Das Wesen von Konflikten beschreibt Luhmann (1984) als „parasitär“, d.h., Konflikte greifen um sich, infizieren die Alltagskommunikation und vergiften das soziale Miteinander. Diese Sicht auf Konflikte beschreibt sie als destruktiv, invasiv und wenig hilfreich. Demgegenüber sucht Eidenschink (2023) wegen der Unvermeidbarkeit von Konflikten nach ihrem konstruktiven Potenzial, ihrer Nützlichkeit und Wegen zum Umgang mit Konfliktdynamiken.
Die RAUEN Coaching-Marktanalyse 2024 (Rauen et al., 2024) unterstreicht die Bedeutung von Konflikten als Thema im Coaching: Die Befragten benennen das Konfliktmanagement als zweitwichtigstes Thema im Coaching nach der Reflexion und Weiterentwicklung der Führungsrolle. Die Relevanz und die Vielgestalt von Konflikten waren für den Fachausschuss Coaching in öffentlichen und sozialen Unternehmen im DBVC (Fachausschuss ÖSU) Inspiration dazu, ein Dialogcamp anzubieten. Ziel des Formats ist es, Coaches, Organisationsvertreterinnen und -vertreter sowie interessierte Praktikerinnen und Praktiker in den fachlichen Austausch zu bringen: über Entwicklungen in ihren Arbeitsfeldern, spezifische Herausforderungen und deren Bewältigung sowie die Erwartungen und Wünsche bezüglich Coaching-Angeboten.
Das Dialogcamp 2025 fokussierte auf betriebliche Konflikte und wählte dafür die bewusst provokant formulierte Überschrift „Konflikte? Ja bitte!“. Dieser Titel soll zu einer konstruktiven Sicht auf Konflikte einladen, sie nicht als „Versagen“ oder „Unfall“ zu werten, sondern als wertvolle Informationsquellen und systemrelevante Lerngelegenheiten.
Der folgende Beitrag geht auf Ziele, Inhalte und Diskussionsergebnisse des Dialogcamps ein und fragt nach Konfliktursachen in öffentlichen und sozialen Unternehmen. Es werden Schlussfolgerungen für die Anforderungen an Coaches und die Coaching-Praxis im Kontext von Konflikten abgeleitet und ein Ausblick gegeben.
Der Fachausschuss ÖSU hatte bereits im Jahr 2021 ein erstes digitales Dialogcamp durchgeführt. Dies setzte sich mit der Spezifik von öffentlichen und sozialen Unternehmen, relevanten Entwicklungsthemen und den Anforderungen an ein professionelles Coaching in diesen Arbeitsfeldern auseinander (Krüger et al., 2022). Im Dialogcamp 2025 wurden drei Ebenen betrachtet:
Im Fokus der sieben Workshops des Dialogcamps standen insbesondere folgende Fragen:
In der Veranstaltung diskutierten insgesamt 60 Vertreterinnen und Vertreter öffentlicher und sozialer Unternehmen sowie Coaches differenziert für die Branchen: Gesundheitswesen, Bildung/Hochschule, Forschungsinstitute, öffentliche Unternehmen und Sozialwesen. Daneben wurden als Workshop-Themen die Verschiebung von Konflikten auf einzelne Personen, das Thema Mobbing und das Führen im Tandem (sowie mögliche Herausforderungen und Konflikte) behandelt.
Die folgenden Thesen bündeln die Beiträge der Diskutantinnen und Diskutanten und der teilnehmenden Coaches. Die Ausführungen beziehen sich auf:
In den praxisfeldbezogenen Workshops wurde die Schlüsselrolle der Führungskräfte als Prozessgestaltende und Entscheidungstragende im Konfliktgeschehen betont. Dies umfasst die persönliche Aufmerksamkeit für und den Umgang mit Konflikten, die eigene Vorbildfunktion beim Umgang mit konfliktaffinen Themenstellungen sowie die selbstkritische Reflexion der eigenen Handlungen (inklusive Unzulänglichkeiten und eigenen Fehlern).
Von besonderer Bedeutung ist die Verantwortung der Führungskraft für die Etablierung bzw. Stärkung von Strukturen und Prozessen für eine konstruktive Konfliktkultur und präventive Konfliktlösungsstrategien (u.a. fehlerfreundliche Feedback-Kultur, regelmäßige Retrospektiven, Verfahrensgrundsätze für Konflikte).
Erforderlich ist bei Führungskräften in Expertenorganisationen (u.a. Hochschulen, Kliniken) ein Wandel im Selbstverständnis – weg von der Rolle als Fachexpertin bzw. -experte (z.B. für die eigene Wissenschaftsdisziplin) hin zu einem Verständnis als Prozessmanager/in, Kommunikator/in, als Teamplayer/in und Menschenversteher/in. Dies stellt für die Führungskräfte häufig eine Herausforderung dar, da diese zumeist auf Grundlage ihrer spezifischen fachlichen Expertise und Qualifikation in die Führungsposition gelangt sind.
In der Diskussion wurde die Fähigkeit der Führungskräfte betont, gleichzeitig klar in der Rolle zu sein und dennoch den eigenen Fokus bewusst zu erweitern – z.B. für Generationsunterschiede bei den Mitarbeitenden, Differenzen im Professionsverständnis und die interkulturelle Vielfalt. Durch diese Grundhaltung lassen sich beispielsweise bei wichtigen Entscheidungen relevante Perspektiven, Erwartungen, Wünsche und Potenziale der Mitarbeitenden, anderer Führungskräfte und/oder Organisationseinheiten angemessen integrieren.
In der Debatte wurden die Kosten von verhärteten Konfliktmustern und destruktiven, die Zusammenarbeit und Wirksamkeit der Dienstleistung bedrohenden Effekten hervorgehoben. Die Teilnehmenden betonten, dass mit langjährigen und „kultivierten“ Feindschaften von Mitarbeitenden, Mitarbeitendengruppen bzw. Organisationseinheiten negative Auswirkungen auf die Arbeitszufriedenheit, die Mitarbeiterbindung, die Effizienz und Effektivität verbunden sind, die letztlich auch der Arbeitsfähigkeit und Gesundheit der Führungskräfte und ihren Mitarbeitenden schaden.
Die sozialen und psychologischen Kosten von Konflikten werden oft noch durch unfaire und ausgrenzende Konfliktstrategien verschärft. In einem Workshop wurde dazu das Thema Mobbing diskutiert. Zielsetzung war es, diesen häufig undifferenziert gebrauchten Begriff zu klären und Erfahrungen mit bewährtem Vorgehen gegen Mobbing auszutauschen. Als Fallstricke für Coaches wurden hervorgehoben: Übernahme des Mobbing-Begriffs für Kränkungen, die kein Mobbing sind, Übernahme von Aufgaben aus der Zuständigkeit der Leitung, Parteilichkeit für „Opfer“, Beschuldigung von „Mobbern“ und die Vernachlässigung von Evaluationsterminen.
Die Weiterentwicklung öffentlicher und sozialer Unternehmen findet im Spannungsfeld zwischen Bestands-/Prozesssicherung (u.a. Systemerhalt, Förderung von Gemeinschaft, Sicherung des sozialen Friedens) und Innovation – beispielsweise in den Fachdisziplinen (u.a. Medizin, Pädagogik, Verwaltungswissenschaft) – statt. Führungskräfte stehen dabei vor der Herausforderung, Stabilität zu gewährleisten und gleichzeitig Veränderungsdynamiken zu initiieren. Durch den Sparzwang der öffentlichen Haushalte bestehen in vielen Bereichen gleichzeitig Ausstattungs- und Personalprobleme. Für eine verantwortliche Führung gilt es, eine Art „bewegliche Stabilität“ anzustreben, d.h., Strukturen zu etablieren, die sowohl Halt geben als auch Flexibilität ermöglichen. Eine fehlerfreundliche Kultur verhindert dabei dysfunktionalen Perfektionismus und unterstützt nachhaltiges organisationales Lernen.
Öffentliche und soziale Unternehmen als Erbringer personenbezogener Dienstleistungen sind von politischen Entscheidungen abhängig (u.a. gesetzliche Aufträge, Haushaltsplanungen). Dies führt zu einer Begrenzung des Planungshorizontes und des beruflichen Kontrollbereichs für die Führungskräfte und ihre Mitarbeitenden. In der Workshop-Diskussion wurde deutlich, dass sich dadurch bestehende Ziel-, Verteilungs- und Machtkonflikte verschärfen können. Hier liegt es in der Verantwortung von Führungskräften, bestehende Unsicherheiten in der Organisationsentwicklung den Mitarbeitenden gegenüber transparent zu machen, Unsicherheit als Ressource zu nutzen und einen selbstbewussten Umgang mit Wandel zu etablieren.
Die Erwartungen unterschiedlicher Interessengruppen an öffentliche und soziale Unternehmen bilden für diese eine komplexe Auftragssituation, die in der öffentlichen Debatte schnell zu Kritik und dem Vorwurf der Nichterfüllung der geforderten Dienstleistungen führt, ein Konfliktpotenzial, das auch in die Organisationen hineinwirkt.
Im Workshop „Interdisziplinäre Teams im Krankenhaus“ wurden als häufigste Quellen für Konflikte wirtschaftlicher Druck in den Fachabteilungen, hierarchische Strukturen und eine hohe Arbeitsdichte benannt. Auf der Personalebene fördern berufsgruppenübergreifende Fallbesprechungen, gemeinsame Visiten als Forum des interdisziplinären Austauschs und Mentoring die interdisziplinäre Zusammenarbeit. In der Diskussion wurde deutlich, dass Konfliktklärungen in Kliniken oft nicht als etablierte Prozesse systematisch verankert sind. Es fehlt den Führungskräften eine strukturelle Hilfestellung auf Organisationsebene, wodurch die Bearbeitung von Konflikten erschwert wird.
In Organisationen mit hoheitlichem Auftrag bestehen spezifische Beschäftigungsformen und tradierte Aufstiegssysteme (u.a. Beamtenbesoldung, Generativitätsprinzip), die den Personaleinsatz und die Veränderung der Aufgabengebiete der Mitarbeitenden begrenzen. Zum Interessenausgleich gilt es, von der Orientierung an formalen Vorgaben (z.B. Stellenbeschreibung, Besoldung, Hierarchien) hin zu einem personenzentrierten Führungsstil zu kommen. Hier besteht für die Führungskraft die Aufgabe, immer wieder neu eine Balance zwischen Unternehmenszielen, formalen Vorgaben und Bedürfnissen der Mitarbeitenden anzustreben.
Coaches sind im Einzelsetting als Begleitende bei der Übernahme einer Führungsaufgabe und der Weiterentwicklung des Führungsverständnisses bedeutsam. Zu den notwendigen Kernkompetenzen von Coaches gehören die Sensibilität für kommunikative Prozesse, die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel und die aktive Beziehungsarbeit. Beim Onboarding kommt einer Vernetzung von Fortbildungs-, Trainings- und Coaching-Angeboten eine besondere Bedeutung zu.
Bei erfahrenen Führungskräften bietet Coaching dann eine Unterstützung, wenn diese als Konfliktvermittelnde zwischen Mitarbeitenden gefordert sind. Hier kann die Suche nach passgenauen Gesprächsformaten und Tools zur Konfliktmoderation und deren Training ein Auftrag sein.
Im Gruppensetting findet sich der Coach häufig in der Rolle als Konfliktmoderator/in. Dies ist insbesondere dann bedeutsam, wenn die Führungskraft selbst Konfliktpartei ist. Dabei besteht der besondere Beitrag in einem Zurverfügungstellen konkreter Prozessformate und Tools, Beteiligte allparteilich zu unterstützen und Impulse zur systematischen Konfliktanalyse und -klärung zu geben.
Im Workshop „Was tun, wenn Konflikte Einzelnen zugeschoben werden?“ gab es die Beobachtung, dass insbesondere in politisch geprägten Organisationen strukturelle Probleme häufig auf die persönliche Ebene verschoben und dort ausgetragen werden. Die Organisation eröffnet Einzelpersonen dann die Möglichkeit des Coachings, um im Konfliktgeschehen zu unterstützen und resilienter zu werden. Die Thematik auf Systemebene bleibt bei diesem Vorgehen unbearbeitet und die Organisation lernt dadurch nicht. Coaches brauchen Mut, Neugier und Klarheit, um strukturelle Themen ansprechen zu können und in die Auftragsklärung einzubeziehen.
Multikulturelle und generationenübergreifende Teamarbeit schafft durch ihre Vielfalt ein besonderes Spannungsfeld. Für Coaches ist interkulturelle Sensibilität ein besonderer Fokus und zugleich ein fortwährender Impuls für Offenheit, Respekt, Lernbereitschaft und die achtsame Reflexion eigener Vorurteile.
Ein Workshop wendete sich der Fragen der Vor- und Nachteile von Führungsmodellen im Tandem zu. Basis für das Gelingen eines solchen Führungsmodells sind klar vereinbarte Zuständigkeiten, gemeinsam geteilte Ziele und Entscheidungen. Auch muss im Team die Sinnhaftigkeit einer Tandemlösung erkannt werden und die Bereitschaft zur engen Zusammenarbeit bestehen. Es braucht eine gute Informations- und Kommunikationskultur sowie konstruktive Feedback-Prozesse, um Störungen schnell zu erkennen und zu beheben. Eine hohe Präsenz im Team erleichtert die Akzeptanz. Dafür bieten Coaching und Supervision eine professionelle Begleitung, schaffen psychoemotionale Entlastung und helfen, „Verstrickungen“ zu vermeiden. Zahlreiche Workshop-Teilnehmende sahen in einer Führung im Tandem ein zukunftsweisendes Führungsmodell.
Als eine zentrale Kompetenz wurde in den Workshops die Selbsterfahrung der Coaches hervorgehoben. Sie ist ein Schlüssel, um Konflikte wirksam zu begleiten. Wer die eigenen Muster im Umgang mit Streit, die persönlichen Trigger und spontanen Reaktionen kennt, kann im Coaching klarer unterscheiden, was zum Gegenüber gehört und was aus der eigenen Geschichte stammt. Diese Reflexionsfähigkeit schützt davor, unbewusst Projektionen einzubringen oder Konfliktdynamiken zu verstärken.
Konflikte willkommen zu heißen und als Lernchance anzusehen, ist einfach gesagt und schwer getan. Wie kann es dennoch gelingen? Organisationen brauchen für die Konfliktbearbeitung geregelte Prozesse, Abläufe und kommunikative Grundsätze, um Konflikte systematisch zu analysieren und konstruktiv zu bearbeiten. Dafür ist es unverzichtbar, Konflikte als integralen Bestandteil des Organisationslebens und der -geschichte anzusehen. Die Haltung und das Verhalten von Führungskräften nehmen maßgeblichen Einfluss auf die Konfliktkultur in ihrem Verantwortungsbereich. In Konfliktsituationen kommt Führungskräften die Verantwortung zu, frühzeitig und regelbildend zu agieren. Auch gilt es, Strukturen zu schaffen oder zu stärken, die präventiv auf die Konfliktentstehung einwirken.
Als Teil der Organisationskultur kommen dabei dem Feedback und dem Umgang mit Fehlern eine zentrale Bedeutung zu. Es ist mehr als ein bloßes Führungstool, Rückmeldung zu geben und Mitarbeitende zu motivieren. Etabliert sich eine konstruktive Feedback-Kultur, so bietet dies ein solides Gerüst, um Konflikte frühzeitig anzusprechen. Gleichzeitig wird die Mitarbeitendenbeteiligung und -bindung gestärkt. Es gibt eine Vielzahl von Feedback-Formaten, die es passend in den Arbeitsalltag zu integrieren gilt (z.B. Feedback-Speeddating, Clear-the-Air-Meeting, Spiegelgespräche). Präventiv tragen auch Strategien des konstruktiven Umgangs mit Fehlern, des konstruktiven Streitens und einer auf „psychologische Sicherheit“ aufbauende Führungskultur zur Konfliktvorbeugung bei.
Konfliktregulierung gewinnt in sämtlichen öffentlichen und sozialen Unternehmen durch Wertewandel, Generationenfragen und kulturelle Vielfalt an Bedeutung. Für Führungskräfte und Coaches sind dabei drei Kompetenzen zentral:
Für Coaches leitet sich aus der Komplexität vieler Konfliktdynamiken die Notwendigkeit einer gründlichen Auftragsklärung ab. Insbesondere gilt es, Aufträge abzulehnen, die eine Delegation von Führungsthemen und der Konfliktentscheidung beinhalten. Coaches können Prozesse moderieren, Konflikte besprechbar und verhandelbar machen und hier ihre Kompetenzen einbringen. Die mit den Konflikten verbundenen (strategischen) Entscheidungen sind den verantwortlichen Führungskräften zuzuordnen. Eine (dem Ego schmeichelnde) Überhöhung der Rolle des Coachs ist zurückzuweisen.
Konflikte dürfen nicht durch Feindbilder und Denkstereotypen simplifiziert werden. Es gilt, den Umgang mit Konflikten (das Wie im Streiten) menschengerecht, kooperations- und gemeinschaftsförderlich auszugestalten. In diesem Sinne ist auch das Resümee einer Teilnehmerin zu verstehen: Wir müssen Konflikte (wieder) hoffähig machen!
Ein konstruktives Fazit: Konflikte sind eine Möglichkeit zum Lernen – für Individuen, Teams und Organisationen. Es geht darum, Konflikte nicht nur zu akzeptieren, sondern mit ihnen als einer Quelle der Organisationsentwicklung zu arbeiten.