Methoden

Relationales Coaching

Die neue Dimension der „Beratung ohne Ratschlag“-Methodik

8 Min.

Erschienen im Coaching-Newsletter in Ausgabe 01 | 2018

Muss Coaching tatsächlich kompliziert sein? Nein, das muss es nicht: Fast 20 Jahre nach der Entwicklung der „Beratung ohne Ratschlag“-Methodik ist Relationales Coaching noch viel einfacher geworden. Fazit: Jeder soll coachen können – Berater, Führungskräfte, Therapeuten, Eltern, Lehrer, Partner, Ärzte, Anwälte, Nachbarn, Freunde …

Warum? Weil das Leben von vielen meiner Klienten als zu kurz und zu schön beschrieben wird, als dass sie nonstop problembelastet durch den Alltag stolpern wollen. Und weil sie gleichzeitig in immer kürzeren Abständen von neuen Herausforderungen getroffen werden – eine relevante Auswirkung der von uns doch recht komplex gestalteten Welt. Wie können wir nun aber „einfach“ beraten – wie können wir uns das Coaching-Leben so einfach wie möglich machen?

Wir können nicht verstehen – also brauchen wir nicht zu verstehen

Es liegt auf der Hand, dass wir einander nicht verstehen: Denn jeder denkt anders, hat ein anderes Problemempfinden und findet andere Lösungen. Meine Erfahrung zeigt mir: Die Wahrscheinlichkeit, im Klienten einen Klon von sich selbst zu finden, geht gegen null, was bedeutet: Coaches können ihren Klienten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht verstehen. Er denkt immer anders! Das macht die Sache recht einfach – denn Coaches brauchen es gar nicht erst zu versuchen. Vielmehr können sie mit dem Staunen eines Kindes ihren Klienten bei der Erfindung seiner gewünschten Zukunft begleiten, von der zu Beginn noch nicht klar ist, wie sie aussehen wird (der Klient weiß es auch nicht).

Wir dürfen subjektiv sein – ja, wir müssen es sogar!

Viele Coaches strengen sich mächtig an, „objektiv“ zu sein. Dabei ist das meines Erachtens verlorene Liebesmüh – denn ich habe noch nie einen Menschen erlebt, der mit Fug und Recht von sich behaupten konnte, ein „Objekt“ zu sein. Wie kann ein Coach dann „objektiv“ sein?

„Dürfen wir Subjekte tatsächlich subjektiv sein?“, ist die schon fast seltsam anmutende Frage, die mir – etwa in Seminaren – immer wieder gestellt wird. „Ja“, lautet meine subjektive Antwort. Oder anders formuliert: Sie haben meiner Erfahrung nach auch keine andere Chance. Das erleichtert vielen Coaches das Leben: Denn sie können ab sofort sagen, „Ich habe erlebt …“, „Ich habe keine Ahnung …“, „Ich finde es ein bisschen schwierig …“.

Wir brauchen keine Analyse

Man denke sich bei einem gewöhnlichen Coaching-Gespräch die Analysephase weg und nehme an, es würde keinesfalls analysiert, weder das Problem („Wer hat welches Problem? Wie gestaltet es sich?“), noch die „wirkliche“ Ursache („Wann haben Sie es erstmals erlebt? Wann war es besonders stark spürbar? Wie ist es entstanden?“), noch die Situation und auch nicht die („systemischen“) Zusammenhänge: Da fällt Vieles weg. Es bleibt nur noch der Zukunftsentwurf übrig, vorausgesetzt, er findet im Coaching-Konzept überhaupt statt. Und diesen Zukunftsentwurf können sich Coaches – der Einfachheit halber – vorstellen wie eine weiße Leinwand, auf welcher der Klient seine präferierte Zukunft aufmalt: eine Zukunft, die ihn interessiert und die er willens ist, ab morgen tatsächlich zu leben. Denn meine Erfahrung zeigt: Wenn Coaches mit dem Klienten – abseits all seiner problematischen Vergangenheit – redlich herausarbeiten, wer und wie er gerne ab morgen sein will, dann kann er sich das geistig vorstellen und tatsächlich ab morgen genau das leben. Und diese Vorgangsweis finde ich so bestechend einfach, dass sie mir schon beinahe unverdient erscheint. Ich nehme sie trotzdem!

Wir brauchen nicht priorisieren

Tausend Mal in Coachings erlebt, nicht? Die ewig gelebte Vorgangsweise des Priorisierens: „Wollen Sie zuerst Ihr Leben neu ordnen oder sichern, dass Sie im Job glücklich sind?“ Oder: „Heute arbeiten wir das Problem heraus, und nächstes Mal kommen wir bestimmt schon zu ersten Lösungsansätzen.“

Wer priorisiert, macht sich nicht nur das Leben unnötig schwer, sondern ignoriert gegebenenfalls wichtige Teile. Relationales Coaching macht es dem Coach hier paradoxerweise mittels Komplexität einfacher, indem der Coach bei zwei oder mehr Themen ganz einfach auf die nächste Abstraktionsebene geht: Der Klient hat zwei verschiedene Probleme im Job? Kein Problem: Der Coach arbeitet an der Gestaltung des optimalen Jobs insgesamt und später in all seinen Details.

Der Klient braucht sowohl eine neue Bereichsstrategie als auch ein gutes Familienleben? Kein Problem: Der Coach gestaltet mit dem Klienten dessen optimales Leben (das „Relationale Optimalszenario“) insgesamt und unterstützt ihn dann dabei, davon „die optimale Bereichsstrategie“ und das „gute Familienleben“ abzuleiten.

Wir brauchen nicht viel Zeit investieren – und schon gar nicht mehrere Termine

Wieviel Zeit braucht ein gutes Coaching? Der amerikanische Psychotherapeut und Mitentwickler der Lösungsfokussierten Kurzzeittherapie Steve de Shazer (1940–2005) meinte immer, es bräuchte 40 Minuten. Ich gehe davon aus: Jeder Coach braucht seine Zeit – wieviel das auch immer ist. Aber: Wenn es vorbei ist, dann ist es vorbei! Oder anders gesagt: Wenn die gute Zukunft erst einmal entwickelt wird, dann braucht nicht mehr künstlich weitergearbeitet (oder der Entwurf erst wieder in Frage gestellt) werden.

Mein Erleben ist: „Mehr“ Coaching-Zeit macht per se noch kein besseres Coaching. Und mehrere Termine kann sich der Coach aus Relationaler Sicht ohnehin getrost sparen! Denn wer beim nächsten Mal versucht, „am Thema vom letzten Mal weiterzuarbeiten“, merkt schnell: Das Thema hat sich inzwischen verändert (ja, der ungehorsame Klient hat doch tatsächlich ohne Erlaubnis weitergedacht, und ist gedanklich schon wieder ganz woanders!). Und der Coach würde dann wieder von vorne beginnen … Das lässt sich vermeiden.

Wir brauchen keine Ratschläge formulieren – weder „gute“ noch „schlechte“

Ist das nicht herrlich? Relationale Coaches brauchen sich keine Gedanken mehr machen, ob ihre Ratschläge wirklich gut sind. Sie brauchen nämlich gar keine Ratschläge (mehr) formulieren. Sie passen ohnehin nicht – zumindest ist das meine Erfahrung: Denn der Klient hat andere Voraussetzungen als sein Coach. Und andere Erfahrungen hinsichtlich dessen, was „geht“ (und was nicht geht). Und er ist zudem noch in einer anderen Situation. Ganz ehrlich: Wer will sich vor dem Hintergrund dieser Überlegungen noch in die Sisyphus-Arbeit schicken, Ratschläge zu erteilen – immer wieder, wissend, dass der Klient damit niemals zufrieden sein wird?

Wir brauchen kein „um zu“

Wir ersparen uns im Relationalen „Einfach beraten“ auch noch die aufwändige Arbeit am Weg, die Fragen rund um das „Was können Sie tun, um zur Lösung zu kommen?“. Wer sich das „um zu … kommen“ erspart, geht schnell und ohne Umwege in Richtung „Wie leben Sie die Lösung? Wie gestalten Sie da Ihren Tag? Wie interagieren Sie mit anderen? Wie kommunizieren Sie da (anders)?“. Jeder Coach kommt ganz ohne „um zu“ aus. Denn das „um zu“ ist im Coaching oft eine reine Themenverfehlung – es ist, als würde ein Klient erklären wollen, wie er New York erlebt, und der Coach fragt: „Was müssen Sie denn tun, um dorthin zu kommen?“

Wir brauchen kein neues Verhalten erarbeiten – ja, lassen wir das besser ganz!

Verhalten – also die Antwort auf die Frage, „Was tun Sie dann?“ – ist meist Schall und Rauch. Und oft nicht mal das. Menschen können sich in jedem billigen Neujahrsvorsatz ein neues Verhalten vornehmen – aber sie scheitern dann meist daran, dass das großartige Verhalten nicht zu dem passt, wie sie sich im Augenblick (oder gewünscht) selbst beschreiben. Im Relationalen Ansatz lässt der Coach all die Fragen nach dem Verhalten des Klienten weg und richtet seinen  Fokus auf die Neuerfindung der Person selbst – darauf, wer sie in Zukunft sein will. Der Klient wird dann automatisch und ohne gefragt zu werden etwas Neues tun – abgeleitet von seiner „neuen Person“. Und: Persönliche Ausrichtung und Verhalten passen dann (endlich) auch tatsächlich zusammen.

Wir brauchen keine Weltmeister im Fragenstellen sein

Vor allem wenn Coaches noch ungeübt sind, brauchen sie keine Verrenkungen mit komplizierten Coaching-Fragen machen. Einfache Fragen sind im Relationalen Coaching „key“, z.B. die Fragen, „Und wer sind Sie dann, wenn es optimal läuft?“, „Wie gestalten Sie dann Ihren Tag?“, „Wie reden Sie dann anders mit anderen?“. Und wem selbst das zu kompliziert ist, kann Fragen stellen wie „Und – was wollen Sie wirklich?“ oder „Welche Frage soll ich Ihnen denn als Nächstes stellen, damit Sie weiterkommen?“. Oder sogar noch simpler: „Und?“, „Was noch?“ oder „Was anstatt dessen?“.

Tun Sie einfach, was Sie wollen

Ich glaube nicht daran, dass es die „richtige“ Vorgangsweise, die „richtige“ Methodik im Coaching gibt. Daher dürfen sich angehende Coaches meines Erachtens darauf konzentrieren, ihren ganz persönlichen Coaching-Stil und ihre ganz persönlichen Techniken und Methoden zu erfinden und auszugestalten.

Das klingt zunächst vielleicht herausfordernd – muss es aber nicht sein. Steve de Shazer meinte immer: „Tun Sie mehr von dem, was funktioniert.“ Das bedeutet: Im „Trial and Error“ können Coaches herausfinden, was in ihren eigenen Coachings funktioniert. Und woran erkennen sie das? Na, an zufriedenen Klienten natürlich.

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