. Spätestens jetzt geht es nicht mehr nur darum „mitreden“ zu können. Eine fundierte Coaching-Ausbildung wird zur Voraussetzung für die Übernahme der neuen Aufgabe.

Natürlich ist eine Coaching-Ausbildung nicht die einzige Möglichkeit, um „mitreden“ zu können. Alternativ oder ergänzend kann man sich beispielsweise mit der entsprechenden Literatur beschäftigen, Messen und Kongresse besuchen und/oder Mitglied in einem renommierten Coaching-Verband werden, in dem man den Erfahrungsaustausch und die Diskussion sowohl mit den Kollegen als auch mit den Coachs sucht. Das alles ersetzt nach meiner Auffassung und eigener Erfahrung nicht die erlebte Praxiserfahrung einer selbst absolvierten, qualifizierten Coaching-Ausbildung bei einem zertifizierten Anbieter.

Contra

Man muss nicht Medizin studiert haben, um einen guten Chirurgen finden und beurteilen zu können

von Roland von Barton

Ein erfahrener HR’ler kann komplexe Dienstleistungen einkaufen, steuern und evaluieren, ohne die jeweils zugehörige Profession erlernen zu müssen. Weil man sich nicht jede Profession aneignen muss, derer man sich im Laufe seines Lebens bedient. Einen passenden Arzt, Advokaten oder Seelsorger vermag jeder einigermaßen auszuwählen und für seine speziellen Anliegen zu nutzen, der sich zu informieren weiß und einigermaßen recherchieren kann.

Hintergrundwissen ist zugegebenermaßen äußert hilfreich. Der zuständige HR’ler sollte das Beratungsformat „Business-Coaching“ in den grundsätzlichen, methodischen und prozessualen Aspekten zumindest theoretisch kennen. Auch „ein Ohr am Markt“ zu haben, über Coaching-Netzwerke, Professionsstandards zu wissen, scheint mir auf Dauer unabdingbar für den, der in seiner professionellen Rolle die Spreu vom Weizen trennen können will. Die Lektüre von Veröffentlichungen und Teilnahme an Kongressen schließt sich dem an.

Doch statt eine Coach-Ausbildung zu absolvieren, erachte ich es als viel wichtiger, selbst einen Coaching-Prozess zu durchlaufen, dieses besondere Beratungsformat als Klient also am eigenen Leib erlebt und gründlich reflektiert zu haben. Dies sensibilisiert ausgezeichnet für überzogene Marketingphrasen und lässt erleben, was im Rahmen von Business-Coaching „wirklich“ machbar ist – oder eben auch nicht. Und ein Zweites wird deutlich, soweit ein Unternehmen direkter Auftraggeber ist: Welche Rahmenbedingungen müssen zusätzlich gesteckt sein, damit der Prozess sowohl in einem „geschützten Raum“ als auch „ergebnisoffen“ stattfinden kann?

Hierbei ergeben sich nämlich fix ethische Fragestellungen und werden Fallstricke offenbar, für die ein HR’ler, der selbst Coaching in Anspruch genommen hat, mit Sicherheit sensibilisiert ist: In welchen Settings entfaltet Business-Coaching seine größte Wirkung? Welche „Schutzmechanismen“ sind bei der Auftragsklärung unabdingbar, damit ein unternehmensseitiger Auftrag in aller erforderlichen Diskretion professionell angebahnt, durchgeführt und evaluiert werden kann?

Wichtig scheint mir, dass HR’ler, die heute oft im Gewand der „Business Partner“ auf Management-Coachs treffen, klug die Dreiecksbeziehung Auftraggeber-Klient-Coach in der Unternehmenslandschaft managen können. Das erfordert Rollenkompetenz: Der Coach kann sich auf seine Interaktion mit dem Klienten konzentrieren, der HR’ler als Garant der Unternehmenssicht auf die lediglich prozessuale Flankierung des Coaching-Auftrags und der Klient auf die Klärung und Entwicklung seiner Rolle als Führungskraft im beruflichen Kontext.

Im Idealfall sorgt der HR’ler für eine handwerklich ordentliche Auftragsklärung, erläutert die Schnittstellen, Rollen, Prozessstandards, Timelines und sorgt für Evaluierungsvereinbarungen. Denn: Je klarer ein HR’ler vermag, die Einbettung von Business-Coaching in unterstützende People-Prozesse darzulegen und gegebenenfalls auch explizit offenzulegen, desto besser funktioniert das Zusammenspiel für die Beteiligten. Was nämlich der mandatierte, externe Coach nicht oder kaum leisten kann, ist die Einbettung seines Tuns in die ihm normalerweise wenig transparenten Strukturen und HR-Prozesse der beauftragenden Organisation.

Im Gegensatz zu HR’lern, die selbst eine Coaching-Ausbildung absolviert haben, ist der erfahrene und gegebenenfalls gecoachte HR’ler weniger beeinflusst durch bestimmte Ausbilder, Philosophien und Coaching-Trends, überwiegt doch in seiner Rolle ganz eindeutig der Fokus auf die Nutzbarmachung dieser externen Dienstleistung für den Klienten und das Unternehmen. Auch ist er eher gefeit gegen den schrägen Versuch, sozusagen „Auf Augenhöhe unter Kollegen“ dem Gegenüber reinzureden und den Besserwisser spielen zu wollen.

Unternehmen, die oft ganze Mannschaften von Coachs auf verschiedenen Ebenen einsetzen, sind mittlerweile dazu übergegangen, die Auswahl und Mandatierung externer Executive-Coachs in wenige Hände oder in einer zentralen Abteilung zu konzentrieren. Dies birgt die Chance, nicht nur unverzichtbare Marktkenntnis, sondern auch relevantes Beratungs- und Prozess-Know-how an zentraler Stelle im Unternehmen zu bündeln und den Nutzen für alle Prozessbeteiligten sinnfällig und nachhaltig zu steigern.

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